Chinas Verhältnis zu Russland und dem Krieg in der Ukraine
Interview
Sabine PeschelZhang Junhua
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Diplomatisch spielt China an der Seite Russlands eine wichtige Rolle im Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Welche innen- und globalpolitischen Konsequenzen hat Chinas Position, und welche Lehren zieht der asiatische Riese aus dem Krieg? Eine Einschätzung des Politikwissenschaftlers Zhang Junhua.
Sabine Peschel: Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Wie positioniert sich China zu Russlands Invasion?
Zhang Junhua: In der ersten Phase war China ein sehr entschiedener Unterstützer für Russlands militärische Operation. Das fing schon mit dem Treffen von Xi Jinping und Putin während der Interner Link: Olympischen Winterspiele im Februar 2022 an.
Kurz vor den Olympischen Winterspielen gab es ein gemeinsames Statement der Staatschefs Wladimir Putin und Xi Jinping, in dem die grenzenlose bilaterale Freundschaft zwischen Russland und China beschworen wurde. Wie kam es dazu?
Als Interner Link: Xi Jinping 2012/13 an die Macht kam, schenkte er Russland anfangs keine besondere Beachtung. Damals wollte er sich mit den USA zusammentun, in der Vorstellung, dass die beiden Großmächte in der Welt eine führende Rolle spielen würden. Bei US-Präsident Obama stieß diese Idee einer bipolaren Welt auf wenig Begeisterung. Xi ging trotzdem weiter davon aus, dass die Interner Link: USA China gegenüber freundlich gesinnt bleiben würden. Er nahm auch an, dass China durch die Bereitwilligkeit des Westens - besonders auch Deutschlands - zum technologischen Transfer langfristig profitieren könnte. Dass dieser Gedanke falsch war, hat er spätestens während der Trump Administration erkannt.
Deshalb beschloss er, sich Interner Link: Russland anzunähern. Seitdem hat er Putin oft getroffen – in den letzten 17 Jahren etwa unglaubliche 40 Mal. Die beiden fanden schnell Gefallen aneinander, sie teilen Gemeinsamkeiten, gratulieren einander zum Geburtstag. Putin bewundert die großen, wirtschaftlichen Errungenschaften Chinas, und Xi bewundert Putin wegen seiner Entschlossenheit, seiner Härte gegenüber dem Westen. Dieser Hintergrund hat dem Abkommen, das China im Februar dieses Jahres mit Russland geschlossen hat, den Weg gebahnt.
Von welchem Abkommen sprechen Sie?
Das gemeinsame Kommuniqué bezüglich der bilateralen "Kooperation ohne Grenzen" beinhaltet mehrere Abkommen. Putin sah damals schon voraus, dass der Westen strenge Sanktionen gegen Russland verhängen würde und hielt China für einen zuverlässigen Partner. Daher wurden umfangreiche bilaterale Abkommen geschlossen, darunter auch eines zur zukünftigen Lieferung von Gas und Öl.
Ich würde nicht behaupten, dass Xi über das genaue Datum von Putins Angriff informiert wurde, wohl aber über die Intention. Der russische Präsident wusste ja, dass der Westen mit Strafmaßnahmen reagieren würde, wenn er einen Krieg anzetteln würde, und kam mit der Absicht nach China, Gegenmaßnahmen zu finden. Die chinesische Regierung hatte die Interner Link: NATO zuvor nicht problematisiert. Aber aus ideologischen Gründen - die gemeinsame Gegnerschaft zum Westen, das autokratische, nationalistische Selbstverständnis - beschloss Xi, jetzt Putins Position zu unterstützen, indem er die NATO nicht nur kritisiert, sondern die chinesischen Medien dazu benutzt, das westliche Militärbündnis regelrecht zu beschimpfen. Inzwischen ist diese Rhetorik ein Teil der chinesischen Propaganda geworden.
Worin bestehen die ökonomischen Abhängigkeiten zwischen China und Russland?
