Für die Einordnung der Lohnentwicklung Deutschlands im Europavergleich wird zunächst eine differenzierte Bestandsaufnahme der Lohnentwicklung Deutschlands vorgenommen, dieser schließt sich der Vergleich zur EU-27 an.
Lohnentwicklung in Deutschland und Europa
/ 13 Minuten zu lesen
Deutschland- als auch europaweit sind die Löhne gestiegen. Führte dies auch zu Steigerungen der Einkommen und der Vermögen? Zumindest für die letzten 20 Jahre lässt sich feststellen, dass Lohnerhöhungen nicht gleichzeitig zu einem Anwachsen der verfügbaren Einkommen führten. Aufgrund relativ hoher Inflationsraten und nur geringer Lohnsteigerungen haben die Deutschen und die Europäer heute weniger Geld im Portemonnaie als noch im Jahre 2000.
Zu den Inhalten springen
- Entwicklung der Nominal- und Reallöhne in Deutschland
- Entwicklung von Nominal- und Reallöhnen: Deutschland im EU-Vergleich
- Ungleichverteilung von Löhnen in Europa
- Überblick: Entwicklung der Einkommensverteilung in Europa
- Ursachen von Ungleichheit der Einkommen und Folgen für die soziale Gerechtigkeit
- Exkurs zur Höhe von Managergehältern und zur Frage nach sozialer Gerechtigkeit
Die Reallöhne sind in Deutschland zwischen 1991 und 2019 um lediglich 12,3 Prozent gestiegen, obwohl sich die Nominallohnsteigerung auf 60,7 Prozent belief. Zurückzuführen ist dies auf die Entwicklung der Verbraucherpreise (Steigerung um 48,1 Prozent zwischen 1991 und 2019), die die jährlichen Raten der Reallohnentwicklung nivellierten. Zwischen 2000 und 2009 war sogar ein kontinuierliches Sinken der Reallöhne zu beobachten (deutsches Modell der Lohnmoderation), weil die Inflationsrate (Steigerungsrate der Verbraucherpreise) beinahe durchweg über der Nominallohnrate lag. Seit 2010 ist wiederum ein leichtes Wachstum der Reallöhne zu verzeichnen.
Definition
Der Nominallohn ist das in Geld bewertete Arbeitsentgelt von Beschäftigten ohne Berücksichtigung der realen Kaufkraft. Es wird daher beim Nominallohn die Veränderung des Preisniveaus (Inflation, Deflation) nicht berücksichtigt. Die Höhe des Nominallohns wird in einer Lohnverhandlung bestimmt.
Dem gegenüber steht der Reallohn. Er spiegelt die reale Kaufkraft des Nominallohns wider, indem er um Preisniveausteigerungen bereinigt (deflationiert) ist. Er ist das Verhältnis aus Nominallohn (Geld pro Stunde) Geldeinheiten pro Stunde) und dem Preisindex (Geldeinheiten für einen Warenkorb) und stellt somit den Warenkorb dar, der in einer Stunde Arbeit verdient worden ist.
Zurückzuführen sind diese Entwicklungen zwischen 2000 und 2009 auf Konjunktureinbrüche. So etwa durch die Banken- und Finanzkrise (2007-2009). Außerdem sind die Arbeitsmarktreformen, vor allem die "Hartz-Reformen" dafür ursächlich. Der ohnehin durch die schwache konjunkturelle Entwicklung ausgelöste Lohndruck wurde durch die Arbeitsmarktreformen, mit der einhergehenden Ausdehnung des Niedriglohnsektors, weiter verschärft. Nach 2010 entspannte sich die Situation deutlich. Sowohl die Wirtschaftskraft als auch die Beschäftigung stieg kontinuierlich, bis auf ein Rekordhoch seit 2018. Dies sorgte wiederum für einen Zuwachs der Löhne.
