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Grundeinkommen: Finanzierungskonzepte und Modellversuche | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Grundeinkommen: Finanzierungskonzepte und Modellversuche

Kuno Rinke

/ 13 Minuten zu lesen

Die Frage nach der Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens und der damit verbundenen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen wird als Schlüssel für seine Umsetzung angesehen. Auch deshalb sind Erfahrungen von Bedeutung, die in einem zeitlich, gesellschaftlich und räumlich begrenzten und überschaubaren Feld mit einem bedingungslosen Grundeinkommen gesammelt wurden.

Wieviel kostet ein bedingungsloses Grundeinkommen den Staat? Und kann dieser es aus seinen Einnahmen finanzieren? (© picture-alliance)

Zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens

Ist das BGE bezahlbar oder nicht finanzierbar?

„Keine Sorge, das Geld wäre da“, bestätigt im Mai 2020 der Ökonom, Philosoph und Mitbegründer der „Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen“ Philip Kovce. Er stellt ab auf die Einsparungen durch Wegfall der meisten bisherigen Sozialleistungen „von Kindergeld bis Grundrente, von Bafög bis Hartz IV“ einschließlich „ausufernder Kontrollbürokratie“. „Bezahlbar ist das Grundeinkommen auf jeden Fall“, sagt der Philosoph und Publizist Richard David Precht 2018 voraus und bezieht sich auf eine einzuführende Finanztransaktionssteuer. Für Gegner/-innen ist das BGE „nicht finanzierbar“ (z.B. Guido Raddatz) oder sie lehnen das BGE mit Bezug auf die ungerechte Verteilung der Finanzierungslasten und der Folgen für die Einkommensverteilung ab, wie zum Beispiel Christoph Butterwegge, Kai Eicker-Wolf oder Ralf Krämer. Die Frage nach der Finanzierung und der damit verbundenen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen des BGE wird als entscheidend angesehen.

QuellentextGuido Raddatz

Für die praktische Umsetzung am bedeutsamsten ist dabei – neben der gesellschaftlichen Akzeptanz – wohl die Frage der Finanzierbarkeit. Kann sie nicht positiv beantwortet werden, ist jedes Grundeinkommensmodell in der Praxis zum Scheitern verurteilt. Zugleich ist die Finanzierungsfrage eine der am schwierigsten zu beantwortenden, da die staatlichen Einnahmen und Ausgaben letzten Endes immer von den ökonomischen Entscheidungen und Handlungen der Menschen abhängen. Es kommt also ganz wesentlich darauf an, wie die Menschen auf die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens reagieren und wie sie ihr Verhalten – insbesondere auf dem Arbeitsmarkt – verändern würden.

Quelle: Guido Raddatz (2019): Das bedingungslose Grundeinkommen – ein Luftschloss! Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.): Zeitthemen 02, Berlin, S. 35 (siehe auch: Externer Link: www.stiftung-marktwirtschaft.de/fileadmin/user_upload/Zeitthemen/ZT_02_Grundeinkommen_2019.pdf abgerufen am 28.4.2020)

Konzepte zur Finanzierung eines BGE

Aus den Reihen der Befürworter/-innen sind sowohl detaillierte Berechnungen als auch eher allgemein gehaltene Vorschläge vorgelegt worden:

  • Im Positionspapier des Grünen Netzwerk Grundeinkommen (2019) wird keine genaue Höhe für das BGE angegeben bis auf den Hinweis, dass es die Existenz sichern und die kulturelle, soziale und politische Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen soll.

  • Die Attac AG Genug für alle schlägt in ihrem Positionspapier (2012) vor, das BGE in Höhe der jeweiligen Pfändungsfreigrenze sowie die Renten- und Krankenversicherung zu einer selbstverwalteten „Bürger*innenversicherung“ zu finanzieren, in die die Bezieher/-innen aller Einkommensarten einbezahlen.

  • Der Unternehmer Götz W. Werner geht hingegen davon aus, dass ein BGE von 1.000 Euro monatlich über eine Mehrwertsteuer in einer Höhe von circa 50 Prozent finanziert werden könne und legt einige Rechenbeispiele vor.

