Chinas Führung hat in den vergangenen Jahren wiederholt die Bedeutung der Ernährungssicherung betont. Der Beitrag beleuchtet die historischen Hintergründe und aktuellen Herausforderungen der Versorgungssituation.
„Wir müssen Chinas Ernährungssicherung gewährleisten, sodass wir immer die Kontrolle über unsere Lebensmittelversorgung haben“, ein Satz aus einer Rede Xi Jinpings wird derzeit in China häufig zitiert. Bislang verfolgt das Land eine zweigleisige Strategie um die Versorgung der Milliardenbevölkerung sicherzustellen: Während bei Grundnahrungsmitteln wie Reis und Weizen sowie Schweinefleisch die weitestgehende Selbstversorgung aus eigener Produktion angestrebt wird, ist das Land insbesondere bei Futtermitteln und anderen agrarischen Produkten in den letzten Jahren zum weltweit größten Importeur aufgestiegen. Doch angesichts begrenzter Ressourcen im eigenen Land und globaler Krisen sind beide Versorgungswege mit zunehmenden Risiken verbunden.
Interner Link: Ernährungssicherung war traditionell eine der großen Herausforderungen, an denen sich die Regierungsführung chinesischer Herrscher messen lassen musste. Regelmäßig wurden bereits in Frühzeiten des Interner Link: Kaiserreichs landwirtschaftliche Handbücher für die Beamtenschaft aufgelegt. Spätestens ab der Ming-Zeit (1368-1644) enthalten diese Handbücher Kapitel zur Vorsorge von Interner Link: Hungersnöten. Hier ging es um die Einführung von neuen Nahrungspflanzen wie Süßkartoffeln und Chili aber auch um die sachgerechte Einlagerung von Getreide in kaiserlichen Speichern zur Versorgung der Armee und als Notreserve zur Versorgung der Bevölkerung. Als Faustregel galt, dass der Staat mindestens für neun Jahre Getreide bevorraten sollte, eine Regierung, die lediglich für drei Jahre Getreide eingelagert hatte, galt bereits als höchst gefährdet.
Dabei war die chinesische Landwirtschaft bis in das 18. Jahrhundert hinein der europäischen, was Produktivität, Agrartechnologien wie Sä- und Dreschmaschinen und ausgeklügelte Bewässerungssysteme und Düngetechniken anging, weit überlegen. Die hohe Produktivität ermöglichte es, Großstädte wie Peking, das im 18. Jahrhundert mit einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern die größte Stadt der Welt war, zu ernähren. Westliche Reisende wie die Jesuiten beschrieben bewundernd die hohe Produktivität der chinesischen Landwirtschaft. Dennoch kam es wegen politischer Instabilitäten, Naturkatastrophen und in Folge des Bevölkerungswachstums ab Ende der Qingzeit und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder zu Hungersnöten. Die größte Hungerkatastrophe ereignete sich allerdings in der Volksrepublik China während des sogenannten "Großen Sprungs" (1958-1962). Das Ausmaß dieser durch wirtschaftliche Fehlplanungen und Naturkatastrophen verursachten Krise ist bis heute in China ein Tabu. Nach Schätzungen von Historikerinnen und Historikern verhungerten in den "drei bitteren Jahren" 30 bis 45 Millionen Menschen.
Hunger ist daher ein Trauma, das bis in die Gegenwart im kollektiven Bewusstsein der chinesischen Gesellschaft verankert ist. In jüngerer Zeit geht es beim Thema Ernährungssicherung allerdings nicht mehr um die Sicherung der Grundversorgung, sondern um die Gewährleistung einer im Zuge des gestiegenen Lebensstandards und veränderter Ernährungsgewohnheiten gewachsenen Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Lebensmitteln inklusive Fleisch und Fisch.
