Flucht und Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern
Stephan Grigat
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Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern waren nahezu total. Von den fast 900.000 in arabischen Ländern vor 1948 lebenden Juden sind heute nur wenige Tausend übriggeblieben. Doch außerhalb Israels findet dieses Thema in gegenwärtigen Debatten zum Nahen und Mittleren Osten nur selten Erwähnung.
Massenexodus nach 1948
Außerhalb Israels sind Diskriminierung, Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten kaum ein Thema, und die etwa eine Million jüdischen Flüchtlinge, die seit 1948 die arabischen Staaten und seit 1979 den Iran verlassen haben, finden in gegenwärtigen Debatten zum Nahen und Mittleren Osten selten Erwähnung. So sind etwa die Pogrome in den marokkanischen Städten Oujda und Jérada 1948 ebenso wenig bekannt wie der Farhud in Bagdad: Bei jenem Pogrom des Jahres 1941 wurden etwa 180 Juden ermordet. Es bildete den Auftakt für das Ende der über zweieinhalbtausend Jahre alten jüdischen Gemeinde im Irak. Heute ist in Europa weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein gedrängt, dass Ende der 1930er-Jahre zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung der irakischen Hauptstadt jüdisch war, ein ähnlich großer Anteil wie zur selben Zeit in Warschau oder in New York, und dass allein in Nordafrika bis 1948 etwa eine halbe Million Juden lebte.
Während im 19. Jahrhundert noch zahlreiche Juden aus Russland und dem Balkan ins Osmanische Reich flohen , kommt es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Massenexodus der Juden aus den islamisch geprägten arabischen Gebieten. Ihre Flucht und Vertreibung aus den arabischen Ländern ist stark mit der europäischen und deutschen Geschichte verknüpft, insbesondere Interner Link: auf Grund der gegenseitigen Befruchtung des arabischen und des europäischen Antisemitismus und vor allem der nationalsozialistischen Politik im Nahen Osten, ebenso wegen des Interner Link: deutschen Massenmords an den europäischen Juden sowie der Interner Link: israelischen Staatsgründung am 14. Mai 1948. Gleichwohl waren die Gründe für die Flucht und Emigration von rund 850.000 Juden aus den arabischen Ländern mannigfaltig. Neben "push"-Faktoren wie Verfolgung und Diskriminierung, ökonomischer Not und politischer Instabilität in den arabischen Staaten existierten auch "pull"-Faktoren wie die zionistische oder religiöse Sehnsucht nach einer jüdischen Heimstätte, deren Erfüllung durch die Gründung Israels seit 1948 realisierbar erschien. Die Hauptursache muss jedoch in den antijüdischen Traditionen der islamisch dominierten Gesellschaften, dem manifesten Antisemitismus der jeweiligen arabischen Führungen und der israelfeindlichen Sicht auf den Konflikt mit dem jüdischen Staat in großen Teilen der arabischen Politik gesehen werden.
Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern waren nahezu total. Sie standen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Kriegsgeschehen – anders als im Fall der rund 700.000 Araber, die im Zuge der israelischen Staatsgründung und des darauffolgenden Interner Link: Angriffs der arabischen Armeen Syriens, Libanons, Jordaniens, Ägyptens und des Irak auch aus Angst vor einem nahenden Kampf flohen. Von den wiederum fast 900.000 in arabischen Ländern vor 1948 lebenden Juden sind heute nur wenige Tausend übriggeblieben, die Mehrheit von ihnen in Marokko und Tunesien.
So sind von den über 250.000 marokkanischen Juden nur etwa 2.000 im Land geblieben. In Tunesien lebten 100.000 Juden, heute sind es etwa 1.500. In Ägypten lebten 1948 75.000 und im Irak 135.000 Juden, heute sind es jeweils weniger als 20. Im Jemen waren es etwa 60.000, heute wird ihre Zahl auf 50 geschätzt. Die syrische jüdische Gemeinde ist von 30.000 auf weniger als 15 geschrumpft. In Algerien lebten 1948 140.000 Juden, in Libyen 38.000. In beiden Ländern leben heute überhaupt keine Juden mehr. Auch kleine jüdische Gemeinden wie in Bahrain, wo bereits 1947 nach dem Interner Link: UN-Teilungsbeschluss für das Mandatsgebiet Palästina das Pogrom von Manama stattfand, waren betroffen: 1948 lebten etwa 600 Juden in dem Golfstaat, heute sind es 40.
