Anhand eines Demokratieindexes soll versucht werden, die komplexen und widersprüchlichen politischen Entwicklungen in Sub-Sahara-Afrika zu erfassen. Die anhaltende Dynamik des Kontinents nahm ihren Anfang zu Beginn der neunziger Jahre, als Afrika geradezu von einer Welle von Demokratisierungsprozessen erfasst wurde.
Auszug aus:
Einleitung
"Africa is on the move" ist der Einleitungssatz des wichtigen Grundlagenpapiers der Europäischen Kommission zur EU-Afrikastrategie.
Ziel und Methodik des BTI
Das normative Ziel des BTI besteht darin, die Transformationsleistungen sowohl von Entwicklungs- als auch Transformationsländern im Hinblick auf marktwirtschaftliche Demokratie zu messen und dadurch Vergleiche zwischen einzelnen Regionen und Ländern zu erleichtern.
Der BTI wird von der Carl-Bertelsmann Stiftung finanziert und in Kooperation mit dem Zentrum für Angewandte Politikforschung (CAP) in München erstellt. Ihnen steht in Form des BTI-Boards ein größerer Kreis an Sozialwissenschaftlern und Regionalexperten beratend zur Seite. Das empirische Herzstück des Index bilden 119 Ländergutachten, die Staaten mit mindestens drei Millionen Einwohnern untersuchen. Sie werden von deutschen Länderexperten erstellt und von Experten, die aus den untersuchten Ländern kommen, kritisch gegengelesen. Regionalkoordinatoren diskutieren die Gutachten mit den Autoren und stimmen die Ergebnisse intraregional und interkontinental ab. Angestrebt wird ein möglichst hoher Grad an Standardisierung der 15 bis 25 Seiten umfassenden Gutachten, die quantitative Angaben zur sozioökonomischen Entwicklung von diversen internationalen Organisationen verwenden und gleichzeitig qualitative Beobachtungen der politischen Entwicklungen vornehmen. Die Ländergutachten des BTI 2006 sind ausschließlich in englischer Sprache im Volltext downloadbar, die des BTI 2003 stehen auch auf Deutsch zur Verfügung.
Insgesamt sind mehrere tausend Seiten an Informationen zugänglich, die auch auf einer der Veröffentlichung in Buchform beiliegenden CD-ROM zu finden sind.
Die Struktur des BTI
Der BTI ist der bisher umfassendste Index. Er besteht im Grunde genommen aus zwei bzw. drei Indices und einer Tendenzbewertung. Die drei Teilindices des BTI messen erstens den Stand der rechtsstaatlichen Demokratie, zweitens den Stand der sozial verantwortlichen Marktwirtschaft und drittens die politischen Managementleistungen. Die Werte für die Teilindices zu Demokratie und Marktwirtschaft werden arithmetisch gemittelt zum Status-Index zusammengefasst. Neuland betritt der BTI mit dem Managementindex. Dieser Index misst die Gestaltungsleistung politischer Akteure (im Wesentlichen der Regierung) im Hinblick auf Marktwirtschaft
Diesen Kriterien sind insgesamt 58 Indikatoren zugeordnet, die den Ländergutachtern in Fragenform vorliegen. Diese komplexe Struktur soll am Beispiel des Kriteriums Rechtsstaatlichkeit verdeutlicht werden. Hier lautet die normative Vorgabe, dass die Gewalten sich im Idealfall wechselseitig kontrollieren und die bürgerlichen Freiheitsrechte gewährleisten. Die in diesem Fall vier Indikatoren, die in Frageform vorliegen, lauten: Gewaltenkontrolle, Unabhängigkeit der Justiz, Verfolgung von Amtsmissbrauch, Existenz und Einklagemöglichkeit bürgerlicher Freiheiten. Diese vier Indikatoren werden numerisch bewertet und machen zu gleichen Teilen die Bewertung für das Kriterium aus. Zwei Besonderheiten des BTI sollen noch herausgestellt werden. Erstens wird ein gesondertes Kriterium für Staatlichkeit eingeführt, das sich am Staatlichkeitsbegriff Max Webers orientiert und fragt, inwieweit das Gewaltmonopol des Staates in Kraft ist, funktionsfähige Verwaltungsstrukturen vorliegen, ob Staat und Religion getrennt sind und inwieweit Einigkeit über die Zugehörigkeit zum Staatsvolk besteht. Angesichts zahlreicher Prozesse von Staatszerfall in Afrika
Mit dem Bertelsmann Transformation Atlas (BTA)
Zentrale Ergebnisse des BTI für Afrika
Im Untersuchungszeitraum zwischen Anfang 2003 bis Anfang 2005 wurden die Entwicklungs- und Transformationsleistungen von 34 der 48 Staaten auf dem Kontinent untersucht. Aufgrund dieser hohen Anzahl wurden zwei Untersuchungsregionen nach geografischen Kriterien gebildet: Zum einen wird das östliche und südliche Afrika mit 16 Staaten und zum anderen das westliche und Zentralafrika mit 18 Staaten untersucht.
