Antisemitismus in Österreich hat eine jahrhundertelange Geschichte und ist auch nach der Shoah in der österreichischen Bevölkerung verbreitet. Bis heute finden sich negative Einstellungen und Abneigungen gegenüber Juden und Jüdinnen. So kam es erst jüngst – mit der weltweiten Ausbreitung des Virus SARS CoV-2 – zu einem Wiederaufflammen antisemitischer Verschwörungstheorien. Am 22. August 2020 zeigte sich, dass es in Österreich fallweise auch zu gewalttätigen Handlungen gegen Juden und Jüdinnen kommen kann: Elie Rosen, Präsident der jüdischen Gemeinde in Graz, wurde von einem syrischen Staatsbürger attackiert. Der Vorfall endete glimpflich und löste eine breite, teilweise pauschal geführte Debatte über Antisemitismus unter Geflüchteten aus. Am 2. November 2020 verübte ein 20-jähriger Anhänger des Interner Link: IS einen Terroranschlag in Wien, bei dem laut gegenwärtigem Stand (05.11.2020) vier Menschen getötet und 23 teils schwer verletzt wurden. Die ersten Schüsse fielen in einem belebten Lokalviertel, in dem sich auch die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde befindet, weshalb nach derzeitigem Ermittlungsstand ein antisemitisches Teilmotiv nicht ausgeschlossen werden kann.
1934 lebten knapp 191.500 Juden und Jüdinnen in Österreich. Nach der Shoah hat sich diese Zahl drastisch verkleinert: aktuellen Schätzungen zufolge gibt es gegenwärtig nur noch 10.000 bis 15.000 Juden und Jüdinnen in Österreich, was etwa 0,11 bis 0,17 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung entspricht. Der überwiegende Teil von ihnen ist – wie bereits vor der NS-Zeit – in Wien wohnhaft. Davon hat ein Großteil familiäre Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Obschon sie nur noch eine sehr kleine Minderheit in Österreich ausmachen, sind antisemitische Einstellungen in der österreichischen Bevölkerung durchaus verbreitet. Um dieses Phänomen besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der letzten Jahrzehnte.
1945: Systembruch, Tabuisierung und Täter-Opfer-Umkehr
Der Systembruch 1945 brachte anfangs vor allem für die Bundesrepublik Deutschland (BRD) weitreichende Änderungen mit sich, da sie sich für die NS-Verbrechen zu verantworten hatte. Offen artikulierter Antisemitismus im öffentlichen Raum wurde angesichts der Shoah nicht mehr toleriert und wird seither – auch unter (befürchtetem) internationalem Druck – sanktioniert. In Österreich hingegen wurde offener Antisemitismus unmittelbar nach 1945 weniger stark tabuisiert und wirkte anfangs – insbesondere in rechten Kreisen – eher ungehindert fort, was sich auch in antisemitischen Anfeindungen gegenüber jüdischen Displaced Persons und Remigrantinnen und Remigranten manifestierte. Dieser Unterschied zur BRD hing eng mit der Interner Link: österreichischen "Opferthese" zusammen: Sich auf einen Passus der Moskauer Deklaration von 1943 beziehend, stilisierte sich Österreich zum "ersten Opfer Hitlers" und blendete seine Mitverantwortung an NS-Verbrechen aus. Die "Opferthese" wurde bei den Staatsvertragsverhandlungen bis 1955 und Restitutionsdebatten genutzt und diente auch der moralischen Entlastung der österreichischen Bevölkerung. Über Jahrzehnte hinweg wurde so eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Österreichs NS-Vergangenheit und Antisemitismus unterbunden.
In den 1950er und 1960er Jahren kam es in Deutschland und Österreich zu einer Reihe antisemitischer Tathandlungen und Drohungen. Diese wurden besonders auch im Kontext des Eichmann-Prozesses 1961 manifest. Während die deutsche Bundesregierung die antisemitischen Vorfälle klar verurteilte, blieb eine vergleichbare Reaktion in Österreich aus. Kritische Gegenstimmen und öffentliche Debatten über Antisemitismus wurden erst später, im Zuge der Borodajkewycz-Affäre 1965, laut, als das erste politische Todesopfer nach 1945 zu beklagen war: Wiener Studierende forderten die Entlassung des an der Wiener Hochschule für Welthandel lehrenden Historikers Taras Borodajkewycz, da sich dieser während seiner Vorlesungen offen antisemitisch äußerte und mit der NS-Ideologie sympathisierte. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Anhängerinnen und Anhängern sowie Gegnerinnen und Gegnern Borodajkewyczs, bei welchen ein vorbestrafter Rechtsradikaler den 67-jährigen Widerstandskämpfer und KZ-Überlebenden Ernst Kirchweger tödlich verletzte.
