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Deutschlands Wirtschaftsbeziehungen zur wachsenden digitalen Weltmacht

Prof. Dr. Genia Kostka

/ 6 Minuten zu lesen

Bis 2049, dem 100. Geburtstag der VR China, will das Land eine Weltmacht auf allen Ebenen sein. Genia Kostka, Freien Universität Berlin, beschäftigt sich mit dem im Jahr 2019 wichtigsten Handelspartner Deutschlands und skizziert u.a. Herausforderungen und Chancen digitaler Technologien.

China ist neben den USA ein wichtiger globaler Player im Bereich der Digitalisierung. (© picture-alliance, Xinhua News Agency, Jin Liangkuai)

China war im Jahr 2019 zum vierten Mal in Folge der wichtigste Handelspartner Deutschlands, im zweiten Quartal 2020 auch größter Exportkunde Deutschlands, zum ersten Mal noch vor den USA. Deutschland ist, zusammen mit der Interner Link: Europäischen Union (EU), darum bemüht, ein durchsetzungsstärkeres Konzept für den wirtschaftlichen Umgang mit China zu finden, das europäische Unternehmen auf dem chinesischen Markt mehr im Blick hat und europäische und deutsche Interessen und Werte konsequenter verfolgt. Einen neuen, strikten China-Kurs einzuschlagen, fällt jedoch nicht leicht. Viele deutsche Unternehmen profitieren vom chinesischen Markt und wollen ihre guten Beziehungen zu China nicht gefährden. An einem Entwurf eines Strategiepapiers des Bundesverbandes der Deutschen Industrie kam kürzlich vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) deutliche Kritik, da die Zusammenarbeit mit China so viele Chancen biete. Rund 900.000 Arbeitsplätze in Deutschland hingen vom Export nach China ab. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sagte, man könne ein politisches Regime nicht ändern, indem man sich aus dessen Volkswirtschaft zurückziehe.

Doch warum ist China eigentlich so wichtig und wieso sind die Beziehungen zur Volksrepublik unverzichtbar für Deutschland? Eine neue Dynamik und weltweit Aufsehen erzeugte China 2015 mit seiner Industriestrategie "Made in China 2025". Ihr Ziel ist es, bis 2025 in zehn Schlüsseltechnologien weltweit führende Unternehmen hervorzubringen. Dies kann als wichtiger Schritt Chinas auf dem Weg zur Industriesupermacht gesehen werden; eine Etappe in dem von Chinas Staatschef Xi Jinping geprägten "Chinesischen Traum". Dem gemäß soll die Volksrepublik China (VR China) unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) neu aufleben: Bis 2021, 100 Jahre nach Gründung der KPCh, soll China eine Nation moderaten Wohlstands sein, 2049, zum 100. Geburtstag der VR China, eine Weltmacht auf allen Ebenen – eine globale Produktions-, Cyber-, Wissenschaft- und Technologie-Supermacht.

Einen wichtigen Bestandteil nimmt in Chinas Entwicklungsplänen die Digitalisierung der Industrieproduktion ein. Der Aufbau digitaler Plattformen gilt in der verarbeitenden Industrie als wichtige Voraussetzung, um Arbeitsplätze zu schaffen, Produktivität zu steigern und die Verteilung von Ressourcen zu optimieren.

Chinas digitale Ambitionen

Ein Blick auf Chinas Internet-Giganten wie Alibaba, Baidu, ByteDance und Tencent zeigt, welche Bedeutung Interner Link: Künstliche Intelligenz (KI) in der Zukunft zukommen wird. 2013 kamen von den weltweit 20 einflussreichsten Internetunternehmen lediglich zwei aus China, 2018 waren es schon neun. Bei Chinas schnellem Aufstieg vom Entwicklungsland zur Wirtschaftsmacht wurden einige Schritte beim Ausbau "traditioneller" Industrien und Internet-Infrastruktur praktisch übersprungen. Dies macht sich nun in einem Vorsprung beim Wachstum von E-Commerce-Unternehmen und anderen Firmen, bei denen verstärkt KI zum Einsatz kommt, bemerkbar. Und während in Deutschland noch immer der Internetzugang über einen Desktop-Computer verbreitet ist und neue Apps vielen Menschen Schwierigkeiten bereiten, sind in China fast alle Internetnutzerinnen und -nutzer mobil unterwegs.

Der 13. Fünf-Jahres-Plan (2016-2020) der chinesischen Regierung markierte offiziell den Anfang der ambitionierten "Nationalen Big Data Strategie" Chinas. Big Data solle eine fundamentale und strategische Ressource werden, heißt es darin, damit sowohl die Industrie transformiert als auch ein Wandel der Gesellschaftspolitik erreicht werden könne.

Ein besonderer Fokus Chinas liegt auf der Verwirklichung eines "Smart State". Immer mehr Smart Cities entstehen und Big Data werden auf allen Ebenen des Staates eingesetzt. 2016 gab es international über 1000 Smart City Projekte, teils vollendet, teils im Aufbau – davon waren alleine 500 in China zu verorten, mit stetig steigender Tendenz. Diese Zahl zeichnet ein eindeutiges Bild von politischen Schwerpunkten und dem Umsetzungswillen der chinesischen Regierung in punkto Digitalisierung und smarter Entwicklung. Zudem sind chinesische Firmen im Rahmen der "Digitalen Seidenstraße" an vielen Smart City Projekten im Ausland beteiligt. Gleichzeitig sollte jedoch hinterfragt werden, welche Kriterien auf diese Smart Cities angewandt wurden: Sind sie wirklich effizient und modern, gibt es smarte Konzepte und handfeste Regularien für die komplexen Datenmanagements und digitalen Abläufe? Quantität übersteigt im Fortschritts- und Produktionswahn oft die Qualität und auch eine Anhäufung fortschrittlicher digitaler Anwendungen macht eine Stadt nicht automatisch "smart". In den bedeutendsten Smart Cities Chinas – Shenzhen, Hangzhou, Beijing, Chongqing, Shanghai u.a. – haben sich jedoch Projekte wie smarte Infrastruktur, smarter Transport oder Internet of Things (IoT) - Plattformen bereits bewährt.

