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Antisemitismus und Verschwörungserzählungen in den sozialen Medien: Prävention und Intervention | Antisemitismus | bpb.de

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Antisemitismus und Verschwörungserzählungen in den sozialen Medien: Prävention und Intervention

Nina Kolleck

/ 14 Minuten zu lesen

In sozialen Medien sind antisemitische Verschwörungserzählungen omnipräsent und schüren Hass und Vorurteile gegenüber Jüd*innen. Wie kann es sein, dass sie in unserer digitalen Welt so weit verbreitet sind?

Antisemitische Verschwörungen sind auf allen Plattformen wie TikTok, Instagram, Facebook oder X/Twitter verbreitet. (© picture-alliance, dts-Agentur)

Verbreitung von Antisemitismus und Verschwörungserzählungen in den sozialen Medien

Wenn Sie Social Media nutzen, kennen Sie das folgende Szenario wahrscheinlich allzu gut: Sie scrollen durch Ihren Facebook-Feed, Ihre X-/Twitter-Timeline oder Ihre TikTok „For You“-Seite und plötzlich stoßen Sie auf einen Beitrag, der behauptet, dass eine geheime Elite die Welt kontrolliert. Vielleicht sehen Sie ein manipuliertes Bild, das eine Verschwörung gegen eine bestimmte Gruppe suggeriert, oder Sie lesen einen Kommentar, der Hass und Intoleranz schürt. Es kann auch gut sein, dass Sie auf die Behauptung stoßen, Israel oder eine jüdische Elite stecke hinter allen Konflikten im Nahen Osten und manipuliere die Medien, um ihr Handeln zu rechtfertigen.

Antisemitische Verschwörungserzählungen sind in den sozialen Medien omnipräsent. Sie bedienen sich oft falscher Darstellungen und manipulierter Bilder, um den Eindruck zu erwecken, dass eine geheime jüdische Gruppe die Kontrolle über die politische und mediale Landschaft besitze und damit ihre eigenen Interessen vorantreibe. Solche Inhalte schüren Hass, Vorurteile sowie Intoleranz gegenüber Jüd*innen und tragen zur Spaltung und Polarisierung bei. Wie kann es sein, dass antisemitische Inhalte in unserer digitalen Welt so weit verbreitet sind?

Die Antwort liegt zum Teil in den Algorithmen, die die sozialen Medien antreiben. Diese Algorithmen analysieren unser Verhalten, unsere Vorlieben und unsere Interaktionen auf den jeweiligen Plattformen, um uns personalisierte Inhalte zu präsentieren. Die Nutzung sozialer Medien, das ist aus der Forschung bisher hervorgegangen, kann in unserem Gehirn Glückshormone wie Dopamin freisetzen. Außerdem fühlen wir uns durch die Nutzung von sozialen Medien oft so, als würden unsere grundlegenden psychologischen Bedürfnisse erfüllt werden. Dazu gehören das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit (das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein), Autonomie (das Gefühl, selbstbestimmt zu sein) und Kompetenz (das Gefühl, etwas gut zu können). Auf diese Weise können uns die Apps dazu bewegen, dass wir so lange wie möglich auf der Plattform bleiben. Betrachtet man nun, weshalb gerade antisemitische Narrative und Verschwörungserzählungen in Sozialen Medien so erfolgreich sind, zeigt sich, dass das Bewirtschaften von Ängsten, Unsicherheiten und Sorgen viele Menschen in ihren Bann zieht. Viele nutzen die Anonymität des Netzes, ohne persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Andere verwenden Profile mit Klarnamen, um ihre Hassbotschaften zu verbreiten. Sie alle wirken dabei fast unbemerkt auf Einstellungen, Überzeugungen, Werte und Wünsche von Menschen weltweit ein.

Sicher: Plattform ist nicht gleich Plattform. TikTok, Instagram, Facebook oder X/Twitter nutzen unterschiedliche Algorithmen und ziehen verschiedene Menschen an. So kann es sein, dass bestimmte Inhalte auf einer Plattform viral gehen, während sie auf einer anderen kaum Beachtung finden. TikTok ist besonders beliebt bei jüngeren Teenagern und Erwachsenen und gilt derzeit als Marktführer bei der Verbreitung politischer Informationen junger Menschen. Auch Instagram ist eher unter jüngeren Menschen verbreitet. Facebook, X/Twitter oder LinkedIn werden hingegen eher von älteren Menschen genutzt.

