Arbeitszeitpolitik hat in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Wandel vollzogen. Galt besonders in den 1980er Jahren Arbeitszeitverkürzung als ein Königsweg zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit, so stand und steht seit den 1990er Jahren Arbeitszeitflexibilisierung im Zentrum der Debatte. Seit einigen Jahren wird ergänzend eine intensive Debatte über längere Lebensarbeitszeiten geführt.
Das Arbeitszeitgesetz
Externer Link: Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten); ausgenommen sind nur einige Personengruppen und Branchen, beispielsweise Chefärzte, Soldaten, Beamte, Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen und insbesondere Personen unter 18 Jahren, für diese gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz.
Das Arbeitszeitgesetz regelt die tägliche Arbeitszeit, Pausen, Ruhezeiten, Mehrarbeit, Nachtarbeit und Sonn- und Feiertagsarbeit. Die werktägliche gesetzliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Dabei gelten branchenspezifische Ausnahmen, z.B. in der Landwirtschaft oder im Rundfunk. Werktage sind auch die Samstage, das Gesetz legt also den Rahmen einer 48-Stunden-Woche fest. Jugendliche dürfen nach dem Gesetz nicht mehr als acht Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden wöchentlich beschäftigt werden.
Weitere wichtige zu beachtende Gesetze sind das Externer Link: Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sowie das Externer Link: Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) . Die Arbeitszeit bildet zudem einen der zentralen Regelungsbestände der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung.
Arbeitszeit: Verkürzen, verlängern, flexibilisieren?
In den 1980er Jahren sahen insbesondere die Gewerkschaften die Möglichkeit, mittels Arbeitszeitverkürzung auch einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu leisten. Dies ist möglich, wenn vorhandene Arbeit auf mehr Personen verteilt wird. Die Einführung der 35-Stunden-Woche war in dieser Zeit das zentrale Ziel der Gewerkschaften. Gegner der Arbeitszeitverkürzung betonen, dass das Arbeitsvolumen keine beliebig verteilbare Größe sei, die einfach auf unterschiedlich viele Köpfe verteilt werden kann.
Verkürzen
Arbeitszeitverkürzung kann durch eine Verkürzung der täglichen, wöchentlichen, jährlichen oder der Lebensarbeitszeit erreicht werden. Von den Gewerkschaften wurde häufig Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich gefordert, der bisher gezahlte Lohn sollte weiter gelten. Für die Arbeitgeber sind Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich nichts Anderes als Lohnerhöhungen, die ihrer Ansicht nach der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entgegenstehen.
Empirische Untersuchungen zu den Arbeitszeitverkürzungen in den 1980er Jahren kamen zu dem Ergebnis, dass die positiven Beschäftigungswirkungen der kostenneutralen Arbeitszeitverkürzungen gut belegt sind. Der Beschäftigungseffekt bewegte sich danach in einer Größenordnung von etwa 50 Prozent des rechnerisch möglichen Maximalwertes. Gleichzeitig gab es aber auch Hinweise, dass die Arbeitszeitverkürzungen zu einer Zunahme der Schwarzarbeit geführt hatten. Spätere Untersuchungen kommen zu skeptischeren Ergebnissen. Danach haben Arbeitszeitverkürzungen nicht zu der erhofften Beschäftigungsausweitung geführt, vor allem wegen des durchgesetzten Lohnausgleichs. Teilweise kamen Studien auch zu Beschäftigungsverlusten. Insgesamt ist wissenschaftlich unklar, welche Beschäftigungseffekte durch Arbeitszeitverkürzungen entstehen. Bekanntestes Beispiel, betriebsintern durch Arbeitszeitverkürzungen Entlassungen zu vermeiden, war die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen.
