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Sprachen und Kulturen | Afrika | bpb.de

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Sprachen und Kulturen

Martin Forstner

/ 15 Minuten zu lesen

Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel, mit dem sich Menschen verständigen. Unterteilt man die afrikanischen Sprachen in einzelne Gruppen, entstehen vier große Segmente, die im Laufe der vergangenen Jahrhunderte entstanden sind. Es ist jedoch notwendig, ihre Entstehung im Zusammenhang mit der jeweiligen Kultur zu verstehen.

Auszug aus:
Informationen zur politischen Bildung (Heft 272) - Sprachen und Kulturen

Einleitung

Entsprechend den Vorschlägen des amerikanischen Sprachwissenschaftlers Joseph Greenberg (1963) werden die afrikanischen Sprachen in vier große Gruppen eingeteilt: afroasiatische, niger-kordofanische, nilosaharanische und Khoisan-Sprachen. Die Verbreitungszone der afroasiatischen (früher: hamito-semitischen) Sprachen erstreckt sich aber nicht nur über Nord- und Ostafrika, sondern auch über Südwestasien, die Heimat der semitischen Sprachen.

Zu den hamitischen Zweigen der afroasiatischen Sprachfamilie gehören:

  • Ägyptisch, dessen älteste in Hieroglyphen geschriebene Belege auf circa 3000 v. Chr. datiert werden. Man unterscheidet Altägyptisch (die Sprache der Inschriften der Frühzeit und des Alten Reiches, circa 3000 bis 2000 v. Chr.), Mittelägyptisch (die klassische Literatursprache) und Neuägyptisch (die Inschriften von circa 1300 bis 660 v. Chr.). Über mehrere Zwischenstufen entstand schließlich im dritten Jahrhundert n. Chr. das Koptische, das als Liturgiesprache der ägyptischen Koptischen Kirche bis heute überlebt hat.

  • Berberisch, dessen zahlreiche Einzelsprachen bzw. Dialektgruppen zwischen Atlantik und Westägypten größtenteils erst in der Neuzeit belegt sind. "Das berberische Sprachgebiet stellt sich heute als eine linguistische Insellandschaft dar, die ihr Entstehen in erster Linie den Auswirkungen der arabischen Invasionen (seit dem siebten Jahrhundert) verdankt." (H. Ekkehard Wolff) Es hat wohl nie eine gemeinsame Standardsprache gegeben, auch nicht in neuerer Zeit. Gleichwohl berufen sich heute Berberophone und ihre politischen Aktivisten in den Maghrebstaaten auf eine gemeinsame sprachliche Identität, die sich, wie sie meinen, auf die vorislamische Zeit zurückführen lässt. Durch die räumliche Isolierung in Sprachinseln gab es starke regionale Entwicklungen, die als sekundär entstandene eigenständige Berbersprachen bezeichnet werden, zum Beispiel Siwi (in der Oase Siwa in Ägypten), Nefusi (im Djebel Nefusa im westlichen Libyen), Tuareg (in der südalgerischen und nigerischen Sahara) und Zenaga (an der mauretanischen Atlantikküste). Diesen stehen aber größere berberische Spracheinheiten gegenüber, nämlich in Süd- und Zentralmarokko, in Nordmarokko und Westalgerien, in Südalgerien und in Nordalgerien (Kabylei).

  • Kuschitisch (einschließlich Omotisch), das rund 70 Sprachen zusammenfasst, die im Sudan, in Äthiopien, Somalia, Dschibuti, Kenia gesprochen werden. Dazu gehören so bedeutende Idiome wie Somali und Oromo (Galla) in Ostafrika.

  • Tschadisch mit über 125 Einzelsprachen in Nigeria, Tschad und Kamerun, deren Zugehörigkeit zur hamitisch-semitischen Familie noch bezweifelt wird.

Die semitischen Zweige der afroasiatischen Sprachen sind wie das (Nord-)Arabische (siehe unten) in Vorderasien beheimatet. Hierzu gehören:

  • das Akkadische in Mesopotamien (circa 2500 und 600 v. Chr.);

  • das Eblaitische (circa 2500 v. Chr.);

  • das Ugaritische (circa 1400 bis 1200 v. Chr.);

  • das Aramäische (ab circa 1000 v. Chr.);

  • das Kanaanäische den verschiedenen Stufen des Hebräischen (1200 v. Chr. bis zum heutigen Ivrit) und dem Phönizischen, welches durch Inschriften vom zehnten bis ersten Jahrhundert v. Chr. aus den Städten Tyros, Sidon und Byblos und deren Kolonien in Zypern, Attika und Nordafrika belegt ist (hierher gehört auch das Punische Karthagos und seiner Kolonien zwischen dem fünften Jahrhundert vor und dem sechsten Jahrhundert n. Chr.);

  • das Altsüdarabische (neuntes Jahrhundert vor bis zum sechsten Jahrhundert n. Chr.) der Inschriften der südarabisch-jemenitischen Reiche;

  • das Äthiopische mit seinen frühesten Zeugnissen, Inschriften (besonders in Aksum) aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. Das altäthiopische Ge'ez überlebte bis ins 17. Jahrhundert als Literatursprache. Heute unterscheidet man die nordäthiopischen Sprachen Tigre und Tigrinya, die südäthiopischen Sprachen Amharisch, Argobba, Gafat, Gurage und Harari.