Es gibt ein großes Paket an Projekten, die seit Jahren in Vorbereitung sind. Eines ist der sogenannte De-Dollarisierungs-Prozess, das heißt, dass der Dollar als Leitwährung langfristig abgelöst werden soll. Da Putin die Konsequenzen der Sanktionen im finanziellen Bereich voraussah, ist ihm dieses Thema besonders wichtig. Deswegen ist er nach China gekommen, um abzusprechen, dass der Handel zukünftig in Rubel oder Renminbi abgewickelt werden sollte. Tatsächlich ist die Entwicklung in der Praxis so, dass der Renminbi als eine der kleineren Weltwährungen immer einflussreicher wird. Derzeit macht der Renminbi ungefähr 2 % der gesamten globalen Währung aus, aber die Tendenz zeichnet sich ab, dass es in zwei, drei Jahren schon 7 % sein könnten.
Russland ist bereits drittgrößter Öl- und Gaslieferant Chinas. Das im Februar geschlossene Abkommen gilt für die nächsten 25 Jahre. Es sieht vor, dass China Erdöl und Gas im Volumen von 100 Milliarden Euro von Russland beziehen wird.
Sind gegenseitige ökonomische Abhängigkeiten ausschlaggebend für Chinas Positionierung zu Russlands Angriffskrieg?
China braucht Russland als Partner. Sonst könnte China selber auch sehr isoliert dastehen, was Xi Jinping natürlich nicht will. Hinzu kam der blinde Glaube der chinesischen Seite, dass Russland militärisch mächtig ist und bleibt. Das, denke ich, war ein wichtiger Grund, warum China nach dem Treffen die NATO so scharf kritisiert hat und gegenüber dem Westen eine so harte Position einnahm. China war im Vorhinein überzeugt, dass Russland aus einem Konflikt, egal welche Form er annehmen würde, siegreich hervorgehen würde.
Da China langfristig Kohle durch Gas ersetzen will, baut Xi Jinping darauf, dass Russland Chinas Unterstützung durch den günstigen und großzügigen Verkauf von Gas an Beijing vergelten wird.
Wie weit wird Xi Jinpings Unterstützung für Putin reichen?
Seit Ende März hat China seine Rhetorik verändert, seitdem Xi erkannt hat, dass Russlands Performance während des Krieges nicht besonders gut war. Seitdem ist sich China nicht mehr sicher, dass es Sinn hat, diplomatisch sehr hart gegenüber dem Westen aufzutreten. Aus diesem Grund hat China angefangen, rhetorisch damit zu spielen, dass es in Sachen Ukraine-Krieg neutral bleibt. Das ist leider nur Rhetorik. Faktisch unterstützt China Russland weitgehend, allerdings ohne allzu viel zu riskieren. Denn China fürchtet, sollte es Russland mit Waffenlieferungen unterstützen, erweiterte Sanktionen gegen das eigene Land, zumal die wirtschaftliche Situation aktuell wegen der Einschränkungen aufgrund der Covid-Pandemie nicht besonders gut ist. De facto hält Xi Jinping jedoch nur Putin für einen echten Freund.
Globalpolitische Verschiebungen und Machtallianzen
Was bedeutet die chinesisch-russische Allianz für globalpolitische Verschiebungen und Machtallianzen?
Beide Seiten nützen einander auf eine opportunistische, pragmatische Art. Zum Beispiel hat sich Russland nie für die Interner Link: Taiwan-Frage interessiert. Aber nach dem Treffen im Februar hat Russland zum ersten Mal öffentlich gesagt, Taiwan sei ein Teil Chinas. Das Verhältnis ist eines von Geben und Nehmen. Sollte China in den nächsten Jahren die militärische Rücknahme Taiwans versuchen, dann könnte die vor Wladiwostok liegende russische Flotte China bei Attacken gegen Taiwan assistieren – vorausgesetzt, das russische Militär bleibt auch nach dem Ukraine-Krieg schlagkräftig. Das ist keine Phantasie, ich halte das durchaus für möglich.
Ist das eines der langfristigen strategischen Ziele Chinas?
China ist sich bewusst, dass ein Angriff auf Taiwan die USA, Japan, Australien, möglicherweise auch Indien und andere Länder auf Seiten Taiwans aktivieren würde. Diese Art von Unterstützung möchte China abschalten. Deswegen ist es aus seiner Sicht gut, wenn China eine weitere Kraft von außen an seiner Seite hat.
Welche Rolle spielt die gemeinsame Gegnerschaft gegen die USA?