InfoVW-Modell
Um die Entlassung vieler Beschäftigter zu vermeiden, wurde durch den im Dezember 1993 verwirklichten Haustarifvertrag bei Volkswagen die Arbeitszeit rigoros von 36 auf 28,8 Std. in der Woche bei einer Viertagesschicht reduziert. Das Jahresentgelt der Beschäftigten wurde dabei um etwa 20 Prozent reduziert. Um die Monatseinkommen in etwa zu halten wurden vier Zulagen aufgestockt und die Sonderzahlungen sowie das Tarifsurlaubsgeld auf die Monatseinkommen umgerechnet. Die durch VW zu finanzierenden Arbeitskosten gingen um 10,5% zurück. Der Verzicht auf Lohnausgleich wurde im Gegenzug mit der Zusage belohnt, während der Gültigkeit des Tarifvertrages keine Entlassungen vorzunehmen.
Stark genutzt wurden früher Instrumente der Lebensarbeitszeitverkürzung durch frühzeitigen Übergang in den Ruhestand, wie Vorruhestands- und Altersübergangsgeld oder das Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen (§ 428 SGB III, früher § 105c AFG; siehe auch
Verlängern
Verschiedene Wissenschaftler und auch Politiker fordern aus beschäftigungspolitischer Sicht inzwischen eine Verlängerung der Arbeitszeit. So sprach das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft davon, dass eine Wochenarbeitsverlängerung von einer Stunde kurzfristig bis zu 60.000 Arbeitsplätze schaffen könnte. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich eine Absenkung der Stundenlöhne und bei gegebener Produktivität damit der Lohnstückkosten darstelle. Wenn diese Kostensenkungen durch Preissenkungen an die Konsumenten weitergegeben würden, könne dies zu einer erhöhten Binnennachfrage und im Gefolge zu wirtschaftlichem Aufschwung und damit verbundenen Beschäftigungseffekten führen.
InfoIfo Standpunkt
"Wenn länger gearbeitet wird, steigt die Produktivität des einzelnen Arbeitnehmers. Da die Lohnkosten pro Kopf nicht steigen, lohnt es sich für den Unternehmer, mehr Leute einzustellen. Bei der alten Arbeitszeit gab es Arbeiter, die vor den Werktoren blieben, weil sie dem Unternehmer nicht ganz das liefern konnten, was sie kosten. Viele dieser Arbeitnehmer werden für den Unternehmer rentabel, weil sie wegen der längeren Arbeitszeit nun mehr liefern, als sie kosten. Sie werden eingestellt, weil es dem Unternehmer auf diese Weise gelingt, seinen Gewinn noch mehr zu steigern, als es bereits durch die Mehrarbeit der Stammbelegschaft der Fall ist."
Ifo Standpunkt Nr. 59 vom 18.11.2004
Umgesetzt wurde bereits die Anhebung des Renteneintrittsalters, also eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Die Altersgrenze für die Regelaltersrente ohne Abschläge wird seit 2012 und noch bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Angefangen mit dem Geburtsjahrgang 1947 wird die Altersgrenze bis 2023 um jährlich einen Monat angehoben. Für langjährig Versicherte, die mindestens 45 Jahre Versicherungszeit vorweisen können, gilt: Wer vor 1953 geboren wurde, konnte die Altersrente für besonders langjährig Versicherte abschlagsfrei ab dem 63. Lebensjahr erhalten. Ab Geburtsjahrgang 1953 wird die Altersgrenze stufenweise vom 63. auf das 65. Lebensjahr angehoben. Ab dem Geburtsjahrgang 1964 liegt sie beim 65. Lebensjahr. Langjährig Versicherte mit mindestens 35 Beitragsjahren können die Altersrente jedoch bereits ab 63 vorzeitig in Anspruch nehmen, allerdings mit einem Abschlag von 3,6 Prozent pro Jahr des vorzeitigen Rentenbezugs. Mit diesen Neuregelungen ist, nachdem die gesetzliche Regelaltersgrenze von 65 Jahren fast 100 Jahre lang stabil geblieben war, ein erheblicher Einschnitt erfolgt.
