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Zentrale Weichenstellungen der Arbeitsmarktpolitik vor dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Zentrale Weichenstellungen der Arbeitsmarktpolitik vor dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG)

Frank Oschmiansky

/ 16 Minuten zu lesen

Insbesondere in der Frühphase der Bundesrepublik, also in den frühen fünfziger Jahren, mussten zentrale Entscheidungen zur Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik von den politischen Akteuren getroffen werden. Hier werden einige dieser grundsätzlichen Weichenstellungen vorgestellt und ein kurzer Rückblick auf die Anfänge der Arbeitsmarktpolitik gegeben.

Tarifautonomie bedeutet, daß die Tarife zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern ausgehandelt werden. Der Staat macht keine Einkommenspolitik, er nimmt aber als Arbeitgeber auch an Tarifverhandlungen, z. B. für den Öffentlichen Dienst, teil. (© AP)

Rückblick: Arbeitsmarktpolitik bis zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland

Insbesondere in der Frühphase der Bundesrepublik, also in den frühen fünfziger Jahren, mussten zentrale Entscheidungen zur Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik von den politischen Akteuren getroffen werden. Diese Weicheneinstellungen hatten überwiegend lange Bestand: zum Teil bis zum Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes im Jahr 1969, zum Teil bis zur Umgestaltung der Arbeitsmarktpolitik durch die Hartz-Gesetze und zu einem nicht geringen Teil sind sie noch in Kraft. Dieser Abschnitt soll einige dieser grundsätzlichen Weichenstellungen nachzeichnen und bietet zudem einen kurzen Rückblick auf die Anfänge der Arbeitsmarktpolitik.

Die ersten sozialpolitischen Maßnahmen, die den Startschuss zu einer staatlich verordneten Sozialpolitik gaben, waren Schutzgesetze, namentlich Arbeitsverbote für Kinder und zeitliche Beschränkungen für Jugendliche. Ein wesentlicher Anstoß zu diesen ersten sozialpolitischen Maßnahmen lag im Rückgang der Wehrtauglichkeit der aufgrund der Fabrikarbeit gesundheitsgeschädigten Jugendlichen.

Hinter diesen Maßnahmen des Arbeitsschutzes traten bis 1880 sozialpolitische Maßnahmen zurück, die im Bereich des Armenwesens und im Bereich der Sicherung der Arbeiter vor Krankheitsfolgen zu finden sind. Die Erstarkung der Arbeiterbewegung war dann der Hauptgrund für den Aufbau von Sozialversicherungseinrichtungen in den 1880er Jahren. Die drei Säulen der Sozialversicherung wurden geschaffen durch:

  • das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883

  • das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884

  • das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung vom 22. Juli 1889.

Das Risiko der Arbeitslosigkeit blieb also zunächst (bis 1927) unberücksichtigt, da es als unmöglich – und auch nicht als wünschenswert – galt, Menschen gegen Arbeitslosigkeit zu versichern. Vor dem Hintergrund von Fortschrittsoptimismus und dem Dogma der klassischen Nationalökonomie wurde Arbeitslosigkeit als freiwillig oder selbst verschuldet interpretiert und damit als individuelles Problem betrachtet. Soziale Absicherung der Betroffenen gab es lediglich im Rahmen der Armenhilfe.

InfoDie Parteien im Kaiserreich und die Arbeitslosenversicherung

"Die Parteien – mit Ausnahme der SPD – fassten das Problem der Arbeitslosigkeit mit spitzen Fingern an. Die Deutschkonservative Partei, in der die ostelbischen Junker den Ton angaben, sprach sich offen und unzweideutig gegen eine Arbeitslosenversicherung aus – die Arbeitslosen, so ihr schlichtes Argument, könnten ja aufs Land zurückkehren, wo man händeringend nach Leuten suche. Die freikonservative Reichspartei sprach sich zwar für eine maßvolle Sozialpolitik aus, eine weitere Sozialversicherung lehnte jedoch auch sie strikt ab. Aus dem Zentrum, der Partei des politischen Katholizismus, waren, seiner überaus heterogenen Basis entsprechend, ganz unterschiedliche Meinungen zu hören. Die Nationalliberalen neigten der Position der Arbeitgeberverbände zu und sprachen sich gegen die "Versicherungsanstalt für Drückeberger und Tagediebe" aus – erst am Vorabend des Ersten Weltkrieges freundeten sie sich allmählich mit dem Genter System an. Innerhalb des bürgerlichen Parteienspektrums befassten sich am ehesten noch die linksliberalen Parteien mit der Idee der Arbeitslosenversicherung."

Schmuhl, Hans-Walter (2003): Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002; Nürnberg; S. 58f.

