Der Transformationsschock in Ostdeutschland
Die deutsche Einigung begann mit einer euphorischen Perspektive: In drei bis fünf Jahren sollten in Ostdeutschland „blühende Landschaften“ und einheitliche Lebensverhältnisse entstehen, so der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Auch die Finanzierung wurde wenig problematisch gesehen, sie sollte durch Wirtschaftswachstum erfolgen, nicht etwa durch Steuererhöhungen – die Finanzminister Theo Waigel kategorisch ablehnte.
Diese optimistischen Prognosen konnten sich allerdings kaum auf die ökonomische Realität der DDR-Wirtschaft berufen. Im September 1989 hatten führende Mitglieder des Politbüros bereits befürchtet, die DDR könne noch im selben Jahr zahlungsunfähig werden. Der Kapitalstock war in weiten Teilen technisch veraltet, die Infrastruktur heruntergewirtschaftet und die Umwelt auf Jahrzehnte mit Schadstoffen belastet. Die verdeckte Arbeitslosigkeit war hoch und das Produktivitätsniveau je Erwerbstätigen wurde auf gerade 30 bis 50 Prozent des Westniveaus geschätzt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie wurde von den zuständigen Ministerien der DDR im Mai 1990 so beurteilt, dass knapp ein Drittel der Betriebe rentabel sei und ohne Fördermittel auskommen könne; gut die Hälfte arbeite mit Verlust, sei aber sanierungswürdig; 14 Prozent der Betriebe seien konkursgefährdet.
Die rasche und abrupte Öffnung der DDR-Wirtschaft für die Weltmarktkonkurrenz, der viele Wirtschaftsexperten kritisch gegenüberstanden, wirkte auf die Volkswirtschaft Ostdeutschlands wie ein weiterer Schock. Er wurde durch die mit der Währungsunion und dem Umtauschkurs verbundene Aufwertung der DDR-Währung in einer Größenordnung von 300 bis 400 Prozent noch zusätzlich verstärkt. Hinzu kam der Rückgang der inländischen Nachfrage, da die „neuen“ Bundesbürger nun Produkte aus dem Westen präferierten und auch die volkswirtschaftlich relevanten Absatzmärkte in Osteuropa weitgehend ausfielen. Dazu kam die Regelung des Einigungsvertrages, die den Rechten der Alteigentümer des Vermögens der ehemaligen DDR Vorrang vor den Rechten ihrer jetzigen Nutzer oder potentiell neuer Eigentümer gab. Dies hat sich als Investitions- und Privatisierungshindernis erwiesen. Diese Vorfahrtsregelung für Alteigentümer schränkte die Treuhand bei Veräußerungsentscheidungen ein und verhinderte die Beschaffung von Fremdkapital auf dem Kapitalmarkt.
Im Ergebnis sank 1990 das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland um 17,3 Prozent, 1991 gar um 34,8 Prozent. Die Arbeitsmarktbilanz dieser ersten Phase der Vereinigung war verheerend. Von den 9,75 Millionen Erwerbstätigen Ende 1989 waren zwei Jahre später nicht einmal mehr die Hälfte voll erwerbstätig. 550.000 waren in Vorruhestand gegangen, 800.000 in den Westen abgewandert, 400.000 Pendler (Saldo), 1,3 Millionen Kurzarbeiter, 800.000 in sonstigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und 1,1 Millionen arbeitslos.
Die ostdeutsche Industrieproduktion sank rapide, so dass 1991 die industrielle Leistung nur noch ein Drittel derjenigen von 1989 betrug. Die anfangs erwarteten Milliardenerträge aus den Verkäufen der Treuhandanstalt konvertierten zu einem gigantischen Schuldenberg. Während der damalige Präsident der Treuhandanstalt Detlev Rohwedder im Oktober 1990 schätzte, dass durch Privatisierung ein Erlös in der Größenordnung von 600 Milliarden DM zu erreichen, stand am Ende ein Minus von etwa 350 Milliarden DM.