Flexibilisieren
Neben Veränderungen der wöchentlichen oder Lebensarbeitszeit kann Arbeitszeitflexibilisierung Gegenstand der Arbeitszeitpolitik sein. Unter flexiblen Arbeitszeiten versteht man Arbeitszeitmodelle, die eine stetige Wahl vonseiten des Arbeitgebers, des Arbeitnehmers oder beider hinsichtlich des Umfangs und der zeitlichen Verteilung der Arbeitszeit vorsehen. Arbeitszeitmodelle, die eher mit Flexibilitätsanforderungen vom Betrieb einhergehen sind beispielsweise Mehrarbeit, Nacht- und Schichtarbeit oder Bereitschaftsdienst. Arbeitszeitmodelle, die eher mit Flexibilisierungsmöglichkeiten für Beschäftigte einhergehen sind beispielsweise Jobsharing, Gleitzeit, Wahlarbeitszeit, Jahresarbeitszeit oder Sabbaticals. Andere Arbeitszeitmodelle (die sowohl eher mit Flexibilitätsanforderungen der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer einhergehen können) sind beispielsweise Telearbeit, Altersteilzeit oder Teilzeitarbeit.
Gerade Arbeitgeber(verbände) fordern in den Arbeitszeitdebatten in erster Linie, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten, also beispielsweise auch Wochenendarbeit ohne besondere Zuschläge zu ermöglichen, flexible Arbeitszeitkonten einzurichten oder Arbeit auf Abruf zu ermöglichen. All dies hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Für viele Unternehmen (je nach Branche) sind die Betriebszeiten ein wichtiger Faktor, also Maschinenlaufzeiten, Nutzung teurer Anlagen, Ladenöffnungszeiten. Vielfältigste Arbeitszeitarrangements und -flexibilisierungen dienen der Optimierung der Betriebszeiten. So nimmt beispielsweise die Schichtarbeit deutlich zu. Arbeiteten 1995 nur rund zehn Prozent der Beschäftigten in Schichtarbeit, waren es 2016 bereits 17 Prozent. 43 Prozent der Beschäftigten arbeiten mindestens einmal im Monat am Wochenende. Mehr als die Hälfte dieser Beschäftigten arbeitet nicht nur an Samstagen, sondern auch an Sonn- und Feiertagen.
Die fortschreitende Technisierung und Vernetzung ermöglicht es den Beschäftigten aber auch, die Arbeitszeit selbstbestimmter zu gestalten, die Arbeitsintensität zu reduzieren und damit die Zeitsouveränität zu verbessern. Dies gilt gerade für administrative bzw. kaufmännische Tätigkeiten. Digitale Arbeitsmittel wie Smartphones, Laptops, Tablets, aber auch Cloudcomputingsysteme erlauben es, von zu Hause oder von unterwegs zu arbeiten. Dabei können die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. So berichteten in einer repräsentativen Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2015 22 Prozent der Befragten, dass ihr Arbeitsumfeld von ihnen erwartet, auch im Privatleben für dienstliche Angelegenheiten erreichbar zu sein. Bei der Einschätzung des gesundheitlichen Befindens sowie der Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance und der Arbeit insgesamt spielt die subjektiv empfundene Zumutbarkeit, ständig erreichbar zu sein, eine wichtige Rolle.
Aufgabe der Sozialpartner wird es daher zunehmend, auf tariflicher sowie betrieblicher Ebene praktikable und faire Lösungen für flexible Arbeitszeitmodelle zu entwickeln.
Arbeitszeitkonten
Arbeitszeitkonten sind Zeitkonten für jeden Beschäftigten, auf dem die täglichen Abweichungen von der tatsächlich geleisteten und der vereinbarten Arbeitszeit festgehalten werden. Daraus ergeben sich Zeitguthaben oder Zeitschulden, die in einem bestimmten Zeitraum ausgeglichen werden müssen. Grundsätzlich lassen sich Kurzzeit- und Langzeitkonten unterscheiden.
Langzeitkonten ermöglichen das langfristige Ansparen mit dem Ziel der längerfristigen Freistellung, etwa für Qualifizierung oder Weiterbildung, Kinderbetreuung oder Pflege, für den Übergang in die Altersrente oder für ein "Sabbatical" (längere Unterbrechung der Arbeit). Daneben kann man ein Wertguthaben aber auch bei Verringerung der Arbeitszeit und Wechsel auf einen Teilzeitarbeitsplatz einsetzen, um das Teilzeitentgelt aufzustocken. Sie umfassen mehrere hundert Arbeitsstunden. Der Ausgleichszeitraum erstreckt sich über viele Jahre. Sie gelten in Unternehmen als Instrument der Personalbindung und Qualifizierungen. Allerdings führen nur zwei Prozent aller Unternehmen in Deutschland für ihre Beschäftigten Langzeit- oder Lebensarbeitszeitkonten.