Ende des 19. Jahrhundert wurde die Arbeitslosenfrage aber zunehmend zum Konfliktpotenzial und damit zum politischen Thema. Die entstandene öffentliche Debatte kreiste um drei mögliche Elemente einer Arbeitsmarktpolitik: Arbeitsvermittlung, Arbeitsbeschaffung und Arbeitslosenversicherung. Erste Arbeitsvermittlungsstellen entstanden im direkten Umfeld der Armenpflege. Das erste paritätische kommunale Arbeitsamt in Deutschland wurde 1894 in Esslingen gegründet. Dies war der Auftakt einer Gründungswelle, die bis zum Ende des Kaiserreichs anhielt. In den Krisenjahren 1891/94 starteten in 14 Städten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Form von Schneeräumung, Stein- oder Erdarbeiten.

Im Bereich der sozialen Sicherung taten sich zuerst einzelne Gewerkschaften hervor. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen sie, Unterstützungsleistungen an arbeitslose Mitglieder zu zahlen. Sie verbanden damit nicht nur die Hoffnung auf zunehmende Attraktivität einer Gewerkschaftsmitgliedschaft, sondern verstanden die Arbeitslosenunterstützung auch als ein Instrument der Lohnpolitik, das den von der industriellen Reservearmee ausgeübten Lohndruck einschränken sollte. Auf kommunaler Ebene entstand 1896 ein erstes freiwilliges Versicherungssystem in Köln. Bis 1916 fand das Programm Nachahmung in 16 weiteren Städten, und zunehmend wurden auch Unterstützungsprogramme von Gewerkschaften oder Hilfsvereinen durch die Gemeinden gefördert. Dieses Modell der öffentlichen Zuschüsse an gewerkschaftliche Unterstützungsprogramme (Genter System) wurde in Deutschland erstmals 1907 in Straßburg eingeführt.

Nach Beendigung des 1. Weltkrieges standen die staatlichen Behörden vor der Aufgabe, die zurückkehrenden Soldaten in die zivile Arbeitswelt einzugliedern. Im Zusammenhang mit der Demobilisierung der Armee wurden die Gemeinden verpflichtet, Erwerbslosenfürsorge ohne den Charakter der Armenpflege einzuführen, an deren Kosten sich Reich und Land beteiligten. Zudem wurde noch vor Verabschiedung der Weimarer Verfassung der 8-Stunden-Arbeitstag eingeführt, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgebaut und eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ermöglicht. Zudem wurde der Arbeitnehmerschutz auf Schwerbeschädigte ausgedehnt, Landarbeiter den übrigen Arbeitnehmern gleichgestellt und im Handel die totale Sonntagsruhe hergestellt.

Die Weimarer Verfassung setzte dann komplett neue Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktpolitik. Sie enthielt einen – allerdings nicht einklagbaren – Anspruch auf Arbeit oder Unterhalt, den Schutz der Arbeitskraft und die Verpflichtung zu einem einheitlichen Arbeitsrecht sowie die Koalitionsfreiheit. Tarifverträge wurden als einklagbarer Bestandteil der rechtlichen Ordnung anerkannt.

Als Vorform einer Arbeitslosenversicherung wurden 1923/24 Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge eingeführt. 1926 wurde die steuerfinanzierte Krisenfürsorge eingeführt, die an Arbeitslose gezahlt wurde, deren Anspruch auf Erwerbslosenfürsorge erschöpft war. Am 16. Juli 1927 wurde dann durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ins Leben gerufen und die Erwerbslosenfürsorge durch eine nationale, obligatorische Arbeitslosenversicherung ersetzt. Daneben bestand die Krisenunterstützung für bedürftige Arbeiter weiter, die ihren Anspruch auf Versicherungsleistungen bereits erschöpft hatten oder die Anwartschaft nicht erfüllten. Die Krisenunterstützung wurde zu 80% aus Mitteln des Reichs und zu 20% aus Mitteln der Gemeinden finanziert.

Die ausschließliche Beitragsfinanzierung führte schon bald zu finanziellen Engpässen und in der Folge zu dramatischen Leistungskürzungen sowie zahlreichen restriktiven und disziplinarischen Maßnahmen. Immer mehr Arbeitslose wurden ausgesteuert und gerieten in die Arbeitslosenhilfe oder die kommunale Armenfürsorge. Trotz der Beitragsfinanzierung kann man von einer Rückwendung zum Fürsorgeprinzip sprechen. Das paradoxe Ergebnis dieser Politik war ein Beitragsüberschuss von fast 400 Mio. Reichsmark auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise.

