Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Israel und Gaza in den arabischen Medien | Antisemitismus | bpb.de

Antisemitismus Was heißt Antisemitismus? Antisemitismus-Definitionen Was ist moderner Antisemitismus? Was heißt Antisemitismus? In der extremen und populistischen Rechten Sekundärer Antisemitismus Israelbezogener Antisemitismus Islamischer Antisemitismus Antizionistischer und israelfeindlicher Antisemitismus Antisemitismus im linken Spektrum Geschichte des Antisemitismus Von der Antike bis zur Neuzeit 19. und 20. Jahrhundert Krisenbewusstsein damals und heute Flucht und Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern "Antizionismus" in der frühen DDR Aktuelle Phänomene, Strömungen, Debatten Intersektionalität und Antisemitismus Holocaust, Kolonialismus und NS-Imperialismus Antisemitische Einstellungsmuster in der Mitte der Gesellschaft Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft Antisemitismus in der BDS-Kampagne Antisemitische Verschwörungstheorien Antisemitismus im Internet und den sozialen Medien Antisemitismus im deutschsprachigen Rap und Pop Extreme Rechte und rechter Terror im Netz Aktueller Antisemitismus Antisemitismus bei Muslimen Antisemitismus weltweit Europa Frankreich Gaza-Krieg Großbritannien Iran Österreich Polen Spanien USA Der Feindschaft begegnen Antisemitismus als justizielle Herausforderung Video: Der Interreligiöse Chor Frankfurt Video: Begegnungsprojekt "Meet a Jew" Prävention und Intervention in sozialen Medien Antisemitismus in der praktischen Bildungsarbeit "Mohamed und Anna" Einleitung Historischer Kontext Überlegungen zum Einsatz im Unterricht Sechs Unterrichtsideen Israelbezogener Antisemitismus an Schulen Antisemitismus in der Schule Debatte um die Position Irans Rede Ahmadinedschads Iran und Israel Polemik: Israel muss weg! Standpunkt: Ahmadinejads Mission Redaktion

Israel und Gaza in den arabischen Medien Die Berichterstattung zum Gaza-Krieg in den Medien des arabischen Raums

Bernhard Hillenkamp

/ 9 Minuten zu lesen

In den Öffentlichkeiten arabischer Staaten gehören antijüdische Narrative zur Grundierung der Debatte über den Nahostkonflikt. Spiegelt sich das auch in der Berichterstattung zum Gaza-Krieg?

Ein Al Jazeera-Sendetechniker arbeitet im Hauptkontrollraum im Büro des Senders in der Stadt Ramallah im Westjordanland, 5. Mai 2024. (© picture-alliance/AP, Nasser Nasser)

Zwei Tage nach den Angriffen der Hamas auf israelische Ortschaften in unmittelbarer Nähe des Interner Link: Gazastreifens, bei denen über 1.200 Menschen getötet und mehr als 200 Geiseln genommen wurden, berichtete die libanesische Tageszeitung Externer Link: al-Akhbar in mehreren Artikeln über die Ereignisse. Die politische Deutung der Zeitung war eindeutig: Der Angriff der Hamas auf Israel sei für die arabische Welt ein Erfolg, da die "Achse des Widerstands Israel die rote Linie" aufgezeigt habe. Die Zeitung zeichnete das Bild einer politischen, aber auch militärischen Zeitenwende in der Region und äußerte Genugtuung und Freude angesichts der Erfolge der Hamas und der Verluste Israels. Der Mythos von der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee sei gebrochen.

Die arabischen Leitmedien berichten seitdem ausführlich über den aktuellen Konflikt und die Narrative der verschiedenen Parteien. Wie tun sie das und welches Bild der beiden Kriegsparteien wird dabei gezeichnet?