Rein ideologisch sind beide Seiten sehr entschlossen, sie finden leicht einen Common Ground und eine gemeinsame Sprache. Es ist klar, dass jetzt während der Ukrainekrise die USA sehr wichtige Waffenlieferanten und politisch tonangebend sind. Die beiden autokratischen Systeme in Russland und in China sind zwar in manchen Dingen verschieden, haben aber auch eine gemeinsame politische Grundlage. Xi Jinping hat sich Putins Diktum, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion eine Tragödie für die Menschheit gewesen sei, angeschlossen. Solange er im Amt sei, verkündete Xi, würde er China nie zu einer zweiten Sowjetunion werden lassen.
Russland, auf der anderen Seite, lernt von China, wie man das Internet kontrolliert und umfassend Zensur ausübt. China liefert die dazu notwendige Technologie, und dieser Technologietransfer wird definitiv auch in Zukunft so weiter gehen. Allerdings immer mit einem Auge Richtung USA, um zu vermeiden, dass China noch mehr sanktioniert wird.
Profitiert China geopolitisch von seiner pro-russischen Position?
China profitiert, weil ein schwaches Russland bedeutet, dass China mehr von Russland verlangen kann. Russlands frühere Arroganz gegenüber China ist dem Gegenteil gewichen, jetzt ist Russland eher abhängig von China. Ein so großes Land mit so vielen Ressourcen als Nachbar, das ist für China ein Gewinn.
Auf der anderen Seite ermöglicht Chinas Pro-forma-Neutralität sogar die Perspektive, dass es nach dem Krieg vielleicht sogar am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt sein könnte.
Wie war Chinas Beziehung zur Ukraine vor dem Krieg? Es gab bis dahin rund 6000 chinesische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die sich im Land aufhielten und dort studierten oder arbeiteten.
Nach der Interner Link: Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 hatte der Westen Sanktionen gegen China verhängt, vor allem ein Waffenembargo. Das führte dazu, dass Interner Link: China neue Partner suchte und sie zum Beispiel in Russland, der Ukraine und Israel fand. Die Ukraine hat dabei eine große Rolle gespielt, das Embargo zu unterlaufen. Inzwischen hat China drei Flugzeugträger, und der erste davon kam aus der Ukraine. 3000 ukrainische Ingenieurinnen und Ingenieure arbeiteten in China und halfen bei der Entwicklung von Waffen.
China schuldet der Ukraine eine ganze Menge. Andererseits hat US-amerikanischer Druck vor etwa drei Jahren verhindert, dass China in der Ukraine eine Flugzeugfabrik aufkaufen konnte – was China natürlich sehr verärgert hat.
Die ukrainische Regierung hatte erkannt, dass man China braucht. So hat sie zum Beispiel einen Antrag vor den Vereinten Nationen, der sich gegen Chinas Politik in Interner Link: Xinjiang richtete, letzten Endes nicht unterstützt. China wiederum hat sich gegenüber der Ukraine seit der Annexion der Krim 2014 ziemlich vorsichtig verhalten und die Krim nie offiziell als russisches Territorium anerkannt, bis jetzt noch nicht.
Wie weit wird die durch den Ukraine-Krieg vertiefte globale Spaltung gehen?
Auch ohne den Krieg war die Globalisierung bereits in die dritte Phase eingetreten. Das heißt, dass die Lieferketten in Zukunft immer diverser sein werden, weniger von China abhängig. Ein gewisser Kapital-Abfluss aus China findet bereits statt. In dieser Lage ist China zunehmend auch an nicht demokratischen Ländern interessiert. Früher hat China nur auf zwei Regionen gesetzt, die USA als den größten Markt und die EU. China hat seine Richtung geändert, denn inzwischen sind die Interner Link: ASEAN-Staaten schon der größte Handelspartner, nicht mehr die USA, nicht mehr die EU.
Trotzdem ist China immer noch von den westlichen Ländern abhängig. Denn wenn es um Kaufkraft geht, dann ist natürlich die größte Kaufkraft nicht in den ASEAN-Staaten, sondern in der westlichen Welt. Für Chinas Wirtschaft ist der Interner Link: Export eine wichtige Basis.
Andererseits wird der Transfer von kritischer Technologie aus den USA nach China Interner Link: kaum mehr möglich sein. Das bedeutet im Klartext, dass Chinas Entwicklung im technologischen Bereich in Zukunft nicht mehr ganz so reibungslos sein wird, dass sich das Tempo der Entwicklung automatisch verlangsamen wird. Ich denke deshalb, dass sich Xi Jinping zunehmend auf den Inlandsmarkt und auf die Märkte von nicht demokratischen Staaten konzentrieren wird.