Die Nationalsozialisten beseitigten die Autonomie der Tarifpartner. Die Gewerkschaften wurden innerhalb der Einheitsorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF) gleichgeschaltet. Die DAF hatte keinen direkten Einfluss auf Arbeitsbedingungen. Innerhalb der Betriebe ersetzten sogenannte Arbeitsführer die gewählten Betriebsräte. Die Reichsanstalt wurde dem Reichsarbeitsministerium unterstellt, die Organe der Selbstverwaltung aufgelöst und das Führerprinzip durchgesetzt. Zeitgleich mit der Zerschlagung der Selbstverwaltung setzte ein massiver "Personalaustausch" innerhalb der Reichsanstalt ein. Etwa 20 % der Mitarbeiter wurden entlassen und durch so genannte "Alte Kämpfer" ersetzt (SA-Männer aus der Zeit vor Januar 1933 und Parteigenossen bis zur Mitgliedsnummer 300.000).

Bald wurden Reichsanstalt und Arbeitsämter zu Instanzen kriegswirtschaftlicher Lenkung und Disziplinierung der Arbeitskräfte umfunktioniert. Mit dem Vierjahresplan von 1936 begann der Umschwung von der Arbeitsbeschaffung zum systematischen Arbeitseinsatz. Nach Kriegsbeginn übernahmen die Arbeitsämter auch die Steuerung von Kriegsgefangenen (ca. 7 Millionen) und Zivilarbeitern (mehr als 6 Millionen, vorwiegend Zwangsarbeiter aus der UdSSR), insbesondere zur Versorgung der Rüstungsindustrie mit Arbeitern bei zunehmender Arbeitskräfteknappheit.

Die organisatorische Struktur des Sozialversicherungswesens blieb abgesehen von der Selbstverwaltung weitgehend bestehen. Die soziale Absicherung ging mit Arbeitspflicht und Repressionsmaßnahmen einher. Obwohl weiterhin Arbeitslosenversicherungsbeiträge an den "Reichsstock für Arbeitseinsatz" gezahlt werden mussten, erhielten Arbeitslose ab 1939 lediglich Arbeitslosenhilfe nach einer Bedürftigkeitsprüfung. Zahlreiche Gruppen wurden zu "Minderwertigen" und "Nichtariern" erklärt und aus dem System ausgeschlossen. Ab September 1933 wurde die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verpflichtet, aus ihren Mitteln den Reichsanteil an der Wohlfahrtshilfe zu finanzieren, Überweisungen an die Rentenversicherung zu tätigen und Zuschüsse zum Straßen- und Autobahnbau zu leisten. Bestehendes Vermögen der Sozialversicherungen wurde außerdem zur Kriegsfinanzierung herangezogen.

Nach Kriegsende fiel die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung aufgrund der Zonengliederung Deutschlands auseinander. Die Arbeitsämter nahmen ihre Arbeit aber rasch wieder auf. Eine neue zentrale Institution der Arbeitsverwaltung entstand trotz des im "Potsdamer Abkommen" festgelegten Grundsatzes, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, nicht.

Unabhängig von ihren grundsätzlichen Leitideen war das Ziel aller Akteure zunächst, das Überleben nach dem Krieg zu organisieren. Über die Notwendigkeit von Planung und Lenkung in dieser Phase bestand dabei ein weitreichender Konsens.

Die Rahmenbedingungen des Grundgesetzes

Die im Grundgesetz niedergelegte Wirtschaftsverfassung wird im Allgemeinen der ordnungspolitischen Leitidee der "Sozialen Marktwirtschaft" zugeordnet. Diese Leitidee ist jedoch nie klar definiert worden. Am klarsten ist wohl noch die Charakterisierung durch Alfred Müller-Armack, nach dem soziale Marktwirtschaft als eine ordnungspolitische Idee definiert werden kann, "deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden". Als Organisationsprinzipien der Ökonomie betont dieses Leitbild, das der ordoliberalen Schule entstammt, Freiheit und Wettbewerb; gleichzeitig wird jedoch die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs und der Intervention gegen die Vermachtung der Märkte gesehen.

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik fand das Freiheitsmoment vor allem im Grundsatz der Berufsfreiheit und der Gewerbefreiheit (Art. 12 GG) seinen gesetzlichen Niederschlag. Artikel 9 GG gewährleistet in Verbindung mit dem schon vor dem Grundgesetz verabschiedeten Tarifvertragsgesetz (April 1949) und dem Gesetz über die Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen (Januar 1952) das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, sich zu organisieren und auf der Grundlage der Tarifautonomie kollektive Arbeitsverträge abzuschließen. Damit wurde eine entscheidende Weiche gestellt, nämlich die staatliche Enthaltung von Einkommenspolitik und die vollständige Übergabe des Lohnbildungsprozesses an die Sozialpartner. Die Bedeutung dieser Festlegung lässt sich daraus erschließen, dass beispielsweise die Nachbarländer Dänemark und Niederlande dem Staat das Eingriffsrecht in die Tarifautonomie verfassungsmäßig garantierten.

