Strukturanpassungsprogramme sollen afrikanische Regierungen mit Hilfe zinsgünstiger Kredite dazu ermutigen, ökonomische Strukturreformen durchzuführen. Seit ihrer Einführung versiebenfachte sich das jährliche Volumen dieser Kredite in Afrika südlich der Sahara auf ein Gesamtvolumen von sechs Milliarden US-Dollar. Abgesehen von wenigen Ausnahmen (Südafrika, Eritrea, Namibia) wurden mit allen afrikanischen Staaten solche Programme vereinbart.
Auszug aus:
Informationen zur politischen Bildung (Heft 264) - Strukturanpassung und Verschuldung
Einleitung
Strukturanpassungsprogramme (SAP) wurden seit Ende der siebziger Jahre im Zusammenhang mit der Schuldenkrise der Entwicklungsländer in Afrika nahezu flächendeckend eingeführt. Sie werden von den beiden 1944 gegründeten internationalen Finanzorganisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) konzipiert und gemeinsam mit den betroffenen Regierungen durchgeführt. SAP sollen die Regierungen durch die Gewährung zinsgünstiger Kredite ermutigen, ökonomische Strukturreformen durchzuführen. Seit der Einführung der SAP 1979 versiebenfachte sich das jährliche Volumen der Strukturanpassungskredite in Afrika südlich der Sahara auf ein Gesamtvolumen von sechs Milliarden US-Dollar (1998). Abgesehen von wenigen Ausnahmen (Südafrika, Eritrea, Namibia) wurden mit allen afrikanischen Staaten SAP vereinbart. In Ergänzung zu SAP unterhält die Weltbank eine Vielzahl an Sektorprogrammen, insbesondere in den Bereichen Erziehung, Gesundheit, Transport und Landwirtschaft.
Seit Anfang der achtziger Jahre, als die ökonomische Krise in Afrika unübersehbar wurde, besteht ein breiter Konsens zwischen Wissenschaftlern und Entwicklungspolitikern, daß eine wirtschaftliche Reformpolitik notwendig ist, um Afrika wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. Auslöser für die Einführung von SAP waren massive externe Schocks Ende der siebziger Jahre, als in Verbindung mit dem Anstieg der Ölpreise die Nachfrage der Industrieländer nach Produkten der Entwicklungsstaaten stark abnahm und sich der Trend zu sinkenden Rohstoffpreisen verstärkte. Die inflexiblen Wirtschaftsstrukturen der afrikanischen Ökonomien zeigten sich den externen Schocks weitgehend hilflos ausgesetzt, so daß sie mit Weltbank und IWF Stabilitäts- und Strukturanpassungsprogramme vereinbarten.
Krisenursachen
Die meisten afrikanischen Regierungen folgten seit ihrer Unabhängigkeit einem staatswirtschaftlichen Entwicklungsmodell, das die Landbevölkerung benachteiligte und vetternwirtschaftliche Strukturen stärkte. Importe wurden in der Regel aufwendig und teuer durch Eigenproduktionen ersetzt; ausgewählten Unternehmen wurden Einfuhrlizenzen für bestimmte Produkte zugeteilt. Die Preise landwirtschaftlicher Güter, die über staatliche Vermarktungsstellen vertrieben wurden, wurden deutlich unter dem Weltmarktpreis fixiert und sehr hoch besteuert. Die überbewerteten Währungen verstärkten die Wettbewerbsnachteile der Landwirtschaft, da sie Exportgüter verteuerten. Nutznießer dieses Systems waren die städtischen Eliten, die Importe – insbesondere Luxusgüter – zu künstlich vergünstigten Preisen beziehen konnten, und die leitenden Beschäftigten der zuständigen Behörden, die eine besondere Machtposition gegenüber den Landwirten hatten.
Die erste Phase der Unabhängigkeit war darüber hinaus durch eine starke Expansion staatlicher Tätigkeiten gekennzeichnet, die zu einer massiven Zunahme der Staatsbediensteten und steigender Anzahl von Staatsbetrieben führten. Die Besoldung der Beamten beanspruchte zwar einen sehr hohen Anteil der Staatsausgaben; die Kaufkraft ihrer Gehälter verringerte sich jedoch so stark, daß sie in der Regel wenig motiviert waren, den Dienst ordnungsgemäß auszuüben. Der aufgeblähte Staatssektor diente als Rückgrat für eine Patronagepolitik, die die Wirtschaftskraft schwächte, aber die politischen Strukturen festigte.