Die Borodajkewycz-Affäre spielte folglich eine zentrale Rolle in der allmählichen Tabuisierung eines offen artikulierten Antisemitismus in der österreichischen Öffentlichkeit. Wie auch in der BRD führte eine Tabuisierung aber nicht zwangsläufig zum Abbau antisemitischer Einstellungen, sondern brachte neue Kommunikationsstrategien antisemitischer Überzeugungen, wie subtile Formen oder Verklausulierungen, mit sich. So vermied man es etwa, von einer angeblichen "jüdischen Übermacht" zu sprechen, sondern beließ es bei vermeintlich unverfänglichen Anspielungen und Codewörtern wie "Wallstreet" oder "Ostküste". Von der Kontinuität eines alltäglichen Antisemitismus in Österreich zeugt nicht zuletzt die umstrittene Artikelserie "Juden in Österreich", die 1974 in der Neuen Kronen Zeitung, der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs, erschien. Trotz "bewußt erklärte[r] Absichten und Selbstzensurzwänge" konnte darin ein "Fortbestand antisemitischer Ideologie in der Wortwahl" nachgewiesen werden. Neben Formen der Umwegkommunikation zählen auch Holocaustleugnung und -relativierung, Erinnerungsabwehr und Täter-Opfer-Umkehrungen zu Ausprägungen des "sekundären Antisemitismus" in Österreich.
1970er Jahre: Israel und Debatten um israelbezogenen Antisemitismus
Selbst Israel erkannte die "Opferthese" an und nahm bereits in den 1950er Jahren konsularische Beziehungen zu Österreich auf (zur BRD hingegen erst 1965). Doch erst mit dem Interner Link: Sechs-Tage-Krieg 1967 rückte Israel stärker in den Fokus der österreichischen Öffentlichkeit. Während sich die politische Linke Österreichs zunächst weitgehend proisraelisch äußerte, nahmen in den 1970er Jahren in Teilen der Neuen Linken – die sich aus der 1968er-Studentenbewegung herausbildete – israelkritische Haltungen zu, die wiederum mit antikolonialen, antiimperialistischen und antizionistischen Positionen verbunden wurden. Der besonders heftige Verbalradikalismus, der auch mit Schuldumkehr einherging, führte schließlich zur Marginalisierung und Isolation der Neuen Linken.
Dem Sozialdemokraten Bruno Kreisky (Sozialdemokratische Partei Österreichs, SPÖ) – von 1970 bis 1983 Bundeskanzler der Republik Österreich – kam sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eine zentrale Rolle in (linken) Antisemitismusdebatten zu. Als 1938 die Nationalsozialisten in Österreich die Macht übernahmen, konnte Kreisky noch rechtzeitig ins schwedische Exil flüchten und kehrte 1951 wieder nach Österreich zurück. Wegen seiner jüdischen Herkunft, die er öffentlich aber nie zum Thema machte, war er immer wieder Antisemitismus und Ausgrenzung ausgesetzt. Gleichzeitig zeigte er sich aus wahlstrategischen Gründen "nachsichtig" gegenüber "Ehemaligen", was sich in der Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975 zuspitzte: Kreisky verteidigte Friedrich Peter, Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), nachdem dessen Zugehörigkeit zu einer SS-Einheit, die an Judenmorden beteiligt war, aufgedeckt wurde. Stattdessen beschuldigte er den Aufdecker Simon Wiesenthal, mit seinen Recherchen Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft zu befeuern. Kreisky war außerdem der erste westliche Bundeskanzler, der 1979 Jassir Arafat offiziell einlud und eine internationale Anerkennung der Interner Link: Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterstützte. Er stellte Israel als Staat aber nie in Frage oder spielte mit NS-Vergleichen.
