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Chinas Außenpolitik – wie umgehen mit dem selbstbewussten Riesen? | China | bpb.de

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Chinas Außenpolitik – wie umgehen mit dem selbstbewussten Riesen?

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider

/ 7 Minuten zu lesen

Wie umgehen mit Chinas gewachsener Bedeutung auf globaler Ebene? Eberhard Sandschneider, Freie Universität Berlin, rät zu Pragmatismus. In seinem Kommentar legt er auch dar, was Entscheidungsträger/-innen oft daran hindert, China multidimensional und ganz ohne Angst zu sehen.

Bei dem Treffen der Führungsspitzen der EU und Chinas am 14. September 2020 führten Xi Jinping, Charles Michel, Ursula von der Leyen und Angela Merkel im Rahmen einer Videokonferenz die Gespräche vom 22. EU-China-Gipfel fort. (© picture-alliance, AA | EU Council / Handout)

Die Debatte um eine angemessene Chinapolitik nimmt in Deutschland und Europa wieder einmal an Schärfe zu. Die Gründe dafür sind einerseits in der deutlich aggressiveren US-amerikanischen Chinapolitik, aber auch in dem immer selbstbewussteren Auftreten Chinas zu suchen. Der Handelskrieg, den die USA unter ihrem Präsidenten Donald Trump begonnen haben, mutiert schrittweise zu einem "Kalten Krieg" und zwingt Europa und Deutschland in ein Wahldilemma: das Gespenst der Entkoppelung der Weltwirtschaft, der Zweiteilung der Interner Link: Weltwirtschaft in einen US-amerikanisch und einen chinesisch dominierten Teil, prangt wie ein Menetekel an der Wand. Für Globalisierungsgewinner wie Deutschland ist das ein Horrorszenario. Gleichzeitig sorgt Chinas zunehmend aktive, manche mögen sagen aggressive Außenpolitik für wachsende Irritationen. Die Seidenstraßen-Initiative ("Belt and Road Initiative"), Formate wie 17 + 1 ("China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel") und chinesische Investitionen in westliche Hochtechnologie haben nicht zur Beruhigung europäischer Gemüter beigetragen. Und zu allem Übel ist China auch noch das Ursprungsland der Corona Pandemie. Wohin man schaut, überall ist Chinas Einfluss spürbar und insofern gewinnt die Frage, wie man erfolgreich mit diesem Land außenpolitisch umgehen kann, eine immer stärkere Bedeutung.

Chinas gewachsene Bedeutung auf globaler Ebene muss eigentlich nicht besonders betont oder begründet werden. Zu offensichtlich ist, dass ein Land mit einer Fläche von 9,5 Millionen km2 , einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden Menschen und einem seit über vierzig Jahre anhaltenden, im Durchschnitt zweistelligen jährlichen Wirtschaftswachstum früher oder später auch zu einem politischen und militärischen Machtfaktor wird. Chinas Aufstieg ist insofern ein normaler Prozess. Mit ihm umzugehen stellt allerdings seine Nachbarn und Partner, und nicht zuletzt westliche Demokratien, vor gewaltige Probleme. Zudem ist Chinas Außenpolitik seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping deutlich aktiver und selbstbewusster geworden. Das hat weniger mit der Persönlichkeit des chinesischen Präsidenten zu tun, sondern muss als die logische Fortsetzung der zurückhaltenderen Politik seiner Vorgänger angesehen werden. Insofern lautet eine der vordringlichsten Fragen westlicher Chinapolitik: Wie kann es gelingen, ein angemessenes Verständnis und eine entsprechend erfolgreiche außenpolitische Strategie gegenüber der neuen globalen Supermacht zu entwickeln?

Das Problem mit den westliche Wahrnehmungsperspektiven

Die Suche nach einer Antwort wird durch die Tatsache erschwert, dass westliche Wahrnehmungsperspektiven zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Chinas unter drei Syndromen leiden. Die Kenntnis dieser Syndrome ist aufschlussreich, wenn unnötige Konfrontationen, Fehleinschätzungen und langwierige Abstimmungsprozesse vermieden werden sollen. Zunächst gibt es trotz des großen öffentlichen Interesses an Chinas Entwicklung und den wirtschaftlichen Hoffnungen ein geradezu paradoxes Aufmerksamkeitssyndrom: Die Kenntnis der inneren Funktionsweise des Interner Link: politischen Systems der Volksrepublik China ist unter westlichen Politikerinnen und Politikern, vor allem aber unter Journalistinnen und Journalisten und gelegentlich auch bei Unternehmerinnen und Unternehmern außerordentlich gering ausgeprägt, obwohl kaum eine Debatte zu globalen und regionalen Themen ohne Chinabezug auskommt. Wesentliche Aspekte europäischer Chinapolitik sind überwiegend den Notwendigkeiten innenpolitischer Überlegungen und nur begrenzt den Erfordernissen bilateraler Beziehungen oder gar den Entwicklungen in China selbst geschuldet. Dies gilt insbesondere für die sensitiven Bereiche Menschenrechte, Investitionsschutz, Wertedebatten und politische Reformen.