Insbesondere wirtschaftszweigspezifisch zeigen sich Unterschiede in der Lohnentwicklung. Die Nominallöhne wuchsen zwischen 2007 und 2019 deutschlandweit im Schnitt um 28,9 Prozent. Davon waren das Lohnwachstum in der Energieversorgung (+20,1 Prozent) oder im Zweig Verkehr und Lagerei (21,6) sehr weit entfernt. Anders dagegen verlief die Entwicklung im Dienstleistungssektor, Grundstücks- und Wohnungswesen sowie im Gesundheits- und Sozialwesen, wo die Nominallöhne deutlich überdurchschnittlich anwuchsen. Nicht zuletzt auch das unter Umständen durch den Einfluss des Mindestlohngesetzes.
Im gleichen Zeitraum waren stärkere Lohnentwicklungen in den neuen gegenüber den alten Bundesländern festzustellen (+33,1 Prozent zwischen 2007 und 2019). Im Schnitt wuchs der ostdeutsche Nominallohn um einen halben Prozentpunkt pro Jahr dynamischer als der westdeutsche.
Ebenso stieg der Nominallohn von Frauen zwischen 2007 und 2019 leicht stärker (+29,6 Prozent) als der der männlichen Beschäftigten (+26,4 Prozent). Aufgrund einer wachsenden Erwerbsbeteiligung von Frauen sind diese leicht höheren Raten in der Lohnentwicklung festzustellen gewesen. Dies ist mit Blick auf die nach wie vor bestehenden geschlechterspezifischen Lohnunterschiede positiv, aber angesichts der Veränderungsgröße auch nur ein sehr marginaler Beitrag. Denn wie in den ostdeutschen Bundesländern, so sind auch in den Lohnentwicklungen für weibliche Beschäftigte Aufholtendenzen zu sehen: die Nominallöhne wuchsen dynamischer an, aber ausgehend von einem deutlichen geringeren Lohnniveau und ohne nunmehr heute auf gleichem Niveau angekommen zu sein.
Differenziert man nach Beschäftigungsart, dann zeigt sich, dass Teilzeit- (+21,5 Prozent zwischen 2007 und 2009) sowie geringfügig Beschäftigte (+28,9) eine leicht positivere Entwicklung der Nominallöhne verzeichnen konnten als Vollzeitbeschäftigte. Auch hier sind eher strukturelle Nachholeffekte anzuführen. Vergleicht man überdies nach Leistungsgruppen, hatten insbesondere Beschäftigte in Leitungsfunktionen (+31,9 Prozent zwischen 2007 und 2019) deutlich überdurchschnittliche Lohnzuwächse zu verzeichnen. Aber auch ungelernte Arbeitnehmer:innen (+27,7 Prozent) konnten einen Nominallohnzuwachs erreichen.
Entwicklung von Nominal- und Reallöhnen: Deutschland im EU-Vergleich
In den letzten zehn Jahren steigerten sich die Nominallöhne in der EU-27 um 18,4 Prozent, die Reallöhne um 4,9 Prozent. Im Mittel wuchsen die Reallöhne also um gerade einmal 0,32 Prozent pro Jahr.
Die deutschen Lohnentwicklungen waren im Vergleich dazu überdurchschnittlich gewesen. Immerhin steigerte sich der Reallohn um elf Prozent. Auch generell ergibt sich europaweit ein sehr differenziertes Bild in der Lohnentwicklung. Nach wie vor sind die nationalen politischen Rahmenbedingungen prägend für die jeweilige Lohnbildung in den Staaten und gleichzeitig die nationalen, aber auch supranationalen ökonomischen Rahmenbedingungen, woraus sehr große Unterschiede in den Lohnentwicklungen resultieren.
Stabile, wenn auch nur geringe Reallohnentwicklungen sind in Nordeuropa festzustellen (Dänemark, Schweden, Finnland). Diese Ländergruppe durchlebte in den letzten vier Jahren eine vergleichsweise sehr stabile ökonomische Entwicklung ohne wesentliche Kriseneffekte.
Ganz anders stehen demgegenüber die südeuropäischen Staaten, allen voran Griechenland. Die in Südeuropa seit 2010 andauernden bzw. nachwirkenden Haushalts- und Staatsschuldenkrisen beschränkten im erheblichen Maße die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand, die Arbeitslosigkeit stieg rapide an und ebenso die Zahl der Unternehmensinsolvenzen. Entsprechend wirkte sich dies auf die Lohnentwicklungen aus.