Mit dem Interner Link: Libanonkrieg 1982 verschlechterte sich das Israelbild in Österreich merklich, was sich in der medialen Berichterstattung klar abzeichnete. Mit Kommentaren wie "Sie hatten in den palästinensischen Flüchtlingslagern gewütet wie einstens die Einsatzkommandos der SS in Osteuropa" bediente man sich nun selbst in bislang proisraelisch berichtenden Zeitungen NS-Vergleichen und israelbezogen-antisemitischen Vorwürfen, die wiederum Debatten um das Verhältnis von Interner Link: Antisemitismus und Antizionismus auslösten. In der politischen Linken wurden diese besonders intensiv geführt. Ähnlich wie in Deutschland zeichnete sich in den 1990er Jahren eine Spaltung der Neuen Linken in ein proisraelisches "antideutsches" und ein propalästinensisches "antiimperialistisches" Lager ab, die sich zur Jahrtausendwende, im Kontext der Zweiten Intifada, weiter fortsetzte.
Zu erwähnen ist außerdem, dass sich auch im rechtsextremen Milieu Österreichs proarabische und israelkritische Stimmen fanden, allerdings mit ideologisch gänzlich anderer Motivation. So zeigten bereits in den 1980er und 1990er Jahren einige österreichische Rechtsextreme große Sympathien für islamische und arabische (Terror-)Organisationen, warfen Israel vor, bewusst palästinensische Kinder zu schächten oder verglichen die israelische Politik mit dem NS-Regime.
Das Jahr 1986: Waldheim, Haider und eine erstarkende Gegenöffentlichkeit
Kurz nachdem der ehemalige UNO-Generalsekretär Interner Link: Kurt Waldheim seine Kandidatur um das Amt des Bundespräsidenten verkündete, wurden Dokumente über seine Kriegsvergangenheit als Offizier der Wehrmacht und SA-Mitglied veröffentlicht. In Reaktion auf die veröffentlichten Dokumente nannte etwa der World Jewish Congress (WJC) Waldheim einen "mutmaßlichen Kriegsverbrecher", woraufhin Waldheim beteuerte, in keine Kriegsverbrechen verwickelt gewesen zu sein. Als er in der ORF-Pressestunde mit Fragen zu seiner Biographie konfrontiert wurde, betonte er, als Wehrmachtssoldat lediglich seine "Pflicht erfüllt" zu haben. Mit diesem zynischen Kommentar löste er breite Debatten um die NS-Vergangenheit und Mitverantwortung Österreichs aus; die "Opferthese" begann zu bröckeln. Es formierte sich eine Gegenöffentlichkeit, die seither eine kritische Art der Auseinandersetzung mit Österreichs NS-Vergangenheit einfordert. Mit dem "Bedenkjahr 1988" setzte daraufhin erstmals eine intensive Erforschung der NS-Zeit und Nachkriegszeit in Österreich ein, die anfangs inhaltlich auf Aspekte wie "verdrängte Schuld", "Arisierung", Vertreibung und Verbrechen fokussierte. 1991 schließlich – und damit 46 Jahre nach Kriegsende – kam es zum ersten offiziellen Eingeständnis einer Mitschuld von Österreicherinnen und Österreichern an NS-Verbrechen durch den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky. Seither sind die Verurteilung von Antisemitismus und das Bekenntnis zu Österreichs Mitverantwortung feste Bestandteile offizieller Gedenkveranstaltungen.
Im Kontext der Waldheim-Affäre wurden aber auch zahlreiche antisemitische Manifestationen in Österreich laut, die auch in Reaktion auf die als "Einmischung" erlebte Kritik des WJC und amerikanischer Medien sowie Waldheims Aufnahme in die watchlist erfolgten. Antisemitismus wurde vor allem in Aussagen wie "jüdische Presse und Macht", "jüdische Weltverschwörung" oder – in codierter Form – "amerikanische Ostküste" zum Ausdruck gebracht und fand mit dem Slogan "Wir Österreicher wählen wen wir wollen. Jetzt erst recht Waldheim" auch Einzug in den ÖVP-Wahlkampf. Besonders offen kam er in einem Kommentar des ÖVP-Generalsekretärs Michael Graff zum Ausdruck, als dieser meinte: "Solange nicht bewiesen ist, daß er [Waldheim] eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem." Auch in der österreichischen Bevölkerung konnten im Kontext der Waldheim-Affäre hohe Zustimmungswerte zu antisemitischen Äußerungen verzeichnet werden. So bejahten in einer Umfrage aus dem Jahr 1986 knapp zwei Drittel der befragten Österreicherinnen und Österreicher die Aussage "Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt".