Knappe und ungleich verteilte Ressourcen
Diese Nachfrage aus vorrangig eigener Produktion zu befriedigen, stellt den Agrarsektor vor große Herausforderungen. Chinas Bauern steht im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ein eher geringer Anteil an Ackerland zur Verfügung. Derzeit entfällt auf China mit 18 Prozent der Weltbevölkerung etwa 7 Prozent des weltweiten Ackerlands. Pro Kopf der Bevölkerung stehen nur etwa 0,09 ha zur Verfügung, etwa die Hälfte des globalen Durchschnitts. Die für Landwirtschaft nutzbaren Gebiete konzentrieren sich vor allem im Osten des Landes sowie in der Provinz Sichuan. Diese Regionen sind zugleich auch die am dichtesten besiedelten Landstriche Chinas.
Im Zuge der Modernisierung konkurrieren städtische und industrielle Bauprojekte sowie der Ausbau der Infrastruktur und die Landwirtschaft um die besten Flächen. In weiten Teilen des Landes sind die topografischen und klimatischen Bedingungen für landwirtschaftliche Bewirtschaftung schwierig. Fast 60 Prozent der Fläche Chinas befindet sich in Höhen über 1000 Metern. Gemessen an der Bevölkerungsgröße verfügt das Land nur über relativ geringe Wasservorkommen, die zudem geografisch ungleich verteilt sind.
Unter Einfluss des Monsunklimas gibt es starke jahreszeitliche Abweichungen in Niederschlagsmengen mit ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten. Auch existiert ein großer Gegensatz von Bodengüte und Klimagunst. Der Norden verfügt über gute Böden (Schwarzerde im Nordosten und Löss in der Nordchinesischen Ebene), jedoch stellen Wassermangel und kurze Wachstumsperioden eine Herausforderung dar, in Südchina ist der ganzjährige Anbau bei ausreichender Bewässerung möglich, jedoch sind die verbreiteten Roterdeböden nicht sehr ertragreich.
Die "Grüne Revolution" und ihr Preis
Trotz der genannten ungünstigen Bedingungen ist China in den vergangenen 50 Jahren ein qualitativer Sprung in der Landwirtschaft gelungen. Anfang der 1970er Jahre konnte das damals noch weitgehend vom internationalen Austausch isolierte China die Entwicklung einer eigenen Hybridreissorte vermelden, die Ernten mit deutlich höheren Erträgen ermöglichte. Als Yuan Longping, der "Vater des chinesischen Hybridreises", 2021 im Alter von 90 Jahren starb, wurde er in China wie ein großer Staatsmann betrauert. Die Einführung des Hybridreises in den 1970er Jahren, aber auch die Erschließung der Ölfelder in Daqing im Nordosten hatten die Grundlage dafür geschaffen, dass China zeitgleich mit anderen südasiatischen Ländern eine sogenannte "Grüne Revolution" vermelden konnte. Öl aus Daqing lieferte die notwendige Energie für den Betrieb von Motorpumpen für die großflächige Bewässerung der fruchtbaren Lössäcker in der nordchinesischen Tiefebene, und es ermöglichte den Aufbau einer einheimischen Industrie für die Produktion von Düngemitteln und Agrarchemikalien. Auch die Landreformen in den frühen 1980er Jahren, die den Bauern die Verantwortung über das von ihnen bewirtschaftete Land übertrug, wirkten sich positiv auf die landwirtschaftliche Produktivität aus. Heute liegen Chinas Reiserträge um das Vierfache, die Weizenerträge sogar um das Zehnfache höher als in den 1960er Jahren.