Im Unterschied zu diesen Vorschlägen hat der Ökonom Thomas Straubhaar eine ausführlichere Konzeption zur Finanzierung vorgestellt. Seinen Berechnungen nach kann zum Beispiel mit den staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen von circa 890 Mrd. Euro im Jahr 2015 zu großen Teilen auch ein BGE von 1.000 Euro monatlich finanziert werden. Im Hinblick auf die Auszahlung des BGE als negative Einkommensteuer für alle Einkommen vom ersten Euro an, legt er die Festlegung der Steuersätze als „Stellschrauben“ für das neue Sozialsystem in die Hände der politischen Entscheidungsträger/-innen. Auf jeden Fall aber sei dieses Steuersystem gerecht, da es progressiv sei.

QuellentextThomas Straubhaar

Wer brutto mehr verdient, zahlt auch netto mehr Steuern. Zudem steigt der Nettosteuersatz mit zunehmendem Bruttoeinkommen an – der Steuersatz ist mithin progressiv […] Das BGE ist ein progressives Steuersystem. Und progressive Steuern gelten als gerechte Steuern (weil die breiten Schultern der wirtschaftlich Starken mehr gemeinsame Lasten tragen müssen als die schmalen Schultern der Schwachen).

Quelle: Thomas Straubhaar (2018): Was ist ein Grundeinkommen und wie funktioniert es?, in: Butterwegge, Christoph / Rinke, Kuno (Hrsg.): Grundeinkommen kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell, Weinheim / Basel: Beltz Juventa, S. 27 ff.

Die BAG der LINKEN legte im Februar 2020 einen ausführlichen Finanzierungsvorschlag für ein BGE als Sozialdividende vor, mit Eckpunkten auch für die negative Einkommensteuer. Da im Falle des BGE viele steuerfinanzierte Leistungen und Steuererleichterungen entfallen sollen, ergibt sich für die BAG mit den ökonomischen Kennziffern von 2017 ein Nettofinanzbedarf von rund 988 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe soll durch folgende Maßnahmen abgedeckt werden:

  • eine BGE-Abgabe in Höhe von 35 Prozent auf alle steuerpflichtigen Primäreinkommen der privaten Haushalte,

  • eine Sachkapitalabgabe auf privates Anlagevermögen und Immobilien in Höhe von 2,5 Prozent mit einem Freibetrag für Privatpersonen bei selbstgenutztem Wohneigentum,

  • eine Primärenergieabgabe von 2,9 Cent pro Kilowattstunde,

  • eine Mikroabgabe auf Finanztransaktionen.

Das Steuersystem ist mit drei gestaffelten Steuersätzen fünf, fünfzehn und 24 Prozent auf alle Primäreinkommen geplant. Die finanzielle Gesamtbelastung aller Einkommen setzt sich demnach wie folgt zusammen: 35 Prozent BGE-Abgabe + x Prozent Einkommensteuer + 12,5 Prozent Sozialversicherungsbeiträge. Je nach Höhe des Einkommens soll die Gesamtbelastung zwischen 52,5 Prozent und über 70 Prozent liegen. Ca. 95 Prozent der Erwerbstätigen (d.h. alle mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 6.500 Euro) haben diesem Berechnungskonzept zufolge zusammen mit dem dann geltenden Grundeinkommen netto mehr als vorher. Bei der Variante der negativen Einkommensteuer läge die Gesamtbelastung zwischen 62,5 und 71,5 Prozent.

Zusammenfassend kann zu diesen exemplarisch vorgestellten Finanzierungsvorschlägen festgehalten werden: Die Befürworter/-innen eines BGE sind sich einig darin, dass es finanzierbar sei, wobei die Wege der Finanzierung bei den jeweiligen Modellen unterschiedlich sein können. Als Begründung für die Finanzierbarkeit werden je nach Konzeption finanzielle Einsparungen im Staatshaushalt durch den Wegfall von bisherigen Sozialleistungen angeführt, weiterhin Veränderungen im bestehenden Steuersystem, die Einführung neuer Steuern oder Umgestaltungen im Sozialversicherungssystem vorgeschlagen.

