Antisemitismus ist – ganz allgemein – der Hass gegenüber Jüdinnen und Juden.
Aktueller Antisemitismus in verschiedenen Rap-Genres
Dieser langen Tradition der Judenfeindschaft folgend findet sich Antisemitismus auch im aktuellen Rap:
"Frag die Weisen von Zion, sie antworten nicht / Frag Familie Rothschild, sie tritt nicht ins Licht / Frag dich selber wo der Haken ist, welches Spiel gespielt wird / Welches Ziel fixiert wird. Wer zieht den Nutzen daraus?“
Der Song "Die Weisen von Zion“ (2012) des rechtsextremen Rappers MaKss Damage enthält alle gängigen Sprachmuster, mit denen spätestens seit dem 19. Jahrhundert von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung erzählt wird: Der Song nimmt durch die allgemein bekannten Chiffren "die Weisen von Zion“ und "Familie Rothschild“ auf Jüdinnen und Juden Bezug und beschreibt ihre angeblichen 'Machenschaften' als Spiel mit dem Leben anderer Menschen und mit bedrohlichen Licht-Dunkel-Metaphern. Am Ende des Refrains impliziert die klassische rhetorische Frage nach dem "Nutzen“, dass Jüdinnen und Juden vom Leid der Welt profitierten. Dass gerade dieser Song antisemitische Fantasien bedient, wundert nicht, werden doch nur wenige Zeilen zuvor "uns’re Urahnen“ besungen, die von "Odin“ abstammen und "weiß und blond mit blauen Augen“
Klassische Stereotype und israelbezogener Antisemitismus
Im deutschsprachigen Rap zeigt sich Judenhass derzeit vor allem in zwei Ausprägungen:
dem israelbezogenen Antisemitismus und
dem strukturellen Antisemitismus mit dem Schwerpunkt Kapitalismuskritik, der vor allem durch das Narrativ um das Stereotyp des Finanzjudentums sichtbar wird.
"Der Banker ist der Mann, der Teufel im Anzug / […] Geboren im Chaos, zerschmetterte Towers / Es regnete Menschen, dies alles für Dollars […] / Rothschild-Theorie, […] sie leiten, sie lenken / Die Taxis, die Leute, die schuften für Bares / Der Illu', der Hurensohn kommt und verpackt es / Der nimmt sich dann alles, […]“
In "Hang The Bankers“ (2015) von Haftbefehl ist der Verantwortliche für 9/11, der zudem hart arbeitende Taxifahrer/-innen schröpft, der "Banker, der Teufel im Anzug“. Auch ohne explizite Bezugnahme auf Juden und Jüdinnen ist durch die Chiffren "Rothschild“ und "Illu‘“ in Verbindung mit dem "Banker“-Motiv eindeutig: Dieser Song konstruiert ein Weltbild, das an antisemitische Verschwörungsfantasien anknüpft. Der Jude als "Banker“ ist in dieser Lesart 'manipulativ, mächtig, raffgierig‘ und verursacht alles Unrecht in der Welt, um sich am Leid anderer zu bereichern. Das Stereotyp des Finanzjudentums manifestiert sich auch in "Raus aus dem Reichstag“ (2009) von Xavier Naidoo, in dem es heißt: "Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel.“
Dieses antisemitische Weltbild, in dem sich das Finanzjudentum gegen die Menschheit verschworen hat, zeigt strukturelle Ähnlichkeiten zum israelbezogenen Antisemitismus, der heute vorherrschenden Variante des alten Judenhasses:
"Hundert Flüchtlinge, noch eine Fähre / Denn die Freimaurer wollen uns ficken […] / Junge ich rede kein Mist denn ich war da / Wenn diese Bomben zersplittern im Basar / Wie bei den Brüdern in Bagdad und Gaza […] / Und dieses blutende Herz ja es schlägt für / Für meine Heimat und Freiheit der Mensche / Doch bis dahin heißt es, weiter noch kämpfen / Denn die Freimaurer wollen uns ficken“
Das "Ich“ in "Heimat“ (2011) von SadiQ wählt andere Chiffren für die Verantwortlichen von Flucht und Krieg im Nahen Osten: Es sind die "Freimaurer“ und die Kriegstreiber in "Gaza“, die all dies Grauen verursachen. Im israelbezogenen Judenhass fungiert Israel als Platzhalter für den 'ewigen Juden‘, denn antisemitische Stereotype werden auf Israel projiziert.
Indirekte Kodierungen
In diesem antisemitischen Deutungsrahmen werden seit Jahrhunderten mannigfaltige narrative Muster und Motive miteinander verknüpft. Daher sind sie im kollektiven Gedächtnis präsent und können so auch indirekt kodiert von den Hörer/-innen verstanden werden:
"Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein? / Seht ihr nicht? Ihr seid nur Steigbügelhalter / Merkt ihr nicht? Ihr steht bald ganz allein / Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“
Auch ohne direkte Nennung von Jüdinnen und Juden oder der verursachten Übel, wird in "Marionetten“ (2017) der Band Söhne Mannheims durch die Marionetten-Puppenspieler-Metaphorik die antisemitische Verschwörungsfantasie bedient, in der der ‚übermächtige böse Jude‘ die mit "ihr“ Angesprochenen unterdrückt.