Antisemitische Verschwörungen sind auf allen Plattformen verbreitet, aber ihre Wirksamkeit variiert. Als besonders gefährlich hat sich in jüngster Zeit TikTok erwiesen, da die kurzen, schnelllebigen Videos eine große Reichweite haben und aufgrund des Algorithmus besonders effektiv bei jüngeren Nutzerinnen sind. Denn TikTok streut Inhalte nicht nur an die eigenen digitalen „Freunde“ oder „Follower“, sondern an alle Nutzer*innen. Dadurch können sich antisemitische Inhalte schnell und weitreichend über Ländergrenzen hinweg verbreiten.

TikTok selbst veröffentlicht den eigenen Algorithmus nicht. Es deutet aber vieles darauf hin, dass dieser über maschinelles Lernen funktioniert und Inhalte basierend auf dem Nutzungsverhalten sowie den Präferenzen der Nutzer*innen empfiehlt.

Grundsätzlich gilt: Die unterschiedlichen Algorithmen der sozialen Medien haben einen erheblichen Einfluss darauf, welche Inhalte präsentiert werden und wie sich Informationen verbreiten. Doch wie genau hängen „Verschwörungserzählungen“ und „Antisemitismus“ zusammen? Um dies zu verstehen, werfen wir einen kurzen Blick auf die Definitionen der Begriffe und ihre Verbindung zueinander.

Verschwörungserzählungen und Antisemitismus

In diesem Beitrag verwende ich bewusst den Begriff „Verschwörungserzählungen“ und nicht „Verschwörungstheorien“. Theorien können widerlegt oder bestätigt werden – dies wird bei Verschwörungserzählungen explizit ausgeschlossen. Gegenargumente werden nicht toleriert.

Verschwörungserzählungen sind weit verbreitete Narrative, die komplexe Phänomene (z.B. globale Kriege) vereinfachen und irrational erklären, indem sie etwa behaupten, dass geheime Gruppen oder Organisationen (z.B. „die Zionisten“) im Hintergrund agieren, um bestimmte Ziele (z.B. „Kontrolle der Finanzwirtschaft“) auf Kosten anderer Gruppen (z.B. „die ehrlichen Arbeiter“) zu erreichen. Diese Erzählungen verwenden unzureichende Beweise oder Anhaltspunkte und lassen keine abweichenden Meinungen zu. Oft dienen sie dazu, Ängste, Unsicherheiten sowie Misstrauen zu schüren.

Interner Link: Antisemitismus äußert sich oft in Form von Verschwörungserzählungen, die eine mehr oder weniger offene Ablehnung, Feindseligkeit oder Stereotype gegenüber Jüd*innen oder dem Judentum als religiöser, ethnischer oder kultureller Gruppe ausdrücken.

Oft wird Antisemitismus allein auf die Zeit des Interner Link: Nationalsozialismus und den Interner Link: Holocaust reduziert, aber es gibt sehr verschiedene Formen von Antisemitismus, die sich im Laufe der Geschichte in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Kennzeichen manifestiert haben, einschließlich religiöser Verfolgung, ethnischer Diskriminierung, politischer Propaganda und sozialer Vorurteile. Moderne Formen des Antisemitismus äußern sich häufig in der Verbreitung von Verschwörungserzählungen über jüdische Kontrolle oder Macht, in Hassreden und Gewalt gegen Jüd*innen oder jüdische Einrichtungen, in israelbezogenem Antisemitismus, in der Leugnung des Holocausts oder in der Bagatellisierung antisemitischer Verbrechen. Antisemitismus drückt sich heute meist subtiler aus als andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, was seine Identifizierung und Bekämpfung erschwert.

Wie verbreiten sich Verschwörungserzählungen durch Social Media?