Doch die intensive Bewirtschaftung des Agrarlandes hat ihren Preis. Mittlerweile ist China das Land mit dem weltweit höchsten Einsatz an Agrarchemikalien. Etwa ein Drittel der weltweit eingesetzten Düngemittel wird auf chinesischen Äckern ausgebracht. Noch extremer ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, hier entfallen 43 Prozent des weltweiten Verbrauchs auf China. Ihr Einsatz liegt mit 13,1 kg/ha um das Dreifache höher als in Deutschland. Der wenig effiziente Einsatz der Agrarchemikalien führt zu Überdüngung der Böden und zu Schadstoffeinträgen im Grundwasser. Schadstoffeinträge aus der agrarischen und industriellen Produktion haben zu einer großflächigen Verseuchung der Böden geführt. Eine landesweite Untersuchung aus dem Jahr 2014 ergab, dass fast 20 Prozent der landwirtschaftlichen Böden Chinas kontaminiert sind. Dies schmälert den ohnehin knappen Vorrat an guten landwirtschaftlichen Böden. Im Nordosten bereiten die in Folge von Übernutzung und jahrelangem Anbau in Monokulturen beobachtete abnehmende Fruchtbarkeit der Schwarzerdeböden Sorgen. Das im Sommer 2022 in Kraft getretene "Gesetz zum Schutz der Schwarzerdeböden" soll nun Initiativen zur Rehabilitierung der Böden fördern.
Auch gibt es vielerorts große Probleme mit der Bereitstellung ausreichender und den Qualitätsstandards entsprechender Wasserversorgung. Obwohl China zu den Staaten mit den weltweit größten Süßwasserressourcen gehört, sind diese nicht gleichmäßig im Land verteilt, sondern konzentrieren sich vor allem auf den Südwesten des Landes, während insbesondere der Nordwesten extrem wasserarm ist. Hinzu kommen Probleme mit der Wasserqualität und erhebliche Schwankungen im Ausfall der Niederschläge über das Jahr. Insbesondere in Nordchina muss mit mehrere Jahre anhaltenden Dürren, in denen nur die Hälfte oder gar ein Drittel der durchschnittlichen Niederschlagsmengen fällt, gerechnet werden. Im Zuge der in China bereits deutlich spürbaren Auswirkungen des Interner Link: Klimawandels kommt es zudem auch immer häufiger zu extremen Klimaereignissen. So war das Jahr 2021 ein besonders niederschlagsreiches Jahr. Stark betroffen war damals die Provinz Henan, eine der sogenannten Kornkammern Chinas, in der ein Drittel des chinesischen Weizens geerntet wird. Ende Juli 2021 regnete es innerhalb weniger Tage so viel wie sonst in einem ganzen Jahr. Fast eine Million Hektar waren damals überflutet, rund 1600 größere Tierzuchtbetriebe waren ebenfalls von den Überschwemmungen betroffen und verzeichneten erhebliche Verluste. Im Oktober 2021 kam es zu weiteren verlustreichen Überschwemmungen in den Provinzen Shanxi und Hebei. Hier traf es die Bauern während der Maisernte. Im Sommer 2022 dagegen waren zahlreiche Provinzen in Süd- und Mittelchina von anhaltender extremer Hitze mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius und Dürren betroffen, die die Pegel von großen Flüssen und Seen bedrohlich absinken ließen.
Auch der demographische Wandel stellt Chinas ländliche Regionen vielerorts vor Probleme. In Dörfern fehlen Arbeitskräfte, weil jüngere Menschen in die Städte abgewandert sind und der Nachwuchs fehlt. So liegen trotz knapper Agrarflächen in einigen Regionen Felder brach. Fast 70 Prozent von Chinas Agrarproduktion liegt in der Verantwortung von Kleinbauern. Diese bewirtschaften häufig sehr kleine Flächen, die meisten Farmen sind zwischen 0,65 und 2 Hektar groß (zum Vergleich: In Deutschland beträgt die durchschnittliche Hofgröße 60 Hektar). Untersuchungen legen nahe, dass zum Beispiel die verbreitete Überdosierung von Agrarchemikalien mit der extremen Fragmentierung der Agrarflächen in Verbindung gebracht werden kann.