Wichtige weitere Weichenstellungen waren zum einen das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 GG, das für die Stellung der Frau auf den Arbeitsmärkten von Bedeutung ist. Zum anderen durch das gleiche Zugangsrecht zu öffentlichen Ämtern und deren Regelung durch die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" im Artikel 33 GG, womit ein bedeutendes Arbeitsmarktsegment von den marktwirtschaftlichen Gesetzen der Preisbildung (Angebot und Nachfrage) explizit ausgeklammert wird.

Die Debatte um Rezentralisierung und Selbstverwaltung

Über die Wiederherstellung des bereits in der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung etablierten Selbstverwaltungsprinzips bestand bei den Parteien und Sozialpartnern in der Phase nach Gründung der Bundesrepublik noch weitreichende Einigkeit. Dem Wandel des Steuerungsmodus von staatlicher Planung und Lenkung zu marktkonformen Mechanismen, dem Anspruch an die Übernahme von Verantwortung auf verschiedenen Hierarchieebenen nach dem Subsidiaritätsprinzip entsprach eine solche Abgabe von Kompetenzen an die Selbststeuerungsfähigkeit der Sozialpartner. Gegensätzliche Positionen bestanden über die Frage der Zusammensetzung und der Kompetenzen der Selbstverwaltung. Auch der Grad der Zentralisierung der bislang auf Landesebene wahrgenommenen Entscheidungsbefugnisse war umstritten, denn im Gegensatz zu der Situation vor der Gründung der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1927 bestanden dieses Mal bereits funktionsfähige dezentrale Einheiten in Gestalt der Arbeitsämter und der Landesarbeitsämter als Basis des dreistufigen Aufbaus.

Die Gewerkschaften sprachen sich für eine volle Selbstverwaltung der künftigen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung aus, die abweichend von der Tradition der Reichsanstalt nur Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern berücksichtigen, eine Beteiligung von Vertretern der öffentlichen Hand dagegen ausschließen sollte. Gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden veröffentlichten die Gewerkschaften die so genannten "Hattenheimer Entschließungen", in der sie ihre Position bekräftigten. Darüber hinaus ging es den Tarifpartnern auch um die Stärkung der Kompetenzen der Selbstverwaltung, insbesondere um eine stärkere Position der Organe der Selbstverwaltung gegenüber den geschäftsführenden Vorsitzenden der Arbeitsämter, den Präsidenten der Landesarbeitsämter und der Bundesanstalt. Für die Bestellung der Vorsitzenden bzw. Präsidenten forderten die Tarifparteien das Recht auf Mitbestimmung anstelle der bloßen Anhörung.

Während die Tarifpartner also vereint die Schaffung einer gestärkten Selbstverwaltung der Sozialpartner ohne Vertretung der staatlichen Seite forderten, beharrten insbesondere die Länder auf einer Vertretung der Gebietskörperschaften in den Organen. Sie argumentierten, dass die Aufgaben der Bundesanstalt weit über die einer normalen Versicherungsanstalt hinausgingen. Öffentliche Arbeits- und Lehrstellenvermittlung, Berufsberatung und Maßnahmen der Arbeitsförderung erforderten die Einschaltung staatlicher Stellen, die im Falle widerstreitender Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch eine ausgleichende Funktion wahrnehmen könnten. Aufgrund der Besonderheiten des Risikos Arbeitslosigkeit, das versicherungsmathematisch nicht zu erfassen ist, sei auch die Notwendigkeit staatlicher Zuschüsse oder Defizithaftung und damit einhergehenden Teilnahmerechten zu bedenken. Darüber hinaus verwiesen die Befürworter der Mitarbeit und Mitverantwortung des Staates in der Selbstverwaltung auf den Einfluss, den der Staat beispielsweise durch die Wirtschaftspolitik, die Fiskalpolitik, die Bildungspolitik oder durch die Definition gesetzlicher Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmarkt ausübt.

Das erste Modell der Bundesregierung sah Drittelparität nur auf der Ebene der Zentrale der BA vor, auf der Ebene der Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter sollten die öffentlichen Körperschaften in den Verwaltungsausschüssen nicht vertreten sein. Der Bundesrat forderte dagegen einstimmig die Drittelparität auf allen Ebenen und die Bundesregierung übernahm diesen Standpunkt. Der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion erschien dies unannehmbar. Nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren konnte das Gesetz am 10.März 1952 verkündet werden. Die Befürworter der Drittelparität auf allen Ebenen hatten sich durchgesetzt. Am 1. Mai 1952 nahm die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BAVAV) als Körperschaft öffentlichen Rechts in Nürnberg ihre Tätigkeit auf.

Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit

Die Aufgaben der Bundesanstalt definierten sich bei ihrer Errichtung noch weitgehend aus dem AVAVG von 1927. Dieses setzte bereits Arbeitsvermittlung und Berufsberatung vor die Gewährung von Leistungen. In einer ersten großen Novelle des AVAVG vom Dezember 1956 wurde dann eine Definition der Begriffe Arbeitsvermittlung und Berufsberatung vorgenommen und darüber hinaus ein umfangreicher Katalog von Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit berücksichtigt. Der Grundsatz der Nachrangigkeit monetärer Transfers spiegelte sich auch in den Leistungsvoraussetzungen wieder.

Bei der Definition der Aufgaben der Bundesanstalt wurde festgestellt, dass die Bundesanstalt ihre Arbeitsmarktfunktion im Rahmen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung durchführen soll. Dafür wurden altbekannte Instrumente beibehalten und neue Varianten hinzugefügt. Zu den Regelleistungen mit Rechtsanspruch zählten neben dem Arbeitslosengeld und der neu eingeführten Wegeunfallversicherung für alle vom Arbeitsamt veranlassten Wege, das Kurzarbeitergeld, die Stillegungsvergütung (die an Arbeitnehmer von solchen Betrieben gezahlt wurde, die wegen Energie- oder Wassermängeln schließen mussten) und die Krankenversicherung der Arbeitslosen.

Kannleistungen in Form von Darlehen oder Zuschüssen wurden zur Förderung der Arbeitsaufnahme gewährt. Dazu zählten Vorstellungs- und Reisekosten, Trennungsbeihilfen, Anlernzuschüsse, Überbrückungsbeihilfen bis zur ersten Entgeltzahlung, einmalige Wirtschaftsbeihilfen an Landarbeiterfamilien und Reisebegleitung bei der Arbeitsaufnahme in anderen Regionen. Außerdem konnten Ausbildungsbeihilfen, Beihilfen an Arbeitgeber bei der Einstellung langfristig Arbeitsloser, berufliche Vorbereitungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen gewährt, die Errichtung von Jugend- und Arbeiterwohnheimen gefördert und Überbrückungsbeihilfen bei der Aufnahme selbständiger Tätigkeiten geleistet werden. Das System der Grundförderung und der verstärkten Förderung von Notstandsarbeiten (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) blieb weitgehend unverändert bestehen. Darüber hinaus wurden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, ältere Arbeitslose über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu reintegrieren.

Nötige Grundsatzentscheidungen zur Gestaltung der sozialen Sicherung für Arbeitslose

Die soziale Sicherung der Arbeitslosen kann nach unterschiedlichen Prinzipien gestaltet werden: Nach dem Solidaritäts- oder Subsidiaritätsprinzip; nach dem Kausal- oder Finalprinzip; nach dem Versicherungs-, Versorgungs- oder Fürsorgeprinzip.

Das Solidaritätsprinzip geht von der Verbundenheit der Interessen aller Erwerbsbürger aus; es würde daher eine universelle, zentralisierte und staatliche Lösung implizieren. Das Subsidiaritätsprinzip betont dagegen die Selbsthilfefähigkeit und Eigenverantwortung; es würde nahelegen, die Verwaltung der Arbeitslosenversicherung in die Hände der Sozialpartner zu legen. Entsprechend der unterschiedlichen Risikolage wäre daher eine sektorale Gliederung plausibel, unter Umständen auch eine Untergliederung nach Gebietskörperschaften, im föderativen System der Bundesrepublik etwa landeseigene Systeme der Arbeitslosenversicherung. Der Bundesstaat würde dann allenfalls finanzielle Ausfallbürgschaften oder bei Bedarf Zuschüsse beisteuern, wie etwa in den USA.

