Als Britisch Indien im August 1947 in die zwei unabhängige Staaten Indien und Pakistan geteilt wurde, hatten drei der insgesamt 565 Fürstenstaaten des Subkontinents zunächst andere Zukunftspläne als die neue indische Zentralregierung. Während Junagarh (oder Junagadh, heute in Gujarat) sich für einen Anschluss an Pakistan entschied, strebte Hyderabad im Süden die Unabhängigkeit an. Auch Jammu und Kaschmir im Norden, das bereits unter den Briten weitreichende Autonomierechte genossen hatte, wollte sich zunächst nicht für eine Seite entscheiden und liebäugelte mit der Eigenständigkeit.
Delhi bedrängte Junagarh, von einem Anschluss an Pakistan abzusehen und setzte sich durch. Im Fall von Hyderabad wurden die Unabhängigkeitsbestrebungen mit Polizeigewalt zerschlagen. Doch während diese Staaten sich ihrem Schicksal fügten und innerhalb Indiens prosperierten, hängt das Schicksal von Jammu und Kaschmir – kurz Kaschmir – bis heute in der Schwebe. Historiker sehen dafür mehrere Ursachen, auch wenn der indische Staat der Ansicht ist, dass es keine Probleme zu lösen gibt.
Zum Zeitpunkt der
Enttäuschtes Vertrauen
Nachdem sich der Maharadscha Indien angeschlossen und die politische Verantwortung für die Bereiche Verteidigung, Kommunikation und Außenpolitik an Delhi abgegeben hatte, bat Indiens erster Premierminister
Zudem forderten die Vereinten Nationen eine Volksabstimmung, bei der die Menschen in Kaschmir selbst darüber entscheiden sollten, ob sie zu Indien oder zu Pakistan gehören wollten. Indiens Regierung allerdings ließ das Plebiszit nie zu, und was folgte, waren Jahrzehnte voller Verletzungen und Verrat.
Neben dem gebrochenen Versprechen, ein Plebiszit abzuhalten, erkannte Delhi auch den mit dem Maharadscha vereinbarten und vom Regionalparlament Jammu und Kaschmirs ratifizierten "vorübergehenden" Beitrat Kaschmirs zur Indischen Union nicht an. Mehr noch: Scheich Abdullah, der ab 1947 als Ministerpräsident Kaschmirs fungierte und sich für einen unabhängigen Staat aussprach, wurde 1953 abgesetzt und für mehr als zehn Jahre inhaftiert. Zudem begann Delhi damit, die Verwaltungsstrukturen im indischen Teil Kaschmirs denen in anderen Regionen und Bundesstaaten Indiens anzupassen.
Die Rufe nach einem Referendum wurden in den folgenden Jahren wieder lauter. Politischer Bannerträger war die Plebiszit-Front (Plebiscite Front), die sich – unterstützt von Pakistan – trotz des immer stärker werdenden indischen Einflusses bis Anfang der 70er Jahre für die Durchführung einer Volksabstimmung einsetzte. Im Jahr 1971 mit der Teilung Pakistans und der Gründung des Staates Bangladesch änderte sich jedoch die politische Dynamik in Südasien und auch der Einfluss Islamabads auf Kaschmir ging (vorübergehend) zurück. Nachdem Scheich Abdullah die Forderung nach einer Volksabstimmung fallengelassen hatte, wurde er von
Pakistan und Kaschmir
Ob die Stammeskrieger 1947 tatsächlich auf Anweisung der pakistanischen Regierung handelten, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fakt ist, dass Islamabad in den folgenden Jahren und Jahrzehnten eine immer stärkere Rolle im Konflikt um Kaschmir spielte. Für die meisten Pakistaner ist Kaschmir bis heute ein unvollendetes Kapitel der Teilung Britisch Indien, und die Regierung handelt entsprechend. Pakistanische Politiker haben Kaschmir immer wieder als Schlagader für die Existenz Pakistans bezeichnet – zuletzt der derzeitige Premierminister Nawaz Sharif im Jahr 2013. Islamabad glaubt, dass Kaschmir aufgrund seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu Pakistan gehört und hat nie akzeptiert, dass Kaschmir auch ein Teil der Indischen Union sein könnte.
