Die Parole "Deutschland den Deutschen" ist eine der zentralen Forderungen der militanten Rechtsextremen. Für sie sind die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften, wie sie seit den fünfziger Jahren bis zum Anwerbestopp 1973 betrieben wurde, die Gewährung von Asyl an politisch Verfolgte, die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die (befristete) Aufnahme der Opfer von Bürgerkriegen in Deutschland Etappen auf dem Weg in eine drohende oder ihrer Ansicht nach bereits eingetretene "Überfremdung".
In einem "Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung", der von zahlreichen intellektuellen Rechtsextremisten unterstützt wird, ist sogar vom "Völkermord am deutschen Volk" die Rede. In der in hoher Auflage verbreiteten Druckschrift wird der Bundesregierung und den deutschen Behörden die Absicht unterstellt, "das deutsche Volk auszulöschen, die 'Bevölkerung' des bislang deutschen Gebietes (eben Deutschlands!) so umzuvolken, dass nichts Deutsches mehr bleibt".
Zu den Beispielen für das schändliche Treiben der deutschen Regierung gehört auch die Behauptung, sie verweigere den Russlanddeutschen die Rückkehr in die deutsche Heimat. Tatsächlich sind 1,9 Millionen deutschstämmige Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen und als vollberechtigte Bürger eingegliedert worden. Insgesamt hat die Bundesrepublik zwischen 1950 und 2000 rund vier Millionen deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa integriert.
Abgesehen davon, dass die vorgebrachten Argumente nicht der Wahrheit entsprechen, ist die Vorstellung, der Staat betreibe systematische Ausrottung des eigenen Volkes und erstrebe die "Überfremdung", unsinnig. Deutschland ist übrigens kein Land, in dem verhältnismäßig viele Ausländer leben. Der Anteil ist bei vielen unserer Nachbarn erheblich höher. In Luxemburg sind 26 Prozent der Wohnbevölkerung Ausländer, in der Schweiz sind es 17 Prozent, in Belgien zehn Prozent, in Frankreich acht Prozent, in der Bundesrepublik beträgt der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung sechs Prozent.
Kann eine so kleine Minderheit die Mehrheit "überfremden"? Im Ernst kann auch keine Rede von verstärkter Zuwanderung und schließlicher "Überfremdung" sein. Im Jahre 1998 sind beispielsweise 605500 Ausländer zugezogen, 639000 sind weggezogen, am Ende des Jahres lebten also 34000 Ausländer weniger in Deutschland. Und dieses Jahr ist keine Ausnahme.
Rechte Agitation vermengt, um Angst vor Ausländern, vor "Überfremdung" zu schüren, die einzelnen Gruppen von Ausländern, die ins Land kommen:
Flüchtlinge, die nur geduldet werden, solange in ihrer Heimat Gefahr für Leib und Leben oder Freiheit besteht. Sie sind keine Asylbewerber, ihre Gesamtzahl betrug 1997 360000. Sie haben keine Arbeitserlaubnis.
Asylbewerber, die einen Antrag gestellt haben und auf dessen Entscheidung warten (320000 im Jahr 1997). Sie haben keine Arbeitserlaubnis.
Asylberechtigte, die als politisch Verfolgte anerkannt sind. (Diesen Status erhielten etwas mehr als 300000 Menschen. Nach der Neuregelung des Asylgesetzes ist die Zahl der Asylberechtigten stark rückläufig.)
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge mit nur vorübergehender Aufenthaltserlaubnis. Sie dürfen keinen Antrag auf Asyl stellen, haben keine Arbeitserlaubnis, ihre Zahl betrug 1997 254000.
Konventionsflüchtlinge. Sie fallen nicht unter die Bestimmungen des Asylartikels des Grundgesetzes, stehen aber unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die von der Bundesrepublik zusammen mit 122 weiteren Staaten unterzeichnet wurde, 1997 waren 25500 solcher Flüchtlinge im Land.
Kontingentsflüchtlinge. Im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen übernimmt die Bundesrepublik wie andere Staaten eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen wie zum Beispiel Boat people aus Vietnam und Personen jüdischen Glaubens aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Für alle Ausländer, die nicht aus Ländern der Europäischen Union kommen, gilt seit 1973 (dem Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte) ein Arbeitsverbot. Nur für wenige Stellen, die nicht mit deutschen Arbeitskräften zu besetzen sind (weil es keine Bewerber gibt), können befristete Ausnahmeregelungen getroffen werden.
Mit dem Status "Gastarbeiter" sind seit den fünfziger Jahren Ausländer angeworben worden, weil die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland Arbeitskräfte benötigte. Das "Wirtschaftswunder", um das Westdeutschland beneidet wurde, wäre ohne die ausländischen Arbeitnehmer nicht möglich gewesen. Ab 1953 bemühten sich die Bauernverbände um italienische Arbeiter für die deutsche Landwirtschaft. Die Industrie folgte, bis zum Anwerbestopp 1973 kamen circa 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte ins Land. Davon kehrten elf Millionen wieder in ihre Heimatländer zurück. Sie haben einen hohen Anteil an unserer Wirtschaftskraft. 200 Milliarden DM erarbeiten sie für das deutsche Bruttosozialprodukt jährlich. Ihre Beiträge in die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenkassen sind für das deutsche Sozialsystem unverzichtbar. Von der strukturbedingten Arbeitslosigkeit sind Ausländer stärker betroffen als Deutsche, weil sie in höherem Maße als deutsche Arbeitnehmer Arbeitsplätze einnehmen, die von der Rationalisierung bedroht sind. Auch sie nahmen also den Deutschen keine Arbeitsplätze weg.
Derzeit fehlen in Deutschland 75000 Fachkräfte in der Sparte Informatik. Sie sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zu finden, deshalb sollen Experten aus anderen Ländern die befristete Erlaubnis erhalten, den Engpass zu überbrücken. Fachleute schätzen den künftigen Bedarf an qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland auf bis zu 500000 pro Jahr. Sie sind auch notwendig als Beitragszahlende für die Rentenkasse. Wenn Wirtschaftskraft und Wohlstand in Deutschland fortbestehen sollen, ist die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften unerlässlich.
Literatur
Bade, Klaus (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992.
Butterwege, Christoph / Hentges, Gudrun (Hg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik, Opladen 2000.
Stroux, Marily / Dohrn, Reimer: Blinde Passagiere. Es ist leichter, in den Himmel zu kommen als nach Europa, Frankfurt a. M. 2000.