Einwände zu Finanzierungskonzepten

Gegner/-innen eines BGE bringen Einwände gegen vorgeschlagene Finanzierungskonzepte vor. Angeführt werden, zum Teil mit unterschiedlicher Auswahl und Gewichtung, beispielsweise folgende Aspekte:

Dynamische Elemente sind einzubeziehen
Durch die erforderliche Einbeziehung dynamischer Elemente wären die tatsächlichen Kosten für ein BGE höher als angenommen. Der zu erwartende Kaufkraftverlust würde das BGE ebenso erhöhen wie die vermutliche Bevölkerungszunahme durch eine Nettozuwanderung. Zu überdenken wären auch mögliche Zuwanderungsanreize durch ein BGE. Weiterhin würden durch die Zunahme der älteren Bevölkerungsgruppen vermutlich die Leistungen für Menschen mit einem zusätzlichen Bedarf wegen z.B. einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit zunehmen. Eine steuerfinanzierte Dynamisierung des BGE sei zudem mit dem Nachteil verbunden, dass es ständig von der Kassenlage des Staatshaushalts abhänge und durch Prioritäten bedroht sei, so beispielsweise die Kritik von Butterwegge.

Das Einsparpotential durch das BGE ist geringer als angenommen
Die bisher gesetzlich erworbenen Ansprüche auf Renten und Pensionen müssten auch nach der Einführung eines BGE weiter erfüllt werden und sind somit mit zusätzlichen Kosten verbunden. Alternativ müssten die Zahlungen gestrichen werden. Zudem könnten die im Sozialbudget des Bundeshaushaltes enthaltenen Verwaltungsausgaben („Bürokratie“) nicht vollständig für das BGE umgewidmet werden, da auch weiterhin einige Verwaltungskosten weiterbestehen (z.B. für die Krankenversicherung).

Verhaltensänderungen durch die Einführung eines BGE haben Folgen für den Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen
Dem Argument zufolge würden sich mit zunehmender Höhe eines BGE die Arbeitsanreize der Beziehenden verringern, wodurch zunehmend mehr Erwerbstätige, die derzeit Steuern und Sozialbeiträge bezahlen, zu Nettotransferempfängern werden. Auf der anderen Seite würde auch ein zu hoher Steuersatz oder eine zu hohe Abgabenbelastung, wie z.B. die AG Genug für alle und die BAG der Linken vorschlagen, einen negativen Effekt auf die Bereitschaft zur steuerpflichtigen Arbeit haben (Schwarzarbeit).

Auswirkungen von sinkenden Arbeitsanreizen auf verbleibende Steuerzahler/-innen
Auch bei verbleibenden Steuerzahler/-innen könnten durch das Beispiel sinkender Arbeitsmoral die Bereitschaft zu einer steuerpflichtigen Erwerbsarbeit sinken und informelle Normen „erodieren“ wie z.B. Bildungsanreize, das Streben nach sozialem Aufstieg und der Wille, möglichst eigenständig den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Sozialpolitische Folgen
Vorschläge, die Einsparungen bei sogenannten Förder- und Fürsorgesystemen zur BGE-Finanzierung einplanen, vernachlässigen, dass sich diese Systeme nicht auf Geldleistungen beschränken. Darüber hinaus spielen soziale Dienstleistungen und Einrichtungen (z.B. Sozialhilfe, Kinder- und Jugendhilfe) eine zentrale Rolle.

Folgen für die Verteilung der Finanzierungslasten auf die Bevölkerung und die Verteilung von Einkommen
Gegen die Konzepte der BAG und der AG Genug für alle wird vor allem die hohe finanzielle Belastung angeführt, auch dann, wenn die Finanzierung rechnerisch korrekt sein möge. Die Gesamtabgabenbelastung der BAG sei mit 65 bis 85 Prozent höher als angegeben und müsse von der Mehrheit der abhängig Beschäftigen getragen werden. Zudem führe die „Bürger*innenversicherung“ der AG Genug für alle zur Senkung der Nettoeinkommen um fast 60 Prozent und zu Kaufkraftverlusten.

Die von Götz W. Werner vorgeschlagene Konsumsteuer wird durchgängig von Gegner/-innen abgelehnt. Wie alle indirekten Steuern belaste sie die unteren Einkommensgruppen am stärksten. Zudem müsse nach Berechnungen von Daniel Kreutz und Kai Eicker-Wolf bei einem angenommen BGE von 1.000 Euro der Mehrwertsteuersatz tatsächlich auf 80 bis 100 Prozent steigen.

Gegenüber Thomas Straubhaar stellt Christoph Butterwegge vor allem auf die Folgen der negativen Einkommensteuer als Flat-Tax für die Verteilung der finanziellen Lasten und die Einkommensverteilung ab.

