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Chiang Kaishek | China | bpb.de

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Chiang Kaishek Ein Diktatorenleben

Dr. Hans-Wilm Schütte Hans-Wilm Schütte

/ 8 Minuten zu lesen

Chiang Kaishek verfolgte einen ehrgeizigen Plan. An der Spitze Chinas wollte er stehen, das "Reich der Mitte" vereinen. Und dafür kämpfte der machtbesessene Generalissimus und spätere Präsident der Republik China auf Taiwan zeit seines Lebens. Am Ende ohne Erfolg.

Der chinesische General Chiang Kai-shek bei der Musterung seiner führenden Stabsoffiziere. (© AP)

Chiang Kaishek (31. Oktober 1887 bis 5. April 1975) war in den 1930er- und 1940er-Jahren der weltweit bekannteste chinesische Politiker. Neben Mao Zedong und dem Republikgründer Sun Yatsen ist er einer von nur drei Chinesen der Nachkaiserzeit, denen eine monumentale Gedenkstätte errichtet wurde.

Für Außenstehende ist Chiangs Verehrung heute nicht mehr leicht nachvollziehbar. Sehr treffend erhielt die erste westliche Biografie über ihn, die nach seinem Tod erschien, den Titel "The man who lost China". In der Tat: Schlimmer als der "Generalissimus" kann ein Politiker und Feldherr, der kein Abenteurer ist, kaum scheitern.

Ein Wort zu Chiangs Namen. Das Ausland kennt ihn unter der kantonesischen Form eines im Hochchinesischen Jiang Jieshi lautenden Pseudonyms, das er sich im Alter von 25 Jahren wählte. Sein eigentlicher Name war Jiang Zhoutai. In Taiwan nennt man ihn allerdings (Jiang) Zhongzheng – mit diesem wiederum neuen Namen wollte er ab 1918 seine Verehrung für Sun Yatsen (chinesisch: Sun Zhongshan) ausdrücken.

Ziele, Ambitionen, Erfahrungen

Chiang wurde unweit der ostchinesischen Handelsstadt Ningbo im Markflecken Xikou, Kreis Fenghua, geboren. Er entstammt der Familie eines mäßig wohlhabenden Salzkaufmanns. Chiang erhält ab dem Alter von fünf Jahren klassisch-konfuzianischen Schulunterricht. Erst elf Jahre später kommen etwas Englisch und andere "westliche" Fächer hinzu. 1907 folgt ein Kursus an einer Militärschule. Im Jahr darauf kann Chiang mit einem Stipendium ein Militärstudium in Tokio aufnehmen. Dort kommt er mit chinesischen Revolutionären (darunter Sun Yatsen) in Kontakt und wird Mitglied von deren Organisation, aus der später die Nationale Volkspartei Guomindang hervorgehen wird. Die Republikgründung 1912 bringt China nicht den erhofften Neuanfang. Kriegsherren befehden einander. Ziel der Revolutionäre wird, China militärisch zu einen und gemäß den Staatslehren Sun Yatsens zu reformieren und zu stärken. Die Gegenregierung, die Sun 1918 in Kanton gründet, ist zunächst auf die militärische Unterstützung durch sympathisierende Warlords angewiesen. Chiang, ab 1918 mit Unterbrechungen ebenfalls in Kanton und in Diensten Sun Yatsens, sammelt dabei erste Erfahrungen, die ihn dauerhaft prägen werden: Traue nicht scheinbaren Freunden und Verbündeten, sorge dafür, dass du selbst Macht hast! Und verlässliche Macht heißt für ihn nur: eine eigene Armee.

Chiangs eigentliche Karriere beginnt, als die UdSSR der Guomindang Unterstützung bei der Wiederherstellung staatlicher Einheit zusagt. 1923 leitet Chiang in diesem Kontext eine dreimonatige Studienreise nach Moskau. Im Jahr darauf überträgt Sun ihm die Leitung der neuen Militärakademie von Whampoa, mit der die Guomindang eine eigene, moderne Armee aufbauen will.