Antisemitische Bilder seit dem 19. Jahrhundert

Wie der arabischen Öffentlichkeit insgesamt wird auch den Medien der Region immer wieder vorgeworfen, antijüdische Stereotypen zu bedienen und antisemitische Inhalte zu verbreiten. Die Externer Link: FAZ (22.11.2023) betitelte einen Artikel über den 1996 gegründeten katarischen TV-Sender Externer Link: Al Jazeera – das dominierende, meinungsbildende Leitmedium der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens (MENA-Region) mit mehr Zuschauern als alle anderen arabischen Nachrichtensender zusammen – mit einem Zitat des islamistischen Geistlichen Shaykh Qaradawi: "Der Holocaust war Allahs Rache an den Juden". Dass der 2022 verstorbene Qaradawi, einer der führenden Köpfe der Interner Link: Muslimbruderschaft, in seiner beliebten, über zwei Jahrzehnte übertragenen Sendung "Die Scharia und das Leben" über Jahre den Holocaust als "göttliche Strafe" darstellen konnte und die in der Ideologie der Muslimbrüder typische Feindschaft gegen Israel verbreitete, sei ein Beispiel für einen immer wieder vorkommenden Antisemitismus bei Al Jazeera. Nicht zuletzt, weil auch dessen Hauptfinanzier, der katarischen Herrscherfamilie al-Thani, eine Nähe zur Muslimbruderschaft nachgesagt wird. Im Weltbild dieser islamistischen Bewegung wird der Interner Link: Nahost-Konflikt als ideologische Auseinandersetzung zweier religiöser Gruppen, als Wettbewerb der Religionen und nicht als Territorialkonflikt interpretiert.

Diese religiös grundierte Judenfeindlichkeit wurzelt aber nicht im Islam selbst. Die Forschung, die sich mit dem Antisemitismus in der arabischen Welt beschäftigt, ist sich einig, dass sich im 19. Jahrhundert eine Zunahme des Antisemitismus im arabischsprachigen Raum durch die Übernahme antisemitischer Topoi aus dem Westen nachweisen lässt: "Tatsächlich spielt der Hass auf die Juden in der alten islamischen Tradition kaum eine Rolle. Anders als in der Geschichte des Christentums finden sich in der Entwicklung des Islam vor dem 19. Jahrhundert keine ‘verschwörungstheoretischen Stereotype’", so der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze in der Wochenzeitung Externer Link: Zeit (01.09.2016). Vor allem durch Übersetzungen christlicher Missionare gelangten Topoi wie Ritualmordlegenden oder Juden als Wucherer und Brunnenvergifter in den öffentlichen Diskurs der Region.

Daneben sind im arabischen Raum auch moderne antisemitische Bilder sehr präsent, die sich vor allem auf die Rolle Israels bzw. der Juden als politische Gruppe beziehen. Schon vor der Interner Link: nationalsozialistischen Propaganda in der Region erweiterte die Übersetzung der Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals aufgetauchten Interner Link: "Protokolle der Weisen von Zion" ins Arabische den Kanon des Antisemitismus in der Region. Das Pamphlet galt als Beweis für eine jüdische Weltverschwörung. Es wurde in der Folge zu einem wirkungsmächtigen Deutungsrahmen für die Auseinandersetzung in der Palästinafrage – diese nahm Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Lauf, als aufgrund des zunehmenden Antisemitismus in Europa Juden in das damalige britische Mandatsgebiet, welches mehrheitlich arabisch besiedelt war, einwanderten und sich dort nach und nach die Konkurrenz um Land und Ressourcen zwischen den Bevölkerungsgruppen verstärkte. Auch die 1988 erstmals veröffentlichte Interner Link: Charta der Hamas bezieht sich in Artikel 32 explizit auf die Protokolle. Israel wird als dunkle Macht gesehen, die den Konflikt zwischen der islamischen und der westlichen Welt ausnutze. Es handelt sich um einen israelbezogenen Antisemitismus, der sowohl bei islamistischen, nationalistischen als auch linken Gruppierungen in der Region immer wieder auftaucht und nicht auf muslimische Stimmen beschränkt ist.

Wie präsent sind nun anti-jüdische und anti-israelische Stereotype und Narrative in den Berichten und Kommentaren arabischer Medien zum Gaza-Krieg?

Die Berichterstattung über Gaza aus palästinensischer Sicht

Dass palästinensische Sichtweisen und Anliegen in den arabischsprachigen Medien stärker berücksichtigt werden als in Europa, erscheint naheliegend. Das Gefühl der Solidarität und Empathie mit dem Leid in den palästinensischen Gebieten ist eine wichtige Triebfeder für das Medieninteresse. Zuschauer und Leser in der arabischsprachigen Welt verfolgen daher den Krieg in Gaza intensiv.