QuellentextChristoph Butterwegge

Obwohl der Hamburger Ökonom beteuert, sein Finanzierungsmodell wirke progressiv, weil das als Grundfreibetrag ausgezahlte Grundeinkommen die Steuerlast für Geringverdiener/innen stärker senke als für Spitzenverdiener, kann davon keine Rede sein. Zwar sind die effektiven Durchschnittssteuersätze auch bei einer Flat Tax (Einheitssteuer) progressiv, wenn das Grundeinkommen mit der Einkommensteuer verrechnet wird, ein Steuersystem ist aber nur dann progressiv, wenn der Grenzsteuersatz mit wachsendem Einkommen steigt, wie auch BGE-Anhänger/innen konzedieren.

Quelle: Christoph Butterwegge (2018): Weder gerecht noch sozial. Das bedingungslose Grundeinkommen schafft mehr Probleme, als es löst, in: Butterwegge, Christoph / Rinke, Kuno (Hrsg.) (2018): Grundeinkommen kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell, Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 189-213 (S. 197)

Die Kontroversen über die Mehrwertsteuer und/oder die negative Einkommensteuer als Finanzierungsquelle zeigen auch, dass die Grenzen zwischen dem „Pro- und Kontra-Lager“ nicht auf allen Diskursfeldern eindeutig zu ziehen sind. Von einer stärkeren ökonomischen Belastung unterer Einkommensschichten durch eine beträchtliche Mehrwertsteuer geht auch der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen Wolfgang Strengmann-Kuhn aus, doch bezeichnet er eine Kritik daran als „Werturteil“, das „nicht geteilt werden“ müsse. Als grundsätzlicher Befürworter eines BGE zieht er stattdessen das Modell negative Einkommensteuer vor, vor allem deshalb, weil bei einer Mehrwertsteuer die Übergangszeit zu einem vollständigen BGE „extrem lang“ werde.

Fazit

Die Befürworter/-innen eines BGE sind sich einig darin, dass es finanzierbar sei, wobei die Wege der Finanzierung bei den jeweiligen Modellen unterschiedlich sein können. Als Begründung für die Finanzierbarkeit werden je nach Konzeption finanzielle Einsparungen im Staatshaushalt durch den Wegfall von bisherigen Sozialleistungen angeführt, weiterhin Veränderungen im bestehenden Steuersystem, die Einführung neuer Steuern oder Umgestaltungen im Sozialversicherungssystem vorgeschlagen.

Vergleiche und Generalisierungen hinsichtlich der Finanzierungskonzepte und den Kritiker/-innen sind schwierig, da die Beurteilung der Finanzierbarkeit auch vom BGE-Modell und von den damit verbundenen möglichen Folgen abhängt. Zudem deuten die angeführten Aspekte auch an, mit welchen (subjektiven, politischen und interessengeleiteten) Bewertungen und Unwägbarkeiten sowohl die Finanzierungen als auch Einwände verbunden sind. Ist die Entscheidung für ein BGE einmal gefällt und sind die Veränderungen umgesetzt, lassen sie sich kaum „auf die Schnelle“ rückgängig machen. Aus diesem Grund sind vielleicht Erfahrungen von Bedeutung, die in einem zeitlich, gesellschaftlich und räumlich begrenzten und überschaubaren Feld mit einem bedingungslosen Grundeinkommen gesammelt wurden.

Modellversuche zum Grundeinkommen

In den letzten Jahren wurden verschiedene Modellversuche zur Erprobung von Grundeinkommen durchgeführt. Diese unterscheiden sich nicht nur in Art und Dauer der Versuche, sondern auch hinsichtlich der gewählten Variante des Grundeinkommens.

Der Verein „Mein Grundeinkommen“ verlost Grundeinkommen

Der gemeinnützige Verein „Mein Grundeinkommen“ wurde 2014 vom damals 30-jährigen IT-Unternehmer Michael Bohmeyer gegründet. Der Verein verlost ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro monatlich für ein Jahr an eine Person. Das erforderliche Geld wird durch Crowdfunding gesammelt, und immer dann, wenn 12.000 Euro zusammenkommen, wird ein Grundeinkommen verlost. Mit dem Stand vom 6.5.2020 hatten nach Angaben der Webseite bisher 186.328 Menschen 607 Grundeinkommen finanziert. Begleitet ist diese Aktivität des Vereins von einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland. Dazu gehört auch die Veröffentlichung von Erfahrungen von Losgewinner/-innen in der Tagespresse und in einem Buch des Vereinsgründers.