Um die Akzeptanz zu erhöhen und die Regelungen sozialpolitisch abzusichern gilt seit 2009 das Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen, kurz „Flexi II“ genannt. Dem Gesetz zufolge dürfen Langzeitkonten nur noch in Geld und nicht mehr in Zeit geführt werden, wobei es jedoch Übergangsregelungen gibt. Arbeitgeber sind zudem verpflichtet, die Wertguthaben ihrer Mitarbeiter für einen möglichen Insolvenzfall durch eine doppelhändige Treuhand oder ein gleichwertiges Sicherungsmodell zu schützen. Außerdem gibt es bei einem Wechsel des Arbeitgebers eine begrenzte Mitnahmemöglichkeit von Langzeitkonten: Ab Juli 2009 können Arbeitnehmer ihr Wertguthaben beim Ausscheiden aus dem Unternehmen ab einer gewissen Mindestgröße komplett auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen. Das Guthaben können die Arbeitnehmer dann für die im Gesetz benannten Zwecke über die Deutsche Rentenversicherung Bund abbauen. Der Staat unterstützt diese Flexibilisierung, indem er während der Ansparzeit Sozialversicherungsbeiträge und Steuern auf die angesparte Summe stundet. Erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das angesparte Arbeitsentgelt für eine Freistellung oder Verringerung der Arbeitszeit zur Aufstockung genutzt wird, müssen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern gezahlt werden.
Für Gleitzeit-, Beschäftigungssicherungs- oder Kurzzeitkonten, also Arbeitszeitkonten im Allgemeinen, gilt das "Flexi II" allerdings nicht. Diese Konten dienen der flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit. Im Jahr 2018 hatten insgesamt mindestens 55 Prozent der Beschäftigten Regelungen zu Arbeitszeitkonten, wobei die Verbreitung zwischen den Wirtschaftsbereichen stark streut. Sie sind laut einer Befragung von Betriebsräten aber in rund 74 Prozent aller Unternehmen verbreitet.
Maßnahmen der Arbeitszeitpolitik halfen wesentlich dabei, die Folgen der Banken- und Finanzkrise beschäftigungspolitisch abzufedern. Ohne den Einsatz von Kurzarbeit, den Abbau von Überstunden sowie die Nutzung von Arbeitszeitkonten und betrieblichen Arbeitszeitverkürzungen wäre die Zahl der Erwerbstätigen in der Krise nach Schätzungen des IAB um etwa 1,5 Millionen gesunken, die Arbeitslosenzahl um mehr als eine Million in die Höhe geschnellt.
Arbeitszeiterfassung
Zur Arbeitszeiterfassung gab es 2019 ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 14. Mai 2019, C-55/18). Dieser hat entschieden, dass die Mitgliedsstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemessen werden kann. Es reiche nicht aus, nur die Zeiten aufzeichnen zu lassen, die acht Stunden überschreiten. Vielmehr müssen Beginn und Ende der Arbeitszeit von Anfang an aufgezeichnet werden.
Daten
Für Analysen der Dauer der Arbeitszeit ist zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlicher geleisteter Arbeitszeit zu differenzieren. Die Hälfte der Beschäftigten hat als wöchentliche Arbeitszeit maximal 38,5 Stunden vereinbart, für den anderen Teil der Beschäftigten gilt laut Vertrag eine Wochenarbeitszeit von mehr als 38,5 Stunden. Betrachtet man die Entwicklung der tariflichen Jahresarbeitszeit in Stunden in Deutschland, so zeigt sich, dass die Veränderungen minimal sind und in Westdeutschland seit zwanzig Jahren keine Veränderungen erfolgt sind.