Kennzeichen
Der islamische Antisemitismus speist sich aus zwei Quellen, die sich deutlich voneinander unterscheiden: dem islamischen Antijudaismus des 7. und 8. Jahrhunderts sowie dem europäischen Antisemitismus, der erst im 19. Jahrhundert entstand.
Als Mohammed seine Laufbahn als Prophet im 7. Jahrhundert in Mekka begann, war er den jüdischen Traditionen noch zugeneigt. Dies änderte sich nach seinem Auszug nach Medina und dem Beginn der politischen und theologischen Auseinandersetzungen mit den dortigen jüdischen Stämmen. Mohammed gelingt es, die Juden aus Medina zu vertreiben und Hunderte von ihnen zu töten. Seither wurden Juden im Einflussbereich des Islam allenfalls als feige und gedemütigte Zeitgenossen betrachtet. Sie galten neben den Christen als Dhimmis – als "Schutzbefohlene", als Menschen zweiter Klasse, denen eine Sonderstellung eingeräumt wurde, d.h. sie mussten eine zusätzliche Steuer zahlen und Diskriminierungen erdulden. Im Gegenzug erhielten sie das Recht, auf islamischem Gebiet zu leben und ihre Religion auszuüben. Zwar gibt es im Koran auch pro-jüdische Aussagen; es dominieren jedoch Verse, in denen Juden als Feinde dargestellt, gar als "Affen" und "Schweine" abgewertet werden. Dieser degradierende Blick ist bis heute ein Kennzeichen muslimischer Judenfeindschaft geblieben. So skandierten beispielsweise im Sommer 2014 junge Muslime bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin die Parole "Jude, Jude, feiges Schwein, komm‘ heraus und kämpf‘ allein". Und im April 2018 sorgte ein Angriff bundesweit für Empörung, als ein junger Syrer in Berlin einen Kippa-Träger mit einem Gürtel peitschte und ihn zu demütigen suchte.
Während historisch betrachtet Juden für Muslime also keine nennenswerte Gegnerschaft darstellten und als eher schwach und feige galten, gingen die Christen davon aus, dass nicht der Prophet die Juden, sondern die Juden den Propheten, Gottes einzigen Sohn, getötet haben. Im Christentum wurden Juden deshalb als dunkle und übermächtige Instanz dämonisiert. Nur auf christlichem Boden konnte die Propaganda von der "jüdischen Weltverschwörung" gedeihen. Sie wurde zum Kennzeichen des "Antisemitismus" – einer sich im 19. Jahrhundert in Europa ausbreitenden Ideologie, die die Juden nicht länger aus religiösen, sondern aus rassistischen Gründen ausgrenzte und für alles "Böse" in der Welt verantwortlich machte. Dieses Denkmuster ist auch gegenwärtig virulent: Antisemiten beschuldigen Juden wahlweise als vermeintliche Drahtzieher der Flüchtlingsströme nach Europa oder machen sie für den "Islamischen Staat" oder die Corona-Krise verantwortlich.
Im islamischen Antisemitismus werden die negativsten Judenbilder aus Christentum und Islam vereint. Hier werden die muslimischen Überlieferungen von jüdischer Schwäche und Feigheit mit der paranoiden Vorstellung vom Juden als dem heimlichen Herrscher der Welt verbunden und somit das 7. mit dem 20. Jahrhundert verknüpft.