Die Guomindang bildet nun auf Druck der Kommunistischen Internationalen (Komintern) eine Einheitsfront mit den chinesischen Kommunisten. Chiang erkennt dabei früh – auch dank der in Moskau gesammelten Erfahrungen –, dass die Guomindang der Komintern nur als Mittel für eigene Zwecke dienen soll, und er warnt, dass Moskau damit eigene imperialistische Ambitionen kaschiere. Sein Misstrauen gegenüber dem Kommunismus prägt von nun an ebenso sein Handeln wie sein Bestreben, Sun Yatsens Ideale Wirklichkeit werden zu lassen und diesen einmal als Führer Chinas zu beerben.

Chiang hat unterdessen, 1921, zum zweiten Mal geheiratet. Eine erste Ehe hatte er auf Beschluss der Eltern im Alter von 14 Jahren mit einer fünf Jahre älteren Frau eingehen müssen. Der Verbindung entsprang sein einziger leiblicher Sohn, Jingguo (1910-1988), der später sein politischer Erbe wird. Von der Frau und einer Konkubine trennt er sich durch Zahlung von Abfindungen, nachdem er sich 1919 in die 13-jährige Jenny Chen verliebt hat. Seinem Werben gibt Jenny 1921 nach. In ihren Memoiren wird sie ihren anfangs mehr als doppelt so alten Gatten später sowohl mit Liebe als auch mit klarsichtiger Schärfe zeichnen: als einen Mann von unbändigem Ehrgeiz, machtbesessen, so unbeugsam wie starrsinnig, aufbrausend, jedoch auch ideenreich und unerschrocken. Diese Wesensmerkmale, von Zeitzeugen bestätigt, durchziehen in der Tat Chiangs gesamtes Wirken und werden gleichermaßen zu Ursachen seiner Erfolge wie seines Scheiterns.

Der Erfolgsmensch

Als Sun Yatsen 1925 stirbt, hat Chiang im Kampf um dessen Nachfolge schlechte Karten – er ist jung und kein Gründungsmitglied der Guomindang. An seiner Qualifikation als Herrführer aber kommt die Partei nicht vorbei. Mitte 1926 wird er zum Oberkommandierenden der Revolutionsarmee berufen, und er beginnt den lange geplanten Nordfeldzug, der Chinas Einheit herstellen soll.

Seine raschen Erfolge im Felde und sein selbstherrliches Vorgehen wecken in der Parteiführung die Befürchtung, Chiang schwinge sich zu einem neuen Kriegsherrn und Diktator auf. In der Tat setzt sich Chiang gern über Regularien hinweg, wenn es ihm passt, und trifft selbstherrliche Entscheidungen, während er ähnliches Verhalten bei anderen keineswegs duldet. Die Parteiführung schließt ihn am 17. April 1927 aus der Partei aus. Vier Tage zuvor hat Chiang die Schanghaier Arbeiterbewegung zerschlagen, Kommunisten verhaften und Streikposten entwaffnen lassen. Es bleibt nicht das einzige zivile Blutbad unter seiner Ägide. Die Guomindang ist nun gespalten, und es gibt zwei Regierungen, beide mit eigenen Armeen – eine pro, eine kontra Chiang. Als eine Annäherung ausbleibt, erklärt Chiang am 13. August 1927 seinen Rückzug aus allen Ämtern und begibt sich in sein Heimatdorf. Dies ist weder sein erster noch sein letzter derartiger Schachzug: ein Gemisch aus beleidigtem Trotz darüber, dass man ihm nicht folgt, sowie unerschütterlichem Vertrauen darauf, dass die anderen bald merken werden, dass es ohne ihn nicht geht.