Landwirtschaft in China (bpb, mr-kartographie, Gotha)
Chinas Anteil lag 2020 bei Reis, Weizen, Kartoffeln und Erdnüssen auf Rang 1 der weltweiten Produktion. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Chinas Anteil lag 2020 bei Reis, Weizen, Kartoffeln und Erdnüssen auf Rang 1 der weltweiten Produktion. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
1995 gab die chinesische Regierung ein "Weißbuch zu Getreide" heraus, das die Rate von 95 Prozent Selbstversorgung bei Weizen, Reis und Mais festsetzte. Diese Richtlinie ist bis in die Gegenwart gültig. Um dieses Ziel umzusetzen, subventionierte der Staat nicht nur Bauern, die Getreide anbauten, er setzte 2007 auch eine rote Linie für Ackerland bei 120 Millionen Hektar fest. Eine so große Fläche müsse mindestens für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen und dürfe nicht für andere Zwecke genutzt werden. Der Grenzwert ist bis heute gültig, aber seit er in Kraft trat, sind bereits große Flächen für die Landwirtschaft verloren gegangen, sodass das noch nutzbare Agrarland nicht mehr viel größer ist als die festgesetzten 120 Millionen Hektar. Es gelang trotzdem die Getreideerträge seit den frühen 2000er Jahren noch einmal deutlich zu steigern. Lag die Getreideproduktion 2003 bei 431 Millionen Tonnen, so konnte 2021 trotz der erwähnten Witterungskatastrophen eine Rekordernte von 682 Millionen Tonnen eingefahren werden. Der Anstieg ist dabei insbesondere auf eine deutliche Steigerung des Maisanbaus zurückzuführen, während die Erträge bei Reis und Weizen in weit geringerem Umfang stiegen.
Parallel dazu ist China mittlerweile der weltweit größte Importeur von Agrarprodukten. Der starke Anstieg ist eine Folge der veränderten Nahrungsgewohnheiten, die mit einem besseren Lebensstandard einhergehen. Ernährte sich die chinesische Bevölkerung traditionell überwiegend vegetarisch und auf Getreidebasis, so stieg der Fleischkonsum seit den 1980er Jahren um das Fünffache und hat mit derzeit rund 50 Kilo pro Kopf und Jahr fast Interner Link: deutsches Niveau erreicht. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage ist China zum größten Schweinefleischproduzenten der Welt avanciert. Fast 500 Millionen Schweine werden derzeit in China gehalten. Nachdem der Ausbruch des Afrikanischen Schweinefiebers in den Jahren 2018/19 den Bestand erheblich reduziert hatte, wurde beim Wiederaufbau vor allem in hochmoderne Großbetriebe mit mehreren 10.000 Tieren investiert. Auch die Nachfrage nach Milch und anderen Molkereiprodukten, Lebensmittel die traditionell nicht auf dem Speiseplan der hanchinesischen Bevölkerung standen, ist enorm gestiegen. Damit hat auch die Zahl von Milchviehbetrieben deutlich zugenommen. Internationale Agrarkonzerne haben seit Beginn des Jahrtausends erheblich in China investiert, insbesondere in die Fleisch- und Milchindustrie.
Mit dem Wachstum der Tierhaltung ist auch der Bedarf an Futtermitteln gestiegen, der schon seit einiger Zeit nicht mehr durch die einheimische Produktion allein gedeckt werden kann. Dies betrifft insbesondere den Import von Sojabohnen, für deren Anbau es keine Richtlinie zur Selbstversorgung gibt. Wie Mais werden Sojabohnen hauptsächlich als Futtermittel eingesetzt. 2021 importierte China fast 100 Millionen Tonnen Soja, dies entsprach etwa 60 Prozent des globalen Handelsvolumens. Hauptsächlich wird Soja aus Brasilien importiert, während die Importe aus den USA als Folge des Interner Link: US-China Handelskonflikts zurückgegangen sind.