Der BTI für Afrika weicht vom Auswahlkriterium Bevölkerungszahl über drei Millionen ab, da Namibia, Botswana und Mauritius deutlich unter drei Millionen Einwohnern liegen. Die Berücksichtigung dieser drei Staaten wird nur allgemein mit deren Bedeutung in Afrika gerechtfertigt. Die Ergebnisse der Rankings bestätigten insofern das Vorwissen über Afrika, als der Kontinent im Vergleich zu anderen im Hinblick auf den Entwicklungsstand zurückbleibt. Im Status-Index liegen lediglich Mauritius auf Platz 15, Botswana und Südafrika beide auf 16, Namibia auf 26, Ghana auf 31 und Senegal auf 35 im oberen Drittel der 119 Länder. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass der politische Entwicklungsstand sehr vieler Staaten wesentlich günstiger als der wirtschaftliche beurteilt wird. Diese Ungleichzeitigkeit ist besonders auffällig bei Ghana, bei dem die Differenz zwischen den Werten für Wirtschaft und Demokratie sich fast um zwei Punkte auf der 10er Skala unterscheidet.
In Afrika sind die Entwicklungsleistungen der autoritären Systeme (im Unterschied zu einigen Ländern in Asien wie China oder Singapur) generell gering. Unter den zehn Staaten mit den niedrigsten Werten im Status-Index finden sich mit Sudan, Côte d'Ivoire, Eritrea, Liberia, DR Kongo und Somalia gleich sechs afrikanische Länder. Dies belegt, wie groß die Spannbreite innerhalb des Kontinents zwischen relativ erfolgreichen und gescheiterten Ländern ist. Ein differenziertes Bild ergibt sich auch bezüglich der politischen Gestaltungsleistungen: Botswana (Platz 3) und Südafrika (11), Senegal (17) und Ghana (18) werden sehr gute bzw. gute Leistungen im Management der Transformation hinsichtlich der normativen Ziele attestiert. Diese afrikanischen Länder liegen hinsichtlich der politischen Gestaltung vor dem EU-Mitglied Polen (Rang 26), das aber im Status-Index aufgrund seines weit fortgeschrittenen Entwicklungsstandes deutlich vor ihnen liegt.
Insgesamt bedeuten die guten Ergebnisse einiger afrikanischer Länder, dass auch angesichts geringen Entwicklungsstandes unter Bedingungen weit verbreiteter Armut und Unterentwicklung durchaus beeindruckende Transformationsleistungen erbracht werden können. Am Ende der Skala befinden sich erneut zahlreiche afrikanische Staaten, die entweder diktatorisch regiert werden (Simbabwe, Togo, Eritrea) und deren Regierungen daher kein Interesse an einer demokratischen Transition haben, oder Staaten, die nur noch eingeschränkt Autorität auf ihrem Territorium ausüben (Somalia, Côte d'Ivoire).
Typologie politischer Systeme
Seit 1974 nahm, ausgehend von der Nelkenrevolution in Portugal, die Anzahl der formal demokratischen Staaten von ca. 40 auf 129 bis 2004 zu. Jede vergleichende Analyse der neu entstandenen Demokratien macht deutlich, dass die Qualität dieser politischen Demokratien sehr unterschiedlich ist. So ist das politische System Russlands - u.a. aufgrund der eingeschränkten Medienfreiheit - sicher nur mit Einschränkungen als funktionierende Demokratie zu bewerten, wohingegen etwa Ungarn unstrittig als Demokratie gilt. Die Unterscheidung in Autokratien in den verschiedenen Erscheinungsformen (Militärherrschaft, Einparteiensystem) und Demokratien greift hier zu kurz: Russland ist weder eindeutig Diktatur noch lupenreine Demokratie. Auch die Einordnung von 54 Staaten im Freedom House Index
Der bisher detailreichste und anspruchsvollste Definitionsversuch des Phänomens der Grauzonendemokratien stammt von Wolfgang Merkel und seinem Team.
Politische Transformation in Afrika aus der Perspektive des BTI
Der umfassende Demokratiebegriff des BTI ermöglicht eine weitaus genauere Bestimmung der demokratischen Defizite in einzelnen Staaten, als sie der Freedom House Index leisten kann. Die 34 untersuchten Länder Afrikas lassen sich unter Rückgriff auf die numerischen Bewertungen der Rankings, die einigermaßen trennscharfe Schwellen bilden, folgendermaßen typologisch einordnen:
Tabelle 2 (vgl. PDF-Version) belegt zunächst eindrucksvoll die Fortschritte im Hinblick auf demokratischere Herrschaftssysteme: Existierten bis 1990 lediglich in Botswana, Mauritius und mit Abstrichen im Senegal demokratische Systeme, so sind heute insgesamt dreizehn Staaten weit fortgeschritten und weisen nur geringe Defekte auf.