Die ökonomischen Ineffizienzen führten zu stagnierenden Pro-Kopf-Einkommen, die Afrika zum "Armenhaus der Welt" werden ließen. Während die Staaten Afrikas 1964 durchschnittlich etwa noch den gleichen Lebensstandard hatten wie Ostasien, stagnierten die afrikanischen Pro-Kopf-Einkommen bis 1997 bei 500 US-Dollar pro Jahr, während sich die Durchschnittseinkommen in Ostasien auf 1800 US-Dollar erhöhten.
Die wirtschaftlichen Ineffizienzen wurden in den Jahren des Kalten Krieges zwar durch großzügige Entwicklungshilfezahlungen der westlichen wie östlichen Lager ausgeglichen, führten aber mittelfristig in den finanziellen Bankrott, so daß fast alle afrikanischen Staaten auf die Unterstützung von Weltbank und IWF angewiesen waren.
Reformkonzeption
SAP zielen auf Effizienzsteigerung und Flexibilisierung der afrikanischen Ökonomien. Durch ein erhöhtes Wirtschaftswachstum sollen die Schulden abgebaut und die Armut reduziert werden. SAP stellen ein "Tauschgeschäft" zwischen den Regierungen und den internationalen Finanzinstitutionen dar, bei dem sich die Regierungen verpflichten, Strukturreformen durchzuführen. Im Gegenzug erhalten sie zinsgünstige Kredite. Die ärmsten Staaten der Welt mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 925 US-Dollar – darunter 41 afrikanische Staaten – können "weiche" Kredite der Weltbank-Tochter International Development Association (IDA) in Anspruch nehmen, die durch Entwicklungshilfezahlungen der Industriestaaten finanziert werden. Die Tilgung der Kredite muß erst 10 Jahre nach Auszahlung begonnen werden und kann bis zu 50 Jahre gestreckt werden. Die Bearbeitungsgebühr beträgt 0,75 Prozent pro Jahr. "Weiche" IWF-Kredite müssen bei einer Gebühr von 0,5 Prozent ab dem fünften Jahr zurückgezahlt und innerhalb von zehn Jahren getilgt werden. An IDA-Mitteln erhielt Afrika 1998 2,4 Milliarden US-Dollar, die sich auf 367 Projekte in 46 Ländern verteilten.
Die Gewährung der Kredite wurde von den internationalen Banken an wirtschaftspolitische Auflagen gebunden, die drei zentrale Zielsetzungen beinhalten:
Makroökonomische Stabilisierung. In vielen afrikanischen Staaten entstanden große Lücken in den Staatshaushalten, die die Volkswirtschaften häufig aus dem Gleichgewicht brachten. Kurzfristig können die Defizite in den Staatshaushalten nur durch eine Verringerung der Ausgaben erreicht werden. In Krisensituationen werden allerdings oft externe Finanzspritzen zur Stabilisierung der Haushalte benötigt. Aufgrund der mangelnden Kreditfähigkeit bei kommerziellen Kreditgebern wird die kurzfristige Finanzierung zur Überbrückung in der Regel über Stabilisierungsprogramme des IWF gewährleistet. Der IWF nimmt dabei die Funktion einer "Zentralbank der Zentralbanken" ein und soll helfen, die Zahlungsfähigkeit von Staaten zu bewahren. Finanzkrisen sind in der Regel ein Symptom für tieferliegende Probleme, die den Vertrauensverlust in die heimische Währung verursacht haben. Um den Wert der Landeswährung zu stabilisieren, muß mittelfristig das lokale und internationale Vertrauen in die Währung gestärkt werden. Dazu ist es in der Regel notwendig, Haushalts- und Außenhandelsdefizite abzubauen sowie die Währung auf ihren Marktwert abzuwerten. Eine solide Haushaltspolitik, die ein hohes Maß an Preisstabilität ermöglicht, soll die Anreize für lokale und ausländische Investitionen erhöhen und die Basis für nachhaltiges Wachstum darstellen.
