Grundsicherung für Arbeitssuchende: Daten, Zahlen und Fakten
Lena BecherSabrina BersheimStefan Sell
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Personen, die Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen, sind eine sehr heterogene Gruppe. Obwohl auch als Arbeitslosengeld II bezeichnet, werden Leistungen aus der Grundsicherung nicht nur an Arbeitslose, sondern auch weitere erwerbsfähige und nicht erwerbsfähige Personen ausgezahlt. Entsprechend der früheren Sozialhilfe sichern sie das Existenzminimum aller Personen beziehungsweise Bedarfsgemeinschaften, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten können.
Im April 2020 bezogen in Deutschland knapp 5,52 Millionen Menschen Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). 3,95 Millionen von ihnen sind so genannte erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLb). Sie sind im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und der Rentenaltersgrenze und werden nicht durch Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit daran gehindert, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Rund 1,56 Millionen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung sind nicht erwerbsfähig. Dies betrifft das in erster Linie Kinder, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Eine Bedarfsgemeinschaft umfasst gemäß Definition der Bundesagentur für Arbeit (BA) in einem Haushalt lebende Personen, die gemeinsam wirtschaften und der mindestens ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter angehört. Im April 2019 gab es knapp 2,95 Millionen Bedarfsgemeinschaften, auf die sich die rund fünf 5,79 Millionen regelleistungsberechtigten Empfänger von Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende verteilten.
Nicht alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind auch arbeitslos. Tatsächlich geht nur ein Drittel der Erwerbsfähigen im SGB II in die Arbeitslosenstatistik ein. Die übrigen Personen gelten als nicht arbeitslos, weil sie dem Arbeitsmarkt (temporär) nicht zur Verfügung stehen. Gründe hierfür sind beispielsweise die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die Erziehung von Kindern, Pflege von Angehörigen, langfristige Arbeitsunfähigkeit oder ein Schulbesuch. Abzugrenzen sind die knapp 1,55 Millionen Arbeitslosen im System der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) von den rund 1,09 Millionen Arbeitslosen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Sie sind in der Hauptsache erst kurzzeitig arbeitslos (unter einem Jahr) und erhalten Arbeitslosengeld I (ALG I) aus der Interner Link: Arbeitslosenversicherung .
Zusammensetzung von Bedarfsgemeinschaften
Mit rund 1,65 Millionen ist die Single-Bedarfsgemeinschaft die häufigste Form der Bedarfsgemeinschaft. Es folgen Zwei-Personen-Haushalte mit einer Anzahl von knapp 538.000. Größere Bedarfsgemeinschaften sind vergleichsweise selten vertreten. Im April 2020 gab es knapp 227.000 Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften und rund 211.000 Bedarfsgemeinschaften mit mehr als fünf Personen.
Höhe der Geldleistungen
Bedarfsgemeinschaften erhielten im Dezember 2019 durchschnittlich 989 Euro an Leistungen aus der Grundsicherung. Dazu gehören auch Sozialversicherungsbeiträge, sonstige Leistungen, Sozialgeld und laufende Leistungen für Unterkunft und Heizung.
Je größer die Bedarfsgemeinschaft, desto höher ist auch der durchschnittliche Leistungsbetrag. Dabei steigt der Betrag jedoch nicht linear mit der Anzahl der Haushaltsmitglieder. Eine Single-Bedarfsgemeinschaft erhielt im Dezember 2019 durchschnittlich 791 Euro. Demgegenüber lag der Pro-Kopf-Betrag in einer Partner-Bedarfsgemeinschaft mit zwei Personen beispielsweise lediglich bei 1.047 Euro und in einer Alleinerziehenden-BG mit einem Kind sogar bei nur 951 Euro. Grund hierfür sind zum einen die niedrigeren Regelsätze für Kinder, zum anderen die geringeren Pro-Kopf-Kosten für Miete und Heizung.
Entwicklung der Leistungsempfänger
Die Zahl der Empfänger von Leistungen aus der Grundsicherung war von 2006 bis zum Jahresbeginn 2020, also vor dem Beginn der weltweiten Corona-Pandemie, rückläufig. Den deutlichsten Rückgang verzeichnen die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit einem Minus von 27,5 Prozent. Die Zahl der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist im selben Zeitraum am schwächsten gesunken. Hier lag der Rückgang bei knapp 14 Prozent.
Der wirtschaftliche Aufschwung seit 2010 hat auch in der Grundsicherung für einen verhältnismäßig starken Rückgang der Empfängerzahlen gesorgt. So lag der Jahresdurchschnitt der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 2011 rund sechs Prozent unter dem des Jahres 2010. In den darauffolgenden Jahren hinkten die Rückgänge im SGB II jedoch der Entwicklung in der Arbeitslosenversicherung (SGB III) hinterher. Grund hierfür ist, dass Personen in der Grundsicherung in deutlich geringerem Umfang von wirtschaftlichen Hochphasen profitieren, da ihre Hilfebedürftigkeit in der Regel andere Gründe als eine schlechte Arbeitsmarktlage (z.B. niedrige Qualifikation, gesundheitliche oder soziale Schwierigkeiten etc.) hat.