Im selben Jahr erfolgte außerdem der politische Aufstieg Jörg Haiders innerhalb der FPÖ, der die Partei zum Prototyp des Rechtspopulismus in Europa formierte. Mit Haider, der dem deutschnationalen Flügel zuzurechnen war, traten zahlreiche Rechtsextreme und schlagende deutschnationale Burschenschafter in die FPÖ ein, was auch mit einer Zunahme an antisemitischen, rassistischen und xenophoben Einstellungen und Handlungen einherging.
Antisemitismus nach der Jahrtausendwende und Beginn einer spezifischen Muslimfeindlichkeit
Nachdem in den 1990er Jahren noch von einer "neuen Blüte" des europäischen Judentums die Rede war, registrierten im Zuge der Zweiten Intifada 2000-2005 europäische Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Belgien einen unerwarteten Anstieg antisemitischer Taten. Dabei beschrieben National Focal Points der Interner Link: EUMC erstmals "junge, meist männliche Erwachsene muslimischer bzw. arabischer, nordafrikanischer oder türkischer Herkunft" als neue Tätergruppe. Darauf folgten internationale und teils sehr emotional geführte Debatten um Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen. Auch in Österreich war zeitgleich eine verstärkte Sichtbarkeit an Antisemitismus feststellbar. Diese hing auch mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ bzw. des BZÖ zusammen und trat im rechten Milieu – nicht aber unter Muslimen und Musliminnen – in Erscheinung: Mit dem Erfolg der FPÖ bei den Nationalratswahlen 1999 und der Bildung einer schwarz-blauen Koalition war ein Klima der "neuen Toleranz" entstanden, in dem antisemitische Einstellungen wieder offener kommuniziert wurden. Jörg Haider tolerierte nicht nur antisemitische Aussagen von FPÖ-Funktionären, sondern polemisierte selbst gegen Entschädigungszahlungen und löste immer wieder Debatten um Antisemitismus aus. Dieser Trend zeichnete sich auch in hohen Zustimmungsraten innerhalb der österreichischen Bevölkerung zu sekundär-antisemitischen Aussagen in Umfragen ab. Anders als in Deutschland, wo Politikerinnen und Politiker nach antisemitischen und NS-relativierenden Aussagen in der Regel zurücktreten mussten, ging man in Österreich weitaus nachsichtiger mit einschlägigen Fällen um.
Nach Bildung der schwarz-blauen Koalition verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen die FPÖ-ÖVP-Regierung und auch Israel übte Kritik und berief im Jahr 2000 aus Protest den israelischen Botschafter aus Wien ab. Haider und weitere FPÖ-Funktionäre stellten sich daraufhin als Opfer dar, beschuldigten Ariel Muzicant, seinerzeit Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), "an der Schraube des Hasses" zu drehen und unterstellten einer "weltweiten jüdischen Verschwörung", Österreich political correctness vorzuschreiben. Gleichzeitig zeichnete sich die FPÖ immer wieder durch eine betont proarabische Haltung aus, was unter anderem in Form freundschaftlicher Kontakte Jörg Haiders zu Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und dessen Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi augenscheinlich wurde.
Ab dem Jahr 2004 begann die FPÖ auch, "den Islam" bzw. Musliminnen und Muslime gezielt als Feindbild zu etablieren, was aus angstschürenden Wahlkampf-Slogans wie "Islamisierungs-Tsunami" oder "Daham [= Daheim; Anm. d. Verf.] statt Islam" unmissverständlich hervorging. Damit wurde in Österreich eine allgemeine Xenophobie zunehmend von einer spezifischeren Interner Link: Muslimfeindlichkeit abgelöst, die auch mit einer ausgeprägten Türkeifeindlichkeit einherging. Parallel dazu blieb Antisemitismus allerdings weiterhin bestehen. Besonders im Kontext der Externer Link: Finanzkrise 2008 konnte eine Häufung meist subtil-antisemitischer Kommentare festgestellt werden. Außerdem sind Vermischungen von Muslimfeindlichkeit sowie Feindschaft gegen Juden und Jüdinnen zu beobachten, etwa wenn Rechtsextreme vor einer "Islamisierung" warnen, für die sie aber "das Weltjudentum" verantwortlich machen.
