Israels Krieg gegen die radikal-islamische Hamas lässt kaum ein europäisches Land kalt. Doch die Perspektiven, aus denen die einzelnen Staaten und ihre Presse das Geschehen bewerten, gehen weit auseinander. Meist lässt sich das mit der Geschichte der betroffenen Länder und ihrem historischen Verhältnis zu Israel und den palästinensischen Gebieten erklären. Die Externer Link: euro|topics-Korrespondentinnen und -Korrespondenten in Irland, Tschechien, Spanien und Deutschland schildern, wie sich Politik und Medien in diesen vier Ländern seit dem 7. Oktober positioniert haben und woher die Besonderheiten rühren.
Tschechien: Israels "bester Freund" in Europa
Als die UN-Vollversammlung im Oktober 2023 auf Antrag Jordaniens zu einer "sofortigen, dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenruhe" aufrief, stimmte Tschechien als eines von nur 14 Ländern dagegen.
In Israel weiß man die besonderen Beziehungen zu würdigen. "Wir haben Freunde überall auf der Welt, aber ich denke, dass wir in Europa keinen besseren Freund haben als Tschechien", sagte Benjamin Netanjahu bereits 2012.
Das enge Verhältnis reicht weit zurück. Der Hochschulprofessor Tomáš Garrigue Masaryk (1850-1937) galt als Unterstützer des
Prags Solidarität kommt auch in den Medien zum Ausdruck. Die TV- und Radio-Korrespondenten in Tel Aviv vergessen nie zu betonen, was der Ausgangspunkt für das militärische Vorgehen Israels gegen die Hamas war:
Sehr viel seltener sind Kommentare wie dieser: "Die Mehrheit der Tschechen wie auch der politischen Klasse des Landes steht zu unkritisch an der Seite Israels. Natürlich hat Israel das Recht, sich zu verteidigen, aber wie hoch ist das angemessene Maß der Vergeltung?" (Externer Link: Český rozhlas, 6.5.2024). Wirklich scharfe Kritik an Israel wird man aber so gut wie gar nicht finden.
Irland: Ein Land erkennt sich selbst in den Palästinensern
Ganz anders die irische Öffentlichkeit: Ende Mai 2024 entschlossen sich Irland, Spanien und Norwegen, Externer Link: Palästina als Staat anzuerkennen. Und als bei einem israelischen Luftangriff auf ein Schulgebäude in Gaza Anfang August nach Angaben Hamas-kontrollierter Behörden mindestens 93 Menschen ums Leben kamen, war es Irlands Premier Simon Harris, der das Handelsabkommen der EU mit Israel Externer Link: infrage stellte.
Von der Landespresse gibt es für diese Haltung überwiegend Applaus: "Weder Irland noch die anderen Regierungen versuchen zu leugnen, dass die Hamas brutale Terroristen sind – aber sie können nicht schweigen, wenn Israel das Völkerrecht missachtet", erklärt etwa Externer Link: Irish Independent (19.04.2024). Dafür lohne es sich auch, einen Preis zu bezahlen: "Das Festhalten an der Universalität der Menschenrechte führt zu schwierigen Momenten mit Verbündeten, aber es ist auf lange Sicht einfacher, als ein Fähnchen im Wind zu sein", so Externer Link: The Irish Times (07.11.2023).