Marktkonforme Preisstrukturen. Durch Währungsabwertungen, Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen sollen sowohl für Importe wie für Exporte marktkonforme Preise wiederhergestellt werden. Die Preisanpassung nutzt vor allem der ländlichen Bevölkerung, die ihre Produkte teurer als bisher verkaufen kann. Die Abschaffung von Importlizenzen verringert die Preise der Einfuhren und erhöht die Palette der im Inland verfügbaren Produkte. Eine Liberalisierung der Importe gefährdet jedoch einheimische Produzenten, die nicht wettbewerbsfähig sind und führt in den betroffenen Sektoren zu Arbeitsplatzverlusten. Die Marktöffnung für ausländische Produkte wird deshalb durch Umschulungsprogramme und Entschädigungszahlungen sozial abgestützt.
Effizienzsteigerungen des staatlichen Sektors. Institutionelle Reformen zielen auf einen Rückzug des Staates von wirtschaftlichen Aktivitäten und damit auch indirekt auf die Förderung des privaten Unternehmertums. Hierbei wurde von der Weltbank eine höhere Effizienz des öffentlichen Sektors und die Privatisierung von Staatsunternehmen hervorgehoben. Reformen in der öffentlichen Verwaltung umfassen die Reduzierung der überflüssigen Positionen sowie leistungsgerechte Entlohnung und Beförderung. Die Privatisierung von Staatsbetrieben soll eine verstärkte Kosten- und Kundenorientierung und damit eine höhere Wirtschaftlichkeit befördern. Lange Zeit unterschätzt wurde die zentrale Bedeutung von Rechtsgarantien für privates Unternehmertum. Der Absicherung von ländlichen Eigentums- und Pachtverhältnissen kommt bei der Förderung von Kleingewerben eine zentrale Bedeutung für die landwirtschaftliche Produktionssteigerung zu.
Bilanz
Die Strukturanpassungspolitik wurde seit ihrer Einführung kontrovers diskutiert. Während die Notwendigkeit grundlegender Strukturreformen für Afrika unumstritten ist, wurde die Konzentrierung der SAP auf ökonomische Prozesse häufig als unangemessen für die speziellen Bedingungen in Afrika angesehen. Die klassischen Kritiker, insbesondere Nicht-Regierungs-Organisationen, machen die Anpassungspolitik der internationalen Finanzsituationen für die Verschlechterung der sozialen Dienste und die Steigerung der Armut verantwortlich. Die These negativer sozialer Auswirkungen wurde durch eine Vielzahl von Studien insoweit abgeschwächt, als den Verlierern in städtischen Gebieten eine ungleich höhere Zahl an ländlichen Gewinnern gegenübersteht.
Bei konsequenter Umsetzung der SAP verbessern sich die internen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, so daß Wachstum wieder möglich wird und damit die Chance besteht, den Lebensstandard zu erhöhen. Allerdings trat insbesondere bei der Weltbank ein Wandel ein, der zu einer Verbreiterung der Aktivitäten und stärkeren Berücksichtigung der sozialen Sektoren führte. Auch politiknahe Probleme wie die Korruptionsbekämpfung erhielten zunehmende Bedeutung. Als Strategie zur politischen Absicherung der Anpassungsprozesse sind auch die Programme der Social Dimensions of Adjustment (SDA) zu bewerten, die vor allem den "neuen Armen" in den Städten – und weniger den chronisch Armen auf dem Land – zugute kommen.
Seit Mitte der neunziger Jahre verstärkte sich die Kritik, die Weltbank, IWF und anderen Entwicklungshilfegebern vorhält, durch großzügige Kredite an afrikanische Regierungen die ökonomischen Ineffizienzen zu stabilisieren, statt zu reduzieren: In Zeiten der vermeintlichen Hochphase neoliberaler Reformen gestatteten die Entwicklungshilfegeber einen Anstieg der Staatsquote und eine Zunahme der Staatsbediensteten, so daß sich die afrikanischen Staaten in der Realität gar nicht angepaßt hätten. Die Problematik der SAP scheint deshalb weniger in den Maßnahmen als in deren Umsetzung zu liegen.
Insgesamt wurden in Afrika nur etwa die Hälfte der vereinbarten Politikreformen umgesetzt, davon viele erst mit Verzögerung. Bei Betrachtung der einzelnen Sektoren konnten die makroökonomischen Bedingungen zum Teil verbessert und die Preise angepaßt werden. Sehr geringe Fortschritte wurden allerdings bei institutionellen Reformen erzielt.
