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Die
Die Genese des Mythos der jüdischen Weltverschwörung
Verschwörungsvorwürfe gegen Juden gehen auf das Mittelalter zurück. Um 1150 verbreitete der Benediktinermönch Thomas of Monmouth eine Ritualmordlegende, der zufolge Juden für einen mysteriösen Ritus einen kleinen Jungen ermordet hätten. Mitte des 14. Jahrhunderts wurde den Juden erstmals vorgeworfen, dass sie Brunnen vergifteten und christliche Hostien entweihen würden. Diese Anschuldigungen verdichten sich, wie Johannes Heil
In der Frühen Neuzeit spielen Verschwörungstheorien über Juden keine große Rolle, weil durch die
Die Protokolle, deren Autorschaft bis heute ungeklärt ist, geben vor, die authentischen Aufzeichnungen eines Treffens der Führer des Weltjudentums zu sein, wo Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft offen diskutiert worden sein sollen. Sie wurden schnell als Fälschung entlarvt, was ihrer Popularität aber keinen Abbruch tat. Ihre Wirkmächtigkeit ist darin begründet, dass sie nie isoliert, sondern immer gerahmt von Paratexten verbreitet wurden: "Es sind die Vorworte, Begleittexte und Kommentare […], die (vor allem nach dem Ersten Weltkrieg) dann die stringent rassistisch antisemitische Rezeption ins Werk setzen"
Der
Antisemitismus in zeitgenössischen Verschwörungstheorien
Expliziter oder traditioneller Antisemitismus ist seit 1945 aufgrund der Erfahrung des Holocaust in Deutschland nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert. In der Form, wie er im vorherigen Abschnitt beschrieben wurde, ist Antisemitismus nur noch in extremistischen Zirkeln an den Rändern der Gesellschaft, in Subkulturen und Parallel- und Gegenöffentlichkeiten zu finden. In der Mitte der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs ist für diese Form des Antisemitismus kein Platz mehr, und entsprechende Äußerungen rufen unweigerlich starke Kritik hervor und werden von der Öffentlichkeit sanktioniert.
Gleiches gilt für Verschwörungstheorien, die ab den späten 1950er Jahren in der gesamten westlichen Welt einen Prozess der Stigmatisierung durchlaufen haben. Waren sie vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gesellschaftliches akzeptiertes, orthodoxes Wissen, wurden sie nun zu einer illegitimen, heterodoxen Wissensform. Das bedeutet nicht, dass sie vollständig an Popularität verloren oder gar nicht mehr verbreitet wurden, sie verschwanden aber aus der Mitte der Gesellschaft und prosperierten nur noch in Gegenöffentlichkeiten und Subkulturen. Zwar sind Verschwörungstheorien durch das Aufkommen des Internets wieder sichtbarer und populärer geworden, doch wer im öffentlichen Diskurs explizit Verschwörungstheorien artikuliert, muss mit starken gesellschaftlichen Sanktionen rechnen.
Ein prägnantes Beispiel, an dem sich beide Prozesse in ihrer Verschränkung beobachten lassen, ist der Fall des ehemaligen AfD-Politikers Wolfgang Gedeon. Nachdem er 2016 in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde, stellte sich einige Monate später heraus, dass er unter Pseudonym einige antisemitisch-konspirationistische Bücher verfasst hatte, in denen er unter anderem Die Protokolle der Weisen von Zion als seriöse Quelle bezeichnet. Der öffentliche Druck stellte die AfD-Fraktion im Landtag vor eine Zerreißprobe, da einige Abgeordnete Gedeon unterstützen, andere dagegen seinen Ausschluss forderten. Schließlich trat Gedeon aus der Fraktion aus, im Frühjahr 2020 wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Auch in einer Partei, zu der es zahlreiche Belege für rassistische und antipluralistische Positionen gibt und deren Teilorganisation "Der Flügel" der Verfassungsschutz im März 2020 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einstufte (und die sich in der Folge selbst auflöste), ist dieser explizite, verschwörungstheoretisch aufgeladene Antisemitismus nicht haltbar.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Antisemitismus nur noch an den Rändern der Gesellschaft vorkommt. Wie zahlreiche Studien zeigen, ist der sogenannte
Es ist wenig überraschend, dass sich die Codes des sekundären Antisemitismus auch in den Verschwörungstheorien der Gegenwart wiederfinden. So wird zum Beispiel der schnelle Aufstieg Emmanuel Macrons zum französischen Präsidenten damit erklärt, dass er eine "Marionette der Rothschilds" sei
Es wäre allerdings falsch und sogar kontraproduktiv zu behaupten, dass im verschwörungstheoretischen Diskurs jede Bezeichnung für die Gruppe der vermeintlichen Verschwörer ein kodierter Verweis auf die Juden ist. Wer "Freimaurer" oder "Illuminaten" sagt, meint in der Regel auch genau diese Gruppen, um die sich seit Jahrhunderten Verschwörungstheorien ranken, und nicht eigentlich die Juden, wie bisweilen behauptet wird
Das Problem bei der Analyse zeitgenössischer Verschwörungstheorien ist daher zu entscheiden, was als antisemitische Chiffre zu verstehen ist und was nicht. Während die bisher aufgeführten Beispiele recht eindeutig sind – wer "Rothschild" sagt, meint die Juden; wer "Illuminaten" sagt, meint in aller Regel die Illuminaten –, gibt es natürlich einen Graubereich, in dem die Intention des Sprechers oder Autors nicht eindeutig zu entscheiden ist. Diese Uneindeutigkeit wiederum wird oft bewusst produziert, um mit einer Verschwörungstheorie sowohl diejenigen anzusprechen, die immer die Juden für die Schuldigen halten, als auch diejenigen, die das gerade nicht tun. Gerade in Hinblick auf zeitgenössische Verschwörungstheorien ist es daher sinnvoll, von einer strategischen Offenheit zu sprechen, die es den Rezipient*innen potenziell ermöglicht, das Behauptete antisemitisch aufzuladen.
