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Auschwitzlüge | bpb.de

Auschwitzlüge

Der Ausdruck "Auschwitzlüge", mit dem unterstellt wird, die Realität des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden existiere nicht, erschien erstmals als Titel einer 1973 veröffentlichten Broschüre des deutschen Nazis Thies Christophersen. Er war 1944 als SS-Mann in Auschwitz in einer Versuchsabteilung für Pflanzenzucht tätig gewesen. Die Kompetenz des Augenzeugen in Anspruch nehmend, wollte Christophersen (der mit dem Mordprogramm nichts zu tun hatte und dessen Arbeitsplatz sich an der Peripherie des Lagerkomplexes befand) nachweisen, dass Auschwitz für alle, auch für Häftlinge ein eher harmloser Aufenthaltsort war. Bei der Arbeit sei getanzt und gesungen worden, und es habe einige Zeit gedauert, bis sich die in unterernährtem Zustand eingelieferten Häftlinge in Auschwitz "herausgefuttert" hätten.

Der Amerikaner Fred Leuchter, selbst ernannter Ingenieur und Hinrichtungsfachmann, verfasste den so genannten "Leuchter-Report", der seit 1988 kursiert. Mit ihm haben die Leugner des Völkermords und Apologeten des Nationalsozialismus eine neue Taktik der Anzweiflung historischer Realität eingeführt, nämlich den Versuch mit naturwissenschaftlichen und technischen Argumenten zu beweisen, dass die Morde in Auschwitz, Treblinka, Majdanek und allen anderen Vernichtungsstätten aus technischen Gründen gar nicht möglich gewesen seien.

"Naturwissenschaftliche Sachbeweise" sollen historische Dokumente (deren Echtheit anzuzweifeln unter Auschwitz-Leugnern schon längere Tradition hat) entwerten und ersetzen, um historische Realitäten ungeschehen zu machen. Zu den Methoden gehören Spekulationen über die Wirkung des in Auschwitz verwendeten Giftgases Zyklon B ebenso wie "Berechnungen" über den Koksverbrauch, die Kapazität der Krematorien in den Vernichtungslagern oder über die Brenndauer von Leichen, immer mit dem Ziel, nachzuweisen, dass die Massenmorde an den Juden gar nicht möglich waren. Das Urteil professioneller Naturwissenschaftler hierzu ist vernichtend, hindert die Auschwitz-Leugner aber nicht an ihrer Propaganda.

Als sich der Altnazi Otto Ernst Remer (Generalmajor a.D. und nach 1945 jahrzehntelang einer der Protagonisten der Neonazi-Szene) 1992 wegen Leugnens des Völkermords vor Gericht verantworten musste, beauftragte er einen Diplom-Chemiker mit einem "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den 'Gaskammern' von Auschwitz". Mit Tabellen und Kurven, Zahlen und "chemischen Analysen" sollte einmal mehr bewiesen werden, dass die Morde in Auschwitz naturwissenschaftlich gar nicht möglich waren. Nach ihrem Verfasser heißt diese Schrift auch "Rudolf-Report". Rudolf betätigt sich unter dem Namen Germar Scheerer (ebenso unter dem Pseudonym Ernst Gauss) inzwischen im Ausland weiterhin einschlägig, er ist Chefredakteur einer Zeitschrift "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung", die sich der Leugnung des Holocaust widmet. Vom Gericht wurde das Gutachten seinerzeit nicht akzeptiert.

Die Leugner des Holocaust spekulieren mit solchen Methoden auf die Unsicherheit des Publikums gegenüber den historischen und moralischen Problemen, greifen verbreitete Vorbehalte und Stereotype gegen Juden auf und arbeiten geschickt mit Verschwörungstheorien und nationalistischen Emotionen. Seit 1985 ist die Leugnung des Holocaust in der Bundesrepublik strafbar, weil sie eine Beleidigung der Opfer darstellt.

Literatur

  • Bailer-Galanda, Brigitte / Benz, Wolfgang / Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Die Auschwitzleugner. "Revisionistische" Geschichtslüge und historische Wahrheit, Berlin 1996.

  • Lipstadt, Deborah E.: Betrifft: Leugnen des Holocaust, Zürich 1994.

Fussnoten