Die Treuhandanstalt privatisierte die Betriebe im Osten so schnell und so preiswert wie möglich. Die ostdeutschen Firmen wurden von privaten Investoren aufgekauft, doch statt Sanierung zu betreiben und dadurch Arbeitsplätze zu sichern, wurden diese Betriebe vielfach stillgelegt. Man empfand sie als Konkurrenz, zumal der Bedarf im Osten mit den Kapazitäten aus dem Westen voll gedeckt werden konnte. Die neuen Bundesländer waren zwar als Absatzmarkt willkommen, aber als Produktionsstandort kaum nachgefragt, höchstens als verlängerte Werkbank. Aber ohne eine wettbewerbsfähige Industrie und eigenständige Forschung konnten die neuen Bundesländer nicht auf eigenen Beinen stehen, zumal auch der industrielle Mittelstand fast völlig fehlte.
Erst ab 1992, bedingt vor allem durch Zuwächse im Baugewerbe und im Dienstleistungsbereich, stieg das BIP in Ostdeutschland bis 1994 in einer jährlichen Größenordnung von etwa neun Prozent wieder an.
Der Rückgang der Erwerbstätigkeit verlief in den einzelnen Wirtschaftsbereichen extrem unterschiedlich. Den sehr frühzeitig erfolgten drastischen Rückgängen in der Land- und Forstwirtschaft (bis November 1994 auf 27 Prozent der Ausgangsbeschäftigung), im Bergbau und der Energiewirtschaft (auf 36 Prozent), in der Metall- und Elektroindustrie sowie im übrigen verarbeitenden Gewerbe (auf 49 bzw. 55 Prozent) standen deutliche Zuwächse im Bereich Banken/Versicherungen (auf 266 Prozent) und im Bau (auf 115 Prozent) gegenüber. 1994 hatte sich die ostdeutsche Erwerbstätigenstruktur stark der Struktur in Westdeutschland angenähert. Lediglich in den Sektoren Handel und Verkehr sowie bei den Dienstleistungen lag der Anteil der ostdeutschen Erwerbstätigen auffallend unter den Anteilen der westdeutschen, während er im Bereich Staat/private Haushalte deutlich darüber lag. Zudem blieb der Anteil der Selbständigen an den Erwerbspersonen in Ostdeutschland deutlich geringer als in Westdeutschland.
Seit 1995 ist der Aufholprozess in den neuen Ländern angesichts des weithin gedeckten Nachholbedarfs bei den Bauinvestitionen indes ins Stocken geraten. Seit 1997 liegen die Zuwächse des BIP in Ostdeutschland häufig sogar unter denen in Westdeutschland.
Im Jahr 2005 erreichte das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zwei Drittel des westdeutschen Niveaus, je Erwerbstätigen gerechnet betrug die Wirtschaftsleistung aber schon drei Viertel des in den alten Bundesländern gemessenen Wertes. Bei den Lohnstückkosten besitzt die ostdeutsche Wirtschaft inzwischen durch hohe Produktivitätszuwächse volle Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Westen. Dennoch wurden aus öffentlichen Quellen Jahr für Jahr etwa 80 Milliarden Euro (netto) von West- nach Ostdeutschland transferiert. Die gesamten Vereinigungskosten für die Zeit von 1990 bis 2009 wurden in einer Studie der Freien Universität Berlin (siehe Zum Weiterlesen) auf netto 1,6 Billionen (brutto: 2 Billionen) Euro beziffert. Rund ein Viertel der Nachfrage in den neuen Ländern wird auf diese Art und Weise finanziert. Der größte Teil der Mittel stammt dabei vom Bund bzw. den Sozialversicherungen, nur ein kleiner Teil von den westdeutschen Ländern. Mit den Transfers werden dabei vor allem sozialpolitische Ausgaben in den neuen Ländern finanziert, denn aufgrund des Unterschiedes zwischen Beitragseinnahmen und Ausgaben besteht insbesondere in der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung eine erhebliche Diskrepanz.
Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit seit der Vereinigung
In Westdeutschland bescherte die Öffnung des ostdeutschen Marktes den westdeutschen Unternehmen eine Sonderkonjunktur (sog. Vereinigungsboom), mit einer Wachstumsrate von 5,7 Prozent im Jahre 1990 (der höchsten seit 1969) und 5 Prozent im Jahre 1991, die auch beschäftigungswirksam waren und selbst positive Einflüsse auf die Zahl der Langzeitarbeitslosen hatte. Als die Schwäche der Weltkonjunktur hier zeitversetzt eintrat und der für Ostdeutschland erhoffte fulminante Aufschwung weiter ausblieb, rutschte die Bundesrepublik 1993 in eine tiefe Krise. Das Bruttoinlandsprodukt sank 1993 in Westdeutschland um zwei Prozent, das war der bis dato größte Einbruch der Nachkriegsgeschichte. Auch nach dieser Krise blieben die deutschen Wachstumsraten in den neunziger Jahren hinter denen vieler anderer Länder zurück, so dass die hohe Arbeitslosigkeit nicht nur nicht abgebaut wurde, sondern im Verlauf der neunziger Jahre weiter zunahm. Die Gründe sind umstritten. Einige Ökonomen führten beispielsweise die zu zaghaften Deregulierungen, zu großzügig ausgestaltete soziale Sicherungsleistungen und zu hohe Löhne an. Andere beklagten die hohen Steuern und Sozialabgaben in Deutschland, die aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht aus dem Rahmen fielen. Wieder andere sahen beispielsweise den restriktiven geldpolitischen Kurs der Bundesbank und den haushaltspolitischen Sparkurs als Hauptschuldige.
ZitatPeter Bofinger
"Fehler wurden jedoch nicht nur in Ost-Deutschland gemacht. Enorm geschadet hat es der westdeutschen Wirtschaft, dass die Lasten der Einheit vor allem den Sozialen Versicherungssystemen aufgebürdet wurden, (…). Zu den Hypotheken der neunziger Jahre zählt auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Er ist das Produkt einer von deutschen Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern geschürten Panik vor der Europäischen Währungsunion. (…) Alle Politikfehler der neunziger Jahre wirken bis heute nach. Die durch die deutsche Einheit und die Aufwertung der D-Mark ausgelöste Wachstumsschwäche hat zu steigender Arbeitslosigkeit und hohen Sozialabgaben geführt."
Bofinger, Peter (2005): Wir sind besser, als wir glauben. München, S. 53f.
Das Angebot an Arbeitskräften (Erwerbspersonenpotenzial) stieg bis zur Jahrhundertwende kontinuierlich, blieb anschließend ein Jahrzehnt annähernd konstant und steigt seit 2011 jährlich. Die Zahl der Erwerbstätigen nahm trotz steigendem Erwerbspersonenpotenzials bis 1997 nicht zu und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank sogar erheblich. Erst danach setzte ein positiver Trend ein, der von der Rezession, die aus dem abrupten Ende des Booms in der IT- und Kommunikationsbranche 2000/2001 resultierte, gestoppt wurde. Während die Zahl der Erwerbstätigen bis 2006 zumindest relativ konstant blieb, setzte im Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine neue Talfahrt ein, die im Jahr 2006 ihren Tiefpunkt hatte. Seitdem steigen die Zahlen sowohl der Erwerbstätigen als auch der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten praktisch jährlich an (mit einer minimalen Delle bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Jahr 2009 aufgrund der Banken- und Finanzkrise). Mit fast 45 Millionen Erwerbstätigen und fast 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen konnten im Jahr 2018 neue Rekordmarken erzielt werden.