Tierproduktion in China (bpb, mr-kartographie, Gotha)
42 Prozent der weltweiten Schweinefleischproduktion fielen 2020 auf China. Auch bei Schaf-, Ziegen-, Enten- und Gänsefleisch belegte China weltweit Rang 1. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
42 Prozent der weltweiten Schweinefleischproduktion fielen 2020 auf China. Auch bei Schaf-, Ziegen-, Enten- und Gänsefleisch belegte China weltweit Rang 1. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Aber auch andere Agrarprodukte werden in großen Mengen importiert, wie Fleisch, Fisch, Molkereiprodukte, Wein, Speiseöl und trotz der hohen Selbstversorgungsrate auch Nahrungsgetreide. Das durch zahlreiche Skandale um verseuchte Lebensmittel beschädigte Vertrauen in die Qualität einheimischer Lebensmittel hat zudem die Nachfrage nach importierter Ware ansteigen lassen. Dies gilt insbesondere für Milchpulver und Babynahrung. China bemüht sich die Bezugsquellen zu diversifizieren, so wird insbesondere in Asien und in den Ländern, die Teil der Interner Link: Belt-and-Road-Initiative sind, verstärktes chinesisches Investment in Agrarprojekte verzeichnet. Vor Beginn des Ukraine-Kriegs gab es auch eine Zunahme der Importe aus der Ukraine und Russland: 39 Prozent seiner Mais- und 45 Prozent seiner Sonnenblumenöl-Importe bezog China aus der Ukraine. Gleich zu Beginn des Krieges schloss China im Februar 2022 Interner Link: Abkommen mit Russland, die die Einfuhr von russischen Agrarprodukten wie Weizen, Mais und Sonnenblumenöl in Zukunft erleichtern und mögliche Ausfälle aus der Ukraine ausgleichen sollen.
Angesichts der oben dargestellten Probleme des einheimischen Agrarsektors und der aufgrund der politischen Krisen angespannten Situation auf den internationalen Agrarmärkten hat die chinesische Regierung das Thema Ernährungssicherung und Ernährungssouveränität ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Der Anfang 2022 veröffentlichte 14. Fünfjahresplan für die Landwirtschaft (2021-2025) möchte die Abhängigkeit von den internationalen Agrarmärkten reduzieren. Dazu soll insbesondere die einheimische Produktion von Sojabohnen und Ölsaaten ausgebaut werden. Allerdings wird nicht ersichtlich, wo die dafür erforderlichen Agrarflächen zu finden sind. Ein starker Akzent wird auf die Modernisierung und auf technologische Innovationen gesetzt. Ein bereits 2018 in Kraft getretener Plan zur "ländlichen Revitalisierung" soll helfen, die Infrastruktur in ländlichen Regionen zu verbessern und den ländlichen Raum für gut ausgebildete junge Arbeitskräfte wieder attraktiv zu machen. Insbesondere setzt man hier auf die Digitalisierung, wie zum Beispiel den Einsatz von Drohnen beim Pflanzenschutz und automatisierte Landmaschinen. Die großen chinesischen Interner Link: IT-Giganten wie Alibaba und Tencent investieren bereits in voll digitalisierte Farmen der Zukunft. Abzuwarten bleibt, ob solche Leuchtturmprojekte auf breiter Fläche Nachahmer finden können. Bereits sehr erfolgreich konnten E-Commerce Plattformen etabliert werden, die Bauern auch in abgelegenen Regionen Zugang zu Märkten ermöglichen. Verbreitet sind auf Mobiltelefonen installierte Apps, über die Bauern landwirtschaftliche Beratung und Fortbildung erhalten und die insbesondere auch in Zeiten von COVID-19, als Agrarberater nicht aufs Land reisen konnten, sehr hilfreich waren. Nach anfänglicher Zurückhaltung unterstützt das chinesische Landwirtschaftsministerium mittlerweile auch Projekte des biologischen Landbaus. Auch wenn die Erträge bei Reduzierung oder Verzicht auf Agrarchemikalien in der Regel geringer ausfallen, rechnet sich die Umstellung von landwirtschaftlichen Betrieben. Nicht nur trägt die Umstellung auf biologischen Anbau zur Bodenverbesserung bei, auch ist aufgrund der oben erwähnten Skandale um verseuchte Lebensmittel auch die Nachfrage nach Lebensmitteln aus zertifiziertem ökologischem Anbau gestiegen. Mittlerweile sind knapp 2 Prozent des chinesischen Ackerlands für den biologischen Anbau zertifiziert und China liegt bei den umsatzstärksten Märkten für Biolebensmittel nach den USA, Deutschland und Frankreich weltweit an vierter Stelle.