Ausbreitung des Arabischen

Das (Nord-)Arabische der Arabischen Halbinsel wurde als die Sprache des Korans (siebtes Jahrhundert) die Kultursprache der Islamischen Welt. Sie verdrängte in Syrien und in Palästina das Griechische und Aramäische, in Ägypten, das 640 bis 642 erobert wurde, das Griechische und Koptische sowie in Nordwestafrika das Punische, das Lateinische und – teilweise – das Berberische.

Die arabischen Muslime fanden im heutigen Maghreb, dessen Besetzung wegen des hinhaltenden Widerstands der einheimischen Berberstämme fast 50 Jahre in Anspruch nahm, eine sehr komplexe linguistische Situation vor. Auf dem Lande wurden Punisch und Berberisch gesprochen, in den Städten Griechisch und Latein. Letzteres wurde erst nach einigen Jahrzehnten in der Verwaltung durch das Arabische ersetzt. Sprachlich arabisiert wurden in der Frühzeit der Ausbreitung des Islam nur die Städte, in denen die aus Arabern bestehenden Truppen stationiert waren: Tunis, Kairouan, Constantine, Tlemcen, Fès und Tanger. Die Berberstämme der Ebenen und Gebirge nahmen zwar im Laufe der Zeit den Islam an, doch hielten sie weiterhin am Berberischen fest.

Erst ab dem zehnten Jahrhundert erfolgte die sprachliche Arabisierung der Steppen und Hochebenen Nordafrikas, die bis dahin berberischsprachig geblieben waren. Ausgelöst wurde dies durch eine Westbewegung der aus der Arabischen Halbinsel nach Oberägypten eingewanderten Beduinenstämme. Unter dem Einfluss dieser Wanderungen erfolgte neben einer Nomadisierung auch eine sprachliche Arabisierung der ansässigen Berberstämme, sofern diese nicht in Rückzugsgebieten lebten, in denen sich das Berberische dann bis heute in Algerien und Marokko hielt.

Das Arabische übte auch in weiten Teilen des übrigen Afrika einen sprachlichen Einfluss aus, indem es aus den Maghrebländern seit dem neunten Jahrhundert in die Sahelzone bzw. von Ägypten ab dem 16. Jahrhundert über den Sudan nach Zentral- und Ostafrika (wobei der Sklavenhandel zur Verbreitung des Arabischen beitrug), dann nach Somalia vordrang.

Nicht vergessen werden darf, dass Tunesien und Algerien wie Libyen und Ägypten ab dem 16. Jahrhundert der Oberhoheit des Osmanischen Reiches unterstanden. In Tunesien und in den algerischen Küstenstädten war Türkisch bis Ende des 19. Jahrhunderts offiziell die Sprache der Verwaltung, weshalb im tunesischen und algerischen Arabisch noch heute zahlreiche türkische Lehnwörter zu finden sind.

Schließlich ist zu nennen die im 19. Jahrhundert einsetzende Immigration von Italienern nach Tunesien und Algerien und von Franzosen nach Tunesien, Algerien und Marokko. Nachdem Frankreich (nach 1831) Algerien besetzt hatte und nachdem es die Protektorate über Tunesien (1881) und über Teile Marokkos (1912) übernommen hatte, setzte sich das Französische als Bildungssprache durch.

Hochsprache und Regionalsprachen

In dieser Jahrhunderte andauernden multilingualen Situation kam dem Hocharabischen als der Sprache des Islam stets die vorherrschende Rolle als überregionales Kommunikationsmittel zu. Aber neben dieser streng normierten Hochsprache der Theologie, des Kultes und des Rechts, der Verwaltung und der Literatur gab es zu allen Zeiten und in allen Regionen davon stark abweichende gesprochene Formen des Arabischen.

Es ist sicher, dass sich bereits in den ersten Jahrhunderten der Ausbreitung des Islam die noch heute überall vorhandene Situation der Diglossie einstellte, das heißt der Gleichzeitigkeit von hocharabischer Schriftsprache und regionalen Umgangssprachen (Dialekten). Die Grenzen sind fließend und es treten Interferenzen zwischen beiden Extremen auf, weshalb man es heute vorzieht, von einem arabischen Sprachkontinuum zu sprechen. Was Nordafrika anlangt, so gliedern sich die Dialekte sowohl geographisch – die Gruppe der maghrebinischen Dialekte (das so genannte Westarabisch) neben der ägyptischen Gruppe – als auch nach Ansässigen- und Beduinenmundarten in größere Einheiten.