Der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung findet besonderes politisches und öffentliches Interesse, weil auf ihr überwiegend die Finanzierung des Sozialstaates ruht. Häufig wird geäußert, dass eine alternde und schrumpfende Bevölkerung sowie die hohe Zahl an Arbeitslosen die Sozialversicherungen zu sehr belasten. Zwar steigt tatsächlich das Lebensdurchschnittsalter, allerdings steigt auch die Bevölkerungszahl (von 2010 bis 2018 um über zwei Millionen), die Geburtenzahlen steigen (um 110.000 seit 2010) und die Arbeitslosigkeit sinkt.
Betrachten wir das potentielle Arbeitsangebot und die Nachfrage nach Arbeit ergibt sich für das Jahr 2018 folgendes Bild:
Der beste Indikator zur Ermittlung der Entwicklung der tatsächlich nachgefragten Arbeit ist das Arbeitsvolumen. Das Arbeitsvolumen umfasst die insgesamt von den Arbeitnehmern und Selbständigen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.
Wie die Abbildung zeigt, lag das realisierte Arbeitsvolumen 2010 auf dem Niveau des Jahres 2000. Seitdem ist auch beim Arbeitsvolumen ein stetiger Aufwuchs zu verzeichnen. Trotz der Zunahme der Teilzeitquote inkl. vieler Mini-Jobs nimmt also das gesamte volkswirtschaftlich realisierte Arbeitsvolumen zu. Diese Entwicklungen bestätigen weder die Thesen zum Ende der Arbeitsgesellschaft noch die unter wenig präzisen Begriffen geführten Diskussionen zu „Arbeit 4.0“ bzw. „Industrie 4.0“, nach denen technologische Entwicklungen die Arbeit nicht nur verändern, sondern auch reduzieren.
Arbeitslose und offene Stellen
Ein weiterer wichtiger Indikator bei der Betrachtung des Arbeitsmarktes ist das Verhältnis Arbeitsloser zu offenen Stellen. Da aber Arbeitgeber nur einen Teil der zu besetzenden Stellen auch den Arbeitsagenturen melden und die Zahl der registrierten Arbeitslosen nicht das gesamte Ausmaß der Unterbeschäftigung wiederspiegelt (und schon gar nicht das gesamte Ausmaß Stellensuchender), sind die offiziellen Daten hier kaum aussagekräftig.
Ein Teil der gemeldeten Stellen kann aus unterschiedlichen Gründen nicht (sofort) besetzt werden. Der Bestand an unbesetzten Stellen ist zunächst eine Momentaufnahme der laufenden Entstehung und Besetzung offener Stellen. Dauert die Besetzung überdurchschnittlich lange, kann dies verschiedene Gründe haben. Beispielsweise können die Ansprüche der Arbeitgeber zu hoch sein oder den Arbeitsagenturen gelingt es nicht, die gesuchten Personen "herauszufiltern". Offene Stellen, die über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden, können aber auch auf einen Arbeitskräftemangel hindeuten. Als statistische Messgröße wird hier häufig die Vakanzzeit herangezogen. Die Vakanzzeiten offener Stellen steigen seit Jahren stetig an. Die Vakanzzeit gibt an, wieviel Zeit zwischen der frühestmöglichen Besetzung der Stelle und der Löschung (Abgang) aus dem Angebot der BA vergeht. Da die Vakanzzeit nur auf Basis der bei der BA gemeldeten Stellen und als Abgangsgrund auch Löschung des Angebots und Nichtbesetzung möglich ist, ist auch diese medial gerne genutzte Kennziffer wenig aussagekräftig. Ebenso wenig sind die steigenden Vakanzzeiten (die durchschnittliche Vakanzzeit stieg von 63 Tagen im Jahr 2007 auf knapp über 100 Tage im Jahr 2017) ein Hinweis darauf, dass die Bundesagentur für Arbeit unzureichendere Arbeit bei der Besetzung gemeldeter Stellen leistet.