Seit dem 7. Oktober 2023 haben sich die Inhalte in den sozialen Medien verändert. Der Ton ist rauer geworden und der Hass sichtbarer. Auf Plattformen wie TikTok oder Instagram genügt eine einfache Suche nach „Palästina“ und „Israel“ um festzustellen, dass antisemitische Verschwörungserzählungen sofort zu finden sind und in diesem Themenfeld dominieren. Prominente Influencer*innen verbreiten sie, teils implizit und versteckt und teils offensiv – etwa wenn sich prominente Influencerinnen, die normalerweise Schminktipps geben, plötzlich mit antisemitischen Erzählungen in einem Video die palästinensische Flagge ins Gesicht malen. Andere Personen wie Arafat Abou-Chaker treten offensiv antisemitisch auf und nehmen unzulässige Vergleiche von Israel mit Nazi-Deutschland vor oder erzählen, die israelische Regierung sei schlimmer als Adolf Hitler.

Über den Konflikt in Israel und Palästina wird in den sozialen Medien meist sehr vereinfacht und häufig falsch informiert. Oft wird nicht zwischen den Menschen und Organisationen in den Regionen differenziert, die radikal-islamische Hamas wird mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen oder die israelische Regierung mit der politisch sehr vielfältigen Gesellschaft Israels gleichgesetzt. Über die Geschichte Israels werden oft falsche Erzählungen verbreitet. Komplexe politische Sachverhalte und Probleme werden derart reduziert, dass sie gefährliche Botschaften transportieren. Ein Beispiel ist die Darstellung der Geschichte Israels und Palästinas, in der Israel als Besetzer des palästinensischen Lands inszeniert wird. Ein weiteres populäres Beispiel sind TikTok-Tänze, die schon seit Jahren im Netz kursieren und immer noch virulent sind: Der Song „Jalebi Baby“ von Tesher und Jason Derulo wurde auf TikTok mit Emojis der israelischen und der palästinensischen Flagge begleitet, während TikTok-Stars in die Richtung der Seite hüpften, die sie unterstützen. Es entsteht dann der Eindruck, als gäbe es immer nur zwei einheitliche Seiten und als müsse sich jede und jeder für eine entscheiden: Entweder Pro-Israel oder Pro-Palästina.

Trends in den sozialen Medien können als „Codes“ fungieren, die Antisemitismus verschleiern. In Videos auf TikTok und Instagram lässt sich leicht die Behauptung finden, Israel sei ein „Besatzer“, der Staat also gar nicht legitimerweise an der südöstlichen Küste des Mittelmeeres beheimatet –wodurch das Existenzrecht des Staates in Frage gestellt wird. Solche Videos können Millionen von Likes erhalten und sind aufgrund mangelnder Hintergrundinformationen von vielen nicht als antisemitisch einzuordnen.

Die Vereinfachung und Emotionalisierung des Konflikts in den sozialen Medien trägt dazu bei, dass antisemitische Narrative leicht Fuß fassen können. Vor allem der Algorithmus der Plattform TikTok verstärkt dieses Problem weiter, indem er emotionalisierende Inhalte bevorzugt. Obwohl TikTok behauptet, Maßnahmen gegen Antisemitismus zu ergreifen, bleiben Desinformationen und antisemitische Inhalte weiterhin präsent. Ein weiterer Grund hierfür ist Algospeak, eine kommunikative Strategie, die über Chiffren, Codes oder Umschreibungen Plattformrestriktionen vermeidet.

Algospeak und Gnomehunting: Unsichtbare Propaganda hinter harmlosen Videos

Auf den ersten Blick mag es unwahrscheinlich erscheinen, dass Gartenzwerge eine Rolle in der digitalen Kommunikation spielen könnten. Doch in Medien wie TikTok, Instagram, Facebook oder YouTube können selbst vermeintlich harmlose Objekte wie Gartenzwerge dazu genutzt werden, extremistische Ideologien zu verbreiten und die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Dieser Trend, der als „Gnomehunting“ bekannt ist, wurde erstmals auf Plattformen wie 4Chan eingeführt und hat sich seit Februar 2023 auch auf Plattformen wie TikTok weit verbreitet. Dabei werden Gartenzwerge nicht nur als Symbole für eine gemütliche und naturverbundene Lebensweise dargestellt, sondern auch als vielschichtige Metaphern genutzt, um menschenfeindliche Botschaften zu transportieren.