Nicht zuletzt bewirken die Medien Rundfunk und Fernsehen, dass sich die so genannten Prestigedialekte durchzusetzen beginnen, so die Dialekte von Kairo, Tunis oder Casablanca/Rabat. Andererseits führen die Landflucht, aber auch die intra- und interregionale Migration der Arbeitskräfte zur Durchmischung der bisherigen Dialekte und zur Herausbildung neuer Formen gesprochener arabischer Sprache.

Anders als in Europa, wo sich unter konkreten historischen Bedingungen auf der Grundlage des Lateinischen verschiedene neue Hochsprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch usw.) etablierten, konnte dies im gesamten arabischen Raum nicht geschehen, da die enge Verbindung des Hocharabischen mit der Religion es verhinderte. Am Ideal der einheitlichen arabischen Hochsprache wurde festgehalten, aber der Preis für diese bis heute tief empfundene kulturelle, sprachliche und größtenteils auch religiöse Einheit der Sprecher des Arabischen ist bis heute die arabische Diglossie. Im 19. und 20. Jahrhundert erlebte das Hocharabische eine Renaissance, denn die arabischen Nationalisten verwiesen im Kampf um die Unabhängigkeit ihrer Länder unter anderem auch auf die Sprache, um den Nachweis der Existenz einer Arabischen Nation zu führen, der das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zustehe. In den Maghrebstaaten wirkte diese Ideologie fort: Nach der Erringung der Unabhängigkeit wurde eine Politik angekündigt, die die völlige Arabisierung der Verwaltung, der Medien und des Unterrichts- und Bildungswesens zum Ziele hatte.

Der Traum der arabischen Nationalisten (Panarabisten), die Arabische Nation in einem einzigen Arabischen Staat zu vereinigen, erfüllte sich niemals, auch nicht nach der Unabhängigkeit der arabischen Einzelstaaten. Doch die Arabische Nation blieb als hohes Ideal erhalten. Obwohl zwischen den arabischen Staaten große politische und gesellschaftliche Unterschiede bestehen, kommt gerade dem Festhalten an der gemeinsamen arabischen Hochsprache großes Gewicht zu. Auch in den Maghrebstaaten gilt das Arabische als das wichtigste Bindeglied zur gesamtarabischen Gesellschaft, denn die Zugehörigkeit zur Arabischen Nation und zum Arabertum wird über die Sprache definiert.

QuellentextNordafrikas Medienlandschaft

Usama Okasha möchte dafür sorgen, dass Christen und Muslime einander verstehen und ist ein erbitterter Gegner von Korruption und Unterdrückung. Okasha ist einer der bekanntesten Schriftsteller Ägyptens. Doch, er schreibt keine Romane, er schreibt Fernsehserien: „Nur so kann ich meine Aussagen wirklich verbreiten.“ Denn knapp die Hälfte der erwachsenen Ägypter kann nicht lesen, aber 98 Prozent der Haushalte verfügen über einen Fernseher. Rund 30 Serien werden jährlich in Ägypten produziert und in die gesamte arabische Welt exportiert. Noch vor 20 Jahren entstanden im „Hollywood am Nil“ 120 Kinofilme jährlich. Ägypten war nach Amerika und Indien das drittgrößte Kino-Land der Welt. 15 bis 20 Kinofilme entstehen jetzt pro Jahr.

In Marokko und Tunesien entsteht derzeit hingegen eine neue Art des arabischen Kinos. Nabil Ayouch ist einer der Nachwuchsfilmer, die das marokkanische Kino und am besten gleich auch die Gesellschaft reformieren wollen: „Unsere Regierung ist stolz, dass sie auf dem Weg der Demokratisierung ist. Es ist unsere Aufgabe als Filmemacher, die Grenzen der neuen Freiheit auszureizen“, sagt er. In seinem Film „El Mektoub“ geht es um Korruption, Haschanbau und einen Sex-Skandal. Allein in Marokko sahen ihn 300000 Zuschauer. „Viele waren erstaunt, dass es möglich ist, in Marokko einen solchen Film zu machen, ohne dass die Zensur die kritischen Passagen herausschneidet“, erklärt er einen Teil seines Erfolges.

Zensur gibt es in allen nordafrikanischen Ländern. Doch in jedem Staat nimmt sie andere Formen an. In Marokko hält sich die Zensurbehörde in den letzten Jahren weitgehend zurück. Die Freiheit der Künstler und Journalisten wird als Gradmesser der Demokratisierung verstanden. Da Marokko engere Verbindungen zu Europa anstrebt, ist die Regierung auf ihren guten Ruf bedacht. Dennoch werden auch hier Zeitungen an ihrem Erscheinen gehindert, wenn sie beispielsweise das Königshaus kritisieren. In Marokko gibt es neben der staatlichen Presse auch einige unabhängige Zeitungen und Radiostationen. Wie in den Nachbarländern wird sowohl auf arabisch als auch auf französisch geschrieben und gesendet.