Die chinesische Regierung unterstützt darüber hinaus chinesische Agrarkonzerne dabei, weltweit in Agrarprojekte zu investieren. So forderte zum Beispiel das Dokument Nr. 1, das jedes Jahr die Richtlinie für die landwirtschaftliche Entwicklung vorgibt, bis 2019 chinesische Unternehmen auf, in Agrarprojekte in Länder der Belt-and-Road-Initiative zu investieren. Die meisten chinesischen Unternehmen investieren allerdings in asiatischen Nachbarländern. Diese Projekte produzieren in der Regel nicht ausschließlich für den chinesischen Markt, sondern vermarkten ihre Produkte in den Erzeugerländern und international. Die Vermutung, chinesische Unternehmen betrieben insbesondere in Afrika im großem Umfang "Landgrabbing", lässt sich bislang aus den vorliegenden Daten nicht belegen. Vielmehr sind seit Ausbruch der COVID-Pandemie und der damit verbundenen Behinderungen der Lieferketten die chinesischen Investitionen in internationale Projekte spürbar zurückgegangen.
Fokus auf Genetik
China: Importe (bpb, mr-kartographie, Gotha)
Mit dem Wachstum der Tierhaltung ist auch der Bedarf an Futtermittel gestiegen. Besonders bei Sojabohnen ist China auf Importe angewiesen. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Mit dem Wachstum der Tierhaltung ist auch der Bedarf an Futtermittel gestiegen. Besonders bei Sojabohnen ist China auf Importe angewiesen. (die Karte als Interner Link: jpg-Datei; mit einem Rechtsklick können Sie sie speichern) (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Zur Steigerung der Erträge und Unabhängigkeit von internationalen Märkten setzt China insbesondere auf Pflanzen- und Tiergenetik. Die chinesische Regierung hat daher in den letzten Jahren erheblich in den Ausbau von Genbanken investiert und die enge Zusammenarbeit von Forschungsinstituten und Industrie gefördert. Angestrebt wird der Aufbau einer im internationalen Maßstab konkurrenzfähigen Produktion der "Mikrochips der Landwirtschaft", wie Saatgut und Tiergenetik in den diesbezüglichen chinesischen Veröffentlichungen häufig genannt werden. Bislang bezieht China einen Teil seiner Mais- und Gemüsesaaten von internationalen Firmen. Bei Weizen kann zwar auf eigenes Saatgut zurückgegriffen werden, hier sind jedoch bislang die Erträge im Vergleich zu anderen Agrarländern geringer. In der Tierhaltung ist die Abhängigkeit von internationalen Agrarfirmen noch deutlich größer. Bei den in der Milchviehhaltung bevorzugten Holstein-Rindern gehen fast 80 Prozent der in China eingesetzten Tiere auf importiertes tiergenetisches Material zurück. Auch in der Schweinezucht haben die für intensive Schweinehaltung besonders geeigneten international verbreiteten Rassen die indigenen chinesischen Schweinerassen fast vollkommen verdrängt. Jährlich werden hier zehntausende Zuchtsauen vor allem aus Europa importiert. Diesen Abhängigkeiten sollen nun Forschungsinstitute und Start-Ups, die mit massiver staatlicher Unterstützung auf der südchinesischen Insel Hainan entstehen, ein Ende bereiten. Bei diesem Prestigeprojekt eines "Silicon Valleys der Saatgutindustrie" hat die chinesische Regierung nicht nur die Verbesserung der einheimischen Versorgung, sondern auch den Export in süd- und südostasiatische Nachbarländer im Blick.