Erste Flucht- und Migrationsbewegungen gab es bereits vor der Staatsgründung Israels. Zwischen 1941 und 1948 kam es zu zahlreichen antijüdischen Ausschreitungen in Syrien, im Libanon, im Irak, auf der arabischen Halbinsel, in Ägypten und dem sonstigen Nordafrika. Aus dem syrischen Aleppo floh 1947 nach Pogromen, denen etwa 70 Juden zum Opfer gefallen waren, rund die Hälfte der zu dieser Zeit etwa 10.000 Mitglieder umfassenden jüdischen Gemeinde. In den Jahren unmittelbar nach der israelischen Staatsgründung 1948 gingen rund 260.000 arabische Juden nach Israel, insbesondere aus dem Irak, Jemen und Libyen. Die Mehrzahl der ägyptischen Juden mussten das Land in Folge des Interner Link: Suez-Krieges von 1956 verlassen. In Marokko, Tunesien und Algerien fand die Fluchtbewegung von Hunderttausenden Juden mehrheitlich in den 1950er- und 1960er-Jahren statt, unter anderem in Folge des Interner Link: Sechs-Tage-Kriegs von 1967. Die letzte größere Fluchtbewegung fand nach dem Interner Link: Jom Kippur-Krieg von 1973 statt, zu dessen Zeitpunkt die überwiegende Mehrheit der Juden die arabischen Länder allerdings bereits verlassen hatte.
In vielen Fällen mussten die Flüchtlinge nahezu ihren gesamten Besitz zurücklassen , insbesondere im Irak, in Ägypten und in Libyen. Allein im Irak kam es zu einer "Beraubung gigantischen Ausmaßes" , die durch eine Reihe von Gesetzen juristisch abgesichert wurde. Die Anfang der 1950er-Jahre im Irak von Juden konfiszierten Summen werden auf 200 Millionen US-Dollar geschätzt. In Ägypten durften die zur Flucht genötigten Juden nur 20 ägyptische Pfund mitnehmen und mussten unterschreiben, die Beschlagnahmung ihrer Güter zu akzeptieren. Die Schätzungen der von Juden in den arabischen Ländern insgesamt seit 1948 zurückgelassenen und konfiszierten Werte variieren. 2007 schätzte die "World Organisation of Jews from Arab Countries", dass Werte von bis zu 300 Milliarden US-Dollar (nach heutiger Bewertung) zurückgelassen wurden, davon über 100.000 Quadratkilometer Landbesitz, insbesondere in Ägypten, Marokko und Irak (was einer Fläche etwa fünfmal so groß wie Israel entspricht).
Traditionen: Juden in islamischen Gesellschaften
Die Situation von Juden in den islamischen Gesellschaften war noch im 19. Jahrhundert in der Regel besser als jene der meisten jüdischen Minderheiten in den christlich geprägten Gesellschaften Europas. Das bedeutet aber nicht, dass Juden in den islamischen Gesellschaften gleichberechtigt leben konnten: Auch in den vergleichsweise unblutigen Perioden des jüdisch-muslimischen Zusammenlebens in der arabischen Welt, in denen Juden als "Schutzbefohlene" (dhimmis) toleriert wurden, handelte es sich um eine Toleranz, "die aus Verachtung bestand". Die Institution der dhimma war ein "Status der Demütigung, der Entwürdigung und der Erniedrigung" , der Juden zahlreichen exkludierenden Sonderregelungen unterwarf. Schon lange vor 1948 hat die auf Verachtung beruhende Diskriminierung immer wieder auch zu blutiger Verfolgung geführt: Eines der ersten Pogrome gegen Juden in Europa mit etwa 4.000 Opfern war bereits im Jahr 1066 das Massaker von Granada, das zu dieser Zeit unter islamischer Herrschaft stand. Ende des 18. Jahrhunderts wurden beispielsweise die Juden aus dem saudi-arabischen Dschidda vertrieben, 1790 kam es zu einem Pogrom im marokkanischen Tetuan, 1828 zu einem in Bagdad, 1834 zu Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Gemeinde im heute in Israel gelegenen Safed.
