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Hitler bei den Hindus | Indien | bpb.de

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Hitler bei den Hindus Unwissenheit und Verklärung prägen das Bild des Nationalsozialismus in Indien

Dr. Maria Framke

/ 8 Minuten zu lesen

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Indien hat bereits in den 1930er Jahren begonnen. Geprägt war sie von einer selektiven Wahrnehmung des Regimes und einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der Ideologie. Daran hat sich bis heute wenig geändert, denn etwa der Holocaust an den europäischen Juden spielt bei der Bewertung der Nationalsozialisten kaum eine Rolle. Mehr noch: Viele Inder sehen in Hitler eine Persönlichkeit mit weitgehend positiven Eigenschaften, was bisweilen seltsame Blüten treibt.

(© Stefan Mentschel)

Viele Indienreisende, besonders wenn sie aus Deutschland kommen, werden im Verlauf ihres Aufenthalts mit Adolf Hitler und dem Nazi-Regime konfrontiert. Das geschieht unter anderem durch den öffentlichen Verkauf von "Mein Kampf" und der allgegenwärtigen Swastika (Hakenkreuz) – in Indien ein glücksverheißendes Symbol mit sehr alter, dem Nationalsozialismus weit vorausgehender Tradition. Auch in Gesprächen kann es passieren, dass auf die "arische" Freundschaft oder gar Verwandtschaft zwischen Indern und Deutschen verwiesen oder Hitler als Erneuerer eines starken Deutschland gepriesen wird – sei es aus Unwissenheit über oder aus Ignoranz vor der Geschichte. Dabei sind beide Argumentationslinien keineswegs neu, sondern existierten schon in indischen Auseinandersetzungen mit dem Hitler-Regime in den 1930er Jahren.

Wenig Kritik an Ideologie der Nationalsozialisten

Der indische Subkontinent befand sich in der Zwischenkriegszeit noch unter britischer Kolonialherrschaft. Obwohl sich die indische Nationalbewegung, die neben dem moderaten Indischen Nationalkongress (Indian National Congress, INC) auch radikalere Gruppierungen wie die Hindunationalisten einschloss, vorrangig auf innenpolitische Ziele und die Erringung der Unabhängigkeit von Großbritannien konzentrierte, blieb der Blick auf den Rest der Welt nicht verschlossen. Indische Politiker aller Lager, Intellektuelle und die nationalistische Presse beobachteten und kommentierten die Entwicklungen und politischen Programme in verschiedenen Ländern. Im Fokus stand dabei immer die Frage, inwieweit sie Dekolonisationsprozesse befördern konnten und welche Visionen sie für eine indische Nation in the Making (sinngemäß: Nation im Aufbau) zu bieten hatten.

Im Falle des nationalsozialistischen Deutschlands unter der Führung Hitlers interessierte man sich für die Wirtschafts-, Sozial-, Außen- und Bildungspolitik, die Jugendbewegung aber auch für Rassismus und Antisemitismus. Zudem wurden Phänomene diskutiert, die eher dem globalen Zeitgeist entsprachen und nicht nur für den Nationalsozialismus kennzeichnend waren – darunter die Frage von Uniformierung, Gehorsam gegenüber einem Führer und das vorgebliche Idealbild eines starken gesunden Körpers.

Die Auseinandersetzung mit diesen Themen in Indien reichte von positiven Darstellungen über Hinweise zur Übernahme bestimmter Aspekte bis zur Kritik und Ablehnung sowie reale Interaktionen und die Beteiligung an konkreten Wissenstransfers zwischen beiden Ländern. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Ideologie des Nationalsozialismus blieb jedoch in den meisten Fällen aus und wurde wenn überhaupt von Personen oder in solchen Medien vorgenommen, die sich überwiegend kritisch positionierten.

Beispiele für eine solche umfassende Beschäftigung waren Interner Link: Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister des postkolonialen Indiens, und die Zeitschrift Congress Socialist, die vom sozialistischen Flügel der Nationalbewegung herausgegeben wurde. Die fehlende Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Ideologie des Nationalsozialismus führte oftmals dazu, dass sich die indischen Diskussionen durch Eklektizismus auszeichneten und sich meist nur auf wenige Aspekte konzentrierten.