Schon direkt nach den Angriffen der Hamas kam es in mehreren Ländern der Region zu Demonstrationen, die ein stärkeres Engagement und mehr (auch militärische) Hilfe der arabischen Regierungen zur Unterstützung der Palästinenser forderten. Nasr Eldin, ein politischer Aktivist aus dem Libanon, wird in Externer Link: Neues Deutschland (11.10.2023) zitiert: "Die Menschen hier verstehen, was in Palästina passiert, als einen glorreichen Akt des Widerstandes nach Jahrzehnten israelischer Unterdrückung". Die Erwartung vieler Araber – nicht nur in islamistischen, nationalistischen oder linken Kreisen – war, dass der Druck auf Israel erhöht, ja dass zur Verteidigung der Palästinenser die Regierungen in der Region und auch Gruppen wie die Hisbollah militärisch gegen Israel vorgegangen werden müsse. Erwartungen, die sich auch nach Externer Link: laut UN-Angaben über 46.000 toten Palästinensern (Stand 14.01.2025) bis heute nicht erfüllt haben.

Militärexperten, Pressesprecher, Videoschnipsel

Die arabischen Medien begleiten die Kriegs- und Konfliktereignisse eng. Wie alle Medien weltweit stehen sie dabei vor der Herausforderung, den Spagat zwischen dem Verlangen des Publikums nach aktueller Information und den Anforderungen an einen professionellen und hinterfragenden Journalismus zu meistern – zumal internationale Medien aktuell keinen Zugang zum Gaza-Streifen haben und sich die von den Konfliktparteien verlautbarten Meldungen über z. B. Todesopfer nicht unabhängig überprüfen lassen. Das Ergebnis: Die arabischen Medien übernehmen häufig Verlautbarungen und andere Medienprodukte der Hamas, aber auch der israelischen Armee. Kurze Filmaufnahmen von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Hamas-Kämpfern und israelischen Truppen sind regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Diese stammen sowohl aus israelischen als auch aus palästinensischen Quellen. Häufig folgt darauf eine Einordnung von zwei, manchmal sogar drei Analysten mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Expertise.

Eine neuere Entwicklung ist auch, dass Militärexperten sehr intensiv und zeitnah die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld einordnen. Sie geben eine oft sehr technische und strategische Einordnung des Kampfgeschehens. Als etwa Externer Link: Al Jazeera (04.07.2024) über die Taktik der Hamas in der Region Rafah berichtete, beobachteten die Kommentatoren eine "qualitative Verbesserung gegenüber früheren Operationen", und analysierten, wie die "direkte Auseinandersetzung" gesucht wird, statt der bisherigen "Sprengstoffattacken" mit anschließendem "schnellem Rückzug". Überwiegend interpretieren diese detaillierten Einschätzungen das Kampfgeschehen als Erfolg der palästinensischen Seite und wirken dadurch Hamas-freundlich. Manche Experten bekennen sich zur palästinensischen Sache, die sie, wie hier in Externer Link: Jordan News (16.11.2023), mit dem "Widerstand" der Hamas-Kämpfer gleichsetzen, und versichern, der "Sieg" sei nah. Einigen arabischen Kritikern geht diese Form der Berichterstattung zu weit. Der Journalist Tawfiq Abu Shumar kritisiert in Al-Ayyam (17.07.2024), einer im Westjordanland ansässigen palästinensischen Zeitung, dass Gaza von den Militärexperten als "große Militärmacht und nicht als kleines besetztes Land" dargestellt und die "Illusion" verbreitet werde, dass "Israel in Gaza besiegt wird".

Das Leitmedium Al Jazeera beschränkt sich nicht nur auf die Verlautbarungen der Hamas, auch die Pressesprecher der israelischen Armee sind immer wieder zu sehen. Gezeigt werden sowohl Presseerklärungen und Pressekonferenzen als auch exklusive Interviews mit den Militärsprechern. Auch die hebräische und internationale Presse zum Kriegsverlauf wird rezipiert. Insbesondere Hintergrundberichte zu kontroversen Themen wie dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Zusammenhang mit der Externer Link: Völkermordklage Südafrikas gegen Israel im Januar 2024 finden Eingang in die Berichterstattung. Es werden die Begrifflichkeiten, der juristische und historische Rahmen des Begriffs Völkermord erklärt.