Der „gnome hunting“-Trend hat eine suggestive Kraft, mit der extremistische Ideologien normalisiert und ein breites Publikum erreicht werden, indem er seine eigentliche Botschaft geschickt verschleiert. Unter dem Deckmantel eines harmlosen Spiels, bei dem Nutzer*innen so tun, als würden sie Gartenzwerge jagen, werden antisemitische Inhalte propagiert. Die Tarnung extremistischer Inhalte erfolgt durch die Verwendung von Symbolen und Phrasen, die nur Eingeweihte verstehen, was es den Akteur*innen ermöglicht, Repressionen durch die Plattformmoderation zu umgehen. Beispielsweise wird der Satz „millions wear the hats“ oft in den Videos oder deren Beschreibungen verwendet. Dieser Satz bezieht sich auf die jüdischen Kippot und suggeriert eine weltweite jüdische Verschwörung. Zusätzlich werden in diesen Videos häufig extremistische Symbole wie das Sonnenrad, Totenkopfmasken und die SS-Blitzsymbole verwendet, um Sympathien für Nazi-Ideologien zu signalisieren, ohne dass dies auf den ersten Blick offensichtlich ist. Auch die Nutzung von Audiospuren, die Reden von Adolf Hitler enthalten oder von faschistischen Benutzern erstellte Musik, trägt zur Verbreitung dieser Ideologien bei. Hinter der scheinbar harmlosen Inszenierung von „gnome hunting“ verbirgt sich also eine viel dunklere Botschaft: Gnome dienen als Metapher für jüdische Menschen, und die Jagd auf sie steht symbolisch für antisemitische und rechtsextreme Narrative. Dieser Trend zeigt deutlich, wie subtil dog whistles eingesetzt werden können, um extremistische Botschaften zu verbreiten und gleichzeitig einer breiten Moderation zu entgehen.

Diese Art der Verbreitung antisemitischer Inhalte mithilfe von Symbolen hat nicht nur in der rechtsextremen Szene, sondern auch bei neugierigen Nutzerinnen große Aufmerksamkeit erregt. Für Eingeweihte signalisiert der Inhalt eine Art humoristische Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, während die eigentliche Botschaft, dass Zwerge als rechtsextremes Symbolbild für die Retraditionalisierung des Abendlandes stehen, zunächst verborgen bleibt.

Ein weiterer beunruhigender Aspekt dieses Trends ist die zunehmende Verwendung von antisemitischen Symbolen und Codes, die auf eine Wiederbelebung des Tabus in der Sprache hinweisen. Symbole wie die Hüte der Gartenzwerge, die auf mittelalterliche Chiffren des „Judenhuts“ verweisen, sowie die Anspielung auf den rechtsextremen Slogan „Milliarden müssen sterben“, der auf verschiedene rechtsextreme Narrative von Überbevölkerung und ethnischen Säuberungen anspielt, zeigen, wie Algospeak als erfolgreiche rechtsextreme Medienstrategie funktioniert und menschenfeindliche Inhalte von der Moderation offenkundig nicht identifiziert werden.

Chancen und Potenziale von Sozialen Medien

Plattformen wie TikTok, X und Instagram stellen eine ernsthafte Herausforderung im Umgang mit Hassrede und Vorurteilen dar. Im Kontext des Krieges in Gaza infolge des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 öffnen diese Plattformen eine Bühne für die Verbreitung von antisemitischen Narrativen, die oft mehr Likes und positive Reaktionen erhalten als Beiträge, die die Realitäten des Konflikts im Nahen Osten objektiv beleuchten.

Trotz der genannten Herausforderungen bieten soziale Medien aber auch Möglichkeiten, demokratische Debatten zu stärken und zur Aufklärung und Sensibilisierung bezüglich Antisemitismus und Verschwörungserzählungen beizutragen. Mithilfe der Plattform positionieren sich viele Personen öffentlichkeitswirksam gegen Menschenhass und Antisemitismus.

Beispielhaft sollen zwei Beispiele genauer betrachtet werden: Der TikTok-Kanal „keine.Erinnerungskultur“ von Susanne Siegert und die TikTok-Kampagnen der Bildungsstätte Anne Frank.

