Seit rund zwei Jahren wird in Deutschland mit wachsender Heftigkeit um die Ausrichtung der deutschen Erinnerungskultur gestritten. Der Streit nahm seinen Anfang im Frühjahr 2020 mit der öffentlichen Interner Link: Debatte um den Politikwissenschaftler Achille Mbembe, einen der bekanntesten Theoretiker des Interner Link: Postkolonialismus, der in seinen Schriften Interner Link: Holocaust und Kolonialismus in denselben globalen Entwicklungszusammenhängen verortet. Ihm warf u.a. der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vor, in seinen Schriften den Holocaust zu relativieren und das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Seitdem ist die Holocaust-Erinnerung als zentrales Element der deutschen Erinnerungskultur in den Mittelpunkt der Debatte gerückt, die neben vielen bedenkenswerten Stellungnahmen zunehmend schrille und polemische Töne hervorgebracht hat: Vorwürfe einer Holocaust-Leugnung von links an die Adresse von Postkolonialisten und Vertretern einer vergleichenden Genozidforschung werden von letzteren mit nassforschen Angriffen auf die deutsche Erinnerungskultur beantwortet: Die Erinnerung an den Holocaust und der Kampf gegen den Antisemitismus - so lautet der Vorwurf - sei in Deutschland als "Erlösungsnarrativ" in den Rang eines "Katechismus" erhoben worden, der nahezu jede Form der Kritik am Staat Israel als Antisemitismus verteufele. In provinzieller Blindheit befangen, lasse die deutsche Erinnerungskultur jede breitere, vergleichende Perspektive auf Interner Link: Imperialismus und Kolonialismus, Interner Link: Rassismus, Genozide und Massengewalt vermissen.
Die schrillen Polemiken der Debatte verdecken zum einen, dass beide Seiten durchaus legitime erinnerungskulturelle Anliegen vertreten, die sich keineswegs ausschließen. So ist die Erinnerung an den Holocaust, die nach 1945 jahrzehntelang kaum eine Rolle gespielt hatte, kein Ausdruck deutscher Provinzialität, sondern ein gelungenes Beispiel einer post-nationalen und beinahe globalen Erinnerungskultur, die sich – ausgehend von den USA – seit den 1980er/1990er Jahren schließlich auch in Deutschland und Europa durchgesetzt hat. Zugleich ist kaum zu übersehen, dass Kolonialismus und Imperialismus in vielen Ländern Europas keine vergleichbare öffentliche Erinnerungskultur hervorgebracht haben, wobei diese Diskrepanz besonders für Länder mit ungleich längerer kolonialer Tradition als Deutschland zu konstatieren ist, vor allem für Großbritannien. Kritische Erinnerung an den Holocaust einerseits und an Verbrechen des Kolonialismus und Imperialismus andererseits schließen sich nicht nur nicht aus, zumal Erinnerung kein Nullsummenspiel ist, wie es der Literaturwissenschaftler Michael Rothberg treffend formuliert hat. Im Gegenteil kann die mühsam durchgesetzte Interner Link: Holocaust-Erinnerung vor allem in den Ländern Europas als positives Beispiel wirken, auch der kolonialen und imperialen Vergangenheit des Kontinents die angemessene öffentliche Beachtung zu schenken.
Zum anderen ist in der schrillen öffentlichen Debatte der irrige Eindruck entstanden, dass es sich bei der oftmals beschworenen Singularität und Einzigartigkeit des Holocaust um ein Dogma handele, ja sogar ein Vergleichsverbot bestehe. Dabei wird nicht nur übersehen, dass jede Einschätzung als singulär einen systematischen Vergleich geradezu voraussetzt. Die Frage einer angemessenen Kontextualisierung des Interner Link: Holocaust und der Interner Link: NS-Politik hat die Wissenschaft seit Jahrzehnten immer wieder beschäftigt und eine Fülle theoretischer Debatten und empirischer Erträge hervorgebracht. Sie werden in den Feuilletons allerdings kaum zur Kenntnis genommen und von polemischen öffentlichen Debatten nahezu verdeckt.