QuellentextFörderung der Privatwirtschaft
So positiv der Beitrag ausländischer Direktinvestitionen im Einzelfall zur Entwicklung eines Landes sein mag, jede Förderung von Privatwirtschaft in Entwicklungsländern muß zunächst auf die Stärkung der einheimischen Unternehmerschaft setzen. Ausländische Investitionen werden solange wenig Entwicklungsimpulse auslösen, wie sie nicht in ein Geflecht unternehmerischer Tätigkeit, die vom Einzelhändler und Handwerker über mittlere bis hin zu Großbetrieben im Gastgeberland reicht, eingebunden sind. Nur dann ergeben sich die vorwärts- und rückwärtsgerichteten Integrationseffekte, die dauerhaft eine selbsttragende Entwicklung ermöglichen.
Insbesondere gilt auch umgekehrt, daß ein Land als Investitionsstandort für viele ausländische Investoren – soweit sie nicht auf die Ausbeutung von Rohstoffen abstellen – erst in dem Maße als Markt interessant wird, wie es ein gewisses Mindestmaß an Kaufkraft und damit Entwicklung des einheimischen Gewerbes aufweist. [...] Solange die heimischen Unternehmer nicht investieren, werden auch ausländische Investoren in der Regel zurückhaltend sein. [...]
Deshalb ist es eine interessante Fragestellung, wie ausländische Direktinvestitionen dazu beitragen können, unternehmerische Tätigkeit vor Ort zu befördern und nationales Spar- oder Fluchtkapital in produktive Investitionen zu kanalisieren. [...]
Die meisten afrikanischen Länder zeichnen sich durch ein hohes Maß an institutioneller Willkür aus. Gerade erfolgreiche Unternehmer können schnell das Opfer von maßlosen Steuerfestsetzungen oder anderen Akten behördlicher Schikane werden. Die Beteiligung einer ausländischen Finanzierungsinstitution am Kapital von lokalen Unternehmen hat deshalb vielfach eine Schutzfunktion, stärkt die Position dynamischer Unternehmer gegenüber ihren Administrationen. Letztere werden sich [...] eher an Recht und Gesetz halten, wenn ihr Ruf gegenüber einer ausländischen Finanzierungsinstitution auf dem Spiel steht.
Aus diesem Grund erhält die DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft m.b.H., Anm. d. Red.) auch Finanzierungsanfragen von afrikanischen Unternehmern, die in erster Linie nicht an Geld, sondern am Namen der DEG, an deren Mitwirkung im Aufsichtsrat, bei der Strukturierung von Finanzierungen oder bei Verhandlungen mit örtlichen oder regionalen Behörden interessiert sind. [...]
In Europa gibt es hunderttausende von „Gastarbeitern“ aus afrikanischen Ländern, die über Ersparnisse oder Potential zum Sparen verfügen und sich natürlich Gedanken machen, wie sie Geld sicher in ihre Heimatländer transferieren oder dort anlegen können.
Für viele Entwicklungsländer stellen die Überweisungen von Gastarbeitern eine wesentliche Position in der Zahlungsbilanz dar. Sie haben einen erheblichen Anteil an den nationalen Ersparnissen. [...]
Wenn ein signifikanter Prozentsatz der in Europa arbeitenden Afrikaner davon überzeugt werden könnte, ihre Lebensversicherung bei einer Gesellschaft abzuschließen, die zum Beispiel zehn Prozent ihrer Liquidität in Schwarzafrika investiert, würde dies für die Stärkung der dortigen Kapitalmärkte einen beträchtlichen Impuls bedeuten. Es gibt Afrikaner, die an einem solchen Konzept arbeiten. [...]
Die Angst vor dem Ausverkauf der nationalen Reichtümer an ausländische Interessen ist vielfach berechtigt. Es muß stärker darüber nachgedacht werden, wie die nationale Eigentumsbildung im Rahmen von Privatisierungen gefördert werden kann. [...]