Pakistans Regierung ist davon überzeugt, dass das von den Vereinten Nationen zugesagte Referendum über die Zukunft Kaschmirs die einzige Lösung für den jahrzehntelangen Konflikt ist. Ungeachtet dessen hat Pakistan auch nach 1947 mehrfach versucht, Kaschmir gewaltsam an sich zu reißen – im Krieg 1965 sowie im sogenannten Kargil-Konflikt 1999. Die Region ist bis heute Zankapfel zwischen beiden Ländern, und der Konflikt um Kaschmir das entscheidende Hindernis bei den Bemühungen um eine Verbesserung der angespannten indisch-pakistanischen Beziehungen.
1987 bis 1989: Ein Wendepunkt
Nach der Wiedereinsetzung Scheich Mohammeds und dem politischen Aus für die Plebiszit-Front Mitte der 70er Jahre ging Indien nicht wie erhofft auf die Kaschmiren zu und zeigte keine ernsthafte Bereitschaft zu Kompromissen. Die daraus resultierende und über Jahre schwelende Unzufriedenheit der Menschen brach sich schließlich Ende der 80er Jahre Bahn, als ein Teil der Jugend zu den Waffen griff, um gegen die indische Herrschaft zu kämpfen.
Entscheidend für die Eskalation sind wohl Verlauf und Ausgang der Regionalwahlen 1987. Für die Wahlen hatten sich mehrere politische und religiöse Gruppen zur Vereinigten Muslimischen Front (United Muslim Front, MUF) zusammengeschlossen. Diese Allianz forderte etablierte Kräfte wie die
Es folgte eine Ära der Gewalt, die nach Angaben des regierungsunabhängigen Institute for Conflict Management in Delhi bis heute rund 44.000 Menschenleben gefordert hat. Menschenrechtler sprechen sogar von bis zu 80.000 Toten und materiellen Schäden in Milliardenhöhe. Hinzu kommen schwere Menschenrechtsverletzungen, Menschen verschwinden oder sterben in Polizeigewahrsam, Frauen werden vergewaltigt. Die indische Zentralregierung bestreitet ihrerseits in Menschenrechtsverletzungen verwickelt zu sein, die Karten offen auf den Tisch gelegt hat sie bislang jedoch nicht. Aber auch Bewaffnete, die von Pakistan angestiftet und ausgerüstet wurden, haben Gewalttaten verübt. Fest steht, dass sich die Kaschmiren heute nach einer politischen Lösung und einem Ende der Gewalt sehnen.
Jugendunruhen
Bereits in den 70er und 80er Jahren hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Regierung in Delhi mit Waffengewalt herauszufordern. Indien wusste das jedoch stets zu vereiteln, ohne jedoch etwas gegen die Ursachen der wachsenden Unzufriedenheit der jungen Menschen in Kaschmir zu tun. Die Regionalwahlen von 1987 waren von vielen jungen Leuten als Hoffnungsschimmer angesehen worden, um innerhalb des "demokratischen Systems" ihre Nöte artikulieren und den Konflikt lösen zu können. Viele unterstützten die MUF und beteiligten sich aktiv am politischen Prozess. Doch durch die "großangelegte" Wahlfälschung fühlten sie sich ihrer politischen Rechte endgültig beraubt.
Die Jugend trägt seit nunmehr 25 Jahren auch die Hauptplast des Konflikts. Tausende wurden getötet und inhaftiert, viele sitzen hinter Gittern. Die psychischen und sozialen Auswirkungen auf die Generation, die nach 1989 aufgewachsen ist, sind enorm. Sie ist desillusioniert und fühlt sich vom indischen Mainstream ausgeschlossen, denn während ihre Altersgenossen in anderen Teilen Indiens von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren, treibt die Jugend in Kaschmir his heute die Frage nach ihrer politischen Zukunft um.