Neben den positiven Entwicklungen fällt die hohe Zahl von 15 Staaten mit sehr niedrigen Werten auf, die erstens nach wie vor autoritär regiert werden, die zweitens entweder akut vom Staatszerfall bedroht sind oder sich drittens in langwierigen und komplexen Wiederaufbauprozessen nach Bürgerkriegen befinden. Zwischen diesen Staaten gibt es große Unterschiede und sehr unterschiedliche Tendenzen: So gab es durchaus Reformen in Ruanda und Äthiopien, während sich die Situation in Simbabwe und Eritrea deutlich verschlechterte. Um die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen afrikanischen Ländern verstehen und die numerischen Bewertungen nachvollziehen zu können, sind die Ländergutachten des BTI 2003 und 2006 unerlässlich. Trotz der sehr unterschiedlichen Entwicklungen lassen sich verallgemeinerbare Aussagen über die wichtigsten Gründe für Demokratieblockaden und die Entstehung defekter Demokratien in Afrika machen:
Die in der Verfassung und per Gesetz garantierten Rechte werden in der Praxis nicht eingehalten. Diese keineswegs nur in Afrika anzutreffende Diskrepanz zwischen de jure und de facto-Verhältnissen untergräbt besonders die Rechtsstaatlichkeit; die Gerichtsbarkeit ist auch logistisch und personell häufig unterausgestattet und korruptionsanfällig.
Die politische Integrationsleistung der Parteiensysteme (und häufig auch der Interessengruppen) ist unzureichend. Politische Parteien sind oftmals bloße Vehikel ambitionierter politischer Unternehmer und repräsentieren nicht spezifische soziale oder weltanschaulich abgrenzbare Gruppen. Die Parteiorganisationen sind zumeist schwach und deren inhaltlichen Aussagen vage.
Die Politik in vielen Staaten ist stark personalisiert und beruht auf neopatrimonialen Strukturen. Grundannahme des Neopatrimonialismus ist, dass traditionelle, patrimoniale Patron-Klient-Beziehungen parallel zu modernen Institutionen existieren und diese Letztere in ihrer Effizienz und Logik manipulieren.
Politische Entscheidungen fallen daher oftmals in inoffiziellen, informellen Institutionen vorbei an den dafür verfassungsmäßig vorgesehenen Institutionen. Begleitet wird neopatrimoniale Herrschaft durch ein hohes Maß an Korruption und Personalisierung, die häufig verstärkt wird durch präsidiale Regime mit hoher Machtkonzentration. Die neopatrimoniale "Grammatik der Politik" in Afrika - basierend auf dem Tauschverhältnis politische Loyalität gegen materielle Vorteile - erschwert die Etablierung demokratischer Systeme, wie zahlreiche Ländergutachten des BTI 2006 belegen.
Schlussbemerkung
Mit dem BTI ist ein wichtiges neues Instrument zur vergleichenden Erfassung der zahlreichen Transformationsprozesse nicht nur in Afrika geschaffen worden. Gegenüber dem Freedom House Index besitzt er erstens den Vorteil, umfassender zu sein, da nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Transformationsleistung sowie mit dem Management-Index die Gestaltungsleistung und der Gestaltungswille politischer Akteure gemessen werden. Zweitens zeichnet den BTI ein hohes Maß an Transparenz aus. Nicht nur die Methodik wird ausführlich erläutert, sondern Gutachten stehen im Volltext zum Herunterladen zur Verfügung. Dies ist beim direkten Konkurrenten Freedom House Index nicht möglich; auch ist die Zahl der dortigen Experten mit ca. 35 für 192 Länder (plus abhängiger Gebiete) gegenüber ca. 220 beim BTI deutlich geringer. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive weniger interessant ist das numerische Ranking, da es bei den zum Teil sehr geringen Unterschieden in der Beurteilung eine Trennschärfe bei Bewertungen suggeriert, die der komplexen Transformationsrealität nicht gerecht werden kann. Das Ranking ist vor allem ein öffentlichkeitswirksames Marketing-Instrument. Der BTI erlaubt einerseits die Identifikation von Entwicklungs- und Transformationshindernissen und erklärt damit die Herausbildung von Grauzonensystemen, andererseits werden auch Transformationserfolge nachvollziehbar. Die Ergebnisse für Afrika widersprechen einem pauschalen Afrikapessimismus und verdeutlichen die Notwendigkeit differenzierter Betrachtung.
Die Qualität des BTI steht und fällt mit der Qualität der Ländergutachten, die in dem einen oder anderen Fall hinsichtlich der Argumentationsdichte noch verbessert werden könnten. Erleichtert wird die Beschäftigung mit dem BTI auch durch eine sehr benutzerfreundliche Homepage und den Transformationsatlas. Der BTI wendet sich an einen breiten Adressatenkreis, wird aber auch zunehmend von Regierungsinstitutionen, Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit und auch von nichtstaatlichen Einrichtungen wie NGOs und politischen Stiftungen zu Rate gezogen. Gerade der Management-Index kann hier einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über verantwortungsvolle Regierungsführung - Good Governance - leisten.