Welches Ergebnis Quotenregelungen haben können, zeigt das Beispiel Nigeria. Dort war es ausländischen Unternehmen über viele Jahre nur möglich, sich im Land niederzulassen, wenn mindestens 40 Prozent der Anteile von Nigerianern gehalten wurden. Diesem Erfordernis wurde vielfach dadurch Genüge getan, daß sich die ausländischen Unternehmen Nigerianer „ins Boot“ holten, deren Anteile vorfinanzierten und ihnen zunächst fürs Nichtstun ein Direktorengehalt zahlten. Aus diesen ursprünglichen Frühstücksdirektoren ist zwischenzeitlich ein erheblicher Teil der recht regen nigerianischen Unternehmerklasse erwachsen. [...]
In den meisten afrikanischen Ländern ist mittlerweile eine dynamische Unternehmerklasse präsent, die dem Klischee der Händler, die durch die Erlangung lukrativer Importlizenzen reich und groß geworden sind, längst entwachsen ist. Die jüngeren dieser Unternehmer denken und handeln in Kategorien, die von denen ihrer europäischen Kollegen, mit denen sie oft die gleiche Ausbildung an den gleichen Universitäten genossen haben, nicht allzu weit entfernt sind. [...] Dabei bleiben Rückschläge zwangsläufig nicht aus. Das wirtschaftliche und kulturelle Umfeld bleibt schwierig, führt zwangsläufig dazu, daß es relativ häufig Fehlschläge geben wird. Wenn man diese Fehlschläge als kaum zu vermeidende „Lernkosten“ bei der Förderung lokaler unternehmerischer Initiative begreift, hat sich der Aufwand dennoch gelohnt. [...]
Roger Peltzer, „Ausländische Direktinvestitionen können die unternehmerische Initiative vor Ort nicht ersetzen: Überlegungen zur Förderung der Privatwirtschaft in Schwarzafrika“, in: Deutsches Übersee-Institut (Hg.), Nord-Süd aktuell 3/1997, S. 489 ff.
Reformdilemma
Das zentrale Fehlverständnis von Weltbank und IWF lag im Glauben, das ökonomisch Vernünftige würde sich gleichsam von selbst durchsetzen, ohne auf nennenswerte, weil eigentlich irrationale Widerstände zu treffen. Die Widerstände gegen die SAP von Seiten der herrschenden Eliten waren jedoch keineswegs irrational, da sie selbst gerade von ineffizienten Gesamtstrukturen profitierten.
Die Problematik der Strukturanpassung liegt in den ungleichen Machtverhältnissen zwischen reformbereiten und blockierenden Kräften; sie läßt sich auch als ein Dilemma der schwachen Gewinner und starken Verlierer beschreiben und in folgenden Ausprägungen darstellen:
Die ländliche Bevölkerung gehört zu den Gewinnern, während städtische Gruppen den großen Teil der Verlierer umfassen.
Die Landbevölkerung ist in der Regel schwach organisiert und von den Machtzentren weit entfernt. Die Stadtbevölkerung dagegen besteht aus politisch sehr starken Gruppen. Vor allem Staatsbeamte, Studenten und Industriearbeiter sind organisiert und können die Regierung an Ort und Stelle über Protest- und Streikaktionen in Bedrängnis bringen.
Die Verlierer sind klar bestimmbare konkrete Gruppen, die Gewinner schwer zu bestimmende abstrakte Gruppen.
Während sich die konkrete Betroffenheit von Gruppen (zum Beispiel freigesetzte Bedienstete von Staatsbetrieben) direkt äußert, sind Gemeinwohlinteressen – wie die Steuerzahlenden in ihrer Gesamtheit – kaum organisiert.
Die Maßnahmen müssen von potentiellen Verlierern umgesetzt werden.
Die Bediensteten des Staates müssen die Reformen umsetzen, die häufig eine Reduzierung ihrer eigenen Arbeitsplätze zur Folge haben. Ihre Motivation, den Reformprozeß zu behindern, ist naheliegenderweise sehr hoch. Es handelt sich hierbei um ein institutionelles Dilemma zwischen dem Staat als Vertreter des Gemeinwohles und dem Staat als Gesamtheit seiner Bediensteten
Mittel- und langfristige ökonomische Wirkungen stehen kurzfristigen politischen Zyklen gegenüber.