Klassischer und Post-Holocaust-Antisemitismus
Stereotype des klassischen wie des Post-Holocaust-Antisemitismus, der durch eine Abwehrreaktion hinsichtlich der Schuld am Holocaust zu erklären ist und nicht selten zu einer Opfer-Täter-Umkehr führt, stehen nicht nur im Zentrum bestimmter Songs, sie finden sich auch isoliert in einzelnen Zeilen des aktuellen Deutschrap:
"Ich komme nach rund 100 Pull'n Bier mit unkultivierten Jungs / Rum zu dir (Hundesohn stirb) / Im Rundfunk wird nach uns gefahndet / Eins-Acht-Sieben, und ja, wir war'n es / Und vor Gericht wird wieder mal auf Unschuld plädiert / Yeah, Freispruch, wie üblich, ich kann' hier halt machen, was ich / will dank meines jüdischen Anwalts“
So freut sich das "Ich“ in "Sanduhr“ (2014) von Kollegah, das es für einen verübten Mord nicht verurteilt wird. Den Freispruch hat es dem Umstand zu verdanken, dass sein Anwalt jüdisch ist und daher unabhängig von der Schuld seines Mandanten einen Fall vor Gericht schlicht nicht verlieren kann. Je nach Vorwissen und Einstellung der Hörer/-innen kann hierdurch zum einen das klassische Stereotyp des 'verschlagenen und manipulativen Juden‘ aktiviert werden und zum anderen der Vorwurf, Jüdinnen und Juden nutzten seit dem Holocaust einen Sonderstatus aus und würden somit zu Unrecht bevorzugt behandelt.
In Versen von Kollegah & Farid Bang finden sich zudem massive Holocaust-Relativierungen, die teils an Gewaltaufrufe gekoppelt sind:
"Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow / Im Hennessy für meine Enemies und lasse deine Family / Verbrennen an `nem Waldrand Parkplatz“
Obwohl der Vers "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“
Fazit
Judenhass ist weder ein grundlegendes Element, noch ein bestimmendes Stilmittel von Rap oder Pop. Diese Kunstformen insgesamt zu diskreditieren, führt daher nicht zum Ziel. Beide Musikrichtungen können und werden jedoch als Plattform genutzt, um Antisemitismus zu äußern. So werden Vulgaritäten, verbale Gewaltexzesse und Tabubrüche mit Antisemitismen von einigen Künstler/-innen seit Jahren mit Kalkül eingesetzt. Die Argumentation, antisemitische Äußerungen seien im Rap lediglich ein beliebiges Stilmittel der Provokation, trivialisiert und bagatellisiert die verbale Gewalt in den Songs. Zudem werden die Antisemitismen und ihr Beeinflussungspotenzial relativiert: Antisemitische Sprachgebrauchsmuster erhalten durch das Reproduzieren judenfeindliches Gedankengut und wirken immer, oft unbewusst, auf das kollektive Bewusstsein ein.
Durch die Idolfunktion von Sänger/-innen besteht die Gefahr, dass Antisemitismen, in eingängige Texte verpackt, die voll von Anstiftungen zu Gewalttaten und mentaler Gewalt sind, die Weltsicht vieler jugendlicher Fans prägen. Daher muss eine aufklärende Auseinandersetzung an Schulen wie im öffentlichen Diskurs stattfinden, die antisemitische Fantasien und Stereotype als solche offenlegt und reflektiert. So werden die Fans befähigt, den Antisemitismus in ihrer Szene als solchen zu erkennen und ihm entschieden entgegenzutreten.
Ob ein Künstler bzw. /eine Künstlerin ein antisemitisches Weltbild aus Überzeugung vertritt, die entsprechenden Fantasien und Stereotype "nur“ bedient um zu provozieren oder ohne um sie zu wissen, ist hinsichtlich des Beeinflussungspotenzials der Texte irrelevant. Denn judenfeindliches Gedankengut und antisemitische Verschwörungsfantasien verbreiten sich unabhängig von der Intention der Künstler/-innen, wenn sie in Form von Songs bei ihren Fans Gehör finden. Daher ist es inakzeptabel, dass Künstler/-innen, die durch die Verwendung antisemitischer Stereotype auffallen, diese trotz vielfacher Kritik immer wieder in ihre Songs einbauen. Eine Einsicht oder eine Entschuldigung bleibt bei nahezu allen aus. Stattdessen wird jegliche Kritik umgedeutet, Antisemitismus geleugnet und eindeutiger Verbal-Antisemitismus durch das Pseudo-Argument der Kunstfreiheit relativiert. Da Künstler/-innen mit ihren Songs das kollektive Bewusstsein prägen und ein Millionenpublikum beeinflussen, sollten sie zur Verantwortung für die Texte gezogen werden, die sie schreiben und veröffentlichen.