Selektive Wahrnehmung des NS-Regimes

Indische Politiker und Intellektuelle kritisierten vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Außenpolitik Hitlers, insbesondere im Zusammenhang mit dem Einmarsch in Österreich und der Tschechoslowakei. Deutschlands aggressives Verhalten wurde als territorialer Expansionismus abgelehnt. Nur vereinzelt fanden sich Inder, wie zum Beispiel der Präsident der hindunationalistischen Hindu Mahasabha, Interner Link: Vinayak Damodar Savarkar, oder Interner Link: Subhas Chandra Bose, einer der wichtigen Führer des INC, die Deutschland als strategisch nützlichen Partner ansahen.

Bose arbeitete im Zweiten Weltkrieg mit den Achsenmächten zusammen und hoffte, Indien auf diesem Wege von der britischen Kolonialherrschaft zu befreien. Letztendlich jedoch erhielt Bose von Hitler nicht die erwünschte volle Unterstützung. Außerdem hoffe Hitler auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf eine Verständigung mit Großbritannien; ein Land, das für ihn Vorbild und idealer Bündnispartner blieb.

In Hinblick auf die Wirtschaftspolitik (insbesondere im Bereich wirtschaftlicher Planung und in der Arbeitslosenpolitik) jedoch wurde Hitler-Deutschland viel positiver eingeschätzt und von verschiedenen indischen Intellektuellen und Politikern als Referenzmodell wahrgenommen. Es stellte nach ihrer Ansicht eine mögliche Alternative zum britischen Modell der parlamentarischen Demokratie und liberalen Wirtschaftsordnung dar, welche aufgrund der eigenen kolonialen Erfahrungen abgelehnt wurden.

Darüber hinaus erschien Deutschland manchen Indern als "Leidensgenosse", dessen Beziehungen zu Großbritannien, ähnlich wie im indischen Fall, nicht auf einem gleichberechtigten Status beruhten. Während die eigenen Probleme als Resultat der britischen Kolonialherrschaft gesehen wurden, glaubte man, dass Deutschland schwer unter dem Ausgang des Ersten Weltkrieges und den Folgen des Versailler Vertrages zu leiden gehabt hätte. Hitler wurden demnach verschiedentlich als Erneuerer des Landes und als "Befreier" von der britischen Willkür wahrgenommen. Außerdem galt der Nationalsozialismus als eine moderne Bewegung und somit wurde Hitler-Deutschland als Modell angesehen, das helfen konnte, Indiens "Rückständigkeit" zu überwinden

"Asiatische Gaukler": Rassismus gegenüber Indern

Von großem Interesse in Indien waren ebenfalls die nationalsozialistische Rassentheorie und die Rassenpolitik. Dabei zeigten sich vor allem Hindunationalisten wie Savarkar und M.S. Golwalkar von der rassenpolitischen Diskriminierungspolitik der Nationalsozialisten beeindruckt und schrieben der Kategorie "Rasse" eine Relevanz bei der Konstituierung der Hindu-Nation zu. Allerdings griffen die Hindunationalisten im Gegensatz zu den Nationalsozialisten nicht auf biologische Rassentheorien zurück und lehnten die Idee einer "Reinhaltung" der Rasse ab.

Die indische Öffentlichkeit diskutierte ebenfalls den Status Indiens und der Inder in den Rassenvorstellungen der Nationalsozialisten sowie den Umgang des Hitler-Regimes mit in Deutschland lebenden Indern. So gab es unter den Nationalsozialisten (z.B. NS-Ideologe Alfred Rosenberg) durchaus Personen, die die historischen Leistungen der indischen Zivilisation anerkannten, sich für eine Zusammenarbeit mit den unterdrückten Völkern der Welt aussprachen sowie auf eine kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder hinwirkten. Der generelle Tenor des Regimes blieb allerdings geprägt von Rassismus.