Allerdings kam es ab 2017 aufgrund einer besonders guten Arbeitsmarktlage zu einem besonders starken Rückgang des Bezugs von SGB-II-Leistungen. Diese Dynamik wurde weiterhin begünstigt durch einen demografischen Effekt: Weil die geburtenstarken Jahrgänge verstärkt die Regelaltersgrenze erreichen, verringerte sich auch die Zahl der über 55-jährigen Leistungsempfänger; einer Zielgruppe, der besonders selten Übergange aus dem Leistungsbezug in Erwerbstätigkeit gelingt.
Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende
Die Pandemie des neuartigen Coronavirus Covid-19 führte zu weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und wirkte als exogener Schock auf den deutschen Arbeitsmarkt. Obwohl das arbeitsmarktpolitische Instrument der Kurzarbeit in ungeahntem Ausmaß eingesetzt wurde, um Entlassungen infolge der Corona-Pandemie zu vermeiden – zu Spitzenzeiten im März und April 2020 erhielten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit über zehn Millionen Beschäftigte in Deutschland Kurzarbeitergeld – hatte die Pandemie massive Auswirkungen auf das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
So stieg die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Februar bis Juli 2020 um knapp acht Prozent auf 4,08 Millionen. Die Zunahme bei den Erwerbsfähigen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende war im gleichen Zeitraum mit 8,5 Prozent noch etwas höher. Am deutlichsten fiel der Anstieg bei den Arbeitslosen im SGB II aus: Ihre Zahl wuchs seit Februar sukzessive um insgesamt fast 16 Prozent auf rund 1,65 Millionen im Juli 2020 an. Dabei verursachte die Pandemie auf mehreren Wegen diese Entwicklung: Erstens führten die (Teil-)Ausfälle der Arbeitsverhältnisse dazu, dass mehr Personen einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hatten und diesen dann auch einlösten. Die Jobcenter versuchten in Form von schnelleren Bewilligungsverfahren und vereinfachten Anträgen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, diese sprunghaft angestiegene Nachfrage zu bewältigen. Zweitens blieb wegen der Pandemie die sonst übliche „Frühjahrsbelebung“ am Arbeitsmarkt aus (siehe hierzu auch das Kapitel Interner Link: Arten der Arbeitslosigkeit). Durch das Zusammenspiel aus sehr viel weniger Arbeitsaufnahmen von Leistungsbeziehenden im SGB II und einer Vielzahl von neuen Leistungsbeziehenden kam der Rückgang des SGB-II-Leistungsbezugs der letzten Jahre zu einem abrupten Halt. Zum aktuellen Zeitpunkt (August 2020) ist noch nicht absehbar, ob und in welchem Ausmaß sich der Anstieg des Leistungsbezugs in der Grundsicherung für Arbeitsuchende fortsetzen wird .
SGB II-Hilfequote
Bezieht man den Anteil der Personen, die Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten, auf die Bevölkerung insgesamt, ergibt sich die SGB II-Hilfequote. Für das gesamte Bundesgebiet lag diese im April 2020 bei 8,5 Prozent. Damit bezog jede zwölfte in Deutschland lebende Person bis zur Regelaltersgrenze Leistungen aus der Grundsicherung.
Die Hilfequoten weisen starke regionen- und personenspezifische Unterschiede auf. So differiert der Anteil der Grundsicherungsbezieher an der Bevölkerung stark zwischen West- und Ostdeutschland sowie unter den einzelnen Bundesländern. Im April 2020 lag die Quote in den westdeutschen Bundesländern bei 7,9 Prozent (etwa jede/r Dreizehnte), während sie in den ostdeutschen Ländern 10,91 Prozent (etwa jede/r Neunte) erreichte. Im Bundesländervergleich reicht die Spannweite der Quoten von 3,9 Prozent in Bayern bis 18,3 Prozent in Bremen.
SGB II-Risikogruppen
Bestimmte Personengruppen haben ein erhöhtes Risiko der Hilfebedürftigkeit. Besonders betroffen sind beispielsweise Ausländer mit einer Hilfequote von 17,9 Prozent. Auch unter den nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten, überwiegend Kinder, ist die Hilfequote deutlich erhöht: Dreizehn Prozent leben von Leistungen aus der Grundsicherung. Frauen sind leicht stärker betroffen als Männer. Bei ihnen liegt die Hilfequote bei 7,2 Prozent gegenüber 6,9 Prozent bei den Männern. Unterdurchschnittlich betroffen sind Ältere. Personen ab 55 Jahren bis zur Regelaltersgrenze weisen mit 5,5 Prozent die geringste Hilfequote auf.