Das Kausalprinzip bezeichnet die Zuordnung der Verantwortung nach dem Anspruchsgrund. Rein theoretisch könnte ja das Einkommensrisiko durch ein einheitliches und universelles System geregelt werden, etwa in Form einer negativen Einkommenssteuer oder eines garantierten Grundeinkommens, die für Einkommensausfälle aller Art aufkommen, seien sie krankheits-, alters- oder arbeitslosigkeitsbedingt. Ein solches Sicherungssystem entspräche dem Finalprinzip, bei dem es einzig auf den Zweck des zu versichernden Tatbestands ankommt. Das Kausalprinzip impliziert dagegen nach Ursachenbereichen gegliederte Sicherungssysteme, also eine deutliche Abgrenzung der Arbeitslosenversicherung etwa von der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Dieses Prinzip würde auch die Instrumentalisierung eines Versicherungssystems zugunsten eines anderen ausschließen, etwa die Finanzierung von Frühverrentung durch die Arbeitslosenversicherung. Das Kausalprinzip könnte auch implizieren, dass das Einkommensrisiko von Inaktiven, die arbeitslos werden – etwa erwachsene Frauen, die zum ersten Mal erwerbstätig sein möchten oder nach langer Unterbrechung in den Arbeitsmarkt zurückkehren – nicht von der Arbeitslosenversicherung, sondern von einem anderen Sicherungssystem, etwa der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung, zu übernehmen wäre. Denn Ursache der Arbeitslosigkeit wäre in diesem Fall nicht der Arbeitsplatzverlust, sondern der Entschluss, überhaupt erwerbstätig sein zu wollen. Zur Entscheidung solcher Fälle sind weitere Gestaltungsprinzipien hinzuzuziehen.

Ein Versicherungssystem deckt zufällige (also voneinander unabhängige und unbeeinflussbare) Risiken einer Gefahrengemeinschaft. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge, deren Höhe sich nach der Wahrscheinlichkeit des Risikos und dem Umfang des zu erwartenden Verlustes richtet. Eine Arbeitslosenversicherung, die strikt diesem Prinzip folgte, würde also einerseits die Beiträge nach individuellen Risiken staffeln und andererseits die Leistungen an den Löhnen oder Gehältern orientieren (Äquivalenzprinzip). Sozialversicherungen unterscheiden sich jedoch in der Regel dadurch, dass die Gemeinschaft unterschiedliche Risiken gleichmäßig (solidarisch) umlegt. Dabei gewährleistet das Beitragsprinzip einen gewissen Eigentumsschutz der sozialen Sicherung, der politisch nicht so ohne weiteres durchbrochen werden kann. Versorgungssysteme basieren dagegen typischerweise auf der Finanzierung aus allgemeinen Haushaltsmitteln (Steuern). Auch sie begründen Rechtsansprüche auf Leistungen, aber nicht auf der Basis vorausgegangener Sparleistungen oder Beiträge, sondern auf der Basis von "Statusmerkmalen" wie beispielsweise Beamter oder Behinderter. In der Regel handelt es sich bei den Leistungen um Festbeträge, also nicht um "Lohnersatzleistungen"; eine Bedürftigkeitsprüfung findet, wie auch beim Versicherungsprinzip, nicht statt. Eine solche Prüfung ist jedoch das zentrale Merkmal von Fürsorgesystemen, deren Leistungen ebenfalls aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werden. Fürsorgesysteme sind strikt individualisierte (nach Art und Umfang der Lage des Einzelfalles angepasst) und in der Regel auch subsidiäre Hilfe (Ersatz der Eigenhilfe oder der Hilfe von Angehörigen), während Versicherungssysteme häufig mit Solidaritätselementen gekoppelt werden, da soziale Risiken selten reinen Versicherungsgrundsätzen entsprechen.

Die Gestaltungsprinzipien für die aktive Arbeitsmarktpolitik folgen ähnlichen Grundsätzen. Während das Solidaritätsprinzip für die Inklusion aller Erwerbspersonen in den Förderkatalog von Maßnahmen spricht, würde das Subsidiaritätsprinzip eine Orientierung auf Zielgruppen implizieren, um deren Fähigkeit zur Selbsthilfe zu verbessern. Das Kausalprinzip würde die Einengung der Zielgruppen auf Arbeitslose nahelegen, während das Finalprinzip generell auf die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit zielte, also auch auf Inaktive, potentiell Arbeitswillige oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte. Das Versicherungsprinzip würde, in Verbindung mit dem Kausalprinzip, die Zielgruppen noch weiter einengen auf solche Arbeitslose, die auf Grund ihrer Beitragszahlungen Ansprüche auf Lohnersatzleistungen haben, nicht aber in Verbindung mit dem Finalprinzip. Das Versorgungsprinzip würde bestimmte Kategorien von Erwerbspersonen bevorzugen, etwa Behinderte oder Familienväter und -mütter, während das Fürsorgeprinzip wiederum andere Zielgruppen bevorzugen würde, beispielsweise Langzeitarbeitslose oder gering qualifizierte Arbeitslose.