Bulgariens Lohnentwicklung ist, ganz anders als etwa in Rumänien, auf ein sehr starkes wirtschaftliches Aufblühen in den letzten Jahren zurückzuführen. Beide Staaten profitieren von beträchtlichen Direktinvestitionen, die insbesondere seit dem EU-Beitritt ins Land fließen. Dies wirkt sich positiv auf die Lohnbildung aus und höhere Löhne sind die Folge. Die ökonomischen Perspektiven beider Staaten werden seit 2005 durchweg als sehr gut bewertet. In beiden Ländern steigerte sich die Standortattraktivität durch eine liberale Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie durch eine umfassende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Dies lockte Direktinvestoren und ließ einen Boom, vor allem im Zuge des EU-Beitritts, vermuten. Gleichzeitig grassiert aber sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien eine ausgeprägte Korruption.
Stärker als alle anderen mittel- und osteuropäischen Staaten war Ungarn von der Banken- und Finanzkrise betroffen. Nach Jahren guten Wachtsums war 2009 erstmals ein Negativwachstum von 5,5 Prozent zu verkraften. Hinzu kamen ein Doppeldefizit aus Importüberschuss und Staatsverschuldung sowie eine enorme Verschuldung der privaten Haushalte. Letztere führten, weil die privaten Vermögen überwiegend in Fremdwährungen angelegt waren, zu massiven Kursverlusten des Forint gegenüber dem Euro (2008). Dies führte zunächst zu einem Anheben des Leitzinses durch die ungarische Zentralbank und machte später Kredithilfen von der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds erforderlich. Auf die Lohnentwicklung hatte dabei zunächst die gestiegene Arbeitslosigkeit aufgrund vieler Unternehmensinsolvenzen negative Auswirkungen. Gleichzeitig führten der Kursverlust des Forint und der Importüberschuss zu einem heftigen Anstieg der Inflationsrate, der jede Nominallohnsteigerung zunichtemachte. Seit 2010 aber ist auch hier eine wachsende Wirtschaftskraft mit nachziehenden Löhnen zu verzeichnen.
Ungleichverteilung von Löhnen in Europa
Welchen Lohn eine Person generiert und wie sich die Löhne wiederum zwischen den Personen bzw. letztlich auch zwischen Staaten verteilen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Individuell bestimmen im Wesentlichen natürlich Ausbildung, Qualifikation, Beschäftigungsart und Dauer der Beschäftigung (Arbeits- bzw. Markteinkommen) die Höhe der Einkommen. Welches Einkommen tatsächlich zur Verfügung steht (disponibles Einkommen) ist wiederum abhängig von der Abgabenlast (Steuern, Sozialabgaben etc.). Die daraus resultierende Kaufkraft wird über die Preise für den Lebensunterhalt (von Kleidung bis Wohnung) beeinflusst.
So unterschiedlich Markt- und disponible Einkommen und Kaufkraft zwischen einzelnen Personen sein können, so unterschiedlich ist die Einkommenssituation aufgrund unterschiedlichster wirtschafts-, tarif- und fiskalpolitischer Bedingungen zwischen den Staaten der Europäischen Union.
Überblick: Entwicklung der Einkommensverteilung in Europa
Die Einkommensverteilung ist ein wichtiger Indikator für die Bestimmung von wirtschaftlicher Ungleichheit innerhalb der Staaten und zwischen den Staaten der Europäischen Union. Immerhin liefert sie Hinweise auf das Ausmaß und die Tiefe der Armut – insbesondere Hinweise auf die Armutsentwicklung trotz Erwerbstätigkeit.
DefinitionVerfügbares Äquivalenzeinkommen
Gesamteinkommen eines Haushalts nach Steuern und anderen Abzügen, das für Ausgaben und Sparen zur Verfügung steht, geteilt durch die Zahl der Haushaltsmitglieder, umgerechnet in Erwachsenenäquivalente; zur Ermittlung der Erwachsenenäquivalente wird eine Gewichtung der Haushaltsmitglieder nach ihrem Alter nach der modifizierten OECD-Äquivalenzskala vorgenommen.