Eine wirtschaftliche Erholung stellt sich in der Regel erst nach einer längeren Phase durchgehender und schmerzhafter Strukturmaßnahmen, wie zum Beispiel durch eine strikte Sparpolitik, ein. Eine Durststrecke zu Beginn der Reformen stellt vor allem dann ein Problem dar, wenn bald darauf Wahlen stattfinden. Falls die Durststrecke noch nicht überwunden ist, besteht die Gefahr, daß die Reformer von den Wählerinnen und Wählern bestraft und die Maßnahmen rückgängig gemacht werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß Weltbank und Internationaler Währungsfonds in vielen Fällen die politische Logik der Strukturanpassung unterschätzten. In der Annahme, die vorgeschlagenen Maßnahmen würden vollzogen, schürten sie zu hohe Erwartungen für Afrikas wirtschaftliche Entwicklung. Lange Zeit fehlte die Einsicht, daß externe Akteure begrenzte Einflußmöglichkeiten haben, wenn der Wille der Regierungen fehlt, die Maßnahmen umzusetzen.
Die insgesamt ernüchternden Ergebnisse der klassischen Strukturanpassungspolitik in Afrika und die neuen Herausforderungen (Flächenkriege, Legitimationsverlust des Staates) führten zur Entwicklung neuer Kooperationsformen, insbesondere partizipativen Ansätzen, die die betroffene Bevölkerung in die Projektplanung einbeziehen und die Ausführung der Projekte bei mangelndem Regierungsengagement Nicht-Regierungsorganisationen übertragen. Das Ziel muß es dabei sein, die Gewinner der Strukturanpassung politisch so zu stärken, daß sich die Wahrscheinlichkeit der Durchführung von SAP in der Zukunft erhöht.
Zudem sollten die Konditionalitäten strikter als früher angewendet werden, so daß ein schnellerer und stärkerer Rückzug aus der Kooperation erfolgt, wenn die Erfolgsaussichten der SAP gering sind. Dadurch steht mehr Geld für die Länder mit glaubhafter Reformpolitik zur Verfügung, so daß die Mittel insgesamt selektiver vergeben werden können.
Darüber hinaus müssen Weltbank und IWF pragmatischer werden. Der Zwang zur Umsetzung von unpopulären Maßnahmen über eine Konditionierung der Mittel ist immer eine schlechtere Lösung als die Unterstützung sinnvoller Initiativen, die aus den Ländern selbst kommen. Die Eigeninitiativen mögen nicht immer dem entwicklungspolitischen Ideal der Geber entsprechen, die Selbstverantwortung der Entwicklungsländer erhöht jedoch die Chance der Durchführung der Maßnahmen. Solange es sich dabei um "zweitbeste" Lösungen handelt, sind sie unrealistischen Idealkonzepten vorzuziehen.
Da eine nachhaltige Entwicklung nur von den Ländern selbst kommen kann, muß in bestimmten Fällen auch eingestanden werden, daß von außen keine Lösungen erzwungen werden können. An Weltbank, IWF und die anderen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit bleibt nur die Mahnung zu Bescheidenheit in ihren Ansprüchen und Geduld, bis sich die internen Rahmenbedingungen in Afrika verbessern.
QuellentextEntschuldungsinitiative
Die Strukturanpassungsprogramme und andere Maßnahmen der Entwicklungshilfe brachten für Afrika keine wirtschaftliche Erholung, so daß sich die Schulden immer mehr erhöhten, obwohl es sich bei den Krediten von Weltbank und IWF in Afrika fast ausschließlich um zinslose Darlehen handelte. Durch den Rückzug privater Kreditgeber vergrößerte sich die Verantwortung der beiden Finanzinstitutionen, die zusammen mit den sieben führenden Industriestaaten und anderen multilateralen Organisationen, vor allem den regionalen Entwicklungsbanken, für fast die gesamten afrikanischen Schulden bürgen. Die zunehmende Schuldenlast, die in vielen Staaten selbst bei konsequenter Umsetzung der Strukturreformen nicht mehr zu bewältigen war, führte zu verstärkten Forderungen nach einem Schuldenerlaß für die ärmsten Länder.
Im Herbst 1996 wurde von der Weltbank und dem IWF die Entschuldungsinitiative zugunsten der hochverschuldeten armen Staaten, den sogenannten HIPCs (Highly Indebted Poor Countries), initiiert, die auf dem Kölner G8-Gipfel der führenden Industriestaaten im Juli 1999 ausgeweitet wurde. Das Ziel der HIPC-Initiative ist es, den Schuldenstand der Entwicklungsländer auf ein tragbares Maß zu reduzieren, so daß sie mit den entsprechenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen wieder aus eigener Kraft die Schulden abbauen können.