So haben zum Beispiel das Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München und das Hugo Valentin Centre an der Universität Uppsala im November 2020 gemeinsam einen Workshop zum Thema "Colonial Paradigms of Violence" organisiert, der Forscherinnen und Forscher des Holocaust und der Kolonialgeschichte zusammenbrachte.
Doch schon von Anfang an haben Wissenschaftler nach möglichen Zusammenhängen von Holocaust und Kolonialismus gefragt. So definierte der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin in seinem 1944 erschienenen Buch "Axis Rule in Occupied Europe" den von ihm geschaffenen Begriff "Genozid" als einen Prozess, der nicht zuletzt auch durch die "Kolonisierung" eines besetzten Landes und den Austausch von deren Bevölkerung durch die des Besatzers gekennzeichnet sei." Mehr noch als in seinem berühmt gewordenen Buch hat Lemkin in seinen unveröffentlichten Arbeiten immer wieder auf Beispiele kolonialer und imperialer Gewalt Bezug genommen, um den Begriff des "Genozids" zu illustrieren. Auch andere Zeitgenossen stellten Bezüge zwischen kolonial-imperialer Massengewalt und den Massenverbrechen des Nationalsozialismus her, darunter Aimé Césaire in seinem 1950 erschienenen Buch "Discours sur le colonialisme", in dem er Holocaust und NS-Verbrechen als "Anwendung kolonialistischer Praktiken auf Europa" bezeichnete, oder Interner Link: Hannah Arendt in ihrer 1951 erstmals erschienenen Studie "The Origins of Totalitarianism", in der sie Antisemitismus, Expansionsdrang und Rassedenken nicht zuletzt im europäischen Imperialismus verortete.
Bewegten sich solche Thesen lange Zeit eher im Rahmen allgemeiner Deutungen und Überlegungen, so nahm die Debatte um das Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust nach der Jahrtausendwende an Fahrt auf. Der Historiker Jürgen Zimmerer und andere stellten dabei den Holocaust in eine unmittelbare Kontinuitätslinie zu den deutschen Kolonialverbrechen der Kaiserzeit, vor allem im Hinblick auf den Interner Link: deutschen Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika 1904-1908. Die meisten an der Debatte beteiligten Historikerinnen und Historiker wiesen jedoch solch einfach gestrickte Kontinuitätsthesen zurück: Eine Interner Link: kausale Kontinuität "von Windhuk nach Auschwitz" und die Deutung des Holocaust als "kolonialer Genozid" konstruiere einen deutschen Sonderweg kolonialer Massengewalt, der die transnationale Realität westlich-kolonialer Gewaltpraxis der damaligen Zeit ignoriere. Eine Rückführung von Genoziden auf koloniale Ursprünge könne zudem nicht erklären, warum ausgerechnet die Nationen mit der längsten und gewaltreichsten Kolonialtradition nach 1918 keine völkermörderischen Exzesse praktizierten. Die einseitige Fixierung auf die koloniale Gewalt blende die Gewaltgeschichte des Interner Link: Ersten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit aus, die für die nationalsozialistische Gewaltpraxis viel bedeutender gewesen sei. Zwischen Windhuk und Auschwitz gäbe es weder strukturelle noch personelle Kontinuitäten. Überdies sei das Phänomen des Kolonialismus historisch viel zu komplex, um auf eine bloße Geschichte von Vernichtung reduziert zu werden.
Geht man vom Holocaust im engeren Sinne aus, dann lassen sich weitere Argumente gegen einfache Kontinuitätsthesen anführen: Während sich koloniale Massaker und Massengewalt in der Regel aus einem Guerillakrieg der indigenen Bevölkerung gegen die Kolonialherren entwickelten, lag dem Holocaust kein realer Konflikt, sondern ideologische Projektionen zugrunde. Er war auf kein spezifisches Territorium beschränkt und repräsentierte den präzedenzlosen Versuch, ein Volk mitsamt Frauen und Kindern "von der Erde verschwinden zu lassen", wie es Reichsführer SS Himmler formulierte. Im Holocaust standen sich auch nicht eine Nation und das koloniale "Andere" gegenüber, ging doch dem Holocaust eine umfassende rassistisch-antisemitische Neuformatierung der eigenen Nation voraus. Vor allem für die antijüdische Politik, wie sie sich beispielhaft in den berüchtigten Interner Link: "Nürnberger Gesetzen" manifestierte, lassen sich keinerlei koloniale Vorläufer finden. Die Besonderheiten von Judenverfolgung und Holocaust und das auf ihnen gegründete Argument der Singularität sind keine rückblickenden Konstruktionen, die vermeintliche Hohepriester der Erinnerungskultur als Dogma verkünden, sondern wurden schon von Zeitgenossen hervorgehoben. So konnten die verfolgten Juden den Massenmord in ihren Tagebüchern und Aufzeichnungen in keine Kontinuität zu vorherigen Gewaltaktionen und -erfahrungen einordnen und bezeichneten ihn deshalb vielfach als "das größte Verbrechen, das jemals in der gesamten Geschichte verübt wurde."