Die folgende Abbildung stellt die Ungleichheit der Einkommensverteilung in der EU-27 für 2018 im Vergleich zu 2008 dar. Abgebildet sind die jeweiligen Anteilsverhältnisse der Einkommensquintile. Hier zeigt sich, dass die Einkommensungleichheit im Jahrzehnt 2008 bis 2018 weitergewachsen ist. So war das Einkommen der 20 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten verfügbaren Äquivalenzeinkommen in 2018 um den Faktor 5,1 höher als das Einkommen der einkommensärmsten 20 Prozent der Bevölkerung (niedrigstes verfügbares Äquivalenzeinkommen). Deutschland liegt exakt auf diesem Ungleichheitsniveau, hier steigerte sich aber die Ungleichheit im Vergleich zur EU-27 deutlich dynamischer zwischen 2008 und 2018. Die geringste Einkommensungleichheit besitzt die Slowakei: hier ist das Einkommen der einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung nur dreimal höher als das der einkommensschwächsten 20 Prozent. Und auf der anderen Seite steht Bulgarien, wo mittlerweile das Einkommen der Reichsten 20-Prozent um das Achtfache höher ist als das der 20-Prozent Ärmsten.
Die Unterschiede zwischen den 27 Staaten sind sehr erheblich, sowohl in den Höhen der Ungleichheiten als auch in den Entwicklungen. So stiegen die Einkommensquintile EU-27-weit im Mittel um 0,13; im Median aber „nur“ um 0,03. Das liegt vor allem daran, dass erstens die Einkommensungleichheit nicht überall stetig wuchs, sondern auch reduziert werden konnte. Ein zweiter Grund ist, dass das Wachstum oder die Reduzierung in den zehn Jahren mit durchaus kräftigen Unterschieden erfolgte.
Am stärksten reduziert sich die Einkommensungleichheit in Portugal (-0,89), womit das Land nun in etwa auf dem europäischen Durchschnitt liegt. In gleicher Größe konnte Polen mehr Einkommensgleichheit erzeugen, womit man nun deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Auch in Lettland (-0,49), Griechenland (-0,38) und die Slowakei (-0,33) reduzierte sich die Einkommensungleichheit zwischen 2008 und 2018 durchaus beträchtlich.
Daneben kam es in Zypern (-0,02), Malta (0,02), Slowenien (0,02) und den Niederlanden (0,04) zu so gut wie keinen Veränderungen am Status Quo. Während wiederum die Einkommensungleichheit in anderen Staaten, allen voran in Italien (+0,88), Bulgarien (1,18) und insbesondere in Luxemburg (+1,61) in beträchtlichem Maße zunahm.
Im EU-Vergleich besitzt Bulgarien – zusammen mit Rumänien – also nicht nur die größte Einkommensungleichheit, sondern auch eine der am stärksten wachsenden Ungleichheiten. Im Falle Rumänien war das Wachstum zwar zwischen 2008 und 2018 geringer, aber bereits bis 2008 sehr stark. Vom Transformationsprozess, den beiden Staaten durchliefen, und dem wirtschaftlichen Erstarken profitierten also vor allem kleine Bevölkerungsgruppen erheblich, während sich die Einkommenssituation einer breiten Masse der Bevölkerung eher verschlechterte.
Ursachen von Ungleichheit der Einkommen und Folgen für die soziale Gerechtigkeit
Natürlich bleiben Ungleichheiten von Einkommen, insbesondere dann, wenn sie wachsen oder aber im Vergleich zu anderen Staaten sehr hoch sind, nicht folgenlos. Deshalb ist gerade auch die Frage nach ihren Ursachen und den zu erwartenden Folgen der Ungleichheit der Einkommen von erheblicher politischer und ökonomischer Brisanz.