Entwicklungsländer können ihre Schulden erlassen bekommen, wenn
sie mit einem Einkommen von weniger als 930 US-Dollar „weiche Kredite“ bei der Weltbank-Tochter IDA leihen können;
ihre Schulden auch mit bisherigen Umschuldungsmaßnahmen und bestem Willen, Wirtschaftsreformen durchzuführen, nicht mehr abgebaut werden können. Die Maßzahl für einen nicht mehr tragfähigen Schuldenstand wurden auf 150 Prozent des Verhältnisses von Schuldenstand zu Exporten verringert (ursprünglich 200–250 Prozent);
sie eine dreijährige Periode konsistenter Wirtschafts- und Sozialpolitik (zum Beispiel Umsetzung von Strukturreformen, Förderung der Grundschulbildung) vorweisen können. Eine ursprünglich zweite dreijährige Periode soll nun verkürzt werden können, sobald die Entwicklungsländer die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt haben.
Finanziert wird die Entschuldung über einen speziellen Fonds, der sich aus den Gewinnen von Weltbank/IWF und Beiträgen anderer internationaler Organisationen sowie der Industrieländer speist; desweiteren wurde auf dem Kölner G8-Gipfel vereinbart, Goldreserven des IWF zu verkaufen und auf die Rückzahlung von bilateralen Schulden zu verzichten.
Die Gesamthöhe des Schuldenerlasses beläuft sich auf eine Größenordnung von 60 bis 70 Milliarden US-Dollar und bildet damit etwa ein Drittel der Gesamtschulden von 200 Milliarden US-Dollar der betreffenden Staaten.
Uganda und Bolivien (1998) sowie Guyana und Moçambique (1999) profitierten als erste Staaten vom Schuldenerlaß dieser Initiative. Die Schulden Ugandas reduzierten sich dadurch von 1,9 Milliarden auf 1,5 Milliarden US-Dollar; die von Moçambique um 1,7 Milliarden auf eine Milliarde US-Dollar. Als die nächsten Kandidaten sind vorgesehen: Mali, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Benin und Senegal.
Kritische Aspekte der Entschuldung:
Schuldenerlaß belohnt schlechte Regierungsführung. Wenn die Entwicklungshilfe früher sachgerecht eingesetzt worden wäre, hätte sich die Verschuldungsfrage in der gegenwärtigen Tragweite nicht gestellt. Deshalb müssen die grundlegenden Probleme in den betreffenden Entwicklungsländern selbst gelöst werden, damit sich die Schuldenfrage innerhalb kurzer Zeit nicht erneut stellt.
Umschichtung zum Nachteil gut geführter Regierungen. Je mehr Schulden erlassen werden, desto geringer sind die Mittel für zukünftige Projekte, die in überproportinaler Weise für Staaten mit guter Regierungsführung vorgesehen sind.
Falsches Signal an private Investoren. Eine Entschuldung, die auch Handelsschulden einschließt, sendet ein falsches Signal an private Investoren, die noch zögerlicher in Afrika investieren werden, wenn der Schuldendienst nicht geleistet und dies dabei noch international sanktioniert wird.
Allerdings könnte mit einer breiten Entschuldung insofern eine Wende der Entwicklungspolitik eingeleitet werden, als der Teufelskreis der Refinanzierung alter Schulden durch die Entwicklungshilfegeber durchbrochen werden kann. Um die Anhäufung neuer Schulden durch afrikanische Regierungen zu vermeiden, müßte gerade in Afrika vor allem die Zusammenarbeit mit schlecht geführten Regierungen reduziert werden. Gegenwärtig behindert der hohe Schuldenstand eines Entwicklungslandes insbesondere Weltbank und IWF paradoxerweise auch bei noch so pessimistischen Reformaussichten den Abbruch der Kooperation, da dadurch die Rückzahlung der Schulden gefährdet würde. Unter der Bedingung, daß Strukturanpassungskredite in Zukunft selektiver und zurückhaltender vergeben werden, wäre der Kölner G8-Beschluß insofern bedeutsam, als er ein wichtiges Element einer Rückzugsstrategie der Geberstaaten aus Afrika bilden würde.
Wolfgang Fengler