Doch nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter begriffen ihr Vorgehen als singulär. Überhaupt pflegte der Nationalsozialismus ein betont anti-historistisches Selbstverständnis und begriff sich nicht in der Abfolge vorheriger Regime und Reiche, sodass Hitler schließlich sogar die Verwendung des Begriffes "Drittes Reich" für unerwünscht erklärte. Auf diese Weise sollte nicht nur der Eindruck vermieden werden, dass der NS-Staat in der Kontinuität zu vorherigen Reichen stehe, sondern auch, dass dem "Dritten Reich" ein weiteres nachfolgen könne. Vergangenheit und Gegenwart galten dem Nationalsozialismus nämlich als Zustände, die durch radikales Handeln überwunden und in einen Ewigkeitszustand überführt werden sollten: In ein "Tausendjähriges" Reich, in dem Geschichte faktisch abgeschafft und grundlegende Probleme durch ihre "Endlösung" für immer überwunden sein sollten.
Von seiner "Einzigartigkeit" fest überzeugt, sah er sich dementsprechend auch nicht in ungebrochener Tradition zum deutschen Kolonialismus. Schon in Interner Link: "Mein Kampf" hatte Hitler unmissverständlich erklärt, "bewusst einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit" ziehen zu wollen: "Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft." Zwar stellte der Nationalsozialismus umfassende koloniale Planungen an, in dem jedoch die Schwerpunkte deutscher Kolonialtradition, vor allem in Afrika, immer nur als "Ergänzungsraum" für das angestrebte "Ostimperium" fungierten.
Das singuläre Selbstverständnis des Nationalsozialismus wird in der Debatte um Kontexte und Kontinuitäten nicht immer angemessen gewichtet. Dennoch sollte die historische Forschung der Frage nach Kontinuitäten, Kausalitäten und Kontexten der NS-Politik nicht ausweichen und deshalb auch den Kolonialismus in seinen Folgewirkungen untersuchen. Dafür eignet sich der Holocaust mit seinen Besonderheiten jedoch thematisch weitaus weniger als andere Elemente der NS-Herrschaft. Vor allem zwei sind in besonderer Weise prädestiniert, unter kolonialen Prämissen näher analysiert zu werden, nämlich das breite Feld nationalsozialistischer Massengewalt jenseits des Holocaust sowie der Versuch, die Vision neuen "Lebensraums" im Interner Link: Zweiten Weltkrieg durch Interner Link: Okkupation Mittel- und Osteuropas im Rahmen eines imperialistischen Vernichtungskrieges zu verwirklichen.
Mit guten Gründen haben Historikerinnen und Historiker wie Shelley Baranowski oder Dirk van Laak den nationalsozialistischen Imperialismus in den zeitlichen Längsschnitt eines deutschen Imperialismus eingeordnet, der im Interner Link: Bismarckreich einsetzte und Interner Link: 1945 endete. Dabei nehmen sie auch den Kolonialismus des Kaiserreiches in den Blick, ohne jedoch die Geschichte des deutschen Imperialismus als Abfolge bruchloser Kontinuitäten zu präsentieren oder den NS-Imperialismus mit imperialen Strategien anderer Mächte gleichzusetzen. Der britische Historiker Mark Mazower hat in letzterer Hinsicht argumentiert, dass die Besonderheiten des nationalsozialistischen Imperialismus in dem Versuch bestanden hätten, eine koloniale Herrschaft nicht außerhalb, sondern innerhalb Europas zu begründen und damit einen weißen Grundkonsens aufgekündigt zu haben. Ganz in diesem Sinne hat Wendy Lower in ihrer Analyse des NS-Herrschaftsaufbaus in der Ukraine den Begriff "Nazi Colonialism" verwendet oder Dieter Pohl im Hinblick auf Galizien von einer "totalitären Kolonialverwaltung" gesprochen, um die dortigen NS-Herrschaftspraktiken zu beschreiben.