Zudem herrscht ein tiefes Misstrauen gegenüber dem indischen Staat. Für viele Jugendliche ist Indien gleichbedeutend mit den Soldaten in den Straßen von Srinagar, die sie nach ihren Papieren fragen und schikanieren. Drakonische Sonderermächtigungsgesetze wir der Armed Forces Special Powers Act (AFSPA), der den Sicherheitskräften auch bei gesetzeswidrigen Übergriffen Schutz vor Strafverfolgung gewährt, unterminieren das Vertrauen weiter. Bei vielen herrscht das Gefühl vor, dass Jammu und Kaschmir nie als "integraler Bestandteil" Indiens behandelt wurde, so wie von der Regierung propagiert. Deshalb fühlen sich viele zu separatistischen politischen Gruppen hingezogen, die für das "Recht auf Selbstbestimmung" und die Menschen in Kaschmir über "die Zukunft des Staates" entscheiden lassen wollen.
Innenpolitische Dimension
Die Regierung in Delhi hat den Kaschmir-Konflikt stets als Problem von Recht und Ordnung betrachtet und das unter anderem auf eine hohe Jugendarbeitslosigkeit geschoben. Doch das ist falsch. Arbeitslosigkeit ist ein Problem in Kaschmir, doch selbst die Schaffung zahlreicher neuer Jobs in den vergangenen Jahren hat die Unruhen nicht beendet. Zwar haben sich im letzten Jahrzehnt immer weniger Jugendliche aus Kaschmir bewaffneten Gruppen angeschlossen, die – so der Vorwurf – von Pakistan unterstützt werden. Gleichwohl sind die politische Distanz zu Delhi und das Gefühl, nicht dazuzugehören, weiterhin sehr groß. In sozialen Netzwerken wie Facebook lässt sich diese Stimmung tagtäglich nachvollziehen.
Dazu trägt auch der fehlende Dialog zwischen den Menschen in Kaschmir und der indischen Regierung bei. Delhi hat vielmehr immer wieder seine eigenen "Bemühungen" unterminiert, einen Schritt auf die Kaschmiren zuzugehen. So hatte sie im Jahr 2004 Verhandlungen mit einem Teil der Separatisten aufgenommen, die jedoch bald darauf ohne substanzielles Ergebnis endeten. Auch die Vorschläge einer 2006 von Premierminister
Sicherlich, in den vergangenen Jahren wurden Wahlen abgehalten und die Kaschmiren haben sich daran auch beteiligt. Eine alternative Lösung für das Kaschmir-Problem wurde allerdings nicht auf den Tisch gelegt. Im Gegenteil: Schrumpfende demokratische Freiräume, die Beibehaltung drakonischer Gesetze wie AFSPA und fehlende Gerechtigkeit für die Opfer staatlicher Gewalt haben die Menschen immer weiter von Delhi entfremdet. Daher wäre es wichtig, dass die indische Regierung ihre in Kaschmir gemachten Fehler einsieht, daraus lernt und mit Blick in Zukunft an einer Lösung arbeitet, die allen gerecht wird.
Außenpolitische Dimension
Auch der Dialog zwischen Indien und Pakistan wird als entscheidender Schritt gesehen, um den Kaschmir-Konflikt langfristig beilegen zu können. So hat der Friedensprozess in den Jahren von 2003 bis 2007 dazu beigetragen, dass bei den Menschen in der Region so etwas Hoffnung auf eine Lösung zu keimen begann. Vertrauensbildende Maßnahmen über die Waffenstillstandslinie hinweg spielten dabei in beiden Teilen der Region eine wichtige Rolle, um sich in strittigen Fragen anzunähern sowie im Interesse der Menschen Meinungsverschiedenheiten und Vorurteile auszuräumen.
So haben in den vergangenen Jahren fast 22.000 Menschen eine grenzüberschreitende Busverbindung genutzt, um Verwandte im jeweils anderen Teil Kaschmirs zu besuchen. Zwar ist das Verfahren, eine Reiseerlaubnis zu bekommen, kompliziert, gleichwohl hilft es, das Leid der Menschen zu lindern, die zum Teil seit Jahrzehnten getrennt sind. Auch der Handel über die Waffenstillstandslinie hinweg kommt trotz zahlreicher Engpässe allmählich in Schwung. Bei gegenseitigen Verständnis könnten die Menschen auf beiden Seiten ein Atmosphäre schaffen, in der eine einvernehmlichen Lösung möglich wird.