Die Debatte um das Soziale Sicherungsmodell

Bereits 1949 wurde über die Möglichkeit debattiert, die Zweigleisigkeit der sozialen Sicherung von Arbeitslosen zu überwinden und damit das Nebeneinander von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorge (damaliger Name für die spätere Arbeitslosenhilfe) aufzulösen. Das Neben- und Durcheinander von Leistungen wurde dadurch noch verstärkt, dass infolge der damals sehr niedrigen Zahlungen aus der Arbeitslosenfürsorge die Sozialämter häufig zusätzliche Fürsorgeleistungen an Langzeitarbeitslose gewähren mussten, was den bürokratischen Aufwand weiter erhöhte (dies wurde später zum Hauptargument für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Sozialgesetzbuch II). Daher lag die Frage nach einer radikalen Vereinfachung nahe: Könnten nicht alle Arbeitslosen in die Versicherung einbezogen werden oder das Mischsystem durch ein einheitliches Versorgungssystem ersetzt werden?

Die stabile soziale Absicherung der Arbeitslosen durch eine reine Versicherung ist aufgrund der Eigenschaften des gesellschaftlichen Phänomens Arbeitslosigkeit nicht möglich: Arbeitslosigkeit ist kein schätzbares Risiko, die einzelnen Fälle sind statistisch nicht unabhängig voneinander, versicherungsmathematisch ist Arbeitslosigkeit daher nicht erfassbar. Dieses Problem wurde im herkömmlichen Modell dadurch kontrolliert, dass die Zahlungen aus der Versicherung am letzten Erwerbseinkommen anknüpfen und zeitlich begrenzt, die Ausgaben dadurch gedeckelt wurden. Dies entspricht einem kausalen Ansatz: Die Zahlungen aus der Versicherung werden durch das Ereignis Arbeitslosigkeit ausgelöst. Die Funktion der Einkommenssicherung war damit für längerfristig Arbeitslose jedoch nicht mehr erfüllt. Eine zusätzliche Sicherung dieser Zielgruppe war damit notwendig, die bislang durch die Arbeitslosenfürsorge erbracht wurde. Bei der Arbeitslosenfürsorge handelte es sich in verschiedener Hinsicht um einen Zwitter: Sie steht zwischen Kausal- und Finalprinzip, sie beinhaltet Elemente der Fürsorge (Steuerfinanzierung, Bedarfsprüfung), ohne den Charakter der Versicherung ganz aufzugeben (Äquivalenzprinzip).

Die denkbare Alternative, die Arbeitslosenfürsorge in die reguläre öffentliche Fürsorge zu integrieren, wie es 2005 durch das SGB II umgesetzt wurde, wurde bereits damals diskutiert und in einem von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Auftrag gegebenen "Gutachten zur Neuordnung der Sozialen Leistungen" sogar favorisiert. Dessen Empfehlung lautete, die Arbeitslosenversicherung auf die Absicherung von Fluktuationsarbeitslosigkeit und von überschaubarer konjunktureller Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Arbeitslosenfürsorge durch die gemeindliche Fürsorge zu ersetzen, wobei allerdings der Bund zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen müsste. Die Gegner dieses Modells führten an, dass es sich bei der Sozialhilfe lediglich um eine Mindestsicherung handele, d.h. längerfristig Arbeitslose hätten einen stärkeren sozialen Abstieg und durch die striktere Bedarfsprüfung eine stärkere Stigmatisierung hinzunehmen. Ein wesentliches Argument für die Trennung von Sozialhilfe und Arbeitslosenfürsorge war die unterschiedliche Zielorientierung: Während die Arbeitslosenfürsorge auf den Erhalt des Arbeitsinteresses und der Beschäftigungsfähigkeit orientiert ist, zielt die Sozialhilfe auf die Gewährleistung des Grundbedarfs. Sind unterschiedliche Träger für die soziale Sicherung und für die Wiedereingliederung der Arbeitslosen zuständig, würden falsche institutionelle Anreize gesetzt.

Eine Konzentration auf ein einheitliches Versorgungsmodell wurde von der damaligen Regierungskoalition und dem Bundesministerium für Arbeit abgelehnt. Daher wurde in Anlehnung an das Modell der Weimarer Zeit das Nebeneinander von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorge gegen die Vorstellungen der SPD wieder eingeführt. Für diese hemmte das Nebeneinander von Versicherung, Versorgung und Fürsorge eine durchgreifende Hilfe.