Warum zeigt Irland so viel Sympathie für die palästinensische Sache? Der damalige Regierungschef Leo Varadkar Externer Link: erklärte es im März 2024 wie folgt: "Wir sehen unsere eigene Geschichte in den Augen der Palästinenser. Eine Geschichte der Vertreibung, der Enteignung, einer infrage gestellten und verwehrten staatlichen Identität, erzwungener Auswanderung, Diskriminierung und nun auch des Hungers." Vor etwas mehr als hundert Jahren war Irland wie
Das Vorgehen Israels in Gaza hat die kritische Haltung vieler irischer Medien noch verstärkt. So schreibt Externer Link: The Irish Times (04.12.2023): "Es gibt auch im Krieg Regeln, wie Verhältnismäßigkeit im Kampf, den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Zwangsvertreibung und für den Zugang zu grundlegender humanitärer Hilfe. … Zum Leidwesen der Menschen in Gaza werden sie jedoch weitgehend ignoriert." Und Externer Link: Irish Examiner (31.10.2023) fasst zusammen: "Israel hat zwar das Recht, sich gegen die Hamas zu verteidigen. Aber es hat nicht das Recht, Kriegsverbrechen zu begehen". Auch die
Spanien: Politisch aktiv, gesellschaftlich gespalten
Spaniens offizielle Haltung deckt sich in vielerlei Hinsicht mit derjenigen Irlands. Wie Dublin erkannte Madrid im Mai 2024 Palästina als eigenständigen Staat an und nahm mit dieser Positionierung diplomatische Krisen mit Israel in Kauf. Schon im Oktober hatte Premierminister Pedro Sánchez Zweifel an der Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Israel im
Auch in Spaniens Fall hat diese Haltung eine Vorgeschichte: Die
Auch in den Medien solidarisierten sich schon unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 viele Kommentatoren mit der Sache der Palästinenser und warfen Netanjahu vor, er habe bewusst "die palästinensische Frage unsichtbar" und "die internationale Gemeinschaft mit seiner Politik der vollendeten Tatsachen zum Schweigen gebracht" (Externer Link: El Periódico de Catalunya, 09.10.2023). Eine andere Gewichtung würde sich Externer Link: La Vanguardia (21.10.2023) auch von weiteren EU-Staaten wünschen: „Frankreich oder Deutschland haben sich Israel gegenüber deutlich wohlwollender gezeigt. ... Aber die spanische Regierung hat nicht unrecht: … Europa und Spanien lägen falsch, wenn sie die notwendige Unterstützung Israels mit der Missachtung der Palästinenser verwechseln würden.“
Die spanische Öffentlichkeit ist sich in ihrer Haltung aber keineswegs einig. Für konservative Medien wie Externer Link: ABC (10.10.2023) ist die Palästina-Solidarität zahlreicher politisch linksstehender Gruppierungen auf einem Auge blind: "Für die neue Linke ist nur der weiße Mann zu Rassismus fähig. ... Als ob Antisemitismus nur von blauäugigen Skinheads ausgehen würde." Und als Politikerinnen der Regierungspartei Podemos sich mit "Palästinensertüchern" (Kufiyas) zeigten und zu Protesten gegen Israel aufriefen, ächzte Externer Link: El Mundo (18.10.2023): "Die Regierungsbeteiligung der extremen Linken untergräbt Spaniens internationales Ansehen."
Bei Premier Sánchez‘ Vorstößen im Hinblick auf eine
Deutschland: Medien werden selbst zum Gegenstand der Debatte
Deutschlands Positionierung stellte Bundeskanzler Olaf Scholz direkt nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober Externer Link: klar: "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels." Aufgrund der aus dem Holocaust entstandenen Verantwortung sei es Aufgabe Deutschlands, für Israels Existenz und Sicherheit einzustehen. Dieser Haltung verlieh man symbolisch Ausdruck: Die israelische Flagge wurde auf dem Reichstag gehisst und auf das Brandenburger Tor projiziert. Und materiell unterstützt Deutschland Israel mit militärischer und medizinischer Ausrüstung.
Auch der Großteil der deutschen Presse betonte in den ersten Monaten die Legitimität der israelischen Reaktion als Selbstverteidigung gegenüber humanitären Bedenken – meist als Ergebnis einer Abwägung, die "das zynische Kalkül der Hamas, Unschuldige als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen" Externer Link: (Tagesspiegel, 14.10.2023) als Hauptursache für die Notlage ausmachte. Kompromissloser zeigte sich die Tageszeitung Externer Link: Welt am 11.10.2023: "Die Empörung, dass Israel keinen Strom, Wasser oder Lebensmittel mehr nach Gaza hinein lässt, ist fehl am Platz: Warum ... sollte Israel eine Bevölkerung alimentieren, die Pogrome an Juden feiert?"
Mit zunehmender Dauer des Kriegs nahmen dessen humanitäre Folgen sowie extreme Positionen innerhalb von Israels Regierung in der deutschen Debatte mehr Raum ein. Die Externer Link: Bundesregierung schreibt mittlerweile auf ihrer Website (Stand 08.10.2024): "Israel hat viele militärische Ziele im Kampf gegen die Hamas erreicht und zivile Opferzahlen und menschliches Leid im Gazastreifen sind gewaltig." Deutschland setze sich "dafür ein, die destruktive Spirale von Vergeltungsgewalt zu durchbrechen".