In Algerien leben Pressevertreter gefährlich. In den Jahren 1993 bis 1996, während der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Islamisten wurden 57 Journalisten ermordet. Die Presse, die zur Aufklärung der Verbrechen beitragen könnte, ist in Regierungshand. So wird bisher nur ganz vorsichtig gefragt, ob jeweils die Islamisten oder die Militärs für die Morde verantwortlich waren.

In Mauretanien werden die beiden wichtigsten Tageszeitungen vom Informationsministerium herausgegeben. Unabhängige Zeitungen müssen von der Regierung genehmigt werden.

In Tunesien, das im Ruf steht, verhältnismäßig liberal zu sein, machte im Frühjahr 2000 der Journalist Tawfik Ben Brick durch einen Hungerstreik auf eine indirekte Form der Zensur aufmerksam. Kritische Journalisten müssen mit Hausdurchsuchungen durch die Geheimpolizei rechnen. Dabei werden sie selbst und ihre Angehörigen regelmäßig mißhandelt. Kritische Berichterstattung ist daher fast unmöglich.

In Libyen existieren nur vier Tageszeitungen, eine Monatszeitung und einige Illustrierte. Diese sind ebenso wie das Fernsehen direkt der Regierung unterstellt: Hier wird fast nur offizielle Propaganda gedruckt und gesendet.

In Ägypten hingegen findet man von der so genannten „halbamtlichen“ Presse des Verlagshauses Al Ahram, über zahlreiche Boulevardblätter bis hin zu Schriften der Opposition ein breites Medienangebot. Offiziell gibt es – nach den Buchstaben der Verfassung – in Ägypten keine Zensur. Jedoch müssen Journalisten, die falsche Informationen verbreiten, mit Gefängnisstrafen rechnen, wobei als „falsche“ Information auch schon einmal eine regierungskritische Aussage gelten kann.

Die Grenzen der Pressefreiheit sind – und das gilt für alle Länder der Region – abhängig von der Reichweite eines Mediums: Je leichter ein Medium zugänglich ist, desto strenger die Kontrolle. So kann eine englischsprachige Zeitung, die nur von einer Minderheit verstanden wird, sehr viel kritischer berichten, als eine arabischsprachige Zeitung. Zwar hat beispielsweise die tunesische Regierung den Zugriff auf manche Internetseiten sperren lassen, dennoch macht die neue Kommunikationstechnik den Zensoren zunehmend einen Strich durch ihre Rechnung: So hielt die Zeitung „Al Shaab“, nachdem sie im Sommer 2000 in Ägypten verboten wurde, die Leser im Internet auf dem Laufenden. In Ägypten hat knapp eine halbe Million Menschen Zugang zum Netz. In Marokko sind es 52000 und selbst in Libyen, das erst kürzlich einen Provider einrichtete, gibt es 7500 Nutzer. Die meisten gehen in Internetcafes, da ein eigener Computer für sie unerschwinglich ist. Immer mehr Menschen verfügen zudem über Satellitenempfänger. Satellitensender, wie beispielsweise „Al Jezirah“ aus Katar haben mit ihrer kritischen Berichterstattung die Maßstäbe verschoben. Hält diese Entwicklung an, gehen die Zeiten der kontrollierten Informationen ihrem Ende entgegen.

Julia Gerlach

QuellentextAfrika - online

Das Internet hat sich zu einem mächtigen Medium entwickelt, auf dessen virtuellen Bahnen geforscht, gearbeitet und kassiert wird. [...] Auch im grenzenlos erscheinenden Internet klafft längst eine tiefe Kluft zwischen den Industrienationen und den meisten Entwicklungsländern.

Afrika wird dabei immer mehr zum Schauplatz des Kampfes gegen den so genannten digitalen Graben. Er verläuft zwischen den reichen Nationen, in denen mittlerweile rund ein Drittel der Bevölkerung Anschluss ans Netz hat, und den armen Staaten, in denen auf durchschnittlich 200 Einwohner gerademal ein Internetnutzer kommt. Er verläuft allerdings auch innerhalb der einzelnen Staaten – zwischen den Eliten, die mit Hilfe des Netzes ihren Vorsprung hinsichtlich Wissen und Einfluss ausbauen, und der Masse der Bevölkerung. In Afrika wird die Zahl der Nutzer aktuell auf drei Millionen Menschen geschätzt, zwei Millionen davon allein in Südafrika. Die meisten Einwohner des Kontinents hingegen besitzen weder ein Telefon, noch haben sie eine Chance, online zu gehen. (...)