Betrachten Sie die "Allianz der Autokraten", wie Sie das Verhältnis von China und Russland einmal bezeichneten, als Bedrohung für den Westen?
In Sachen Taiwan stellt China wirklich eine Bedrohung dar. In Hinblick auf Europa ist es Chinas Ziel, die EU zu spalten, um sie zu schwächen. Und tatsächlich hat sich die EU, ja ganz Europa, in den letzten Jahren uneinig verhalten. Das war für China ganz gut. Seitdem der Krieg im Gange ist, hat sich die Situation verändert, aber trotzdem würde China jede Gelegenheit nutzen, die Spaltung weiter voranzutreiben. Zum Beispiel indem China im April Flugabwehrraketen nach Serbien geliefert hat. Insofern stellt China tatsächlich eine Bedrohung dar.
Ein anderes Beispiel dafür ist, dass China in Budapest eine Niederlassung der Shanghaier Fudan-Universität gründen möchte. Das ist auf Widerstand gestoßen, aber man weiß noch nicht, ob dieses Vorhaben tatsächlich ein Ende gefunden hat. Der Versuch alleine zeigt aber schon, dass China überall, nicht nur in autoritären Staaten, sondern auch in der demokratischen Region Fuß fassen will.
Der Ukraine-Krieg in chinesischen Medien
Welches Bild des Ukraine-Kriegs ist in China vorherrschend?
In der ersten Phase gaben die chinesischen Medien ausschließlich das wieder, was die russischen Medien verlautbaren ließen. Wenn die in China lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer andere Informationen verbreiteten, wurden sie sofort von der Polizei eingeschüchtert. Seit Mitte April sind wir in der zweiten Phasen, in der ab und zu auch anders als in Russland berichtet wird. Je stärker sich das ukrainische Militär, mit Hilfe westlicher Hightech-Waffen, jedoch erweist, desto vorsichtiger wird Chinas Berichterstattung.
Dabei benutzt China zweierlei Sprachenregelungen: Auf der UN-Bühne spricht China mehr oder minder eine den internationale Standards entsprechende Sprache und betont seine Neutralität. Gegenüber der eigenen Bevölkerung spricht China aber eindeutig pro-russisch.
Wie in den russischen Medien, wird auch in China nicht von Krieg, sondern von einer militärischen Operation zur Friedenssicherung in der Ukraine oder in letzter Zeit auch von "Ukrainekrise" gesprochen.
In der zweiten Phase benutzt China inzwischen schon den Begriff Krieg, aber auf keinen Fall das Wort Invasion. Wenn von Krieg die Rede ist, dann heißt es, dass er ursprünglich von der NATO ausgelöst wurde, nicht von Russland.
Wie schätzen Sie die Zensur zum Thema Ukraine-Krieg innerhalb Chinas ein?
Die Zensur ist ziemlich perfekt. Dieses Land befindet sich inzwischen in einem Zustand, in dem die Bevölkerung einschließlich der Intellektuellen quasi einen Deal mit der Regierung geschlossen hat. Wir machen keine kritischen Bemerkungen, dafür lasst Ihr uns in Ruhe. Dieser Deal klappt offenbar im heutigen China. Für die seltenen Äußerungen, die über den Rahmen hinausgehen, gibt es in China genug Arbeitskräfte, die vor dem Bildschirm sitzen und jegliche Kritik sofort löschen. Ein kritischer Text bleibt nicht länger als eine halbe Stunde oder eine Stunde im Netz.
Abgesehen von medialen Äußerungen, wie hat die breite Öffentlichkeit in China auf den Krieg reagiert?
Die Mehrheit glaubt der russisch-chinesischen Propaganda. Und die kleine schweigende Minderheit hat keine Plattform, um ihre Gedanken zu äußern. Der Ausgang des Krieges wird allerdings die Sichtweise der Chinesinnen und Chinesen sehr beeinflussen. Das heißt, dass ein für Russland negativer Ausgang die chinesische Bevölkerung aufwecken könnte – was für die Führung nicht gerade günstig wäre.
