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Hintergründe der chinesischen Außenpolitik in Afrika

Charlotte Nguébong-Ngatat

/ 12 Minuten zu lesen

Charlotte Nguébong-Ngatat arbeitet Motive und Hintergründe der außenpolitischen Beziehungen zwischen afrikanischen Ländern und China heraus.

Der chinesische Präsident Xi Jinping trifft den kenianischen Präsidenten William Ruto in der Großen Halle des Volkes in Beijing am 18. Oktober 2023 zum dritten Belt and Road Forum für internationale Zusammenarbeit. (© picture-alliance, Xinhua News Agency | Li Xueren)

Zu diesem Text

Dieser Text bietet sich als Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Hintergründen, Auswirkungen und der Rezeption der Außenpolitik Chinas in Afrika an. Ohne Anspruch auf eine exakte Quantifizierung des Ausmaßes der Erfolge und Misserfolge dieses Engagements wird versucht, herauszuarbeiten, inwiefern der Aufstieg Chinas zur Weltmacht mehr Hoffnung und Entwicklung für Afrika bringt, welche Risiken er birgt und was die afrikanische Öffentlichkeit davon hält. Dadurch werden Wege aufgezeigt, wie sowohl andere staatliche Akteure als auch nichtstaatliche Akteure ihre jeweiligen Interaktionen mit Afrika konstruktiver gestalten sollten, d.h. wie entsprechende Strategien zur Erreichung ihrer Ziele entwickelt werden können, die sowohl den Interessen ihrer Nationalstaaten als auch den Rechten der Bevölkerung in verschiedenen Ländern Afrikas Rechnung tragen.

In die Analyse werden Erfahrungen aus meiner Feldforschung in Kamerun 2012 mit Experteninterviews, Archivarbeit und teilnehmende Beobachtungen sowie dem daraus entstandenen Buch “Effekte der außenpolitischen Instrumente Chinas in Afrika“ einbezogen. Dass Kamerun eine Schlüsselrolle in der Afrikastrategie Chinas einnimmt, zeigt sich u.a. an der Höhe von ausländischen Direktinvestitionen, ca. 950 Millionen US$, die das als „Afrika in Miniatur“ bezeichnete Land als das zweitgrößte Ziel der Investitionen chinesischer Unternehmen in Subsahara-Afrika in 2022 etablierte (vgl. Muschter 2023).

Im ersten Schritt werden die Motive der außenpolitischen Beziehungen zwischen Afrika und China analysiert. Danach werden Entwicklungen in ausgewählten Ländern Afrikas wie Angola, Äthiopien, Dschibuti, Kenia und Nigeria unter die Lupe genommen, um die positiven und kontroversen Aspekte des Engagements Chinas ans Licht zu rücken. Im dritten Schritt wird dargelegt, wie die Beziehungen zwischen beiden Akteuren in Afrika bewertet werden. Im vierten Teil wird erkundet, welche Herausforderungen aus den Interaktionen zwischen den chinesischen und afrikanischen Akteuren entstehen und wie diese optimiert werden können.

Die Frage, ob der sogenannte Beijing Consensus und die dadurch geprägte Außenpolitik Chinas positive und nachhaltige Entwicklungseffekte für seine Partnerländer in Afrika generiert, ist sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in der Wissenschaft umstritten. Die Kontroverse fußt größtenteils auf der These, dass der Beijing Consensus mit seinem hinter der chinesischen Staats- und Wirtschaftspolitik stehenden Ideengebäude dem Washington Consensus zuwiderlaufe und die hemmungslose Zusammenarbeit zwischen Peking und einigen autoritären Regimen in Afrika an Neokolonialismus grenzen lasse (vgl. Halper 2010: 3ff).

Der Beijing-Consensus

Der Begriff Beijing-Consensus ist in der Politikwissenschaft nicht fest definiert. Er geht auf Joshua Cooper Ramo 2004 zurück und verweist auf die spezifische Entwicklungsstrategie Chinas. Im Kern besteht diese, vereinfacht ausgedrückt, darin, bei der Kreditvergabe vermeintlich auf Bedingungen zu verzichten und auch die Kooperation vermeintlich frei von ideologischen Prägungen zu gestalten. Zudem erhalten nationale Sonderwege Vorrang vor politischen Bedingungen bei der Gewährung von Entwicklungsunterstützung. Institutionen sollen orts- und kontextangemessenen Institutionen zusammenführen und die politische von der wirtschaftlichen Liberalisierung entkoppeln. Soziale und wirtschaftliche Entwicklung werde auf Kosten der politischen Mitgestaltungsrechte der Bürger priorisiert (vgl. Gu/Mayer 2007: 101ff; auch Chen 2017).