Der TikTok-Kanal „keine.Erinnerungskultur“ von Susanne Siegert ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie soziale Medien genutzt werden können, um über die NS-Zeit aufzuklären und Videos zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust bereitzustellen. Durch die Verknüpfung persönlicher Geschichten mit historischen Fakten gelingt es der Influencerin, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen und dabei eine breite Zielgruppe zu erreichen. Ihr Ziel ist es, das Gedenken an die Opfer des Holocaust lebendig zu halten und die nächste Generation dazu zu ermutigen, sich intensiver mit dieser geschichtlichen Thematik auseinanderzusetzen. Trotz des Unterhaltungswerts ihrer Inhalte legt Siegert großen Wert auf Authentizität und fundierte Recherche. Sie überprüft und nennt ihre Quellen sorgfältig, um sicherzustellen, dass ihre Inhalte akkurat und informativ sind.

Der TikTok-Auftritt der Bildungsstätte Anne Frank ist ein weiteres Beispiel für die Nutzung sozialer Medien im Bereich der Holocaust-Erziehung und Erinnerungskultur. Durch kreative und ansprechende Inhalte auf TikTok werden junge Menschen auf spielerische Weise für das Thema sensibilisiert und dazu angeregt, sich intensiver mit den Ereignissen der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Diese Kampagne zeigt, wie wichtig es ist, innovative Wege zu finden, um historische Bildung auch auf Plattformen wie TikTok zu vermitteln, um eine breite und diverse Zielgruppe zu erreichen.

Soziale Medien sind also nicht nur Teil des Problems, sondern können auch zur aktiven Erinnerungskultur sowie historischen, politischen und Medienbildung beitragen.

Antisemitismus-Bekämpfung in digitalen Räumen: Prävention und Intervention

Die rasante Verbreitung von Fehlinformationen und antisemitischen Inhalten auf Plattformen wie TikTok oder Instagram stellt eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie dar. Doch wie können wir dieser Gefahr begegnen? Wie könnten Präventions- und Interventionsstrategien aussehen, um antisemitische Inhalte in den sozialen Medien einzudämmen und die Sicherheit und Toleranz online zu fördern? In erster Linie sollte es darum gehen, junge und ältere Menschen davor zu bewahren, Fehlinformationen als Wahrheit zu akzeptieren und Entscheidungen auf falschen Annahmen zu treffen. Antisemitische Inhalte haben das Potenzial, nicht nur die öffentliche Meinung zu prägen, sondern auch politische Ansichten zu formen und Wahlen zu beeinflussen.

Im Umgang mit Antisemitismus, Fake News, Interner Link: Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Extremismus können präventive Maßnahmen dazu beitragen, Einstellungen und Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu begegnen, bevor sie sich zu gefestigten extremistischen Überzeugungen oder Aktivitäten entwickeln.

Doch wie lässt sich eine derartige Prävention wirksam gestalten? Bildungsprogramme, Sensibilisierungskampagnen und interkulturelle Dialoge spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie zielen darauf ab Menschen frühzeitig zu ermutigen, Vorurteile und Diskriminierung zu erkennen, antisemitische Inhalte sowie Verschwörungserzählungen zu durchschauen und ihnen angemessen zu begegnen. Der Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung wiederum fördert ein größeres Verständnis einer inklusiven und vielfältigen Gesellschaft.

Weiterhin ist insbesondere im Kontext von antisemitischen Verschwörungserzählungen in den sozialen Medien die Stärkung der digitalen Medienkompetenz wichtig. Diese sollte eingebettet sein in historische und politische Bildung, die das kritische Denken und die Medienmündigkeit der Nutzer*innen fördert.

In der Literatur – und zunehmend auch in der Praxis – werden verschiedene Ebenen der Prävention diskutiert: Interner Link: primäre, sekundäre und tertiäre Prävention. Obwohl diese Kategorien ihre Schwächen haben und kritisiert werden, bieten sie dennoch einen nützlichen Rahmen, um unterschiedliche Ansätze zu betrachten und anzupassen, abhängig von der Schwere des Problems, der Zielgruppe und dem spezifischen Thema.

