Die Unterrichtsideen sollen den Filmeinsatz in schulischen und außerschulischen Zusammenhängen unterstützen und die Lernenden dazu befähigen, sich mit der Geschichte der Rettung von Anna Boros und ihrer Familie zu beschäftigen und sie gleichzeitig medienkompetent zu reflektieren.
Eckpunkte einer Rettung
Wenn zu Beginn des Lernvorhabens ein gemeinsames Verständnis des Films geschaffen werden soll, bieten kreative Aufgaben eine Alternative zur bewährten Zusammenfassung: Lernende können etwa ein Storyboard zeichnen, einen Podcast erstellen oder auf Plakaten Kurzbiografien von Mod Helmy und Anna Boros anfertigen. Vor allem aber bietet die Positionierung in Raum und Zeit einen Ansatzpunkt: Der Film "Mohamed und Anna" liefert straßengenaue Angaben zu den Schauplätzen: Das Robert-Koch-Krankenhaus in Moabit (04:34, Turmstraße 21–22) lässt sich ebenso lokalisieren wie Mod Helmys Wohnung in der Krefelder Str. 7 (15:39) und zahlreiche weitere Orte. Eine kurze Internetrecherche führt zu aktuellen Karten sowie zu Stadtplänen aus der NS-Zeit. In diese können die Schülerinnen und Schüler die Orte des Geschehens eintragen und um die entsprechenden Jahreszahlen ergänzen.
Wie erinnern?
Mod Helmy wurde nicht nur als "Gerechter unter den Völkern" gewürdigt, sondern bereits 1962 vom Berliner Senat für seine Hilfeleistung geehrt. Anerkennung zollt ihm zudem eine "Berliner Gedenktafel" an seinem früheren Wohnhaus in der Krefelder Straße 7 (Q1). Schülerinnen und Schüler können hier zunächst diskutieren, wie angemessen sie die bisherigen Ehrungen finden und von da aus allgemeinere Überlegungen zur Rolle des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus anstellen. In einem dritten Schritt können sie dann selbst Vorschläge für ein Gedenkzeichen für die Hilfeleistung einbringen – etwa, indem sie selbst für einen Ort ihrer Wahl eine Gedenktafel gestalten. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Lerngruppe zuvor intensiv mit dem Vorbildcharakter von Helmys Handlungen auseinandergesetzt hat.
Warum hilft ein Mensch?
Kern einer jeden Unterrichtseinheit zum Film ist die Rekonstruktion der Motive, die Mod Helmy zur Hilfe bewogen. Sinnvoll ist es, für einen konkreten Zeitpunkt – Anfang März 1942 – zu fragen, welche Gründe für und gegen eine Unterstützung der Hilfesuchenden sprachen. Eine einfache Tabelle kann helfen, die Überlegungen zu ordnen. Die gesammelten möglichen Motive und denkbaren Risiken werden Punkt für Punkt daraufhin geprüft, inwieweit der Dokumentarfilm sie in den Vordergrund rückt und inwieweit wir sie heute noch mithilfe von Quellen plausibel machen können. Gemeinsam kann die Lerngruppe überlegen, wie die Motive zusammenspielen und ineinandergreifen. Um einen Bezug zur Gegenwart und Lebenswelt der Lernenden herzustellen, ist es denkbar, anschließend Situationen sammeln zu lassen, in denen die Lernenden oder ihr Umfeld anderen Hilfe leisteten, und zu reflektieren, mit welchen Gefahren die Hilfe jeweils verbunden war. Wichtig ist dabei, neben den Analogien auch die erwartbar großen Unterschiede zwischen den Situationen hervorzuheben.