Chiang nutzt die Zeit dieses Mal auch, sein Privatleben gemäß seinen Zielen neu auszurichten. Seine treue Jenny nützt ihm kaum noch. Würde er dagegen die jüngste der Song-Schwestern, Meiling, heiraten, stiege er in die höchsten Kreise Schanghais auf, bekäme den Finanzmagnaten H.H. Kung sowie den Bankier und Finanzpolitiker T.V. Soong zu Schwägern, dazu die Sun-Yatsen-Witwe Song Qingling zur Schwägerin. Seiner Frau eröffnet er, nur durch eine solche Einheirat könne er noch sein Ziel erreichen, China zu einen, und sie solle doch im nationalen Interesse für fünf Jahre in die USA gehen. Schon 1920, bei seinem Werben um Jenny, hatte er sie beim Patriotismus gepackt: Heirate sie ihn nicht, könne er kein erfolgreicher Revolutionär werden, und China trüge den Schaden davon. Jenny fügt sich erneut und verlässt China. Als die Presse in Japan und den USA berichtet, "Madam Chiang Kai-shek" sei eingetroffen, dementiert Chiang: Diese Frau sei nicht die seine, er kenne sie nicht einmal. Gegenüber der Familie Song erklärt er, die Ehe mit Jenny sei nicht rechtsgültig. Als Chiang und Song Meiling am 1. Dezember 1927 heiraten, werden sie als Traumpaar bejubelt, und in der Tat sollte Meiling bald auch eine eminent wichtige politische Rolle für Chiang spielen: Anders als er versteht sie etwas von Außenpolitik; in den USA erzogen, spricht sie perfekt Englisch und wird in den späteren Kriegsjahren zu seinem besten Diplomaten.

Bald regelt sich alles zu Chiangs Gunsten. Als er am 10. Oktober 1928, dem Nationalfeiertag, zum Vorsitzenden der neuen Nationalregierung in Nanjing bestimmt wird, scheint sein Lebensziel erreicht zu sein.

Zwei Gegner

Das militärische Vordringen Japans ab 1931 stellt das Erreichte wieder in Frage. Chiang weiß, dass China es mit dem Aggressor militärisch nicht aufnehmen kann. Stattdessen hofft er Japan zu besänftigen, indem er die patriotischen, antijapanischen Kräfte bekämpft. Die Kommunisten aber hat er noch nicht "ausrotten" können, vielmehr profilieren sich diese als führender Faktor im antijapanischen Widerstand nun umso erfolgreicher. Schließlich, am 12. Dezember 1936, putscht sein eigener General, der "junge Marschall" Zhang Xueliang, gegen Chiang und stellt ihn unter Hausarrest. Diesen "Xi'an-Zwischenfall" erlebt der Generalissimus als größte Erniedrigung. Zhang presst ihm die Zusage ab, die Kommunisten nicht mehr zu bekriegen, sondern mit ihnen China gegen Japan zu verteidigen.

Im Laufe der Jahre kehrt Chiang jedoch zu seiner antikommunistischen Linie zurück, auch gegen den Willen der Vereinigten Staaten, für die China nach dem Ausbruch des Pazifikkriegs 1941 zum wichtigsten Bündnispartner in Fernost wird. Chiang allerdings sieht voraus, dass die USA Japan ohnehin besiegen werden, und schont seine Ressourcen für den Entscheidungskampf mit den Kommunisten. Auch dank seiner Frau, die 1943 in einer flammenden Rede vor dem US-Kongress um Unterstützung für China wirbt, rückt er zur Weltprominenz auf und konferiert im November des Jahres in Kairo mit dem britischen Premierminister Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt.

Vom Sieger zum Verlierer

Aber die Welt besteht nicht nur aus Militärstrategie. Chiangs Regierung finanziert sich und ihren Krieg über die Notenpresse. Landreformen, die die Wirtschaft stärken würden, aber nach Kommunismus riechen, unterbleiben. Stattdessen grassiert die Korruption. Chiang, von Jasagern und steinreicher Verwandtschaft umgeben, widmet sich lieber der Propaganda und verliert den Bezug zur Realität.