Nach jahrelanger Zurückhaltung bei der Zulassung von gentechnisch modifiziertem Saatgut für die Produktion von Nahrungsmitteln soll nun die Marktzulassung zumindest für Futterpflanzen möglich werden. Im April 2022 erhielten mehrere chinesische und erstmals auch die internationalen Konzerne BASF, Bayer, Corteva und Bioceres die erforderlichen Zertifikate der Sicherheitsbewertung für mehrere genmodifizierte Mais und Sojasorten, die gegen den Maiszünsler resistent sind und Glyphosat tolerieren. Damit ist der erste Schritt zur Marktzulassung gemacht. Im August 2022 meldete ein Institut aus Shandong den Durchbruch bei der Entwicklung einer salz-toleranten Sojapflanze. Mit dieser können, so die Erwartung, künftig neue Anbaugebiete beispielsweise in Xinjiang erschlossen werden, was die Exportabhängigkeit reduzieren würde. Chinesische Start-Ups experimentieren zudem mit pflanzenbasierten Alternativen zu Fleisch und Eiern sowie im Labor gezüchteten Fleisch.
Zu Chinas Politik der Ernährungssicherung gehört auch, dass der Staat mit einem erheblichen logistischen und finanziellen Aufwand sehr große strategische Reserven an wichtigen Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsgetreide und Schweinefleisch, einlagert. Nach offiziellen Angaben der Volksrepublik China verfügte das Land im Frühjahr 2022 über hohe Vorräte, die auf lange Sicht eine ausreichende Versorgung und stabile Lebensmittelpreise gewährleisten. Konkrete Zahlen liegen noch nicht vor, jedoch hatte China Ende 2021 nach Schätzungen des amerikanischen Agrarministeriums 142 Millionen Tonnen Weizen und 210 Millionen Tonnen Mais eingelagert, was etwa der Hälfte der weltweiten Weizenvorräte und zwei Drittel der weltweiten Maisvorräte entspricht. Angesichts der durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine verursachten Versorgungskrise, die insbesondere ärmere Länder der Welt trifft, sehen Agrarökonominnen und -ökonomen die chinesische Vorratshaltung kritisch. Das Horten des Getreides treibe die Getreidepreise auf dem Weltmarkt in die Höhe und trage zu einer Verschärfung der Welternährungskrise bei. China weist diese Vorwürfe zurück und rechtfertigt sein Verhalten mit der Notwendigkeit, bei etwaigen Ernteausfällen durch Naturkatastrophen oder Produktionseinbrüchen wie beim Ausbruch der afrikanischen Schweinepest über Vorräte verfügen zu müssen. Nur so könnten die Ausfälle ausgeglichen und durch Verknappung verursachte Preissteigerungen innerhalb des Landes abgefedert werden.
Tendenz: Abkehr vom Weltmarkt
Die globalen Krisen, die Pandemien, Kriege und die Interner Link: Auswirkungen des Klimawandels stellen China vor große Herausforderungen, wenn es die Ernährung seiner Bevölkerung überwiegend aus eigener agrarischer Produktion gewährleisten und die Abhängigkeit von den Weltmärkten reduzieren möchte. China setzt hier vor allem auf die Modernisierung des Agrarsektors und Produktionssteigerungen durch Einsatz von digitaler Agrartechnik und Biotechnologie. Grundsätzliche Änderungen in der Ernährungsweise, zum Beispiel eine Reduzierung des Fleischkonsums, werden dagegen nicht angestrebt.
ist eine auf Umweltpolitik und Ressourcenökonomie spezialisierte Sinologin. Seit 2018 koordiniert sie im Auftrag der IAK Agrar Consulting Gmbh den wissenschaftlichen Dialog am Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum (DCZ) in Beijing, einem bilateralen Kooperationsprojekt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Ministeriums für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten der Volksrepublik China.
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