Die Schweizer Initiative Grundeinkommen und das Experiment Grundeinkommen in Finnland

Zwei Ereignisse der letzten Jahre haben eine beachtliche internationale öffentliche Aufmerksamkeit erhalten: Die Schweizer Initiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“, die in der Volksabstimmung am 5. Juni 2016 keine Mehrheit fand, sowie das in Finnland 2017 und 2018 über zwei Jahre durchgeführte Experiment Grundeinkommen.

Da die Schweizer Initiative nur eine Zustimmung von 23,1 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erhielt, kann auf keine Erfahrungen mit ihrer Umsetzung zurückgegriffen werden. Diskussionen über die Initiative werden jedoch über den Wahltermin hinaus bis heute durchgeführt.

Das finnische Experiment Grundeinkommen wurde dagegen vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2018 durchgeführt. Koordiniert wurde der Versuch vom Sozial- und Gesundheitsministerium. Prof. Olli Kangas von der staatlichen Sozialversicherungsanstalt Finnlands Kela (Kansaneläkelaitos) wurde Leiter des Forschungsteams, das den Versuch begleitete und schließlich im Mai 2020 dessen Auswertung veröffentlichte.

Teilgenommen am Experiment haben 2.000 erwerbslose Personen im Alter von 25 bis 58 Jahren, die bisher eine Arbeitslosenunterstützung erhalten haben. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und ihre Teilnahme war verpflichtend. 52 Prozent der Teilnehmenden waren männlich und 48 Prozent weiblich. Eine Kontrollgruppe mit ungefähr 175.000 Personen, die ebenfalls Arbeitslosenunterstützung unterhielten, lebte unter „normalen“ Bedingungen.

Die Teilnehmer/-innen erhielten zwei Jahre lang ein steuerfreies Grundeinkommen von 560 Euro monatlich. Dieser Betrag liegt nahe der finnischen Grundsozialhilfe. Damit sollten Anreize zur Arbeitssuche geschaffen werden, da das Grundeinkommen nicht als, wie es hieß, „soziale Hängematte“ genutzt werden sollte. Ein eigenes Einkommen wurde nicht angerechnet und war unabhängig davon, ob während der Versuchsdauer eine Beschäftigung aufgenommen wurde oder nicht. Der monatlich ausgezahlte Betrag war als partielles Grundeinkommen gedacht.

Das Kernziel des Experimentes bestand darin, Erkenntnis zu gewinnen über die Wirkungen des Grundeinkommens auf den Arbeitsmarkt, genauer, inwieweit die bisher Erwerbslosen einer Erwerbstätigkeit nachgekommen sind. Man erhoffte sich u.a. eine Zunahme von Kleinunternehmen und eine größere Bereitschaft zur Aufnahme von Beschäftigung mit niedriger Bezahlung und in Teilzeit. Weiterhin wurde unter anderem noch der Einfluss des Grundeinkommens auf das Gesamteinkommen der Teilnehmenden untersucht sowie ihr Wohlbefinden.

Eine wesentliche Änderung in den Bedingungen des Experimentes trat im zweiten Jahr ab 1.1.2018 durch das gesetzlich verankerte sogenannte „Aktivierungsmodell“ ein. Einer arbeitslosen Person sollte das Arbeitslosengeld gekürzt werden, wenn sie nicht bestimmte Bedingungen erfüllte, wie z.B. an 65 Zahltagen mindestens in einem Lohnverhältnis zu arbeiten. Durch diesen Störfaktor „Aktivierungsmodell“, wie es Olli Kangas von der Kela bezeichnete, war für die Wissenschaftler/-innen nicht mehr zu unterscheiden, welche Bedeutung die angedrohten Sanktionen oder Konjunkturfaktoren für die Erwerbstätigkeit in der Kontrollgruppe hatte. Zudem waren Vergleiche der Versuchsgruppe mit der Kontrollgruppe weniger aussagekräftig. Das Modell wurde zum 1.1.2020 wieder abgeschafft.