Narrative und der Versuch ihrer Dekonstruktion: die Diskussion über sexualisierte Gewalt

Die Diskussion über sexualisierte Gewalt der Hamas gegen Frauen ist ein weiteres Beispiel dafür, wie westliche Quellen in den Leitmedien in der arabischen Öffentlichkeit diskutiert und aufgegriffen werden. Seit Oktober 2023 wird in der westlichen Presse immer wieder von sexualisierter Gewalt gegen Frauen während der Angriffe vom 7. Oktober berichtet. Die Hamas dementierte (siehe dazu Externer Link: Alarabiya News, 5.12.2023). Israelische Augenzeugen berichteten von nackten Toten mit Spuren von Misshandlungen und Vergewaltigungen. Yosi Landau – Mitglied der israelischen, von Ultraorthodoxen getragenen Freiwilligenorganisation Zaka, die unmittelbar nach den Hamas-Massakern an der Bergung von Opfern beteiligt war – schilderte Journalisten und Politikern, er habe eine schwangere Frau mit aufgeschlitztem Bauch vorgefunden, und zeigte Videos von Opfern. Landaus Schilderungen wurden auch von israelischen Regierungssprechern aufgegriffen und verbreitet. Wie sich später herausstellte, waren die Videos aber zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort aufgenommen worden.

Berichte über solche Ungereimtheiten in israelischen Medien (z.B. in Externer Link: Haaretz, 4.12.2023) wurden in arabischen Medien aufgenommen, breit diskutiert und die Vorwürfe sexueller Gewalt dabei von manchen Kommentatoren auch grundsätzlich infrage gestellt. Al Jazeera ging sogar noch einen Schritt weiter: Mithilfe eines forensischen Teams ging der Sender Landaus und weiteren Behauptungen im Zusammenhang mit dem 7. Oktober in einem Externer Link: 59-minütigen Beitrag intensiv nach, im Bestreben, diese Darstellungen zu widerlegen. An der medialen Auseinandersetzung mit diesem Thema lässt sich der Kampf um Deutungshoheit gut beobachten: Für viele Medienkonsumenten im arabischen Raum beweist diese Quellenarbeit, dass es am 7. Oktober keine sexualisierte Gewalt gegeben habe, was sich jedoch nicht mit den Aussagen von Menschenrechtsorganisationen (z.B. Externer Link: Human Rights Watch) oder investigativ arbeitenden Journalisten deckt. Auch die Externer Link: UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt, Pramila Patten, berichtete im März 2024, es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass es während der Angriffe vom 7. Oktober 2023 zu sexueller Gewalt gekommen ist.

Andere Begrifflichkeiten

In arabischen Medien wird der Gaza-Krieg häufig auch als israelischer Vernichtungskrieg oder Völkermord bezeichnet. Oft wird von Massakern berichtet, wo etwa die deutsche Presse von Angriffen schreibt, so zum Beispiel Anfang Juni 2024, als Externer Link: The New Arab (09.06.2024) von einem "Massaker" in einer Schule des Palästina-Hilfswerks UNRWA schreibt, während die Externer Link: taz (07.06.2024) von einem "Angriff" berichtet. Die israelische Armee wird vielfach als "Besatzungsmacht" bezeichnet (stellvertretend Externer Link: Al Jazeera, 20.11.2023), die Hamas nicht wie in Deutschland üblich als Terrororganisation, sondern ihrer Selbstbezeichnung folgend als Islamischer Widerstand (ebenda, Externer Link: 29.12.2023). Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen sind Märtyrer, nicht "nur" Tote. Die Verwendung von Begriffen wie "das zionistische Gebilde" oder "die Zionisten" anstelle von Israel oder Israelis ist dagegen eher selten und kommt vor allem in einigen Nischenmedien mit klarer politischer Orientierung vor. Beispiele sind die libanesischen TV-Sender al-Manar (Hisbollah-nah) und al-Mayadeen (pro-iranisch) oder die islamistische Wochenzeitung der jordanischen Muslimbrüder, as-Sabeel.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den verwendeten Begrifflichkeiten findet kaum statt. Vielmehr scheint eine genaue Beschreibung der politisch-sozialen Situation und ihrer Entwicklung vor Ort das vorherrschende Erkenntnisinteresse zu sein. So wurde die Aufforderung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) an Israel, die Militäroffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens zu stoppen, notwendige humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen und einer Kommission zur Untersuchung der Völkermordvorwürfe ungehinderten Zugang zu gewähren, von Al Jazeera (26.01.2024) wohlwollend als "internationale Blamage für Israels Verbündete" aufgenommen. Die Auseinandersetzung mit dem Völkermordvorwurf als Begriff und Rechtskategorie wurde in diesem Fall, anders als in der deutschen Diskussion, eher nachrangig geführt und das Vorgehen des IGH begrüßt.