Die Frage inwieweit Fachkräftemangel besteht wird kontrovers diskutiert. In einer idealtypischen neoklassischen Logik (siehe Artikel Interner Link: „Arbeitsmarkttheorien“) kann es Fachkräftemangel so wenig geben wie Arbeitslosigkeit. Denn so wie Arbeitslosigkeit durch die Anpassung der Löhne nach unten abgebaut werden kann, kann Arbeitskräftemangel durch entsprechend gute Löhne und Arbeitsbedingungen verhindert werden.
Von einem flächendeckenden Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel wird auch nur selten berichtet. In der Regel wird ein Mangel in gewissen Branchen und/oder Regionen beklagt. Häufig liegt dies daran, dass Arbeitgeber der Branche oder Region zu wenig ausgebildet haben oder ihre Löhne und andere Arbeitsbedingungen sind wenig attraktiv.
Migration und Arbeitsmarkt
Durch Zuwanderung kann das Erwerbspersonenpotenzial erhöht werden und einem eingetretenen oder befürchteten Arbeitskräftemangel entgegengesetzt werden. Da die potenziellen Zuwanderer nicht zwingend ausreichende Sprachkenntnisse und passende Qualifikationen mitbringen, ist eine solche Form der Erhöhung des Erwerbspersonenpotenziales teuer und zeitintensiv. Gleichwohl wird gerade in Bereichen, in denen qualifizierte Arbeitskräfte (Fachkräfte) gebraucht werden, gerne auf notwendige Zuwanderung verwiesen (siehe hierzu die bpb-Übersichtsseite zu Migration). Die Politik hat in den letzten Jahren viele Initiativen ergriffen, Zuwanderung von Arbeitskräften zu erleichtern, von denen im Folgenden einige beispielhaft kurz genannt werden.
Als Reaktion auf den diskutierten Fachkräftemangel hat die damalige Bundesregierung im Juni 2011 ein Externer Link: Konzept zur Fachkräftesicherung beschlossen. Das Konzept führt fünf Pfade zur Sicherstellung der zukünftigen Fachkräftebasis an. Diese umfassen neben Maßnahmen, die vor allem auf die Ausweitung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen zielen, auch die internationale Rekrutierung von Fachkräften. Konkret wird in dem Fachkräftesicherungskonzept unter anderem die gezielte Vermittlungsaktivität der Bundesagentur für Arbeit angeführt sowie die Aussetzung der Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit für Ärzte und Ingenieurberufe.
Seit April 2012 ist das "Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“ ("Anerkennungsgesetz“) in Kraft. Mit dem Gesetz soll Fachkräften aus anderen Ländern ein Anreiz gegeben werden, in Deutschland zu arbeiten. Zudem soll Menschen, die ihre Berufsqualifikationen im Ausland erworben haben, eine qualifikationsnähere Beschäftigung im deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Das Gesetz sieht einen Rechtsanspruch auf Überprüfung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit dem deutschen Referenzberuf vor. Danach soll innerhalb von drei Monaten in einem bundeseinheitlichen Verfahren geprüft werden, ob die in anderen Ländern erworbenen Qualifikationen den deutschen Standards entsprechen und anerkannt werden. Das Gesetz regelt insgesamt knapp 500 Berufe, darunter rund 350 Ausbildungsberufe im dualen System. Allerdings betrifft das Anerkennungsgesetz nur Berufe, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen, wie zum Beispiel Arzt oder Kranken- und Altenpfleger. Berufe, die in die Zuständigkeit der Länder fallen wie zum Beispiel Lehrer, sowie Hochschulabschlüsse oder akademische Anerkennungen werden nicht vom Anerkennungsgesetz geregelt.
Ein weiteres Steuerungsinstrument für die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte stellt die Blaue Karte EU (Blue Card EU) dar. Damit soll hochqualifizierten Menschen aus Drittstaaten der EU ein auf höchstens vier Jahre befristeter Aufenthalt in der EU zum Zweck der Erwerbstätigkeit ermöglicht werden. Die Blaue Karte EU basiert auf der Richtlinie 2009/50/EG (Hochqualifiziertenrichtlinie) der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahr 2009 und ist in Deutschland mit dem Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union seit dem 1. August 2012 in Kraft getreten.