An Beschäftigungseffekten auf die Versuchsgruppe ließ sich nur von November 2017 bis Oktober 2018 ein geringfügig höherer Wert als in der Kontrollgruppe nachweisen. Während die Personen der Kontrollgruppe durchschnittlich für 72 Tage beschäftigt waren, betrug der Wert für die Versuchsgruppe 78 Tage. Im ersten Jahr des Experimentes 2017 konnte im Durchschnitt gar kein Effekt des Grundeinkommens auf die Beschäftigung nachgewiesen werden. Allerdings zeigte sich bei der Betrachtung unterschiedlicher Teilgruppen, dass Familien mit Kindern eine signifikante Verbesserung der Beschäftigung hatten.

Zudem fanden sich in der Versuchsgruppe keine Belege für die These, dass das Grundeinkommen „faul mache“. Menschen, die nicht sanktioniert wurden, waren nicht weniger aktiv als Menschen der Kontrollgruppe, die zur Arbeitssuche durch Sanktionen gedrängt wurden.

Im Unterschied zu den nur geringfügig nachgewiesenen Effekten auf die Beschäftigung hatte des Grundeinkommen aber deutlich positive Auswirkungen auf das mentale und materielle Wohlbefinden der Versuchsgruppe. Die Menschen waren zufriedener und weniger gestresst als die Kontrollgruppe. Zudem hatten sie eine positivere Sicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und Perspektiven.

Weltweite Experimente zum Grundeinkommen

Experimente zum Grundeinkommen werden seit vielen Jahren auf lokaler oder regionaler Ebene in verschiedenen Staaten der Welt durchgeführt. Eine erste Welle ist in den 1960er und 1970er Jahren in Kanada und in den USA zu verorten, wo die negative Einkommensteuer als Auszahlungsform angewendet und auch als Mittel zur Armutsbekämpfung erprobt wurde. Ein interessanter Sonderfall ist der 1976 entstandene Alaska Permanent Fund (AFP), der staatliche Einnahmen aus der Ölförderung sammelt und jährlich 25 Prozent der Gewinne an die Einwohner/-innen des US-Bundesstaates Alaska als Dividende in einer Höhe zwischen 1.000-2.000 US-Dollar jährlich auszahlt. Der Betrag ist damit allerdings nicht existenzsichernd.

Eine zweite globale Welle setzte in den 2000er Jahren ein im Zusammenhang mit der Suche nach mehr sozialer Sicherheit oder nach Mitteln zur Armutsbekämpfung. Anzuführen sind beispielsweise Experimente in Namibia, Kenia, Brasilien, Indien und Iran (siehe Abbildung). Experimente werden bis in die jüngste Vergangenheit gestartet. Allerdings wurde das in Kanada 2017 begonnene und für drei Jahre ausgelegte Experiment bereits Mitte 2018 unter anderem aus Kostengründen abgebrochen. In den Niederlanden begann im Januar 2017 in den Kommunen Groningen, Tilburg, Utrecht und Wageningen das Experiment Basiseinkommen mit Sozialhilfeempfänger/-innen.

Das Ende 2016 initiierte Experiment Grundeinkommen in Kenia wird vielfach als wissenschaftlich und sozioökonomisch sehr interessant angesehen, vor allem wegen der geplanten Dauer von zwölf Jahren und der Komplexität des Versuches einschließlich von Kontrollgruppen.

Viele dieser Experimente hatten mehr Effekte auf das Wohlbefinden der Teilnehmer/-innen als auf die Beschäftigungsrate. Zudem zeigten die frühen Experimente in Nordamerika und in Namibia, Brasilien und Indien nur kurzfristige positive Wirkungen. In den letzten drei Staaten war der Anteil unterernährter Menschen gesunken und der gesundheitliche Zustand vieler hat sich verbessert und auch positive wirtschaftliche Entwicklungen konnten festgestellt werden. Allerdings sank vielfach die offiziell geleistete Arbeitszeit.

Zur Übertragbarkeit weltweiter Experimente auf Deutschland

Zur Frage nach der Verallgemeinerung oder Übertragbarkeit von Ergebnissen weltweit durchgeführter Experimente auf Deutschland können verschiedene Aspekte angeführt werden:

  • Bisherige Versuche waren zeitlich befristet und räumlich begrenzt.

  • Ein nur beschränkter Personenkreis nahm an den Versuchen teil und nicht die gesamte Gesellschaft.

  • Die Finanzierungsseite blieb in den Modellversuchen in der Regel unberücksichtigt.