Ein Beispiel für diese strategische Offenheit sind die Verschwörungsvorwürfe, die Donald Trump gegenüber Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 erhob. Wenige Wochen vor der Wahl, am 13. Oktober, sagte Trump bei einer Wahlveranstaltung in West Palm Beach, Florida:
Der Clinton-Apparat steht im Zentrum dieser Machtstrukturen. Das sehen wir in den WikiLeaks-Dokumenten, die zeigen, dass Hillary Clinton sich im Geheimen mit internationalen Banken trifft und die Zerstörung der Souveränität der USA plant, um diese globalen Finanzkräfte, ihre "besonderen Freunde" und ihre Spender zu bereichern.
Der Ausdruck "internationale Banken" kann als Hinweis auf die jüdische Identität der angeblichen Verschwörer gelesen werden; er muss aber nicht so verstanden werden, da es sich um die einzige derartige Formulierung in der gesamten Rede handelt. Die "Wahrheit" liegt hier letztendlich im Auge des Betrachters.
Ganz anders verhält es sich mit der QAnon-Verschwörungstheorie, die am Anfang vor allem auf Plattformen wie 4chan und 8chan verbreite wurde und deren Anhänger ihre kruden Ideen mittlerweile vor allem über Telegram und Parler verbreiten. Unter anderem inszenieren sie Trump als einen Helden, der mit einigen Getreuen dem moralisch degenerierten "Tiefen Staat" das Handwerk legen könne. Die Verkommenheit des "Tiefen Staat" zeige sich darin, dass die liberalen Eliten an seiner Spitze Pädophile seien, die Kinder missbrauchen, ermorden und ihr Blut trinken würden. Diese Verschwörungstheorie ist deshalb eindeutig antisemitisch, weil Q in seinen Nachrichten immer wieder Juden – George Soros oder die Rothschilds – als Verschwörer identifiziert und weil die Anschuldigung, die Verschwörer würden aus dem Blut der Kinder den mysteriösen Stoff Adrenochrom gewinnen, Motive aus den antijüdischen Ritualmordlegenden des Mittelalters aufgreift.
Durch den
Antisemitische Verschwörungstheorien gewinnen durch die QAnon-Bewegung daher in Deutschland nicht signifikant an Popularität. Gleiches gilt allgemein für Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie, die in Deutschland zirkulieren und deren Vertreter*innen momentan lautstark gegen die Maßnahmen der Politik protestieren. Zum einen handelt es sich auch hier um eine Minderheit, und nichts deutet daraufhin, dass der Glaube an Verschwörungstheorien seit Beginn der Pandemie zugenommen hat. Ihre Anhänger*innen sind lediglich sichtbarer geworden. Zum anderen sind
Schluss
Der Antisemitismus ist in der deutschen Gesellschaft weiter verbreitet, als es uns lieb sein kann. Allerdings sind nicht alle Verschwörungstheorien antisemitisch. Vielmehr ist zumindest in der Gegenwart der Antisemitismus immer konspirationistisch aufgeladen. Das unterscheidet Antisemitismus von
Da nicht alle Verschwörungstheorien antisemitisch sind, gilt es genau hinzusehen, denn aufgrund unserer Geschichte ist der Antisemitismusvorwurf in Deutschland noch stigmatisierender als der Vorwurf, man verbreite Verschwörungstheorien. Dieses Stigma kann es erschweren, Verschwörungsgläubigen zu helfen, ihre Überzeugungen hinter sich zu lassen. Die Klassifizierung als antisemitische Verschwörungstheorie und -theoretiker*innen sollte diejenigen treffen, die diese Zuschreibung auch verdienen.