Hoffnung macht, dass das Internet auch auf dem afrikanischen Kontinent immer schneller wächst. Waren Ende 1996 erst elf Länder mit eigenen Providern aktiv, sind heute bis auf Liberia alle Staaten (zumindest ihre Metropolen) verbunden. Fast täglich wird in irgendeiner afrikanischen Stadt ein Cybercafe eröffnet. (...)

„Afrika hat die einmalige Chance, die Industrialisierung zu überspringen und in der Informationsgesellschaft zu landen“, sagt Rüdiger Eisele, Justiziar des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. (...)

Afrika gilt als dynamischster Telekommunikationsmarkt der nächsten Jahre. Kein Projekt steht für diese Prognose so sehr wie Africa One: Die gleichnamige amerikanische Firma [...] ist dabei, ein 32000 Kilometer langes Glasfaserkabel unter Wasser um den afrikanischen Kontinent zu schlingen. Die digitale Nabelschnur kostet 1,6 Milliarden Dollar und wird von Privatinvestoren und den beteiligten afrikanischen Staaten finanziert. Dafür stellt die Weltbank Kredite bereit. Hinzu kommt SAT-3, ein alternativer Plan der größten Telekommunikationsgesellschaft des Schwarzen Kontinents, der Telkom Südafrika, die ein Glasfaserkabel installieren will, das vom Kap der Guten Hoffnung entlang der Westküste bis nach Europa reicht. Seine Kapazität von 120 Gigabit wird ausreichen, um 5,8 Millionen Telefongespräche parallel abzuwickeln. Bis Ende 2002 sollen beide Projekte abgeschlossen sein. (...)

Christine Peters, "Digitaler Graben – Afrika setzt zum Sprung ins Internet-Zeitalter an", in: Frankfurter Rundschau vom 17. Februar 2001.

Islam beiderseits der Sahara

Nach den raschen Siegen der Muslime über das byzantinische Reich und nach der Zerschlagung des Reiches der iranischen Sassaniden zwischen 632 und 642 n. Chr. wurde die militärische Eroberung der Gebiete des nordafrikanischen Westens (Maghreb) um 700 n. Chr. mit der Unterwerfung der Berber abgeschlossen. Die Berber waren wenige Jahre später maßgeblich an der Eroberung Spaniens beteiligt und gehörten im Jahre 732 zu den muslimischen Truppenverbänden, die bei einem Feldzug bis nach Zentralfrankreich vorstießen. Im Khalifat der arabischen Omayaden (661 bis 750) waren die Berber aber keineswegs den arabischen Muslimen gleichgestellt, sondern galten als Untertanen. So kam es noch in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts zu Rebellionen der berberischen Bevölkerung Nordafrikas gegen die arabische Herrschaft, die schließlich zur politischen Abspaltung des Maghreb und zur Entwicklung einer Reihe von eigenständigen Herrschaftsgebieten führten. Seit dem 13. Jahrhundert setzte sich die bis heute bestehende Dreiteilung in die Länder Marokko, Algerien und Tunesien durch.

Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich in den Maghreb-Ländern lokale islamische Lehrtraditionen, die insbesondere in Orten wie Kairouan, Tunis, Tlemcen, Fès und Marrakech verankert waren. Dabei konnte sich die ursprünglich aus Medina stammende malikitische Rechtsschule bis zum 13. Jahrhundert als maßgebliche Auslegungstradition des islamischen Rechts (Scharia) durchsetzen. Auch Vertreter des mystischen Islam (Sufis) erlangten seit dem 13. Jahrhundert großen gesellschaftlichen Einfluss als Heiler, religiöse Gelehrte und Streitschlichter.

Für die ökonomische Entwicklung des Maghreb waren die Handelsbeziehungen zu den afrikanischen Märkten südlich der Sahara von herausragender Bedeutung. Mit dem Handel kamen ab dem achten Jahrhundert auch die ersten Muslime in das subsaharische Afrika. Während sich der Islam in Nordafrika im Rahmen der militärischen Eroberung des Maghreb etabliert hatte, stellte sich die Islamisierung des subsaharischen Sahel als ausgesprochen friedlicher Prozess einer langsamen Konversion zum Islam dar.

Auch in den subsaharischen Ländern Afrikas setzten sich die in Nordafrika etablierten Formen des Islam durch, nämlich die malikitische Rechtsschule und die ausgeprägte Heiligenverehrung sowie die mit ihr verbundene Entwicklung von Sufi-Bruderschaften.