Dagegen geht der durch den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank, den US-Kongress, das US-amerikanische Finanzministerium und einige Think Tanks erarbeitete Begriff Washington Consensus auf die Schuldenkrise der lateinamerikanischen Länder in den 1980er Jahren zurück. Er umfasst eine Reihe von Maßnahmen zur Erreichung von Wachstum und größerer makroökonomischer Stabilität. Dazu gehören die Abwertung der Währung, der Freihandel, die Kürzung der Staatsausgaben, die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Kürzung des Personalbestands im öffentlichen Dienst und der Abbau der Bürokratie (vgl. Nohlen 2002: 866f; auch Kellermann 2006: 94ff; auch Halper 2010).

Das zuwachsende Engagement Chinas seit den 1990er Jahren in etlichen Sektoren des Alltagslebens in diversen Ländern Afrikas ist mittlerweile unübersehbar, unaufhaltsam und ruft eine strategische Auseinandersetzung mit Normen und Werten hervor. Die Literatur zur Afrikapolitik Chinas befasst sich zwar mit diesem Engagement, weist aber ein Generalisierbarkeitsproblem auf: Fachliteratur ist meist nicht so weit ausdifferenziert, dass die Beweggründe und Auswirkungen auf die zahlreichen, aber doch einzeln zu betrachtenden Länder strukturiert ans Licht kommen.

Weshalb gehen afrikanische Staaten intensive Beziehungen mit China ein?

Aufgrund seiner starken demographischen Entwicklung, seiner Marginalisierung in der Weltwirtschaft, seiner sicherheitspolitischen Schwäche und seines Reichtums an Rohstoffen gilt Afrika als ein herausfordernder Kontinent für wirtschaftliche Investitionen und Wachstum. Diese Herausforderungen begründen das Verhalten einiger afrikanischer Staaten in ihren außenpolitischen Beziehungen zu China und münden in folgende Motive der Zusammenarbeit:

  • Das Bedürfnis, aus dem Rohstoff-Fluch auszubrechen und die Armut zu bekämpfen: In vielen afrikanischen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Nigeria, Sudan, Kamerun, Kenia, Angola, Elfenbeinküste und Senegal besteht trotz großen Reichtums an natürlichen Ressourcen ein Teufelskreis aus Armut, niedrigem menschlichen Entwicklungsindex (HDI), hohem Korruptionsindex (CPI), drohendem Bürgerkrieg, begrenzten Kreditmöglichkeiten, fehlender Kapitalbildung, fehlenden oder nicht ausreichenden Infrastrukturen insbesondere in Bereichen wie Strom, Straßen, Schienen, Agrartechnik und Telekommunikation und dürftigen Exportmöglichkeiten in die Nachbarländer. Dieser Teufelskreis verschärft wiederum die Armut. Während zahlreiche Autoren dieses, auch unter dem Begriff „holländische Krankheit“, bekannte Phänomen in verschiedenen Tiefen erkunden und meist letztendlich kein Patentrezept vorschlagen, ergeben verschiedene Umfragen und Strategiedokumente, dass sowohl die politischen Entscheidungsträger, als auch die Zivilgesellschaft in den vielen Ländern Afrikas wie Kamerun, Kenia, Nigeria, Angola, usw. den Infrastrukturbau als Wachstums- und Beschäftigungsträger und als Ausweg aus dieser desolaten Situation sehen (vgl. Lippolis / Verhoeven 2022: 155f; auch Alden / Jiang 2019: 649; vgl. auch Nigeria Federal Ministry of Finance (Hrsg.) (2021); MINEPAT (Hrsg.) 2009a und 2009b; vgl. Institut National de la Statistique (EESI2) 2011; auch fmprc 2021).