Das zweite Syndrom lässt sich als Erwartungssyndrom beschreiben: Europäische und US-amerikanische Chinapolitik leidet gleichermaßen unter einem einseitigen Erwartungsmanagement. Extreme Erwartungshaltung, Besserwisserei, ungebetene Reformvorschläge und entsprechende Frustrationen, wenn diese nicht von China befolgt werden, prägen eine öffentliche Debatte, die deutlich negative Einflüsse auf reale Politik zur Folge hat. Da viele der vom Westen erteilten Ratschläge ins Leere laufen bzw. von der chinesischen Regierung nicht aufgenommen werden, entstehen Frustrationen, die sich dann ihrerseits wieder in fundamentaler Kritik an der Politik der Volksrepublik China niederschlagen. Zudem führen diese frustrierten Erwartungen zu einer außerordentlich großen Bandbreite der Einschätzung von Chinas zukünftiger Entwicklung. Diese reicht von immer wieder vorgetragenen Prognosen zur möglichen Destabilisierung des politischen Systems bis hin zu Aussagen, die China auf dem direkten Weg zur Weltherrschaft sehen. Zwischen beiden Extrempositionen oszilliert die Einschätzung chinesischer Politik in Abhängigkeit von der jeweiligen persönlichen oder innenpolitischen Disposition der Betrachterin oder des Betrachters.

Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass die Reaktion von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Medien und Privatwirtschaft im Westen von einem regelrechten und immer wieder auftretenden Angstsyndrom geleitet wird: Aus der Mischung aus begrenztem Wissen, der Frustration über gescheiterte Erwartungshaltungen und den daraus entstehenden Ungewissheiten speist sich ein Angstsyndrom, in dem sich mangelndes Verständnis, vorhandene Intransparenz und nicht zuletzt die Sorge wachsender chinesischer Wettbewerbsfähigkeit zu einem emotionalen Gemisch verbinden, das zu erheblichen Problemen in den bilateralen Beziehungen beiträgt.

Wer trotz dieser Ausgangslage um eine realistische Einschätzung Chinas bemüht ist, sollte die folgenden fünf Aspekte beachten:

  1. China ist sicherlich formal nach wie vor ein kommunistisches System, aber alles, was wir traditionell über Interner Link: Kommunismus wissen, hat in China keine Gültigkeit mehr. Das Land ist nicht mehr von Ideologie bestimmt, sondern von der außerordentlich erfolgreichen Kombination aus Pragmatismus und Meritokratie. Im Gegensatz zu der von westlichen Demokratien präferierten Input-Legitimität setzt die politische Führung konsequent auf Output-Legitimität: das Ergebnis und nicht seine ideologische Begründung zählt. Wahlen haben keine Auslese-, sondern lediglich eine Bestätigungsfunktion. Aber in verantwortliche Positionen aufsteigen kann nur, wer seine Qualifikation unter Beweis gestellt hat.

  2. Historische Traumata sind nicht aus dem Spektrum fundamentaler Einflussfaktoren chinesischer Politik verschwunden. Das gilt sowohl für das Trauma der internationalen Erniedrigung und des Verlustes von Souveränität in der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, es gilt auch für das Trauma des innenpolitischen Chaos, das auch die heutige Führungselite zuletzt in den verheerenden Jahren der Interner Link: Kulturrevolution (1966 – 1969) durchleben musste.

  3. Die politische Führung in Peking hat erkennbar klare strategische Ziele, deren Verletzung sie nicht toleriert. Dazu gehört die Erhaltung nationaler Souveränität ebenso wie die Aufrechterhaltung innenpolitischer Stabilität, aber auch die Fortsetzung des ökonomischen Aufholprozess als Grundlage der machtpolitischen Legitimation der Partei und nicht zuletzt das Streben nach größerem politischem Einfluss auf globaler Ebene. Aus der Kenntnis dieses Spektrums ergibt sich auch ein besseres Verständnis für die Hartnäckigkeit, mit der die chinesische Regierung ihre Politik gegenüber Tibet, Xinjiang, Hongkong und Taiwan verteidigt. Sie erklärt auch das harsche Vorgehen gegen jede Form der Dissidenz, auch wenn dieses aus westlicher Sicht nicht zu entschuldigen ist. Diese strategischen Ziele zu kennen, ist selbstverständlich nicht gleichbedeutend damit, sie in ihren Auswirkungen auch unwidersprochen zu akzeptieren.