Ins Bild gesetzte Autorität
Wie präsentiert ein Film jemanden als sachverständig und überzeugend? Schülerinnen und Schüler können am Standbild (03:46, 07:56, 12:10, 23:04, 24:01, 35:07, 35:57, 36:10) analysieren, wie die redende Person jeweils dargestellt wird und was sonst noch im Bildausschnitt zu sehen ist: Der Zeitzeuge sitzt in seinem heimischen Wohnzimmer in seinem heimeligen Sessel, die Gedenkstättenmitarbeiterin steht im Keller vor den Archivregalen, der "Historiker" (der eigentlich Jurist und Journalist ist) führt uns an die Schauplätze und ins Archiv. Um zu verstehen, dass es sich jeweils um bewusste Inszenierungen handelt, können die Lernenden prüfen, welchen Effekt der Austausch von Bildelementen hätte – wenn beispielsweise alle drei vor einem schwarzen Hintergrund, hinter Gitterstäben oder in einem Schnellrestaurant gefilmt worden wären.
Porträtfotos – Illustration oder Quelle?
Seit Geschichten erzählt werden, gibt es den Wunsch, den handelnden Figuren ein Gesicht zu geben. Gerade deshalb lohnt es sich, Lernende die unterschwelligen Eindrücke, welche gerade Personenbilder beim Betrachter hinterlassen, reflektieren zu lassen. Bei den rechts (Q3, Q4) wiedergegebenen Bildern von Anna Boros und Mod Helmy handelt es sich etwa um Passbilder (z. B. bei 35:15–35:27, 06:27–06:37). Wie geeignet sind sie? Passen sie zum jeweiligen Sprechtext? Schülerinnen und Schüler können überlegen, unter welchen Umständen die Bilder entstanden sind und ob sie einen Bericht über ihre eigene Lebensgeschichte vom Bild in ihrem Ausweis unterlegt wissen möchten. Vielfach bringt Taliya Finkel Bewegung in die Fotografien, indem sie die Kamera über Ausschnitte schwenken lässt oder Gesichter langsam hineinzoomt. Lernende können diese Technik mithilfe von Schablonen an Standbildern oder hinzugenommenen Fotografien nachahmen und erproben, wie man eine Person in einem möglichst guten (oder schlechten) Licht erscheinen lassen kann. Auch die Wirkung der Farbigkeit kann thematisiert werden: Warum sehen wir die NS-Zeit durchweg in Schwarzweiß, während ein einziges Originalbild (Q5) am Ende Farbe hineinbringt? (43:30–43:57)?
Einen Schlüssel, um mit Lernenden in das Spannungsfeld von Veranschaulichung und Authentizität einzusteigen, bietet eine Szene, die Schülerinnen und Schüler bei Probevorführungen des Films für gestellt hielten, die sich aber nach Aussage aller Beteiligten genauso zugetragen hat: Während Ronen Steinke am Alexanderplatz interviewt wird, zeigt ein Mann im Hintergrund unvermittelt den Hitlergruß (18:41). Die Motive des Mannes bleiben ein Rätsel, aber der Zweifel der Lernenden an der Echtheit der Situation bietet einen Ansatzpunkt, um den Film als etwas Gemachtes zu erkennen. Denn vom nur scheinbar Unauthentischen kann die Aufmerksamkeit auf andere Elemente des Films gelenkt werden, die tatsächlich nicht authentisch sind, obwohl sie den Eindruck erwecken. Während nämlich meist Originaldokumente gezeigt werden (z.B. 11:43–12:05), handelt es sich beispielsweise bei dem brisanten Brief, in dem sich Anna Boros zur Täuschung gegenüber der Gestapo selbst bezichtigt, um eine auf Wunsch der Regisseurin angefertigte Reproduktion (39:19-39:42). Mit Lernenden lässt sich fragen, ob sie dadurch die Überzeugungskraft des Films beeinträchtigt sehen. Oder sie können sich selbst einmal daran versuchen, ein möglichst »alt« aussehendes Dokument zu verfertigen, um zu erproben, wie leicht oder schwer es ist, Authentizität vorzugaukeln.
Prof. Dr. Oliver Plessow ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Universität Rostock. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. der pädagogische Umgang mit Massenverbrechen und Diktaturerfahrungen, transnationale Holocaust Education/Gedenkstättenpädagogik sowie historisches Lernen in der außerschulischen (non-formalen) Jugend- und Junge-Erwachsenen-Arbeit.
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