Ursachen von Ungleichheit der Einkommensverteilung
Grundsätzliche Ursachen für Lohn- und Einkommensunterschiede sind qualifikationsabhängige Produktivitätsunterschiede der Beschäftigten. Diese bilden die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten ab, die über das Qualifikationsniveau und der Einsatzfähigkeit der Beschäftigten definiert ist. Das heißt also: je höher (niedriger) das Qualifikationsniveau und die Einsatzfähigkeit und umso höher (niedriger) die Produktivität, desto höher (niedriger) das Einkommen. Diese Ursache für Lohnungleichheit ist also vor allem individuell bestimmt, weil grundsätzlich jeder Beschäftigte über spezifische Grundkompetenzen verfügt und für sich selbst entschieden hat bzw. entscheidet, inwieweit er sich (aus)bildet, welches Qualifikationsniveau er erreichen möchte, welchen Arbeitseinsatz er leistet und wie lange er arbeitet. Insofern sind Lohn- und Einkommensunterschiede angesichts der Heterogenität in der Ausbildung, Qualifikation, Erfahrungen und Knappheit der Beschäftigten völlig natürlich und angesichts der Funktionsfähigkeit einer Volkswirtschaft auch absolut notwendig und vorteilhaft.
Weder natürlich noch volkswirtschaftlich notwendig oder gar vorteilhaft sind indes jene Ursachen von Ungleichheit der Einkommensverteilung, die aufgrund von äußeren Einflussnahmen, Grundvoraussetzungen oder Rahmenbedingungen erzeugt werden. Soll die obige Funktion erfüllt werden, dass hohe Einkommen aus guten Qualifikationen (Bildungsprämie) bzw. hohen Leistungsfähigkeiten resultieren, dann sind auch die Möglichkeiten und Zugänge zu schaffen bzw. für alle Erwerbspersonen auch offen zu halten, um ihre Produktivitätspotenziale einbringen zu können und ein entsprechendes Lohnniveau zu erreichen.
Darüber hinaus sind natürlich auch arbeitsmarktliche Ursachen dafür zu benennen, dass es zu Ungleichheiten in der Einkommensverteilung kommt. So führt die Knappheit von Arbeitskräften zu Lohnsteigerungen, während wiederum Überangebote an Arbeitskräften Lohnsenkungen auslösen.
Europaweit und vor allem in zunehmender Intensität in Deutschland dynamisiert sich der Trend, dass Zugang zu (Aus-)Bildung immer weniger eine Frage individueller in der Person liegender Grundvoraussetzungen und Kompetenzen ist, aber immer mehr eine Frage der individuellen – oftmals elterlichen – Finanzkraft. Je höher also die Investitionsmöglichkeiten, umso offener sind die Zugänge zu einer qualitativ hochwertigen Bildung und Ausbildung und vice versa. Für Einkommensschwächere bestehen also "gläserne Decken", um hinreichende Qualifikationsniveaus zu erreichen. Damit sind allerdings unter ökonomischen, sozialen und politischen Gesichtspunkten zwei Risiken verbunden:
Zum einen besteht das Risiko der Intergenerationalisierung von Einkommensungleichheiten, da es für Einkommensschwache zunehmend schwieriger wird, ihren Kindern bessere Bildungschancen zu verschaffen. Wodurch diese wiederum ggfs. in die Situation kommen, ebenfalls aufgrund geringerer Qualifikationsniveaus nur geringe Einkommen zu erzielen. Hieraus entsteht eine Verstetigung der Einkommensungleichheit über Generationen hinweg.
Zum anderen besteht das Risiko einer De-Humankapitalisierung, da der Zugang zu Bildungschancen bereits heute vielen aufgrund geringer Finanzkraft verwehrt bleibt, wodurch ggfs. ein hohes Humankapitalpotenzial nicht ausgeschöpft wird.
Beide Situationen sind bereits heute keine neuen Phänomene mehr in Europa, sondern eine bekannte und wachsende Herausforderung.
Weiterhin sind geschlechterspezifische Ursachen für Lohnunterschiede anzuführen. Die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von Frauen verlief insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten äußert dynamisch. Damit stehen aktuell mehr Frauen in einem Beschäftigungsverhältnis als je zuvor. Und noch viel dynamischer verlief die Entwicklung der Qualifikationsniveaus von Frauen. Aber dennoch werden Frauen, trotz gleicher Qualifikationen, Erfahrungen und Produktivitäten sehr häufig geringer entlohnt als Männer. Auch hier besteht das Problem der "gläsernen Decke", da aufgrund von sozial konstruierten Vorurteilen Frauen der Zugang zu mehr Verantwortung, letztlich auch zu höheren Gehältern, häufig verwehrt wird. Zugleich arbeiten Frauen, deutlich häufiger als Männer, in Teilzeit und im Niedriglohnsektor, wodurch wiederum erhebliche Lohnunterschiede entstehen.