  4. Chinas machtpolitische Ambitionen sind offensichtlich. Die politische Führung hält nicht damit hinter dem Berg, wo sie das Land in den nächsten Jahren sehen möchte. Den globalen Führungsanspruch, den sie mittlerweile offensiv vertritt, formuliert sie in Strategien wie "China 2025", den Überlegungen des 5. Plenums des 19. Zentralkomitees zu "China 2035" und nicht zuletzt in der Zielvorstellung, das Land im Jahre 2049, dem 100. Geburtstag der Volksrepublik China, an die Spitze der globalen Machtpolitik geführt zu haben. Und natürlich bildet die Seidenstraßen-Initiative nach wie vor das Kerninstrument einer gegen amerikanische Dominanz gerichteten geopolitischen Zielsetzung.

  5. Schließlich sollte man – entgegen den Postulaten konservativer US-amerikanischer Strateginnen und Strategen – akzeptieren, dass China zu groß ist, um erfolgreich eingedämmt zu werden. Der Traum, dass das gelingen könnte, um die Vormachtstellung des Westens und insbesondere der Vereinigten Staaten zu erhalten, droht zum Albtraum zu werden. Aufstiege und relative Abstiege von Mächten sind kein neues Phänomen in der internationalen Politik des 21. Jahrhunderts. Die zentrale Aufgabe für westliche Außenpolitik besteht darin, diesen Prozess bei allen Kontroversen, Frustrationen und Herausforderungen letztendlich friedlich zu gestalten. Wir wissen aus der Geschichte, dass dieses nicht immer gelingt.

Wie also kann ein Fazit zum richtigen Umgang mit der neuen globalen Supermacht lauten?

Wichtig ist vor allem eine schlichte, aber entscheidende Einsicht: unsere Beziehungen zu China sind multidimensional und sie dürfen nicht ausschließlich auf Einzelaspekte reduziert werden. Dies gilt insbesondere für die falsche Konfrontation von Wirtschafts- und Menschenrechtsinteressen. Beide müssen integraler Bestandteil deutscher Chinapolitik sein und zum jeweils richtigen Zeitpunkt mit der entsprechenden Klarheit und auch Deutlichkeit im bilateralen Dialog vorgebracht werden. Wer nur auf Menschenrechtspolitik setzt, muss zwangsläufig scheitern, weil er seine Kompromissfähigkeit in schwierigen Dialogsituationen verliert. Das ist die Crux einer wertegeleiteten Außenpolitik, die daran scheitern muss, dass Werte nicht verhandelbar sind.

Eine zukunftsorientierte und belastbare Chinapolitik braucht allerdings auch keine "grand strategy" – China entzieht sich solchen Textmonstern aus Wohlklang und politischer Korrektheit in schöner Regelmäßigkeit. Stattdessen wären die folgenden vier Prinzipien für eine erfolgversprechende Chinapolitik hilfreich:

Erstens die Akzeptanz, dass es keine Wertegemeinschaft mit China gibt, dass folglich Dissens ohne Ereiferung ständiger Wegbegleiter eines kritischen Dialogs mit China sein müssen.
Zweitens sollte Pragmatismus ohne Selbstverleugnung helfen, das Spannungsverhältnis zwischen konkurrierenden außenpolitischen Zielen, insbesondere in Bezug auf die Menschenrechtsfrage, handhabbar zu machen.
Drittens wären wir gut beraten, unser Erwartungsmanagement gegenüber China zu überdenken und auf möglichst kompetente Beobachtung chinesischer Interessen zu setzen, um nicht subjektiven Wahrnehmungen mit anschließenden politischen Frustrationen zu erliegen. Und schließlich wird nichts daran vorbeiführen, Paradoxa in der chinesischen Entwicklung, aber auch in unserem Verhältnis zu China als solche anzuerkennen und sie mit der angesprochenen Bereitschaft, pragmatische Lösungen zu finden, anzugehen.

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Prof. Dr. Eberhard Sandschneider

Eberhard Sandschneider war von 2003 bis 2016 Otto Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der DGAP. Seit 1998 hat der den Lehrstuhl für Politik Chinas und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin inne. Vor seinem Wechsel zur DGAP hatte er das Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin als Geschäftsführender Direktor geleitet und war Dekan des Fachbereichs Politik und Sozialwissenschaften. Sandschneider ist Autor der Bücher "Der erfolgreiche Abstieg Europas – Heute Macht abgeben, um morgen zu gewinnen” (2011) und "Globale Rivalen – Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens” (2008).