"Mit dem Rest der Welt verbunden"
Es gibt noch immer eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den Sachen, die hier in den Läden landen, also im Weltmusikfach oder im Fach Afrika, die auch mal aufgegliedert sind nach einzelnen Ländern, und dem, was sozusagen vor Ort gehört wird, also der populären Musik. Aus Lagos kennst du vielleicht zwei, drei Musiker, du kennst Fela, du kennst Femi, dann hört es eigentlich schon auf bei den meisten.
Aber dahinter gibt es eine Riesenszene von Sachen, die mittlerweile auch in große Teile Afrikas hineinstreuen durch MTVbase. Nigerianische Hip-Hop-Künstler haben unlängst eine Tour gemacht, deren Hauptgruppe ungefähr drei Millionen Platten von ihrem letzten Album verkauft hat. Von dieser Platte gibt es hier auf dem Markt nicht einen einzigen Song zu kaufen. Es gibt überhaupt keine Platte von ihnen zu kaufen, es gibt sowieso kaum Platten von Hip-Hop-Künstlern oder Reggae-Künstlern hier zu kaufen.
Grundsätzlich ist der CD-Markt sowieso im Moment sehr schwierig, das heißt, die riesigen Verkaufszahlen gibt es nur noch selten, und zum anderen glaube ich, dass diese afrikanische Musik einfach eine Funktion hat, das ist wie in der Popmusik, man möchte sich mit etwas assoziieren, man sucht etwas, was man nicht hat und vermeintlich dort zu finden glaubt. Mittlerweile ist es in sehr vielen Ländern so, das eben die jeweiligen Sprachen benutzt werden, und dass dort auch eine andere Generation sich artikulieren oder sozusagen ihren eigenen Standpunkt darstellen kann.
Wir haben mittlerweile sehr viele Kontakte in Afrika in den unterschiedlichsten Ländern. Wir nehmen uns entweder ein Thema oder wir nehmen uns ein Land und suchen einfach die aktuellen Veröffentlichungen in einem Bereich: Wen gibt es eigentlich außer den bekannten Künstlern? Es gibt mittlerweile in jedem Land Reggae und Dancehall-Stars, die alle so zwischen 20 und 30 Jahren sind. Was machen die? Was sind die guten Aufnahmen? Wer sind die Produzenten? Und wir versuchen einfach, aus jedem Land so zwei, drei Leute herauszubringen. Der Unterschied ist, wenn du dir anschließend das Booklet durchliest und siehst, dass diese Leute wahnsinnig populär sind - die spielen in Stadien, die spielen vor Tausenden von Leuten, die sind Stars -, dann denkst du dir, du hörst nur den Song, du hörst, dass es ein Dancehall-Ding ist, und du merkst sofort, die Leute sind verbunden mit dem Rest der Welt.
Sehr oft ist es so, dass gerade diese Musikformen Hip-Hop, Reggae, Dancehall sehr politisch sind und auch vom Text her aktuelle Statements liefern zu den Sachen, die konkret anstehen. Nigeria hat so viele Einwohner, es gibt diese und jene Probleme, in den 80er Jahren ist dies und das passiert. Das kannst du schon streifen; aber es ist dann schon besser, wenn du zum Beispiel einen Song hast, in dem es um so etwas geht. Oder auf der Platte ist so ein Song, in dem erzählt wird, was alles passieren kann, wenn du durch die Straßen von Lagos fährst, und dich die Polizei anhält. Folgender Reim gefällt mir total gut: "Be careful, 'cause they hate anyone who went to school", lautet er. Also diese Polizisten, die niemals zur Schule gegangen sind, halten jemanden an und merken, der ist gebildet. Den machen sie natürlich fertig, wenn es irgendwie geht. Der wird dann durchgefilzt, und wenn er irgendwelche Papiere nicht hat, dann ist er halt dran, und daher lautet der Reim auch: "Be careful, 'cause they hate anyone who went to school".
Redaktion: Marcus Pawelczyk
Kamera und Schnitt: Jörg Pfeiffer
Das Interview entstand auf dem Afrikafestival in Würzburg vom 25. bis 28. Mai 2006.