Ein Beispiel liefert die 1988 verfasste und bis heute gültige Interner Link: Charta der Hamas der palästinensischen Terrororganisation
Entstehung
Solange der Islam im Kontext vormoderner Zustände einer religiösen Doktrin folgte und im Antijudaismus verharrte, war er nicht antisemitisch. Erst im 19. Jahrhundert wurden Muslime mit dem europäischen Hass auf Juden konfrontiert: Priester und Diplomaten brachten die ,Ritualmord‘-Legende des christlichen Mittelalters in den Orient. So machte 1840 die ,Damaskus-Affäre‘ international Schlagzeilen. Mönche und der französische Konsul beschuldigten Juden, einen Ordensbruder und dessen Begleiter ermordet zu haben, da sie deren Blut für ein bevorstehendes
Auch wenn die Übersetzung westlich-antisemitischer Schriften ins Arabische schon um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhundert begann, kam es erst in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts zu einer flächendeckenden und systematischen Verbreitung des europäischen Antisemitismus im arabischen Raum. Zu diesem Zeitpunkt setzte Nazi-Deutschland alle Hebel in Gang, um seinen Judenhass in diese Region zu exportieren. Die Nazis verfolgten damit ein doppeltes Ziel: Zum einen wollten sie Araber gegen den jüdischen Teilstaat mobilisieren, den die
zu gegebener Zeit auch auf die etwa 700.000 Juden im arabischen Raum auszuweiten – ein Mordplan, bei dem er auf aufgehetzte arabische Kollaborateure zurückgreifen wollte.
Zunächst scheiterte Berlin mit dem Versuch, den rassistischen Antisemitismus in diesem Raum zu verankern – die Muslime standen dem rassistisch-biologistischen Antisemitismus ablehnend gegenüber. Dann aber entdeckten die Nazis den Antijudaismus in den Schriften des Islam. Fortan nutzten sie dessen judenfeindliche Überlieferungen als Türöffner, um Muslimen ihren speziellen Hass auf Juden nahezubringen. Sie wurden dabei von Amin el-Husseini unterstützt, der sich in den propagandistischen Dienst der Nationalsozialisten stellte und im Radio Hetzansprachen gegen Juden hielt. Das 31-seitige Pamphlet "Islam – Judentum. Aufruf des Großmufti an die islamische Welt im Jahre 1937" war das erste wichtige Dokument des islamischen Antisemitismus – ein Dokument, das die Nazis während der Kriegsjahre mehrsprachig und in hoher Auflage in der arabisch-islamischen Welt verbreiteten. Hier werden auf der einen Seite die bösartigsten antijüdischen Schmähungen aus dem Koran referiert. Gleichzeitig attackiert der Text Juden in der Diktion des europäischen Antisemitismus als "große Geschäftsleute", als "Mikroben" und als die Verursacher der Pest. Seit Mohammeds Zeiten, lesen wir hier, haben die Juden beständig versucht, "die Muslime zu vernichten“, wodurch eine ewige Feindschaft zwischen Juden und Muslimen behauptet wird. "Die Verse aus dem Koran und Hadith“, heißt es weiter, "beweisen euch, dass die Juden die bittersten Gegner des Islam gewesen sind und noch weiter versuchen, denselben zu vernichten. […] Kämpft für den islamischen Gedanken, kämpft für eure Religion und euer Dasein! Gebt nicht eher Ruhe, bis euer Land von den Juden frei ist."
Dieses Dokument unterstellte den Juden in Anlehnung an den europäischen Rassismus eine unveränderbare, bösartige Natur, die sich über mehrere Jahrhunderte nicht verändert habe. Wenn die Boshaftigkeit der Juden aber unveränderlich ist und alle Zeitepochen und -umstände überdauert hat, gibt es aus Sicht der Antisemiten nur eine Option, die Rettung verspricht: die Vertreibung oder Vernichtung der Juden.
Wichtigstes Werkzeug für die Propagierung des Nazi-Antisemitismus in der arabischen/muslimischen Welt war ein Radiosender aus dem brandenburgischen Zeesen, einem kleinen Ort südlich von Berlin, der sechs Jahre lang – vom 25. April 1939 bis zum 26. April 1945 – den Judenhass allabendlich auf Arabisch, Persisch und Türkisch von Berlin aus in die muslimische Welt sendete. Radio Zeesen sprach die Zuhörerschaft nicht als Araber, sondern als Muslime an. Der Sender engagierte erstklassige arabische Sprecher, rezitierte zu Beginn der Sendungen den Koran und würzte die Programme mit sorgfältig ausgewählter arabischer Musik.