Die näheren Erteilungsvoraussetzungen der Blauen Karte EU finden sich im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in § 19a. Das nach § 19 a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erforderliche Gehalt, das der Hochqualifizierte mindestens beziehen muss, beträgt zwei Drittel, in einigen Fällen (sogenannte Mangelberufe) 52 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung. Auf eine Vorrangprüfung wird verzichtet. Anders als beispielsweise in Frankreich, wird auf den Nachweis von Sprachkenntnissen der Landessprache verzichtet. Fast 90 Prozent aller Blue Cards in Europa entfallen auf Deutschland. Die Zahl der erteilten Blue Cards in Deutschland stieg von knapp 12.000 im Jahr 2014 auf über 27.000 im Jahr 2018.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gibt Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten das Recht, ihren Arbeitsplatz innerhalb der EU frei zu wählen. Sie benötigen keine Arbeitserlaubnis. Sie haben in jedem anderen Mitgliedstaat den gleichen Zugang zu Beschäftigung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das heißt, sie und ihre Familienangehörigen haben dort ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit. Seit Mai 2011 gilt für die 2004 beigetretenen EU-Mitgliedstaaten Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit, für die 2007 beigetretenen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien gilt diese seit Januar 2014, für das im Jahr 2013 beigetretene Kroatien seit 1. Juli 2015.
Eine weitere Erleichterung der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte soll durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz erfolgen. Dieses wurde am 15. August 2019 erlassen und tritt im Wesentlichen am 1. März 2020 in Kraft. Für die qualifizierte Beschäftigung dieser Fachkräfte wird auf die sogenannte „Vorrangprüfung“ verzichtet. Möchten Unternehmen eine neue Position mit einem Drittstaatsangehörigen besetzen, müssen sie sich zukünftig nicht mehr auf die Positivliste und die dort aufgeführten Mangelberufe beschränken.
Während die genannten Regelungen sich auf eine zielgerichtete Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte richten, hatte der starke Anstieg an Flüchtlingen insbesondere im Jahr 2015 andere Gründe und Ursachen (siehe hierzu die bpb-Themenseite Flucht und Asyl). Nichtsdestotrotz haben anerkannte Flüchtlinge uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
In der Bilanz ist die Zahl der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren deutlich angestiegen: Im Zeitraum von 2011 bis 2017 um 34 Prozent. Die mindestens alle zwei Jahre erscheinenden Integrationsberichte der Bundesregierung (den 12. Bericht aus dem Jahre 2019 finden Sie Externer Link: hier) geben Auskunft über die wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich.
Im Jahr 2017 lebten über 19 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (das Merkmal Migrationshintergrund beschreibt Personen, die selbst oder deren Vorfahren aus einem anderen Staat eingewandert sind) in Deutschland. Dies sind etwa viereinhalb Millionen mehr als noch 2010. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund teilt sich fast hälftig in Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Die größten Gruppen sind Spätaussiedler, vor allem aus der früheren Sowjetunion, Menschen aus Polen und Rumänien sowie aus der Türkei.
Die Zahl der ausländischen Bevölkerung, also Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen von knapp sieben Millionen im Jahr 2011 auf knapp 11 Millionen im Jahr 2018. Die Stadtstaaten Berlin (18,5 Prozent), Bremen (18,1 Prozent) und Hamburg (16,4 Prozent) haben die höchsten Ausländeranteile. Seitens der Flächenländer haben Hessen (16,2 Prozent) und Baden-Württemberg (15,6 Prozent) die höchsten Anteile. Die niedrigsten Anteile finden sich in den neuen Ländern. Hier liegt der Anteil in allen Bundesländern bei unter fünf Prozent und damit deutlich unter dem Anteil der westdeutschen Bundesländer. Den geringsten Anteil mit 4,5 Prozent hat Mecklenburg-Vorpommern.