"Wendejahr" 2010
Bis ins Jahr 2010 fanden vorwiegend kleine propalästinensische Demonstrationen in Österreich statt. Mit dem Ship-to-Gaza-Zwischenfall im Mai 2010 jedoch, bei dem die israelische Marine neun türkische Aktivisten tötete, wurde der Israel-Palästina-Konflikt auch zu einer türkischen Angelegenheit. In Österreich riefen daher erstmals die größten österreichisch-türkischen Organisationen zur Teilnahme an Demonstrationen auf. Mit bis zu 15.000 Teilnehmenden fand damit im Jahr 2010 in Österreich die erste propalästinensische Großkundgebung statt. Einige Demonstrierende skandierten israelkritische Slogans wie etwa "Israel Terrorist", "Neue Nazi Israel" oder "Kindermörder Israel" skandiert. Diese wurden vielfach als antisemitisch kritisiert.
Im Sommer 2014, in Reaktion auf die israelische Militäroperation Operation Protective Edge, kam es mit bis zu 30.000 Demonstrierenden zur bislang (Stand: November 2020) größten propalästinensischen Kundgebung in Österreich, im Zuge derer ganz ähnliche Debatten um israelbezogenen Antisemitismus geführt wurden. Zur selben Zeit machte das in Bischofshofen ausgetragene Freundschaftsspiel zwischen dem israelischen Fußballverein Maccabi Haifa und dem französischen OSC Lille internationale Schlagzeilen: Migrantische Jugendliche stürmten mit türkischen und palästinensischen Fahnen das Fußballfeld und attackierten israelische Spieler. Damit wurden nun auch in Österreich erstmals breitere mediale Debatten um "muslimischen Antisemitismus" geführt, die allerdings rasch wieder abflauten. Im Frühjahr desselben Jahres wurde der Österreichableger der propalästinensischen Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) gegründet, der häufig als antisemitisch kritisiert wird.
Die bis zum Ship-to-Gaza-Zwischenfall propalästinensisch agierende FPÖ verstand es, die Antisemitismusvorwürfe gegen Musliminnen und Muslime sowie linke Gruppierungen für Wahlkämpfe zu nutzen und von Antisemitismus in eigenen Reihen abzulenken. Im Januar 2009 kritisierte der damalige FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky noch den "Vernichtungsfeldzug der Israelis gegen die Palestinenser [sic]". Seit Mitte 2010 positioniert sich die FPÖ jedoch betont proisraelisch: In Presseaussendungen wurden nun "herzliche Gespräche" auf einer "höchst erfolgreiche[n] Israel-Reise von HC Strache" gelobt und führende FPÖ-Funktionäre missbilligen seither den "für die israelische Bevölkerung unerträgliche[n] Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen".
Die FPÖ folgte mit ihrem demonstrativ proisraelischen Kurs dem Trend Interner Link: weiterer rechtspopulistischer Parteien in Europa. Vermutlich wollte sie mit einer proisraelischen Haltung auch Salonfähigkeit für die von ihr angestrebte Regierungsbeteiligung demonstrieren. Diese gelang ihr schließlich 2017 in Form der türkis-blauen Koalition. Ungeachtet dieser proisraelischen Ausrichtung kam es allerdings weiterhin zu antisemitischen Vorfällen innerhalb der FPÖ. Die Kritik Israels an der erneuten Regierungsbeteiligung der FPÖ fiel weitaus geringer aus als noch zur Jahrtausendwende. Gleichzeitig erfolgten demonstrativ proisraelische und anti-antisemitische Handlungen seitens der ÖVP-FPÖ-Koalition, etwa die Anerkennung Israels als jüdischen Staat oder die Förderung von Projekten zum Holocaustgedenken in Israel und Österreich.
Aktuelle Erscheinungsformen
Die Verfassungsschutzberichte und auch das Forum gegen Antisemitismus verzeichnen seit 2008 jährlich steigende Zahlen an registrierten antisemitischen Vorfällen und aktuellen (teil-)repräsentativen Umfragen zufolge sind latentere Formen des traditionellen, sekundären und israelbezogenen Antisemitismus in der österreichischen Bevölkerung weiterhin verbreitet. Im Vergleich dazu kommt rassistischem und christlichem Antisemitismus heute eine geringere Bedeutung zu.