  • Modellversuche in Entwicklungsländern oder Schwellenländern zielen oft auf die Bekämpfung extremer (auch absoluter) Armut. Ihre Übertragung auf entwickelte Industriestaaten bedürfte deshalb einer besonderen Überprüfung.

  • Simulationsmodelle sind bisher kaum geeignet, die Komplexität abzubilden, die mit einer gesamtgesellschaftlichen Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens verbunden sind. Dies gilt für die gesamte Vielfalt an Veränderungen und insbesondere für die des menschlichen Verhaltens.

Die Öffentliche Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen

Die Diskussion über die Einführung eines BGE hat durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 einen Schub bekommen. Symptomatisch zeigt sich dies seit März 2020 an persönlich eingereichten Petitionen an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sowie über die Internetplattformen Change.org und open.petition.de an Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitglieder. Mit Unterschieden im Detail wird in diesen Petitionen die Einführung eines temporären bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe von beispielsweise 1.000 Euro monatlich als Ausgleich für existenzgefährdende Folgen der Pandemie gefordert. Die Leitpetition, in der vom Petitionsausschuss weitere drei Petitionen mit gleicher Zielsetzung zusammengefasst wurden, erhielt bis zum Ende der Mitzeichnungsfrist am 27.4.2020 insgesamt 176.134 Mitunterzeichnende. Die beiden Portalpetitionen erhielten 289.678 Unterstützende (open.petition) bzw. 466.002 Unterstützende (change.org) mit dem Stand vom 11.5.2020. Ungeachtet möglicher Mehrfachunterstützungen zeigt doch die Zahl der Unterzeichnenden die Öffentlichkeitswirksamkeit der Petitionen.

Meinungsumfragen zum bedingungslosen Grundeinkommen

Repräsentative Umfragen zu Einstellungen innerhalb der Bevölkerung in Deutschland gegenüber einem bedingungslosen Grundeinkommen werden in den letzten Jahren regelmäßig durchgeführt und häufig als Online-Umfragen, die als repräsentativ bezeichnet werden. Unabhängig von der genauen Fragestellung und ungeachtet von Unterschieden in den Ergebnissen ist als gemeinsamer Trend eine deutliche Zustimmungsrate unter den befragten Personen zum BGE zu erkennen. Beispielsweise zeigte eine Online-Umfrage des Hamburger Marktforschungsunternehmens Splendid Research im Oktober und November 2017 eine Befürwortung des BGE von 58 Prozent der Befragten.

Einen weiteren Einblick in Einstellungen der Bevölkerung zum BGE geben vier repräsentative und längerfristig angelegte Erhebungen, die zwischen August 2016 und September 2018 durchgeführt wurden. Die ersten beiden fanden innerhalb des European Social Survey Welle 8 statt, die anderen beiden innerhalb des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Danach gab es unter den befragten Personen ab 15 bzw. ab 17 Jahren eine stabile Zustimmungsrate zwischen 45 und 52 Prozent gegenüber der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Zusammenhangsanalysen im Hinblick auf eine Korrelation der Akzeptanz eines BGE mit soziodemografischen Merkmalen und weiteren Einstellungen ergänzen dieses Bild. Die folgende Grafik veranschaulicht einige Korrelationen:

Allerdings sollte bei der Interpretation dieser Werte ein zusätzlicher Aspekt berücksichtigt werden. Die Ergebnisse hängen auch ab von der Frageformulierung in der Erhebung sowie von Voraussetzungen, unter denen die Befragten geantwortet haben, z.B. hinsichtlich ihrer Kenntnisse über BGE-Modelle, die Finanzierung sowie Folgen für den Sozialstaat, das Steuersystem und den Arbeitsmarkt. Die vergleichsweise hohen Zustimmungsraten zur Einführung eines BGE bedeuten nicht zwingend, dass die Bevölkerung tatsächlich bereit zu einer solch tiefgreifenden Reform wäre. So steht der Verdacht im Raum, dass nicht allen Befragten die Details zur Finanzierung und ihrer Konsequenzen in vollem Umfang bewusst sind oder von ihnen richtig eingeordnet werden können.

Weitere Inhalte

Dr. Kuno Rinke ist Sozialwissenschaftler und verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Politisches Lernen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die politische und sozioökonomische Bildung. Er hat gemeinsam mit Christoph Butterwegge den im Beltz Verlag 2018 erschienenen Sammelband „Grundeinkommen kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell“ herausgegeben.