Seit dem zehnten Jahrhundert lieferten die subsaharischen Handelsstaaten, insbesondere Ghana (heutiges Mali und Mauretanien), Mali, Songhay (heutiges Mali und Niger), Kanem-Bornu (heutiges Nigeria,Niger und Tschad) und die Hausa-Staaten (heutiges Nigeria) sowie Sinnar-Funj (heutige Republik Sudan), vor allem Sklaven, Gold, Elfenbein, Leder und wertvolle Naturprodukte wie Gummi Arabicum und Straußenfedern, aber auch textile Stoffe in den Norden, während aus den saharischen und nordafrikanischen Ländern Salz, Waffen, Seide, Papier und Luxusgüter in den Süden gehandelt wurden. Die Goldlieferungen aus dem subsaharischen Afrika stellten eine wichtige Quelle der Staatsfinanzen der nordafrikanischen Handelsstaaten dar.

Die Kontrolle der saharischen Handelszentren und Handelswege war sowohl für die nordafrikanischen wie für die subsaharischen Handelsstaaten von größter Bedeutung. Ihre gemeinsame Geschichte kann daher bis zum Beginn der europäischen Kolonialherrschaft als eine Geschichte des Ringens um eine möglichst umfassende Kontrolle des transsaharischen Handels dargestellt werden. Dabei gelang es sowohl nordafrikanischen Staaten wie Marokko (1591 Eroberung von Timbuktu) als auch subsaharischen islamischen Reichen wie Songhay (circa 1540 Vorstoß nach Südmarokko) immer wieder, weit in die Sahara nach Süden bzw. Norden zu expandieren.

Über die transsaharischen Handelsrouten gelangten aber auch Pilger, Studenten und Gelehrte in die islamischen Zentren Nordafrikas, Ägyptens und Arabiens. Im Laufe der Zeit entwickelten sich so im subsaharischen Afrika islamische Lehrzentren wie Timbuktu, Djenné und Kano, die ihrerseits bedeutende Zentren für die weitere Ausbreitung des Islam in den tropischen Savannen- und Waldgebieten Afrikas wurden. Die Ausbreitung und Etablierung des Islam in Afrika kann daher als eine Art von Staffellauf beschrieben werden: Arabische Muslime vermittelten den Islam zunächst an die Berber Nordafrikas, die ihn ihrerseits als Händler und Gelehrte an die ersten muslimischen Bevölkerungen des subsaharischen Afrika weitergaben. Diese wurden wiederum Vermittler des Islam für die weiter im Süden lebenden Bevölkerungen des tropischen Afrika.

Während sich der Islam im subsaharischen Afrika im Rahmen symbiotischer Austauschbeziehungen mit den Maghreb-Ländern und Ägypten entwickelt hat, waren für das Horn von Afrika (Somalia) und die ostafrikanische Swahiliküste vor allem die Länder der arabischen Halbinsel, insbesondere Jemen, Hadramaut und Oman, von entscheidender Bedeutung. In Ostafrika und seinen islamischen Zentren wie Mogadishu, Lamu, Mombasa, Sansibar oder Kilwa konnte sich daher auch die im südlichen Arabien dominierende shafiitische Rechtsschule durchsetzen.

Der friedliche Prozess der Islamisierung des subsaharischen Afrika dauert dabei bis heute an. In Senegal, Mali, Guinea, Niger, Tschad, Sudan, Somalia und vermutlich auch Nigeria und Tansania stellen die Muslime heute die Bevölkerungsmehrheit. Insgesamt lebten Ende des 20. Jahrhunderts in Afrika südlich der Sahara etwa 200 Millionen Muslime und damit mehr als in den arabischen Ländern des Nahen Ostens. Im 20. Jahrhundert haben sich in allen subsaharischen Staaten Afrikas aber auch islamische Reformbewegungen entwickelt, die sich stark an nordafrikanischen und ägyptischen Vorbildern orientieren.

Diese islamischen Reformbewegungen bekämpfen zwar den religiösen und politischen Einfluss der Sufi-Bruderschaften, haben in den letzten Jahrzehnten aber auch wichtige Anstöße für die Entwicklung eines modernen islamischen Erziehungswesens gegeben. Zudem setzten sie sich für eine stärkere Beteiligung muslimischer Frauen im öffentlichen Leben ein.Trotz einer zunehmenden Politisierung der Muslime in den Staaten des subsaharischen Afrika im letzten Jahrhundert sind Forderungen nach einer "Islamisierung" staatlicher Strukturen, etwa durch eine Verankerung der Scharia (arab.: Heiliges Gesetz) im staatlichen Rechtssystem, bisher aber weitgehend ausgeblieben.

Verhältnis von Politik und Religion

Die Iranische Revolution von 1979 und die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat durch die islamistische Jihad-Gruppe im Jahre 1981 ließen eine Kontroverse neu aufleben, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts erbittert geführt worden war. Arabische Denker und Intellektuelle waren sich erneut uneins über die gesellschaftliche Stellung des Islam und die Bedeutung moderner westlicher Politikmodelle für den arabisch-islamischen Raum.