Mit welchen Mitteln werden die pro-russischen Narrative auch bei Chinas Verbündeten, insbesondere im Globalen Süden verbreitet?
Da sich der Krieg und die ganze Situation ständig verändert, ändert sich natürlich auch der Stil der chinesischen Propaganda, vor allem wenn sichtbar wird, dass Russland die Ukraine nicht so einfach besiegen kann. Der Westen und vor allem die USA wollen nicht zulassen, dass die Ukraine scheitert. Ein Scheitern der Ukraine könnte in der Zukunft das Scheitern von Taiwan bedeuten. Das hat China erkannt. Und das heißt im Klartext, dass pro-russische Propaganda nur gegenüber der eigenen Bevölkerung betrieben wird.
Die bekannten Argumente benutzt China aber immer noch: Die Ursache des Krieges liegt in der NATO-Expansion. Wenn dieser Krieg also weltweit und besonders im Globalen Süden auch Auswirkungen wie eine Nahrungsmittelknappheit hat, dann ist natürlich nur der Westen zu kritisieren, nicht aber Russland.
Generell würde ich aber sagen, dass China trotzdem noch eine pragmatische Position einnimmt. China beobachtet ganz genau, wie der Krieg sich entwickelt. Denn aus chinesischer Sicht ist das schon fast die Simulation eines Taiwan-Kriegs.
Konsequenzen für einen möglichen Krieg gegen Taiwan
Welche Lehren zieht Peking aus Russlands Überfall auf die Ukraine in Hinblick auf Taiwan?
China würde auf jeden Fall alles vermeiden, was Russland aus chinesischer Sicht jetzt falsch macht. Das heißt, nicht aus dieser Art Überheblichkeit heraus anzugreifen. Würde China heute Taiwan attackieren, dann mit sehr viel mehr Hightech, nicht so wie Russland – mit einfachen militärischen Mitteln. Dabei ginge China auf jeden Fall viel vorsichtiger vor, was bedeutet, dass ein Angriff auf Taiwan nur mit sehr viel Vorbereitung durchgeführt werden kann, wenn China siegessicher sein will.
Eine andere, generelle Lektion aus dem Ukraine-Krieg ist, dass die Entwicklung für Xi Jinping ein großer Schlag ist, in dem Sinne, dass sich sowohl Putin wie auch Xi überschätzt und den Westen sehr unterschätzt haben. Xi Jinping hat dieses Mal daraus gelernt, denke ich, und wird zukünftig etwas bescheidener auftreten. Das heißt bei weitem nicht, dass sich die aggressive Wolfskrieger-Diplomatie total ändern wird, da existiert eine gewisse Trägheit. Aber tendenziell würde ich sagen, dass China seine Überheblichkeit ein bisschen anpassen wird.
Wird China Taiwan in naher Zukunft angreifen?
Für das chinesische Militär wäre ein Krieg willkommen, daher kommt es wirklich darauf an, wie Xi Jinping agiert. Eine zentrale Frage ist, wie weit die Technologie entwickelt ist. China, würde ich sagen, braucht dafür noch ein paar Jahre, vielleicht sogar nur zwei, drei.
Derzeit hat sich aber die Konstellation zugunsten von Taiwan geändert, in dem Sinne, dass die internationale Gemeinschaft kaum einen weiteren Angriffskrieg akzeptieren würde. Das allein könnte Chinas Versuche schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilen. Da kommt es wirklich darauf an, ob Xi Jinping sich in seinen Ambitionen beschränken kann. Das wird man sehen, wenn der Parteitag im Herbst 2022 beendet ist. Bis dahin wird China auf jeden Fall noch nicht angreifen.
Sabine Peschel, geb. 1955, studierte Sinologie und Germanistik in Tübingen und Taibei. 1999-2020 arbeitete sie als Leiterin der China-Redaktion und als Online-Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur für die Deutsche Welle. Sie lebt freischaffend in Berlin und Köln.
Zhang Junhua, 1958 in Shanghai geboren, ist Senior Associate des „European Institute for Asian Studies“ in Brüssel, Geschäftsführer des "Asien Zentrum für Entwicklung und Transformation" in Berlin sowie Gastprofessor an der Freien Universität Berlin. Er studierte und promovierte in Frankfurt am Main im Fachbereich Philosophie.
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