Besonders die umfassenden Pläne zur ethnischen "Säuberung" und Neuordnung der besetzten Gebiete inklusive deutscher Siedlungskerne und "Wehrdörfer" in Osteuropa, wie sie vor allem im "Generalplan Ost" zum Ausdruck kamen und nach dem Holocaust verwirklicht werden sollten, drängen sich thematisch geradezu auf, um unter "kolonialer" Perspektive vergleichend analysiert zu werden. Sie können auch als Form des "Settler Colonialism" betrachtet werden, der darauf ausgerichtet war, die angestammte Bevölkerung nicht primär für Arbeitszwecke auszubeuten, sondern sie langfristig durch eine neue Bevölkerung der Kolonialnation zu ersetzen.
Auch die Ansiedlung "Volksdeutscher" und die "Wiedereindeutschungsverfahren" in den ausdrücklich ins Deutsche Reich inkorporierten Ostgebieten kann dementsprechend unter kolonialen Perspektiven analysiert werden.
Eine Interpretation nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft in Osteuropa unter kolonialen Vorzeichen ist schon deshalb nahezu unvermeidlich, weil die deutschen Akteure koloniale Begriffe und Deutungsmuster fast inflationär verwendeten, um ihre Tätigkeit und das mittel- bzw. osteuropäische Umfeld zu beschreiben. So bezeichnete der Reichskommissar für die Ukraine, Erich Koch, die Ukrainer oft als "Neger", die bei Fehlverhalten öffentlich ausgepeitscht werden sollten. Dementsprechend notierte auch eine ukrainische Frau in ihrem Tagebuch: "Wir sind wie Sklaven. Ich muss oft an das Buch ‚Onkel Toms Hütte‘ denken. Einst haben wir über diese Neger Tränen vergossen, nun erleben wir offensichtlich das Gleiche." Auch die ukrainischen Hilfstruppen der SS, die "Trawniki"-Männer, wurden oft als "Schwarze" oder "Askaris" bezeichnet, in Anlehnung an die farbigen Kolonialtruppen im Ersten Weltkrieg unter dem Kommando des Generals von Lettow-Vorbeck. Im annektierten Polen beschrieben die Reichsdeutschen selbst die volksdeutschen Umsiedler in einer Sprache, die den Darstellungen eines kolonialen "Anderen" ähnelte. Ein polnischer Zeuge berichtete, dass Reichsdeutsche die Baltendeutschen häufig als "die dummen Hottentotten" bezeichneten.
Zwar kann man von keiner größeren Präsenz ehemals deutscher kolonialer Akteure in Osteuropa sprechen, vor allem nicht unter den führenden Vertretern der deutschen Besatzungsmacht, doch sind Personen aus kolonialen Kontexten durchaus auszumachen. So befanden sich zum Beispiel Absolventinnen der "Kolonialen Frauenschule" ebenso im "Osteinsatz" wie Repräsentanten früherer kolonialwirtschaftlicher Unternehmen, die in den Wirtschaftsstäben der Besatzer Dienst taten oder bei der Anlage von Tabakpflanzungen in der Ukraine assistierten. Im Generalgouvernement waren zahlreiche Bremer und Hamburger Handelsunternehmen als "Kreisgroßhändler" eingesetzt, die zuvor wirtschaftlich vor allem in Afrika tätig gewesen waren und nicht zuletzt wegen ihrer kolonialen Erfahrungen im besetzten Polen verwendet wurden. In ihren Berichten hoben sie vielfach hervor, dass die "Primitivität Polens sehr stark an Afrika" erinnere.