Vor allem die Werke der ägyptischen Gelehrten Rifa'a at-Tahtawi und Ali Mubarak in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in denen eine an den Maximen der europäischen Aufklärung orientierte Modernisierung der Gesellschaft propagiert wurde, hatten maßgeblich zur Entstehung der arabischen Kontroverse über Säkularisierung beigetragen. Denn die damit verbundene Leitidee der Trennung von Politik und Religion provozierte eine religiöse Reaktion seitens der damals neu gegründeten islamischen Reformschule um Gamal ad-Din al-Afghani, Muhammed Abdu und Rashid Rida, in deren Rahmen der Versuch unternommen wurde, Grundzüge eines zeitgemäßen Gesellschaftsprojekts in Einklang mit dem Islam zu entwerfen. Ziel der Reformer war es, unter Bewahrung religiöser Bestimmungen der arabischen Welt zu einem neuen Sprung in Richtung Zukunft zu verhelfen, um ihre Stagnation zu beenden und gegen die sich anbahnende Verwestlichung anzukämpfen.

Jedoch wurde die gesellschaftliche Bedeutung jener Kontroverse erst im Zuge der Umwälzungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges sichtbar. Der Zerfall des Osmanischen Khalifats, der Aufstieg moderner Nationalismen und die Bildung weltlicher Politikmodelle in mehreren arabischen Ländern – wie etwa die Etablierung konstitutioneller Monarchien und moderner Verfassungen in Ägypten und im Irak – verliehen den inzwischen zugespitzten Auseinandersetzungen unter den Intellektuellen politische und regionale Brisanz. Die fortgeschrittene Polarisierung zwischen weltlichen und religiösen Staatsauffassungen beschleunigte die Ausdehnung von säkularen Parteien (liberaler, sozialistischer und kommunistischer Prägung) und von islamistischen Bewegungen im arabischen Raum. Für letztere diente die Entstehung der ägyptischen Muslimbruderschaft, einer radikalen religiösen Organisation, die die Verwirklichung einer islamischen Gesellschafts- und Politikordnung anstrebte, als Musterbeispiel.

Der moderne Nationalstaat beerbte den säkular-religiösen Konflikt und war, vor allem in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bemüht, ihn durch eine forcierte Trennung von Politik und Islam zu beseitigen. Jedoch markierten das im Laufe der siebziger Jahre sichtbar gewordene Scheitern der säkularen Entwicklungsexperimente (wichtige Indikatoren in diesem Zusammenhang waren die wirtschaftlichen Krisen und die politischen Unruhen) und der regionale Aufstieg radikaler islamistischer Kräfte (wie beispielsweise der Jihad-Gruppe in Ägypten sowie der Hamas-Bewegung in den palästinensischen Gebieten und Jordanien) den Anbruch eines neuen Zeitalters, in dem das nationalstaatliche Gesellschafts- und Politikverständnis kritisch hinterfragt wird.

Zwei Hauptströmungen bildeten sich: Eine säkulare, deren Vertreter für einen vollständigen Ausschluss der Religion aus der Politiksphäre eintraten, und eine religiöse, die auf der Errichtung eines an den Prinzipien der Scharia orientierten Staates basierte. In beiden Lagern bilden die Begriffe "Demokratie" und "Demokratisierung", obgleich unterschiedlich akzentuiert, den Kern der jeweiligen politischen Zielvorstellung.

Säkularisierungsprozesse

Säkulare Denker deuten die historische Erfahrung des arabischen Raumes als eine Geschichte der despotischen Herrschaft im Namen des Islam. Der syrische Historiker und Islamwissenschaftler Aziz al-Azmeh behauptet beispielsweise, dass die arabische Welt das moderne Zeitalter erst mit der Ankunft der europäischen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert betreten habe. Die koloniale Verwaltung und die säkularen Eliten der jeweiligen nationalen Befreiungsbewegungen, so al-Azmeh, emanzipierten die arabischen Gesellschaften von der Vorherrschaft der religiösen und ethnischen Ordnung. Sie initiierten eine neue Phase in der politischen Organisation der Gesellschaft, die fortan auf den zeitgemäßen Prinzipien der Staatsbürgerschaft und der gleichen Bürgerrechte für alle beruhen sollte. Dem klassischen islamischen Gesellschafts- und Politikverständnis bescheinigt al-Azmeh, historisch veraltet, kulturell primitiv und gesellschaftlich belanglos geworden zu sein. Es könne deshalb weder den gesellschaftlichen Wandel erklären, noch als Ordnungsprinzip einer modernen Politik fungieren.