Chinas Experimente offenbaren Chancen und Gefahren digitaler Technologien

In China werden digitale Technologien in eine große Bandbreite von regulatorischen und administrativen Prozessen eingebunden. Lokale Versuchsläufe und Pilotprojekte ermöglichen China ein unmittelbares und praxisnahes Austesten neuester digitaler Technologien: Beispiele hierfür sind die "I love Beijing" Stadtverwaltungsplattform, welche online und via App zur Verfügung steht, oder aber das Projekt der Stadt Hangzhou: In Hangzhou werden auf einer Informationsplattform die Daten aller Krankenhäuser und Erste Hilfe Stationen der Stadt gesammelt. Durch die Anwendung von Interner Link: IoT und Big Data, werden beispielsweise Patientinnen und Patienten smart verteilt. Beim Smart-Transport ist China schon lange Vorreiter: U. a. sollen E-Bikes und Bike-Sharing einer wachsenden Zahl von Autos in den Städten entgegenwirken. Mithilfe von Big Data Analysen wird in Hangzhou das "City Brain" dafür genutzt, um in Echtzeit Verkehrsengpässe vorherzusagen und zu regeln und für eine verbesserte Verkehrssicherheit wurde in Wuhan das "Integrated Transport Project" implementiert.

Auch im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus in China machte sich die Regierung neueste Technologien zu Nutze. So gehörte China 2020 zu den ersten Ländern, in denen Corona-Warn-Apps mit Zugriff auf Big Data entwickelt wurden. Ähnlich dem Prinzip der lokalen Experimente, gingen auch hier parallel unterschiedliche Ausführungen der App je nach Ort und von verschiedenen Entwicklern an den Start. Hangzhou war eine der ersten Städte, die eine App namens "Gesundheitscode" einsetzte, die anschließend de facto Pflicht für alle chinesischen Staatsbürgerinnen und -bürgern wurde. Bei dem chinesischen Gesundheitscode fließen persönliche Daten in die Risikobewertung, die auch mit verschiedenen Behörden geteilt werden. So greift die Software auch direkt auf die Standortdaten der Nutzerinnen und Nutzer zu. Und trotzdem: In China akzeptieren 80 Prozent der Bevölkerung die Gesundheitscode-App, während Corona-Warn-Apps in Deutschland und den USA nur bei rund 40 Prozent der Menschen auf Zustimmung treffen.

Neben Fortschritt und Chancen zeigen Chinas Experimente ebenso die Gefahren von Missbrauch der digitalen Technologien auf. Zu den Technologien, die mit der steigenden Digitalisierung und Verwendung von KI Einzug in die Städte und die Gesellschaft erhalten, gehören in China auch Gesichtserkennungskameras, welche für das Überwachungsnetzwerk Skynet und Sharp Eyes millionenfach über das ganze Land verteilt sind, sowie das Social Credit System, welches teilweise ein KI gesteuertes und auf Big Data basiertes Bewertungs-/ Bonitätssystem der Gesellschaft darstellt. Sie zeigen, wie effektiv mit "smarten" Anwendungen, die mit KI riesige Datenmengen sammeln und auswerten, Kontrolle und Überwachung angewandt und vor allem, viel akkurater und für den Menschen oft kaum noch nachvollziehbar, ausgeübt werden kann.

Welch extreme Formen der Einsatz digitaler Technologien – in China und generell – annehmen kann, zeigt sich aber vor allem in der autonomen Region Interner Link: Xinjiang. Dort wird nicht nur mithilfe von allgegenwärtigen Gesichtserkennungskameras, sondern auch biometrischen Datenbanken sowie Apps zur Durchforstung und Übersendung von Handydaten an die Polizei eine praktisch nahtlose Überwachung der uigurischen Bevölkerung ausgeübt.

Was bedeutet das für Deutschland?

Die wirtschaftlichen und digitalen Entwicklungen in China werden in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen. Vor allem die Digitalisierung der Industrieproduktion und der Aufbau der sogenannten "Industrie 4.0", geprägt von modernen Kommunikationstechnologien und intelligenten Maschinen dank KI, stellt für Deutschland mit seiner starken industriellen Basis eine Herausforderung dar. Einige deutsche Unternehmen wie Siemens, SAP und Bosch engagieren sich bereits in dem neu entstehenden chinesischen Wirtschaftszweig digitaler Industrieplattformen und können so von Chinas Dynamik profitieren. Zugleich darf Deutschland aber nicht verpassen, selbst eine führende Rolle im Bereich der digitalisierten Industrie auszubauen, zumal Europa bis dato in anderen Bereichen der Digitalisierung bereits hinter den USA und China zurückgeblieben ist.

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Prof. Dr. Genia Kostka (© Genia Kostka)

Genia Kostka ist Professorin für chinesische Politik an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschung konzentriert sich auf Chinas digitale Transformation, Umweltpolitik und politische Ökonomie. Zuvor war sie Professorin für Governance von Energie und Infrastruktur an der Hertie School, Assistenzprofessorin an der Frankfurter Schule für Finanzen und Management und Beraterin für strategisches Management bei McKinsey & Company. Ihren Doktortitel erhielt sie in Entwicklungsstudien von der University of Oxford. Neben ihrer akademischen Arbeit berät sie regelmäßig internationale Organisationen, darunter die Weltbank, OECD, USAID, GIZ und Oxfam.