Ideal wäre es, wenn von Anfang an verhindert werden kann, dass radikale Denkweisen Fuß fassen. Das ist das Ziel primärer Präventionsmaßnahmen: Etwa durch die Förderung von digitaler Medienkompetenz und kritischem Denken, um die Verbreitung antisemitischer Inhalte und Verschwörungserzählungen in den sozialen Medien effektiv begegnen zu können und bestenfalls einzudämmen. Und das nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch außerhalb der Schulen, in der Zivilgesellschaft. Primäre Prävention ist also sehr breit zu verstehen und setzt bereits im Vorfeld des Auftretens demokratiegefährdender Einstellungen und Handlungen an.

Doch was tun wir, wenn Menschen bereits Anzeichen zeigen, dass sie anfällig für antisemitische Verschwörungserzählungen sind? Das ist der Fokus der sekundären Prävention. Hier wird auf gezielte Aufklärungskampagnen und Unterstützungsangebote für diejenigen gesetzt, die sich bereits in antisemitischen Online-Gemeinschaften bewegen. Doch das ist nicht einfach. Viele von ihnen misstrauen staatlichen Institutionen zutiefst. Hier kommen Fact-Checking-Angebote ins Spiel, die eine wichtige Rolle dabei spielen, Desinformationen zu entlarven und Menschen mit fundierten Fakten zu versorgen. Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreiche Aufklärungskampagne ist die Initiative „Exit“, die Menschen bei der Ausstiegsarbeit aus rechtsextremen und radikalisierten Gruppierungen unterstützt.

Wenn Menschen bereits tief in antisemitischen Netzwerken stecken, kommt die tertiäre Prävention ins Spiel. Hier wird Personen geholfen, aus diesen gefährlichen Denkmustern auszubrechen, Empathie zu entwickeln und sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei ist individuelle Unterstützung und Bereitstellung von Ressourcen entscheidend, um diesen Personen zu helfen, sich von Stereotypen zu lösen und einen positiven Weg in ihrem Leben zu finden.

Intervention bedeutet direkt einzugreifen, wenn antisemitische Vorfälle auftreten. Plattformbetreiber zum Beispiel müssen schädliche Inhalte moderieren und entfernen, während staatliche Institutionen die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen und die Strafverfolgung von antisemitischen Straftaten bzw. Verbrechen stärken. Auf diesem Wege kann gegen diese gefährlichen Erzählungen vorgegangen und unsere Gesellschaft geschützt werden.

In der Praxis zeigt sich, dass eine enge Verknüpfung dieser Maßnahmen und der beteiligten Personen und Organisationen besonders wirkungsvoll ist. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können effektive Lösungen entwickelt werden, um diese schädlichen Phänomene zu bekämpfen und eine respektvolle Online-Umgebung zu schaffen. Es bedarf dringend mehr qualitativ hochwertiger politischer Bildungsarbeit „am Ort des Geschehens“, also im Social-Media-Format. Die Idee von aufklärendem „Micro-Learning“ auf Plattformen wie TikTok könnte eine wirksame Antwort auf Desinformation sein.

Ferner spielt die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle im Kampf gegen antisemitische Inhalte in den sozialen Medien, insofern sie Menschen dazu ermutigt aktiv gegen Hassrede und Diskriminierung einzutreten. Bildungsprogramme, Sensibilisierungskampagnen und Unterstützung für Opfer sind dabei zentrale Instrumente. Doch gerade im außerschulischen Bereich mangelt es oft an Kontinuität. Kurze Projektlaufzeiten und gekürzte Mittel können dazu führen, dass begonnene Projekte ins Stocken geraten und die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen gefährdet wird.

Um nachhaltige Fortschritte im Kampf gegen antisemitische Verschwörungserzählungen zu erzielen, ist es daher entscheidend, dass Institutionen und Fördergeber langfristige Verpflichtungen eingehen und sich aktiv für die Unterstützung und den Ausbau präventiver Programme einsetzen. Diese sollte begleitet werden durch systematische Forschung, um fundierte Erkenntnisse über die Mechanismen von antisemitischen Verschwörungserzählungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu gewinnen. Durch empirische Studien und Analysen können wir besser verstehen, wie sich diese Phänomene verbreiten und welche Faktoren dazu beitragen, um auf dieser Basis Präventions- und Interventionsstrategien weiterzuentwickeln.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. habil. Nina Kolleck ist Universitätsprofessorin für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Bis 2023 war sie Professorin für Politische Bildung und Bildungssysteme an der Universität Leipzig.