Unter den Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften sind Haushalte von Alleinerziehenden überdurchschnittlich betroffen. Über ein Drittel der Alleinerziehenden-Haushalte erhielt im März 2020 Leistungen aus der Grundsicherung. Hinzu kommt: Mit jedem im Haushalt lebenden Kind wächst das Risiko der Hilfebedürftigkeit. Zwei Drittel der Haushalte von Alleinerziehenden, in denen drei oder mehr Kinder leben, sind abhängig von Leistungen aus der Grundsicherung. Die Hilfequote von Paar-Haushalten mit Kindern liegt zum Vergleich mit sieben Prozent deutlich niedriger. Paare ohne Kinder haben das niedrigste Risiko auf Hilfebedürftigkeit. Sie sind lediglich mit 2,4 Prozent betroffen.
Erwerbstätige Bezieher von Leistungen aus der Grundsicherung
Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende können mit Einkommen aus Erwerbstätigkeit kombiniert werden. Das ist zum einen der Fall, wenn die Einkünfte einer Person oder eines Haushaltes deren Lebensunterhalt nicht vollständig abdecken, also unter dem Regelsatz der Grundsicherungsleistung liegen. Das geringe Einkommen wird dann an das Grundsicherungsniveau angeglichen. Zum anderen ist es Beziehern von Grundsicherung gestattet, in einem gewissen Umfang zu ihren Bezügen hinzu zu verdienen. Bis 100 Euro monatlich ist der Zuverdienst abgabenfrei, darüber hinaus werden Teile des Einkommens mit den Leistungen aus der Grundsicherung verrechnet.
Weil die Personen entweder ihr geringes Gehalt mit Grundsicherungsleistungen oder ihre Leistungen aus der Grundsicherung mit zusätzlichem Einkommen aus Erwerbsarbeit aufstocken, werden sie umgangssprachlich auch Aufstocker genannt. Die Bundesagentur für Arbeit verwendet den Begriff allerdings abweichend für Personen, die gleichzeitig Arbeitslosengeld I (SGB III) und Leistungen aus der Grundsicherung beziehen.
Im September 2019 waren über 1,1 Millionen beziehungsweise rund 26 Prozent aller Bezieher von Grundsicherungsleistungen erwerbstätig. Knapp ein Drittel dieser Personen arbeitet in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis, also einem Mini- bzw. 450-Euro-Job. Bei ihnen ist davon auszugehen, dass sie zu den Leistungen aus der Grundsicherung hinzuverdienen. Ein weiteres Drittel der erwerbstätigen Grundsicherungsbezieher ist teilzeitbeschäftigt. Knapp zwölf Prozent arbeiten in Vollzeit und erreicht dennoch kein Gehalt, das den Regelsatz der Grundsicherung übersteigt. Hier deckt das Arbeitseinkommen aus einer regulären, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung den Lebensunterhalt der Person oder des Haushaltes nicht ab. Besonders häufig ist das in größeren Paar-Bedarfsgemeinschaften mit Kindern der Fall, in denen nur eine Person Einkommen aus Erwerbsarbeit erzielt.
Beendigung des Leistungsbezugs
Personen, die Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, fällt es schwer, das System wieder zu verlassen. So konnten im Dezember 2019 lediglich 3,4 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ihre Hilfebedürftigkeit beenden. Zudem ist die Rückkehrwahrscheinlichkeit sehr hoch. Von den Personen, die im Jahr 2019 den Leistungsbezug beenden konnten, waren 22 Prozent innerhalb von drei Monaten erneut hilfebedürftig.
Langzeitleistungsbezug
Aufschluss über das Ausmaß des Langzeitleistungsbezugs geben die so genannten Verweildauern. Sie bilden ab, wie lange Personen zu einem bestimmten Stichtag durchgängig Leistungen aus der Grundsicherung bezogen haben und verdeutlichen die starke Verfestigung der Hilfebedürftigkeit: Fast zwei Drittel der Leistungsbezieher (61 Prozent) waren im Dezember 2019 zwei Jahre oder länger im Bezug. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Personengruppen. Ältere Menschen zwischen 50 und 65 Jahren haben beispielsweise ein erhöhtes Risiko, dauerhaft hilfebedürftig zu bleiben.
ist Politikwissenschaftlerin, seit Juni 2020 Beraterin in der Abteilung Arbeitsgestaltung und Fachkräftesicherung bei der G.I.B. mbH. Zuvor war sie von April 2017 bis Mai 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz (ISAM) und verantwortliche Redakteurin von Externer Link: O-Ton Arbeitsmarkt.
Sabrina Bersheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM) der Hochschule Koblenz. Die Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich hauptsächlich mit Fragen der Arbeitsmarktpolitik und -statistik und leitet die Redaktion "O-Ton Arbeitsmarkt. die alternative Berichterstattung" (Externer Link: www.o-ton-arbeitsmarkt.de).
ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz. E-Mail Link: sell@hs-koblenz.de
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