Zusammenfassung: Wesentliche Grundsatzentscheidungen

Zusammenfassend lässt sich festhalten: In den fünfziger Jahren wurde die Neugestaltung des arbeitsmarktpolitischen Modells in Angriff genommen. Mit der Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde der traditionelle dreistufige Aufbau der Arbeitsverwaltung wiederhergestellt und die Entscheidung für eine in weiten Teilen zentralisierte Arbeitsmarktpolitik – und somit einen gewissen Fremdkörper im föderalen Staat - getroffen. Zudem wurden künftige Steuerungsmodi festgelegt und grundlegende Modellentscheidungen zwischen Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, zwischen Kausal- und Finalprinzip sowie zwischen einem Versicherungs-, Versorgungs- oder Fürsorgeprinzip getroffen.

Institutionelle Entscheidungsprinzipien der Arbeitsmarktpolitik

ArbeitsförderungArbeitslosengeldArbeitslosenhilfe
LeitbildSubsidaritätSubsidaritätSolidarität
Anspruchsgrundkausalkausalkausal/final
OrganisationsprinzipVersicherungVersicherungFürsorge

Quelle: Schmid/Oschmiansky (2005; s.u. S. 308)

In Hinblick auf die Modellentscheidungen zeigen die Selbstverwaltung und die Beitragsfinanzierung der Arbeitslosenversicherung, dass die Eigenverantwortung der Sozialpartner überwog: Das Subsidiaritätsprinzip hatte sich hier durchgesetzt. Ein Element der Solidarität wurde jedoch durch die steuerfinanzierte Arbeitslosenfürsorge (damaliger Name für die spätere Arbeitslosenhilfe) hineingetragen, die durch die geringeren Anwartschaftskriterien auch inklusiver war. Für das zweigleisige Gesamtensemble kann deshalb nicht von strenger Subsidiarität gesprochen werden. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und überwiegend auch die der Arbeitsförderung begründeten sich kausal aus dem Arbeitsplatzverlust, während die Arbeitslosenfürsorge zusätzlich ein finales Element berücksichtigte: Es ging um die Sicherung des Lebensunterhaltes, worauf auch die Bedürftigkeitsprüfung hindeutet. Die Arbeitslosenunterstützung funktionierte mit Beitragsfinanzierung, Anwartschaft und Äquivalenz nach dem Versicherungsprinzip, die steuerfinanzierte Arbeitslosenfürsorge hingegen teilweise nach dem Fürsorgeprinzip. Die Arbeitslosenversicherung sicherte typische Notlagen auf der Basis leistungsgerechter Äquivalenz. Dies zeigt eine Orientierung auf das Normalarbeitsverhältnis und den Wunsch, den damit verbundenen Lebensstandard vor einem typischen Risiko zu schützen. Die Arbeitslosenfürsorge war dagegen für außerordentliche Notlagen zuständig, wobei Langzeitarbeitslosigkeit als eine solche definiert wurde. Trotz des Fürsorgeelements in der Arbeitslosenfürsorge wurde bei der Bemessung der Leistungen auf das Äquivalenzprinzip zurückgegriffen, wenn auch auf einem niedrigeren Niveau. Nicht zuletzt aufgrund der Beitragsfinanzierung wurde die Arbeitsförderung zunächst vorwiegend aus Versicherungsbeiträgen gezahlt, mit verbesserter Kassenlage und verstärktem Arbeitskräftebedarf wurde die Zielgruppe der Leistungsempfänger jedoch vorübergehend ausgeweitet.

Quellen / Literatur

Frerich, Johannes (1987): Sozialpolitik: das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland; München, Wien.

Lampert, Heinz (1991): Lehrbuch der Sozialpolitik. Berlin, Heidelberg, New York.

Schmid, Günther / Wiebe, Nicola (2001): Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung (Westzonen). In: Udo Wengst (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik seit 1945, Bd. 2/1: 1945-1949. Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten, Baden-Baden 2001: Nomos Verlag, S. 268-315.

Schmid, Günther/ Wiebe, Nicola / Oschmiansky, Frank (2005): Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung 1949-1957. In: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Hrsg.: Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesarchiv. Band 3: Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität. Bandherausgeber: Prof. Dr. Günther Schulz. S. 270-320.

Schmid, Günther / Oschmiansky, Frank (2007): Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung. In: Michael Ruck / Marcel Boldorf (Hrsg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Band 4: 1957-1966: Sozialpolitik im Zeichen des erreichten Wohlstandes, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2007, S. 235-283.

Schmuhl, Hans-Walter (2003): Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002; Nürnberg.

Fussnoten

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Frank Oschmiansky ist Diplom Politologe und Partner in der Partnerschaftsgesellschaft ZEP – Zentrum für Evaluation und Politikberatung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementation und Evaluation der Arbeitsmarktpolitik; Geschichte der Arbeitsmarktpolitik; atypische Beschäftigungen; Entwicklung der Sozialpolitik und Übergangssystem Schule-Beruf.