  • Das Image Chinas als Inspirationsquelle: Viele afrikanische Länder sind auf der Suche nach einer ideologischen Vision, einem eigenen Entwicklungsweg. Der Weg Chinas zu einer Weltmacht bietet sich für viele wie ein Leitbild. China dient vielen afrikanischen Regierungen als Vorbild dafür, wie ein spezieller Weg funktionieren kann. Dieser Weg führt von der Befreiung vom Einfluss imperialistischer Mächte bis hin zu selbstbestimmter Entwicklung über die wachstumsgestützte innere Konsolidierung sowie die regionale und außenpolitische Expansion. Das gilt trotz der Coronakrise, trotz der rassistischen Vorfälle gegen Menschen afrikanischer Abstammung in China und die dadurch entblößten weiteren Lücken in der Menschenrechtspolitik des Landes, trotz der Zurückführung von in kriminelle Aktivitäten involvierter chinesischer Angehöriger aus Ghana, Kenia und Angola durch die respektiven Regierungen, trotz der harten Innenpolitik Chinas, trotz des wirtschaftlichen Einbruchs und der damit verbundenen Senkung der Kreditvergabe. China steht auf Platz zwei der Skala bevorzugter Entwicklungsmodelle nach den USA (vgl. Afrobarometer 2019/2020); dies deutet darauf hin, dass die Länder trotz der geäußerten Bewunderung für das Entwicklungsmodell Chinas manche Eigenschaften des Modells der USA und anderer Akteure weiter pflegen würden.

  • Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung: die Jugendarbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf der anderen erfordern vielen afrikanischen Entscheidungsträgern zufolge eine gewisse Öffnung hin zu Wissenschafts- und Technologiegesellschaften wie China – und den Abschluss von Partnerschaften, in denen sowohl der Infrastrukturaufbau als auch der pädagogische Austausch, der Technologietransfer, die digitale Sicherheit und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit lokaler Klein- und Mittelunternehmen (KMUs) eine zentrale Bedeutung einnehmen (vgl. fmprc 2021).

  • Die Diversifizierung der eigenen politischen und Wirtschaftsbeziehungen angesichts vieler Frustrationen mit den westlichen Ländern und die nach dem Empfinden vieler afrikanischer Staaten durch sie stark beeinflussten Bretton-Woods-Institutionen: Die Beziehungen zwischen den frankophonen Ländern Afrikas und Frankreich als ehemalige Kolonialmacht und Drahtzieher des sogenannten „Francafrique“ sind bekanntermaßen komplex und kompliziert. Der schwere Zugang zum Kapitalmarkt, insbesondere für die Finanzierung von Großprojekten, die Unzufriedenheit über die bestehende Ordnung in der Entwicklungspolitik und die vorherige Isolierung bestimmter Länder wie Simbabwe, Sudan und Angola durch den Westen führten ferner zur Suche nach Alternativen. Da kam der sorgfältig gepflegte Umgang chinesischer Offizieller gelegen und spornt nun viele afrikanische politische Entscheidungsträger an, eine andere Tonlage in der Diplomatie zwischen den westlichen Partnern und Afrika einzufordern (vgl. BMZ 2020; auch Obenga 2010; Mbembe 2014). Ferner wird ein Umdenken anvisiert: weg von der Behandlung als „second tier player“, hin zum Gegenstand und Akteur der High-Level-Diplomatie (vgl. Rupp 2008: 68). Vor diesem Hintergrund wollen viele afrikanische Staaten wie Kenia, Äthiopien Kamerun, und Nigeria sowohl ihre Exportziele mit China als entscheidendem Akteur vervielfältigen, um das Wachstum anzukurbeln (vgl. Otele 2022: 59f).

  • Die Suche nach Alternativen für die restriktiven Kredite der Weltbank und des IWFs: Die Wirtschaftskrise der 1980er Jahren hatte in vielen afrikanischen Ländern zur Zahlungsunfähigkeit geführt. Nach Verhandlungen mit der Weltbank und dem IWF wurde Ländern wie Kamerun ein Teil ihrer Schulden annulliert, doch zuvor mussten sie sich dem Strukturanpassungsprogramm der Weltbank unterziehen. Die erwarteten Effekte blieben aus. Afrika verarmte weiter und sowohl Kreditgeber als auch Investoren blieben nun fern. In diesem Kontext traf der Entwicklungsbedarf vieler afrikanischer Länder auf den Rohstoffbedarf Chinas (De Carvalho/Kopiński/Taylor 2022: 10). So ließ der erste institutionelle Rahmen nicht lange auf sich warten: Im Jahr 2000 entstand das Forum für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC) und war fortgehend der Rahmen für viele Kredit- und Investitionsabkommen mit China, die weder an politische oder menschenrechtliche Bedingungen noch an umweltpolitische Vorlagen geknüpft sind.