Folgen von Ungleichheit der Einkommensverteilung
Aber auch Veränderungen der makroökonomischen Rahmenbedingungen sind Ursachen für wachsende Lohnungleichheit, gerade im Vergleich der EU-Staaten. Die wirtschaftlich sehr starken nord- und westeuropäischen Industriestaaten erfahren aktuell eine starke Tertiärisierung (Übergang von einer durch Industrie hin zu einer durch Dienstleistungen geprägten Volkswirtschaft) ihrer Wirtschaftsstruktur. Hierdurch gewinnt der Dienstleistungssektor im enormen Maße an Bedeutung, was zu einer Wissensintensivierung und Hochtechnologisierung führt. Dies benötigt vor allem höchstqualifiziertes, entsprechend auch gut bezahltes Personal, während gleichzeitig niedriger qualifizierte Beschäftigte nicht mehr benötigt werden oder aber niedrig qualifizierte Tätigkeiten ins Ausland ausgelagert werden. So lässt der Automobilkonzern VW zum Beispiel Fahrzeuge in Wolfsburg konstruieren, einige davon jedoch in Bratislava zusammenbauen.
Durch Ungleichheiten der Einkommensverteilung konzentriert sich das Volkseinkommen auf kleinere, bereits hinreichend saturierte (gesättigte) Bevölkerungsgruppen. Daher kann die Entwicklungsdynamik von Volkswirtschaften beeinträchtigt werden, da die Nachfrage nach Gütern und Leistungen engen Konsumstrukturen folgt und geringer ausfällt. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Vermögensungleichheiten in alternden Gesellschaften intergenerational (generationsübergreifend, zwischen den Generationen) sind: Junge Bevölkerung mit niedrigen Vermögen versus ältere Bevölkerung mit hohen Vermögen. Da ältere Bevölkerungsgruppen eher risikoavers (risikoscheu) investieren, sind Rückgänge der Investitionstätigkeit zu erwarten, was letztlich die volkswirtschaftliche Entwicklung hemmt. Ferner schränken Einkommensungleichheiten sowohl Bildungschancen (siehe oben) als auch die Mobilität der Bevölkerung ein. Wodurch wiederum eine Gefahr besteht, dass ein vorhandenes Potenzial an Humankapital ungenutzt bleibt bzw. ineffizient eingesetzt wird.
Nimmt die Ungleichheit der Einkommensverteilung zu, nimmt also gleichzeitig das volkswirtschaftliche Entwicklungspotenzial ab. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Staatstätigkeit und dabei insbesondere auf die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Leistungen. So sind Versorgungssicherheiten und –qualitäten (Energie, Verteidigung, öffentliche Dienste, Gesundheitswesen, Verwaltung, Verkehr/Infrastruktur etc.) akut gefährdet, wenn die Einkommenshöhen breiter Bevölkerungsgruppen abnehmen und so der Steuerertrag sinken wird.
Ein weiterer Faktor ist, dass der Unmut der Bevölkerung durch die strukturellen Benachteiligungen, die eine wachsende Ungleichheit der Einkommensverteilung mit sich bringt, letztlich steigt. Ein gutes Beispiel, wie schnell die Diskussion um Einkommensgerechtigkeit bzw. soziale versus Leistungsgerechtigkeit aufbranden kann, ist die Debatte um Top-Managergehälter in den letzten Jahren. Dabei steht immer die Frage im Raum, was ein verträgliches Maß der Einkommensungleichheit ist und worin gegebenenfalls ein Widerspruch besteht zwischen Leistungs- und sozialer Gerechtigkeit.