Das geht gut, solange Unterstützung aus den USA kommt. Als sich Chiang nach dem Krieg allerdings der amerikanischen Forderung widersetzt, mit den Kommunisten eine Koalitionsregierung der nationalen Einheit zu bilden, und die USA ihre Militärlieferungen einstellen, verkennt er die zahlreichen Fehler, die er begeht. Der Weltkriegssieger leidet an Selbstüberschätzung. Seine Truppen, zwangsrekrutierte Burschen, sind demoralisiert, hungern und laufen zum Gegner über. Eine Hyperinflation raubt der Volkswirtschaft ihre Basis. Anfang 1949 erkennt Chiang die Hoffnungslosigkeit der Lage, zieht sich zum letzten Mal in seine Heimat zurück und fängt an, alles für Taiwan als letzte Bastion seiner Herrschaft vorzubereiten. Bald setzt eine Massenflucht dorthin ein. Bis Ende 1949 fliehen mehr als eine Million Menschen auf die Insel. Zu ihnen zählt am 10. Dezember auch Chiang.

"Freies China"

Die USA zeigen ihm nun die kalte Schulter. Zur effektiven Verteidigung der Insel fehlen die Mittel. Bald droht eine kommunistische Invasion – da bricht der Koreakrieg aus, und auf einmal wird Taiwan zum Frontstaat im Ost-West-Konflikt. Üppige amerikanische Militär- und Wirtschaftshilfe beginnt zu fließen. Chiangs Inselbastion ist gerettet. Zuvor schon ist ihm klar geworden, dass ohne ein gesundes Wirtschaftsleben keine dauerhafte Herrschaft gedeiht. So lässt er Technokraten mitregieren, die eine Landreform durchziehen und Grundsteine legen für das taiwanische Wirtschaftswunder.

Chiangs "freies China" allerdings ist eine Diktatur. Seit Mai 1949 gilt das Kriegsrecht, und es bleibt bestehen, denn Chiang will den Schlachtruf wahr machen, der von nun an bis nach seinem Tod wie eine Litanei forttönt: "Ruhmreich das Festland zurückerobern!" Im unbeirrten Vertrauen auf den schließlichen Sieg seines Nationalismus lässt er, als die UNO 1971 Peking anerkennt, die Chance verstreichen, seine alte "Republik China" (die nominell bis heute fortbesteht) aufzugeben und Taiwan zu einem unabhängigen Staat zu erklären.

Was von der Ära Chiang Kaishek bleibt, sind die KP-Herrschaft in China, der er im Siegerübermut den Boden bereitete, das Taiwan-Problem und die starke Stellung der Nationalen Volkspartei Guomindang in Taiwans spät entwickelter Demokratie. Die heutige Chinapolitik der Guomindang wäre ihm freilich ein Grund für einen seiner gefürchteten Wutausbrüche mit anschließendem Rückzug ins Heimatdorf. Für die Chinanationalisten in Taiwan und auf dem Festland verkörpert Chiang nach wie vor das Ideal eines geeinten China. Taiwans Demokraten, die unter seiner mörderischen Diktatur litten, konnten sich mit einer Umbewertung bislang nicht durchsetzen.

Weitere Inhalte

Dr. Hans-Wilm Schütte, Jahrgang 1948, studierte Sinologie in Hamburg, Hongkong und Taipei, lehrte später an den Universitäten Hamburg und Marburg sowie an der Hochschule Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind neuere Sozialgeschichte Chinas sowie Wissenschaftsgeschichte. Seit 1999 ständiger freier Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Asienstudien in Hamburg (Thema: Taiwan). Als freiberuflicher Publizist und Verfasser mehrerer Chinareiseführer (u.a. Baedeker) zählt er zu den meistgelesenen deutschen Chinaautoren. Er ist Mitherausgeber des Großen China-Lexikons.