Im 19. Jahrhundert nehmen Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Osmanischen Reich massiv zu. Forciert werden sie zunächst vorrangig von christlichen Propagandisten, Ende des 19. Jahrhunderts werden sie jedoch immer öfter in islamischen Publikationen aufgegriffen. Im 19. und 20. Jahrhundert vermischten sich klassisch antijüdische Motive aus der islamischen Tradition mit Elementen des modernen Antisemitismus. Diese Radikalisierung der arabisch-islamischen Judenfeindschaft setzte vor der israelischen Staatsgründung ein. Zum einen wurde sie durch die nationalsozialistische Propaganda im Nahen und Mittleren Osten befeuert. Zum anderen war sie eine Reaktion auf die Interner Link: partielle Autoemanzipation der Juden in den arabischen Gesellschaften. Ähnlich wie im europäischen Antisemitismus, aber eingebettet in den Kontext einer anderen religiösen Tradition, wurden die Juden in der arabischen Welt als Repräsentanten von Modernisierungsprozessen attackiert, die die ursprünglichen Gesellschaftsordnungen zersetzen würden.
Dieser Hass auf die Moderne zeigt sich insbesondere bei Vordenkern der 1928 gegründeten ägyptischen Interner Link: Muslimbruderschaft wie Hassan al-Banna und später in Interner Link: Sayyid Qutbs programmatischer Schrift Unser Kampf mit den Juden aus dem Jahr 1950, die bis heute islamistische Attentäter rund um den Globus inspiriert, oder beim algerischen Vordenker des Islamismus Malek Bennabi. Dieser beklagte: "Dies ist das Jahrhundert der Frau, des Juden und des Dollars".
Der Antisemitismus in den arabischen und islamischen Ländern war nicht das Resultat des Nahost-Konflikts und für die arabisch-islamische Verachtung von Juden bedurfte es nicht erst der israelischen Staatsgründung. Die Etablierung des jüdischen Staates 1948 fungierte vielmehr als Treibsatz für die Transformation dieser traditionellen Verachtung der jüdischen dhimmis in eine Feindschaft auf die sich selbst zur Souveränität ermächtigenden "Schutzbefohlenen". Mit Blick auf den Konflikt Israels mit seinen arabischen Nachbarn dürfen als zentrale Ursachen daher die antijüdischen Traditionen in der arabischen und islamischen Welt und der daraus hervorgegangene arabische und islamische Antisemitismus nicht außer Acht gelassen werden.
Spätestens mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs war großen Teilen der arabischen Juden klar, dass es keinen nennenswerten Unterschied machte, ob sie sich für oder gegen den Interner Link: Zionismus aussprachen. Die islamisch geprägte Mehrheitsbevölkerung in den arabischen Staaten hat sich in ihrem Verhalten gegenüber der jüdischen Minderheit in ihren Gesellschaften kaum daran orientiert, wie sie der Gründung eines jüdischen Staats gegenüberstanden. Ob sie sich – wie in Syrien und im Irak – zu großen Teilen lautstark dem arabischen Antizionismus anschlossen; wie in Ägypten permanent ihre Loyalität bekundeten; sich – wie teilweise in Tunesien und Libyen – offen hinter die zionistische Sache stellten; oder – wie häufig in Algerien – sich angesichts des Charakters des arabischen und panarabischen Nationalismus auf die Seite der Kolonialmacht schlugen: "Am Ende teilten sie alle ein ähnliches Schicksal und entschieden sich zur Emigration oder Flucht aus ihren Geburtsländern."
Es gab allerdings wichtige Ausnahmen vom radikalen arabisch-nationalistischen und islamischen Antisemitismus. Im Mandatsgebiet Palästina mussten sich die Anhänger des offen antisemitischen und mit dem Nationalsozialismus kollaborierenden Mufti Amin al-Husseini erst durch brutale Gewalt gegen deutlich moderatere Fraktionen auf arabischer Seite durchsetzen. Während der Pogrome im Irak 1941 wurden nicht nur etwa 180 Juden ermordet, sondern auch zahlreiche Araber, die sich schützend vor ihre jüdischen Nachbarn stellten. In Tunesien konnte oder wollte Habib Bourguiba als erster und langjähriger Präsident nach der Interner Link: Unabhängigkeit Ende der 1950er-Jahre zwar nichts gegen den Exodus der tunesischen Juden unternehmen – und er hat sich durchaus auch antisemitisch geäußert –, gleichzeitig aber Positionen gegenüber Israel vertreten, die ihn zum Gegenspieler des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser machten. Gegen Nassers radikale antiisraelische Hetze agierte Bourguiba im Sinne eines moderaten Realismus, der auf eine "friedliche Lösung" des Konfliktes der Palästinenser mit Israel abzielte.