Insgesamt lieferte der Kolonialismus offensichtlich ein willkommenes Deutungsarsenal für die Akteure der deutschen Besatzungsmacht im Osten, auch wenn diese – schon wegen ihres oft jungen Alters – über keinerlei koloniale Erfahrungen verfügten. "Kolonisation" verlieh der eigenen Tätigkeit gewissermaßen höhere Weihen als Mission und "Pionieraufgabe" für künftige Generationen, und gleichzeitig legitimierte sie auch die rassistische Hierarchisierung der besetzten Gebiete und das Selbstverständnis als "Herrenmensch".
Neben der deutschen Besatzungsherrschaft im Osten lohnt auch das breite Feld nationalsozialistischer Massengewalt jenseits des Holocaust, um unter der Perspektive kolonialer Kausalitäten und Kontinuitäten analysiert zu werden. Bekanntlich wurzelte die NS-Exklusions- und Vernichtungspolitik nicht allein im Antisemitismus, sondern verfügte über ein deutlich breiteres ideologisches Fundament, zu dem auch die Rassenhygiene und (kolonialer) Rassismus, Interner Link: Antiziganismus und Anti-Slawismus gehörten.
So waren die Interner Link: nationalsozialistischen Konzentrationslager bekanntlich auch Stätten medizinischer Experimente an Häftlingen als "lebendfrischem Material" und ein abschreckendes Beispiel für eine "Medizin ohne Menschlichkeit", die auch koloniale Vorläufer hatte. So hatte sich bereits Nobelpreisträger Robert Koch in der Kolonialzeit für die Einrichtung von "Konzentrationslagern" für Kranke ausgesprochen, wobei sich die deutsche Kolonialmedizin in ihren Methoden nicht entscheidend von ihren europäischen Pendants unterschied. Neuere Forschungen von Sarah Ehlers zeigen, dass manche Ärzte, die in Deutsch-Ostafrika die Schlafkrankheit erforscht und dabei medizinische Experimente an der indigenen, in Internierungslagern festgehaltenen Bevölkerung durchgeführt hatten, diese Menschenversuche und medizinischen Experimente auch im "Dritten Reich" fortsetzten. Dabei griffen sie nun auf KZ-Häftlinge, partiell auch auf Insassen jüdischer Ghettos zurück.
Schon länger bekannt sind die Verquickung der Rasseforschung am "Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik" mit den Massenverbrechen in der NS-Zeit, darunter an KZ-Häftlingen sowie Interner Link: Sinti und Roma. Dies gilt nicht zuletzt für die kolonialen Bezüge der dort tätigen Wissenschaftler, zum Beispiel des Institutsdirektors Eugen Fischer, der 1913 eine Studie über die "Rehobother Bastards" in Deutsch-Südwestafrika vorgelegt hatte und im Dritten Reich unter anderem für die Zwangssterilisation von Kindern deutscher Frauen und farbiger Besatzungssoldaten mitverantwortlich zeichnete.
Insgesamt dokumentieren die erwähnten Forschungsfelder und Projekte, dass die wissenschaftliche Forschung zu kolonialen Bezügen der NS-Herrschaft voranschreitet und entsprechende Diskussionen seit langem geführt werden, ohne in der weiteren Öffentlichkeit oder in erinnerungskulturellen Deutungskämpfen gebührende Beachtung zu finden. Dabei wird eine unmittelbare Verbindung von Holocaust und Kolonialismus mit guten Gründen eher skeptisch gesehen. Die Fragen nach Kontinuitäten bzw. der Vergleich an sich sind aber kein Tabu, sondern nicht zuletzt im Feld der Holocaust Studies üblich. Darüber hinaus ist kaum zu bestreiten, dass sich der NS-Imperialismus und das breite Feld nationalsozialistischer Massengewalt geradezu aufdrängen, vergleichend und damit auch unter kolonialen Prämissen erforscht und analysiert zu werden.
Eine längere Version dieses Beitrags erschien zuerst in der Zeitschrift "Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Band 70 Heft 1)" und wurde für bpb.de gekürzt und überarbeitet. Den vollständigen Beitrag finden Sie Externer Link: hier.