Hitler selbst hatte die indischen Nationalisten in "Mein Kampf" als "asiatische Gaukler" verunglimpft und 1936 in einer Rede vor deutschen Studenten erklärt, dass die Engländer den Indern erst das Laufen beigebracht hätten. Diese und ähnliche herabsetzende Äußerungen, die immer wieder vonseiten hochrangiger Politiker und in der deutschen Presse gemacht wurden, wies man in Indien zurück. Dabei richtete sich die indische Kritik vor allem gegen die niedrige Stellung, die die Inder innerhalb der nationalsozialistischen Rassenhierarchie einnahmen, nicht aber generell gegen die Idee einer rassistischen Hierarchisierung.

"Holocaust wird in Indien selten mit Hitler in Verbindung gebracht"

Auch der deutsche Antisemitismus und die Anfänge der Judenverfolgung vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieben in Indien nicht unbemerkt und zogen insbesondere nach der Reichspogromnacht im November 1938 kritische Berichte nach sich. Diese verstummten jedoch während des Zweiten Weltkriegs und nach 1945 blieb eine umfassende Beschäftigung mit dem Holocaust in Indien aus. Bis zum heutigen Tage spielt das Thema keine große Rolle und wird nur selten mit Hitler in Verbindung gebracht. Warum dies so ist, wurde bisher nicht eingehend untersucht.

Nach 1945 in der Endphase der britischen Herrschaft und während der Teilung des Subkontinentes versank Indien in massiver kommunalistischer Gewalt mit Morden, Vergewaltigungen und Vertreibungen. Ein Trauma, das nachhaltig wirkte und in Indien oftmals ebenfalls als "Holocaust" bezeichnet wird. Hinzu kommt, dass es in Indien, in dem es nur eine sehr kleine jüdische Gemeinde gibt zwar immer wieder zu gewalttätigen Konflikten zwischen Angehörigen verschiedener Religionen oder Kasten kommt, Antisemitismus dabei aber kaum eine Rolle spielte und spielt.

Hitlers "Mein Kampf" – Kassenschlager mit riesiger Auflage

In den letzten zehn Jahren gab es immer wieder Berichte über die indische Begeisterung für Hitler. Diese zeigt sich im Verkauf von T-Shirts mit Hitlers Konterfeit, Hitlerandenken und vor allem in den ständig steigenden Verkaufszahlen von "Mein Kampf". Der indische Verlag Jaico brachte das Buch 1988 erstmals in englischer Sprache heraus und publizierte 2010 bereits die 55. Auflage. Nach Verlagsangaben wurden zwischen 2003 und 2010 rund 100.000 Kopien von "Mein Kampf" verkauft. Das Buch ist damit für Jaico ein Bestseller. Doch auch andere indische Verlage publizieren es – in englisch, aber auch in verschiedenen Regionalsprachen. Darüber hinaus gibt es unzählige Raubkopien auf dem Markt.

(© Stefan Mentschel)

Obwohl diese Zahlen auf dem ersten Blick, gerade in Deutschland, schockierend wirken können, ist es wichtig, die vergleichende Perspektive nicht aus den Augen zu lassen. In Indien findet der Verkauf von "Mein Kampf" in aller Öffentlichkeit in Buchläden oder bei Straßenhändlern statt. So mag den Eindruck entstehen, dass es im Land besonders große Sympathien für Hitler gibt. In Nordamerika und anderen europäischen Staaten kann das Buch jedoch ebenso problemlos im Internetversand erworben oder aus Onlinedatenbanken heruntergeladen werden. Verkaufszahlen deuten hier ein ähnliches Bild an wie in Indien.

Wer genau die indische Leserschaft von "Mein Kampf" ausmacht und warum das Buch erworben wird, wurde bislang nicht wissenschaftlich untersucht. Allerdings geben Käufer bei Befragungen ganz unterschiedliche Beweggründe an, warum sie das Buch lesen. Genannt werden neben dem (kritischen) Interesse an Geschichte auch ideologische Sympathien für das NS-Regime und die angebliche Vorbildfunktion bestimmter Aspekte des Nationalsozialismus für die heutige indische Jugend. Zudem gibt es Anhänger eines anti-imperialistischen Nationalismus, die sich dem NS-Regime im Sinne von "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" verbunden fühlen, da Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg gegen die frühere Kolonialmacht Großbritannien kämpfte.