Selbst im Interner Link: arabischen Nationalismus und Interner Link: Panarabismus mussten sich die radikalen Ausprägungen einer antisemitischen Politik erst durchsetzen: In Ägypten beispielsweise weigerte sich Muhammad Nagib, der erste Präsident nach dem Sturz der Monarchie 1952, den Forderungen der Arabischen Liga nach Konfiszierung des jüdischen Eigentums nachzugeben, und zum hohen jüdischen Feiertag Jom Kippur besuchte er demonstrativ eine Synagoge in Kairo. Zur rasanten Verschlechterung der Situation der Juden in Ägypten kam es erst ab 1954 mit dem Sturz Nagibs und der Präsidentschaft Nassers, der die antisemitische Hetzschrift Die Protokolle der Weisen von Zion zur Lektüre empfahl, die bis zum heutigen Tag in der ägyptischen Gesellschaft verbreitet ist.
Arabische Juden in Israel
Das israelische Parlament hat über die Jahrzehnte ein Dutzend Resolutionen zu den aus den arabischen Ländern geflohenen und vertriebenen Juden verabschiedet und 2010 den Beschluss gefasst, dass keine israelische Regierung ein Friedensabkommen unterzeichnen darf, das nicht auch die Frage der Entschädigung der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und aus dem Iran regelt. 2012 hat das israelische Außenministerium erstmals eine Kampagne für "Gerechtigkeit für jüdische Flüchtlinge aus arabischen Ländern" lanciert, und 2014 hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den 30. November zum Gedenktag an Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran erklärt. Zuvor hat sich in der breiten israelischen Öffentlichkeit jedoch über Jahrzehnte hinweg die Ansicht gehalten, es habe sich bei den Juden aus den arabischen Ländern eher um zionistisch motivierte Einwanderer, nicht um Flüchtlinge oder Vertriebene im klassischen Sinn gehandelt.
Nicht alle der aus den arabischen Ländern geflohenen oder vertriebenen Juden sind nach Israel gekommen, aber mit etwa 600.000 die überwiegende Mehrheit, mit den zahlenmäßig größten Kontingenten aus Irak und Marokko. Etwa 200.000 Juden – insbesondere aus Algerien, aber auch aus Tunesien – gingen nach Frankreich. Die USA waren vor allem für ägyptische, syrische und libanesische Juden ein Zielland.
Bis zur großen Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er-Jahren machten die jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und ihre Nachkommen bis zu 70 Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Heute sind knapp über 50 Prozent der israelischen Juden Nachfahren von jüdischen Flüchtlingen aus den arabischen Ländern.
Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Juden aus der arabischen Welt ist zugleich die Interner Link: Geschichte einer bemerkenswerten Integrationsleistung, die zusammen mit den Fluchtbewegungen aus Europa in Israel kurz nach der Staatsgründung zu einem Bevölkerungsanstieg von etwa 120 Prozent geführt hat.
Bei allen Schwierigkeiten und Härten und trotz aller Vorbehalte der aschkenasischen, aus Europa stammenden Juden gegenüber den arabisch-jüdischen – in Israel als Mizrahim bezeichnet – nahmen die ursprünglich 650.000 Juden in Palästina innerhalb kürzester Zeit 700.000 weitere auf, viele von ihnen traumatisiert von der Shoah und im Fall der Flüchtlinge aus den arabischen Ländern zwar keineswegs immer, aber häufig vergleichsweise schlecht ausgebildete Juden aus verarmten Bevölkerungsschichten.
1948 war der neu gegründete und militärisch bedrohte jüdische Staat hinsichtlich der Masseneinwanderung von Juden aus den arabischen Ländern ambivalent. Man wollte zwar den bedrohten und verfolgten Juden helfen, und es gab ein massives Interesse an jüdischer Einwanderung, aber man hatte dabei nicht in erster Linie Juden aus den arabischen Ländern im Auge. Bereits 1942 hatte Interner Link: David Ben-Gurion, der 1948 der erste Premierminister Israels wurde, seinen Tochnit HaMillion vorgelegt, einen Plan für eine Million Neueinwanderer. Aber er hatte dabei in erster Linie an möglichst gut ausgebildete jüdische Einwanderer aus Europa gedacht. Israel förderte zwar die Auswanderung und Flucht aus den arabischen Ländern, ging dabei anfangs angesichts der immensen Probleme, die der junge Staat zu bewältigen hatte, allerdings restriktiv vor. Bis 1955 erhielten aus Marokko beispielsweise nur Juden zwischen 18 und 45 Jahren sowie vermögende Familien das Recht auf Einwanderung. In anderen Fällen hat Israel spektakuläre Luftbrücken eingerichtet, bei denen keine oder kaum Restriktionen für die Flüchtlinge und Einwanderer galten: In der Operation Fliegender Teppich wurden 1949 etwa 45.000 Juden aus dem Jemen ausgeflogen. Zwischen 1951 und 1952 wurden in der Operation Ezra und Nehemiah über 120.000 Juden aus dem Irak nach Israel gebracht.