Insbesondere im Kontext der "Flüchtlingskrise" 2015 wurden neben xenophoben auch antisemitische Stimmen wieder lauter und kulminierten in Anschuldigungen gegen den US-Milliardär George Soros: nicht nur im rechtsextremen, sondern – etwa subtiler – auch im rechtspopulistischen Diskurs der FPÖ wurde mehrfach der Vorwurf erhoben, der Holocaustüberlebende und erfolgreiche amerikanische Investor jüdisch-ungarischer Herkunft hätte die "Flüchtlingskrise" bewusst angezettelt, um das "Abendland" zu schwächen und widerstandslos gegen die Globalisierung zu machen.
Eine besonders zynische und aktuelle Ausprägung des sekundären Antisemitismus ist die Verhöhnung von Holocaustopfern: 2017 machte sich eine kleine Gruppe Jura-Studierender, die der ÖVP-nahen, konservativen Studentenorganisation Aktionsgemeinschaft (AG) angehörten, über die Ermordung Anne Franks lustig, indem sie das Foto eines Aschehaufens mit den Worten "Leaked Anne Frank nudes" versahen und via WhatsApp teilten. 2018 und 2019 kamen rassistische und antisemitische Strophen an die Öffentlichkeit, die sich in Liederbüchern schlagender Burschenschaften fanden. In einem hieß es: "Da trat in die Mitte der Jude Ben Gurion: ‚Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million". Im August 2020 wurde publik, dass ausgerechnet in jener Polizeiinspektion, die für den Schutz der mehrmals attackierten Grazer Synagoge verantwortlich ist, zynisch-antisemitische Nachrichten mit NS-Bezug via Social Media geteilt wurden.
Neben diesen aktuellen Fällen trug sich in den letzten Jahren eine Reihe von Angriffen auf die Erinnerungskultur im öffentlichen Raum zu. So kam es beispielsweise wiederholt zu Attacken und Vandalismus an den KZ-Gedenkstätten Mauthausen und Ebensee (2009, 2018, 2019), 2013 bis 2015 beschmierten Rechtsradikale unzählige Interner Link: "Stolpersteine" (Gedenktafeln, die für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt werden) in Salzburg, 2014 wurde das NS-Euthanasie-Mahnmal in Salzburg zerstört und 2019 zerfetzten Unbekannte die Portraits Überlebender, die in der Schau "Gegen das Vergessen" am Wiener Burgring ausgestellt waren. Klar und manifest antisemitische (Tat-)Handlungen wie diese werden von der lokalen wie überregionalen Mehrheitsgesellschaft aber deutlich abgelehnt und klar verurteilt. Dies zeigt sich auch unmissverständlich am jüngsten antisemitischen Vorfall: Auf die eingangs erwähnte Attacke auf Elie Rosen reagierten Bundespräsident, Bundeskanzler, sämtliche politischen Parteien und Religionsgemeinschaften sowie zahlreiche Einzelpersonen mit Solidaritätsbekundungen und -veranstaltungen. Seitens der österreichischen Regierung wird der Schutz von Juden und Jüdinnen und jüdischer Einrichtungen aktuell sehr großgeschrieben. Außerdem kündigte sie an, Antisemitismus in Österreich stärker bekämpfen zu wollen. Dabei richtete sie den Fokus insbesondere auf Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen sowie Geflüchteten, während jener in rechten Kreisen und in der politischen "Mitte" der Gesellschaft bislang weitaus weniger stark problematisiert wurde.
Judenfeindschaft weist folglich selbst nach 1945 eine spezifische "Tradition" in Österreich auf und ist bis heute in der österreichischen Bevölkerung verbreitet. Unter gewissen Umständen können antisemitische Einstellungen wieder mobilisiert werden, wovon nach der "Finanzkrise" 2008 und der "Flüchtlingskrise" 2015 aktuell die "Corona-Krise" zeugt. Gleichzeitig entwickelte sich in Österreich aber auch eine starke, kritische Zivilgesellschaft, die aktiv gegen antisemitische Tendenzen vorgeht und sich für anti-antisemitische Bildungsarbeit einsetzt.
Eine Langversion dieses Artikels erschien bereits in: Helga Embacher / Bernadette Edtmaier / Alexandra Preitschopf, Antisemitismus in Europa. Fallbespiele eines globalen Phänomens im 21. Jahrhundert, Wien 2019, 219-289. Eine kürzere Version ist ebenfalls bereits erschienen in: Alpendistel. Magazin für antifaschistische Gedenkkultur, 1/20 (2020), 19-22.