Der ägyptische Politologe Mustafa Kamil as-Sayyid setzt einen anderen Akzent in der säkularen Betrachtungsweise. Er lehnt es ab, die Dominanz der totalitären Herrschaft in der arabischen Geschichte nur anhand einer Theorie der "orientalischen Despotie" zu erklären. Statt dessen hebt er bestimmte sozio-ökonomische Faktoren und strukturelle Gegebenheiten der arabischen Länder hervor, die der Entwicklung von Demokratie entgegen gestanden haben. So konnte sich zum Beispiel im Spätmittelalter nur schwerlich eine Mittelschicht entwickeln, die Organisation der familiären Sphäre und der Produktionsstätten basierte auf einer patriarchalen Ordnung und das Bildungssystem war geprägt von traditionsverhafteten und autoritären Strukturen. As-Sayyid wirft aber auch den islamischen Instanzen vor, den Absolutismus mittels religiös verfasster Traditionen (Gehorsamkeit und Loyalität gegenüber dem Herrscher) legitimiert zu haben. Demnach eignen sich für ihn weder die auf den Islam gestützten traditionellen Formen der Partizipation, wie zum Beispiel die Gilden und das religiöse Stiftungswesen, noch das religiöse Denken unserer Zeit für die Formierung einer demokratischen Politiksphäre.

Die seit dem 19. Jahrhundert einsetzenden Modernisierungsprozesse führten tatsächlich zur Hinterfragung des islamischen Weltbildes. Sie zogen eine ökonomische, politische und kulturelle Ausdifferenzierung der Gesellschaftsstrukturen in den arabischen Ländern nach sich. Die gegenwärtige Krise des politischen und gesellschaftlichen Systems im arabischen Raum und die seit den achtziger Jahren anhaltende Welle der Islamisierung können im Rahmen der säkularen Betrachtungsweise als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden: Die neuen Nationalstaaten versäumten, Säkularisierung und Demokratisierung zu fördern. Im Gegenteil, der vorgeblich säkulare Staat bediente sich sogar immer wieder einer religiösen Legitimation und ermöglichte damit erst das Erstarken islamistischer Gruppierungen.

Reislamisierung der Politik

Die Vertreter der islamistischen Strömungen wenden sich vehement gegen die politische und intellektuelle Verbannung des Islam aus der modernen Politiksphäre. Der Kairoer Politologe Saif ad-Din Abd al-Fattah Ismail weist beispielsweise die universale Übertragbarkeit westlicher säkularer Konzepte und Theorien gänzlich zurück und hebt die historische und kulturelle Besonderheit des arabischen Raumes hervor, welche auf der Zentralität des Islam beruht. Ismail zufolge zog die Entstehung des modernen Nationalstaates im 19. und 20. Jahrhundert in den meisten arabischen Ländern das Ende der in seinen Augen freiheitlichen, religiös geprägten Gesellschaftsordnung nach sich. Denn unter dem Einfluss westlicher Entwicklungsmodelle zerschlugen die neuen Eliten die traditionellen Vermittlungsinstanzen zwischen dem Herrscher und dem Volk – wie beispielsweise die Gelehrtenverbände und die religiösen Gerichte – und entwickelten eine totalitäre Ordnung, welche die bis in die Gegenwart anhaltende Stagnation zu verantworten habe.

In diesem geistigen Horizont definiert der tunesische Gelehrte Raschid al-Ganuschi das Massenphänomen Islamismus als die "Summe der individuellen und kollektiven Bemühungen, die von zahlreichen gläubigen Männern und Frauen eingeleitet werden, um die Muslime zu ihrem barmherzigen Gott zurückzuführen". Basierend auf dem Islam als einzig wahrer Orientierungsquelle fühlen sich die Islamisten berufen, mittels einer gesetzlichen und erzieherischen Reform einen Prozess der Reislamisierung in allen Lebensbereichen anzustoßen. Dadurch soll die Verwirklichung eines an den religiösen Prinzipien ausgerichteten Politik- und Gesellschaftsmodells ermöglicht werden.

Insbesondere moderate Islamisten sind hierbei bemüht, authentische Äquivalente für das säkulare Demokratieverständnis zu formulieren. Ein wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang stellt das Prinzip der Ratsversammlung (arabisch: Schura) dar, welches sowohl in den religiösen Überlieferungen als auch in der historischen Erfahrung einiger arabischer Gesellschaften verankert ist.

Bleibt am Ende anzumerken, dass sich die Anzeichen eines möglichen Konsenses zwischen den säkularen und religiösen Kräften in einigen arabischen Ländern (zum Beispiel Marokko und Ägypten) zunehmend verdichten. Dies beruht einerseits auf der Akzeptanz des politischen Pluralismus seitens der Islamisten und andererseits auf der Anerkennung der Bedeutsamkeit des Islam bei der demokratischen Gestaltung der Politik im säkularen Lager. Die Frage, ob diese Entwicklung zur Überwindung der Säkularisierungskontroverse und zur Artikulierung eines zeitgemäßen arabischen Politikmodells führen wird, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt, vor allem angesichts der gesamtregionalen Instabilität, nicht beantwortet werden.

Fussnoten