Die überwiegende Mehrheit der Juden aus den arabischen Ländern musste in Israel zunächst in Zeltstädten für Einwanderer unterkommen, später in befestigten Einwanderer-Camps – den sogenannten Ma’aborot, die Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre größtenteils in Entwicklungsstädte transformiert wurden. Der Kampf gegen Diskriminierungen der arabisch-jüdischen Mizrahim in der israelischen Gesellschaft – die lange Zeit gegenüber den aus Europa stammenden Juden ökonomisch und sozial benachteiligt waren – hat die Protestgeschichte des Landes geprägt und Anfang der 1970er-Jahre beispielsweise zur Gründung der Black Panthers durch jüdisch-arabische Einwanderer der zweiten Generation in Israel geführt.
Dass die jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern in Israel trotz enormer Schwierigkeiten und Vorbehalte integriert wurden, dürfte einer der Gründe für ihre weitgehende Abwesenheit in der internationalen Diskussion sein. Ein anderer Grund ist sicherlich auch darin zu suchen, dass innerhalb der Interner Link: Vereinten Nationen seit 1947 über 170 UN-Resolutionen verabschiedet wurden, die sich explizit oder indirekt mit dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge beziehungsweise ihrer Nachkommen beschäftigen. Keine einzige thematisiert das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und dem Iran.
Aus israelischer Perspektive handelte es sich 1948 um eine Art Bevölkerungsaustausch, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Konfliktregionen stattfand. Die israelische Regierung war bereit, sich sowohl um die jüdischen Flüchtlinge aus Europa zu kümmern als auch um jene aus der arabischen Welt, erwartete zugleich aber, dass sich die arabischen Staaten der arabischen Flüchtlinge aus Israel annehmen, die maßgeblich durch den arabischen Angriffskrieg gegen den neu gegründeten jüdischen Staat zustande gekommen waren. Dementsprechend hat Israel über Jahrzehnte hinweg so gut wie nie versucht, mit dem Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern Politik zu machen oder ein "Rückkehrrecht" einzufordern – was mit dazu beigetragen hat, dass das massive Unrecht und Leid hunderttausender Juden aus den arabischen Staaten über Jahrzehnte hinweg in der Weltpolitik keine Rolle gespielt hat.
Ausblick
Es ist zu hoffen, dass ein realistischer Blick auf die antisemitischen Traditionen in den arabischen und islamischen Gesellschaften und eine Reflexion auf die Geschichte von Diskriminierung, Verfolgung, Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten in der Diskussion über den Konflikt Israels mit seinen arabischen Nachbarn ein besseres Verständnis des Zionismus ermöglichen. Ein solches könnte perspektivisch einen Beitrag zu einer möglichen Annährung im Nahen Osten leisten. Dass eine Annäherung trotz der Vertreibungs- und Fluchtgeschichte möglich ist, haben die Interner Link: Friedensverträge Israels mit Ägypten von 1979 und mit Jordanien 1994 gezeigt (die allerdings wenig am weit verbreiteten Antisemitismus in der jordanischen und in der ägyptischen Gesellschaft geändert haben).
Aktuell wecken die Aufnahme offizieller Beziehungen Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, die derzeit noch inoffizielle Intensivierung der Beziehungen mit weiteren Golfstaaten wie Oman und eine Annäherung Israels zu Marokko und Sudan Hoffnungen auf eine Aussöhnung. Diese hat schon jetzt zu einer leisen Renaissance jüdischen Lebens in Bahrein und insbesondere zur bemerkenswerten staatsoffiziellen Zurücknahme der antisemitischen Propaganda in Saudi-Arabien geführt. In jedem Fall wird die Aufarbeitung der Geschichte von Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern und die Reflexion auf die antisemitischen Traditionen in den islamisch geprägten Gesellschaften eine wichtige Rolle bei zukünftigen Friedenslösungen im Nahen Osten spielen.
Stephan Grigat unterrichtet Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Passau. Er ist Permanent Fellow am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam und Research Fellow an der Universität Haifa.
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