Fazit

Fragen nach israelbezogenem Antisemitismus stellen sich in Ländern, die sich teilweise im Kriegszustand mit Israel befinden oder – wie Libanon, Irak, Saudi-Arabien und Katar – keine offiziellen Kontakte zu Israel unterhalten, anders dar als in Ländern wie Deutschland. Die hierzulande präsente Diskussion um Israelkritik in Form und Inhalt spielt in den arabischen Leitmedien keine Rolle.

Vor diesem Hintergrund ist dann auch die in Deutschland vorherrschende Problematisierung von Begriffen wie "vom Fluss zum Meer", Genozid und Apartheid im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt in der arabischsprachigen Öffentlichkeit nicht relevant. Hier sind die arabischen Leitmedien eher dem internationalen Presse- und Wissenschaftsdiskurs und der juristischen Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt (Internationaler Gerichtshof, Internationaler Strafgerichtshof) näher.

Weder Vernichtungsfantasien gegen Israel noch platte monokausale Argumentationen spielen in den arabischen Leitmedien eine dominierende Rolle – gleichwohl gibt es natürlich auch israelfeindliche Beiträge. Wiederum gehören – auch staatliche – israelische Stimmen zum "Informationsbuffet" der arabischen Medien. Häufig wird auch die Rolle des Westens kritisiert und dessen Haltung als einseitig angeprangert. Immer wieder wird Gaza mit der von Russland angegriffenen Ukraine verglichen und die Unterschiede in der Positionierung insbesondere der USA und europäischer Staaten als Doppelmoral kritisiert. Traditionelle antisemitische Diskurse, wie sie Shaykh Qaradawi vor 15 Jahren auf Al Jazeera pflegte, sind in der aktuellen Debatte der arabischen Leitmedien dagegen selten.

Vielfach ist ein Verlautbarungsjournalismus zu beobachten, der Vertretern und Sprechern der verschiedenen Konfliktparteien Raum für ihre medienwirksamen Äußerungen gibt. Gleichzeitig wird die Entwicklung der Kampfhandlungen und der politischen Lage durch eine Art Verlaufsjournalismus begleitet, in dem politische Analysten und auch Militärexperten das Tagesgeschehen darstellen und einordnen.

Palästinensische Perspektiven und Anliegen werden in den Medien des arabischen Raums stärker gewichtet als in Europa. Das ist naheliegend und insofern nachvollziehbar. Die Darstellung und auch die Interpretation der Ereignisse könnte sich dennoch auch im hoch emotionalen Kontext des aktuellen Gaza-Krieges durch mehr Neutralität und Ausgewogenheit auszeichnen. Insgesamt dreht sich die Berichterstattung über den Gaza-Konflikt aber vor allem um die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld und um territoriale Ansprüche, Antisemitismus spielt dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Wie die Berichterstattung jenseits der Leitmedien, insbesondere in den Medien der jeweiligen politischen Gruppierungen und in den Social-Media-Kanälen aussieht, bleibt in diesem Zusammenhang aber unbeantwortet und muss an einem anderen Ort geklärt werden.

Weitere Inhalte

Bernhard Hillenkamp ist Islamwissenschaftler und Politologe mit 15 Jahren Erfahrung im Journalismus, der wissenschaftlichen Forschung zum modernen Nahen Osten und in der Entwicklungszusammenarbeit vor allem im Libanon und in Palästina, wo er auch lange Zeit lebte. Von 2015 bis 2020 war er Landesdirektor des forumZFD in Beirut.