Exkurs zur Höhe von Managergehältern und zur Frage nach sozialer Gerechtigkeit
Als Ursache von Ungleichheit der Einkommensverteilung wird grundlegend das qualifikationsabhängige Produktivitätsniveau von Beschäftigten und anschließend die Knappheit von Beschäftigten angeführt. Beide Argumente sind zentral in der kritischen Debatte zu der Höhe von Gehältern (z.B. von Topmanagern oder Investmentbankern). Diese Debatte ist angesichts der Zahlen, die diskutiert werden, überaus nachvollziehbar: Denn durchaus fragwürdig ist es, worauf sich ein Bonus in Höhe von 80 Mio. Euro für einen Händler der Deutschen Bank zurückführen lässt oder warum ein Vorstandsvorsitzender trotz bescheidender Erfolgsbilanz mit 60 Mio. Euro abgefunden werden muss. Im Jahr 2013 geriet die Deutsche Bank unter anderem deswegen in die öffentliche Diskussion, weil sie bei einem Nettogewinn von "lediglich" 665 Mio. Euro Bonuszahlungen in Höhe von 3,2 Mrd. Euro veranlasste. Dies führte, gerade auch mit Blick auf die staatliche Rettung von deutschen Großbanken im Zuge der Bankenkrise, zu einiger Empörung in der Gesellschaft, in der Politik bis hin zur Wirtschaft.
Zur Veranschaulichung der Problematik zeigt die folgende Abbildung die Entwicklung der Vorstandsvergütung in den DAX 30 Unternehmen im Vergleich zur Entwicklung der Personalkosten je Arbeitnehmer dieser Unternehmen.
Zu erkennen ist ein starkes Wachstum der Vorstandsvergütungen über alle DAX-Unternehmen hinweg. Im Jahre 1987 erhielt ein Vorstandsmitglied eines der 30 größten deutschen Unternehmen noch 439.000 Euro im Jahr; in 2010 betrug dieser Wert bereits 2,7 Mio. Euro pro Kopf. Dies entspricht einer Steigerung der Vorstandsvergütungen um den Faktor sechs. Parallel dazu wuchs die Kluft zwischen den Vorstandsvergütungen und durchschnittlichen Personalkosten der Arbeitnehmer um den Faktor 3,5 stetig an. Dass Vorstände das 20-fache der durchschnittlichen Personalkosten von Arbeitnehmern verdienten, sorgte bereits 1997 für Diskussionen in Gesellschaft und Politik. Von daher verwundert es nicht, dass die Diskussionen nicht abbrachen, sondern sich weiter intensivierten, wenn heute eine Relation von 1 zu 49 festzustellen ist.
Interessant in der Entwicklungsdarstellung ist vor allem der Zeitraum seit 2001/2002. In diesen Jahren begannen die Diskussionen (insbesondere seitens der Vorstandsetagen deutscher Großbanken), dass das deutsche Gehaltsgefüge für Top-Manager zu niedrig wäre, um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen. Aufgrund dessen nahmen nicht nur die Basisbezüge der Top-Manager, sondern auch die Vielfalt und Höhen von Bonusregelungen deutlich zu. Die Vergütungen der Top-Manager stiegen dadurch sprunghaft an und nicht selten auch die Anzahl der Vorstände. Besonders zu beobachten war dieser Trend in den deutschen Top-Banken (Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank) im Jahr 2007. Im Jahr der Bankenkrise wurde der bisherige Höchstwert der durchschnittlichen Vorstandsvergütung erreicht. Krisenbedingt kam es entsprechend in den Folgejahren zu Abnahmen. Aktuell nähert man sich allerdings dem Vorkrisenniveau wieder deutlich an.
Diese Entwicklungen, insbesondere der Diskrepanzen (Widersprüchlichkeiten), stoßen deshalb auf die "geballte Wut der Medien und Stammtische", da solche Entgelthöhen – vor allem angesichts der Erfolgsbilanz der Manager – exorbitant, kaum greifbar und nicht nachvollziehbar auf „Normalbürger“ wirken.
Weitere Inhalte
Guido Zinke ist als Seniorberater für den öffentlichen Sektor bei Kienbaum Management Consultants in Berlin tätig. Im Auftrag der EU-Kommission, verschiedener Bundes- und Landesministerien sowie von Kommunen und Verbänden berät, evaluiert und forscht er vor allem zu wirtschafts-, arbeitsmarkt- sowie umwelt- und technologiepolitischen Fragestellungen.
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!