Parallel veränderte sich auch die Debatte in den Medien. Ein Beispiel für diese Verschiebung ist der Berliner Tagesspiegel. Noch Externer Link: im Januar 2024 forderte das Blatt handfeste Solidarität mit Israel gegen die Externer Link: Völkermordklage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof: "Die Bundesrepublik muss sich vor dem IGH offiziell und formal an die Seite Israels stellen und … intervenieren." Externer Link: Ganz anders klingt da dieser Aufruf an Oppositionsführer Benny Gantz vom 3. April: "[Netanjahu] verrennt sich. Wo bleiben da die Gemäßigten im Kriegskabinett? … Dabei sagt Gantz doch, dass er vor allem die Geiseln retten will. Das geht aber nur, wenn er … an die Seite derer im Land träte, Externer Link: die sagen: Genug ist genug."
Die Medien des Axel-Springer-Verlags dagegen unterstützen Israels Vorgehen unverändert: Als der Krieg ein halbes Jahr andauerte, schrieb die Externer Link: Welt (10.04.2024) stellvertretend: "Eine dauerhafte Waffenruhe kann es erst geben, wenn die Hamas zerstört ist. … Ihr die Möglichkeit zu gewähren, in einer ausgedehnten Ruhephase ihre Kräfte neu aufzustellen und auszurüsten, hieße, den Frieden auszuschließen." Und die Bild-Zeitung ging im Juli 2024 eine Kooperation mit der auflagenstarken Gratiszeitung Israel Hayom ein, einst Externer Link: gezielt gegründet, um Benjamin Netanjahu zur Rückkehr an die Regierungsspitze zu verhelfen.
Insgesamt besteht in der Berichterstattung über den Krieg in Gaza seit Beginn an das Problem, dass sich Meldungen über z. B. Todesopfer oder Tathergänge kaum unabhängig überprüfen lassen.
Hat dieses Misstrauen eine Grundlage? Fälle, in denen handwerkliche Fehler passiert sind, lassen sich nachweisen: So übernahmen etwa nach Israels Externer Link: Stürmung des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt Mitte November 2023 deutsche Medien Verlautbarungen der israelischen Armee ohne Einordnung, während internationale Medien diese kritischer hinterfragten: Externer Link: Angelsächsischen und Externer Link: israelischen Medien reichten die vorgelegten Belege für eine dort vermutete Hamas-Kommandozentrale Externer Link: nicht aus, deutsche Medien hingegen beschrieben die Operation als Erfolg. Die Externer Link: Zeit titelte hierzu seinerzeit: "Israelische Armee findet Hamas-Einsatzzentrum" – ob sich unter dem Krankenhaus tatsächlich ein solches Einsatzzentrum befand, ist bis heute unklar. Als wiederum am 17. Oktober 2023 bei einer Externer Link: Explosion am Al-Ahli-Arabi-Krankenhaus in Gaza-Stadt Hunderte Menschen starben, schrieb der Deutschlandfunk auf X zunächst vorschnell von einem israelischen Raketenangriff als Ursache – ein späterer Externer Link: Untersuchungsbericht von Human Rights Watch aber sollte feststellen, dass die Explosion offenbar von raketengetriebener Munition ausgelöst wurde, wie sie häufig von bewaffneten palästinensischen Gruppen verwendet wird.
Eine umfassende Untersuchung dazu, ob deutsche Medien im Gaza-Krieg tatsächlich Israel zu unkritisch behandeln und palästinensisches Leid weniger stark berücksichtigen, wie es unter anderem der Medienwissenschaftler Kai Hafez beobachtet, steht bisher noch aus. Die Jüdische Allgemeine (16.10.2024) nimmt das genaue Gegenteil wahr: nämlich eine "Täter-Opfer-Umkehr" in etlichen deutschen Leitmedien und eine "antiisraelische und mithin auch antijüdische Stimmung, die viele Medien transportieren, mit Beispielen unterstreichen und weitergeben". Externer Link: Andere Kommentatoren wiederum sehen ein grundsätzliches, nicht auf Deutschland beschränktes Problem, welches das geringe Vertrauen erklären könnte: eine ereignisgetriebene Berichterstattung mit zu wenig kritischem Abstand.