Umfragen an indischen Universitäten und Schulen ergaben auch, dass Hitler für einen Teil der jungen Menschen als Vorbild gilt. Im Jahr 2002 befragte etwa die Zeitung The Times of India dazu Studierende mehrerer Elite-Colleges, darunter so renommierter Einrichtungen wie St. Stephen's und Lady Shri Ram in Delhi, St Xavier's in Mumbai und Presidency in Kolkata. Das Ergebnis: 17 Prozent nannten Hitler als die richtige Führungspersönlichkeit für Indien. Er erhielt damit mehr Stimmen als Abraham Lincoln oder Nelson Mandela. Die Jugendlichen schrieben Hitler dabei Attribute wie Patriotismus, Stärke, Durchsetzungskraft und Disziplin zu. Zudem wurde erklärt, Hitler habe Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg wieder "groß gemacht", "wirtschaftlich vorangebracht" und den Deutsche "ihren Stolz" zurückgegeben.

Taktlose Namensgebung: Hitler-Restaurant und Hitler-Geschäft

Diese positiv konnotierten Eigenschaften trieben in den letzten Jahren zum Teil seltsame Blüten. So produzierte der indische Sender ZEE TV eine Seifenoper mit dem Titel Hitler Didi. Die Macher wollen die Bezeichnung dabei als Synonym für eine besonders strenge ältere Schwester (Didi) verstanden wissen. Öffentlich debattiert wurde über die Namensgebung für die inzwischen mehr als 450 Folgen umfassende Serie kaum. Anders war das, als 2006 in Mumbai ein Restaurant mit dem Namen Hitler's Cross (Hitlers Kreuz) eröffnet wurde. Neben dem Hakenkreuz-Symbol war im Eingangsbereich auch ein Porträt des Nazi-Führers angebracht. Heftige Proteste der etwa 1000 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde Mumbais sowie des israelischen Generalkonsulats führten schließlich zur Umbenennung.

Sechs Jahr später gab es in der Stadt Ahmedabad im westindischen Bundesstaat Gujarat einen ähnlichen Fall. Dort war ein Laden für Herrenbekleidung Hitler getauft worden. Der Name des Diktators prangte über dem Eingang, der I-Punkt war als Hakenkreuz dargestellt. Die beiden Besitzer gaben sich in Medienberichten ahnungslos: "Nach Auskunft unseres Anwalts haben wir kein indisches Recht gebrochen", erklärte einer der beiden. Zudem beteuerte er, sein Partner und er hätten den Laden nach einem Onkel benannt, der wegen seiner Strenge "Hitler" genannt worden sei. Die historische Bedeutung sei ihnen nicht bewusst gewesen. Das israelische Generalkonsulat sprach dagegen von einer "taktlosen" Namensgebung. Die jüdische Gemeinde verlangte eine Änderung. Auch im Internet gab es massive Proteste gegen den Firmennamen. Schließlich beugten sich die Inhaber dem öffentlichen Druck und suchten sich einen unverfänglichen Namen für ihr Geschäft.

Die Beispiele zeigen, dass die Bewunderung für Hitler und den Nationalsozialismus im heutigen Indien – wie schon in der Zwischenkriegszeit – oftmals vollkommen unreflektiert und selektiv ist. Sie blendet die Verfolgung Andersdenkender genauso aus wie den Rassismus und Antisemitismus des deutschen Regimes. Auch der Holocaust an den europäischen Juden spielt kaum eine Rolle. Diese eklektische Wahrnehmung und Sympathie beruht heutzutage, so wird vermutet, vor allem auf dem fehlenden Wissen über die genauen Hintergründe, die konkreten Details und den größeren Kontext der Geschichte des Nationalsozialismus.

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Dr. Maria Framke ist Historikerin. Ihre Promotion hat sie zum Thema "Wahrnehmungen und Aneignungen von Faschismus und Nationalsozialismus in Indien zwischen 1922 und 1939" verfasst. Seit 2013 forscht sie als Post-Doktorandin an der ETH Zürich.