Die zeitgenössischen Berichte betonen, wie beliebt dieser deutsche Propagandasender war. Selbst Araber, die dem Nazireich distanziert gegenüberstanden, ergötzten sich an dem drastischen Judenhass, den er verbreitete. Die Nazis knüpften damit an latent vorhandene Aversionen an, wie sie in den judenfeindlichen Koranversen und dem jahrhundertealten Status der Juden als Dhimmis zum Ausdruck kamen. Zudem nutzten sie den
Verbreitung
Radio Zeesen stellte seinen Betrieb im April 1945 ein. Seine Frequenzen des Hasses wirkten in der arabischen Welt aber nach. So blieb der arabische Raum nach 1945 die einzige Region in der Welt, in der eine pro-nationalsozialistische Vergangenheit als eine Quelle des Stolzes angesehen wurde, nicht der Scham. Dies zeigt das Beispiel der 1928 gegründeten ägyptischen
Die Tatsache, dass in diesem Krieg die zuvor noch als Dhimmis verlachten Juden die arabischen Armeen besiegten, erlebten viele Araber als Schock, was ihre Anfälligkeit für antisemitische Mythen erhöhte. Anfang der Fünfziger Jahre veröffentlichte der prominente Muslimbruder
Während in Wirklichkeit die Juden von Medina gegen Mohammed und seine Anhänger keine Chance hatten, präsentiert Qutb die Muslime als Opfer und die Juden als Aggressoren gegen den Islam. Bei ihm wird aus den Einzel-Episoden von Medina ein global und erbittert geführter Krieg, der nur mit der Vernichtung der einen oder anderen Seite enden kann.
Das Grundmuster dieser paranoiden Phantasie ist vom Nationalsozialismus bekannt, basierte doch auch dessen
Nach dem
Auswirkung
Die kurzzeitige Begegnung mit der NS-Ideologie hat die arabische Welt langfristig verändert. Bis heute werden hier die antijüdischen Passagen aus den Frühschriften des Islam unablässig wiederholt, bis heute wird der Weltenlauf mithilfe der "Protokolle der Weisen von Zion" erklärt, bis heute betrachten führende Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde jeden Versuch, das Verhältnis zu Israel zu normalisieren, als Hochverrat. 2014 ermittelte eine weltweit durchgeführte Studie der Anti-Defamation-League, dass im Nahen Osten und Nordafrika 75 Prozent der befragten Musliminnen und Muslime antisemitischen Äußerungen zustimmten, während es bei Muslimen in Asien, wohin die Radiowellen aus Zeesen nie gelangten, 37 Prozent und im Durchschnitt der Weltbevölkerung 26 Prozent waren.
Der jüngste Versuch einer religiös motivierten Massenmobilisierung fand im Dezember 2017 statt, als US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannte. Damals verurteilte die Palästinensische Autonomiebehörde Trumps Beschluss als "Aggression gegen den Islam, […], Aggression gegen den Koran, […], Aggression gegen die Muslime […], Aggression gegen die Al-Aqsa-Moschee […] und Aggression gegen die Menschheit"
Gleichwohl haben in jüngster Zeit einzelne arabische Politiker und Journalisten damit begonnen, sich von den antijüdischen Parolen zu distanzieren, die die arabische Welt seit 80 Jahren dominieren. So erklärte der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman, dass auch Israelis "das Recht haben, friedlich in ihrem Staat zu leben“.
Wenn aber selbst maßgebliche Kräfte Saudi-Arabiens – dem Kernland des Islam – ihr Verhältnis zu Israel überdenken, zeigt dies, dass nicht der Koran als solcher einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Arabern und Juden im Wege steht, sondern dessen antisemitische Interpretation. Für antiisraelische muslimische Führer ist der islamische Antisemitismus heute das wichtigste Instrument, die zarten Keime einer Annäherung an Israel zu zerstören. Sie betrachten die Abschaffung des Dhimmi-Status‘ für Juden als eine Verletzung göttlicher Gesetze und die Berufung auf den Koran als das probateste Mittel, den Vormarsch der Moderne in islamischen Gesellschaften zu stoppen. "Wer die Beziehungen zu Israel normalisiert, bricht mit dem Koran und mit dem islamischen Glauben", warnte beispielsweise noch jüngst der iranische Religionsführer Ali Khamenei.