  • Die Suche nach Verbündeten zur Reform der Vereinten Nationen: viele afrikanische Länder wie Südafrika, Senegal, Algerien, Ägypten, Nigeria, Kenia, Djibouti, Kamerun, sowie die intergouvernementale Organisation der Afrikanischen Union empfinden die aktuelle Struktur der Vereinten Nationen als unfair und ungeeignet für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas. Sie beklagen hinsichtlich der ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dass Europa überrepräsentiert sei, während Afrika und Lateinamerika ausgeschlossen und deswegen in der globalen Governance marginalisiert seien (vgl. Zeit Online 2022; auch Süddeutsche Zeitung 2005). Um in den entsprechenden Gremien unterstützt zu werden, bevorzugen diese afrikanischen Staaten eine Annäherung an China, zumal es ein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist, immer mehr Personal für humanitäre UN-Missionen entsendet und bereits die Absicht bekundet hat, diese Anliegen zu unterstützen.

Die Motive des Engagements Chinas in Afrika

Die Motive des Engagements Chinas in Afrika lassen sich in drei Kategorien einordnen. Sie sind politischer, wirtschaftlicher oder geopolitischer Natur.

Die Suche nach Verbündeten für Chinas Integration in die internationalen Institutionen: China bezeichnete sich in den 1950er Jahren als Dritte Welt bzw. Entwicklungsland und sieht sich sogar heute noch als „größtes Entwicklungsland“ und Afrika als „den Kontinent mit den größten Entwicklungsländern“ weltweit (vgl. Ertl/Merkle 2019: 2ff). Diese kontroverse Selbstdarstellung brachte bisher nicht nur eine Sonderbehandlung innerhalb der WTO, sondern ruft bei seinen Partnern aus Sambia, Nigeria, Angola, Äthiopien, Kamerun, usw. auch mehr Bewunderung, Solidaritätsgefühl, Vertrauen und Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung bei der Verteidigung ihrer Interessen hervor. Als Sambia (damals Nordrhodesien) sich als Binnenland durch die Blockade der rassistischen Regime in Südafrika und Südrhodesien (heute Simbabwe) bedroht fühlte und andere Großmächte wie die Sowjet Union und die USA noch vor Kosten und Nutzen zurückschreckten, hatte China in den 1970er Jahren trotz zahlreicher eigener innenpolitischer Probleme die sambische Wirtschaft unterstützt und somit eine politische Botschaft an beide Rivalen gesendet: Das Reich der Mitte hatte zwischen der tansanischen Handelsstadt Dar es-Salaam und dem sambischen Kapiri Mposhi eine 1868 km lange Eisenbahnlinie gebaut, die das Bergbauhinterland in Sambia mit den Häfen des indischen Ozeans verband. Auch wenn Fakten über die sino-sambische Zusammenarbeit heute mehr auf Bedenken als auf Zuverlässigkeit hindeuten, galt dieses Projekt lange für viele als Paradebeispiel für gelungene chinesische Entwicklungshilfe – trotz Wartungsdefiziten. Im Gegenzug hatte China im Oktober 1971 das Votum von 26 afrikanischen Ländern gebraucht, um überhaupt der UNO als einziger Vertreter der beiden chinesischen Staaten beizutreten. Auch Kamerun hatte China in den 1960er Jahren im Kontext größter Hungersnot und Überschwemmungen geholfen (vgl. Nguebong-Ngatat 2016: 115). Diesen Hilfen zugrunde liegt die Dritte-Welt-Rhetorik, die chinesische Entscheidungsträger schon in der frühen Phase der Bandung Konferenz im April 1955 pflegten. Sie hatten die politische Vision vermittelt, China sei ähnlich wie die afrikanischen Länder Teil der Dritten Welt und die Länder der Dritten Welt seien auf gegenseitige Solidarität angewiesen. Diese Solidarität half China zur Konsolidierung seiner Ein-China-Politik und erzeugte Gegenwind gegenüber den USA, wobei Beijing bis heute seine afrikanischen Partner auf den Verzicht auf diplomatische Beziehungen mit der Republik China (Taipei) verpflichtet. Diese Strategie wird mit einer Reihe diplomatischer Instrumente unterstützt: hochrangige Besuche, Spenden, Teilnahmen an Missionen der Vereinten Nationen in Afrika und die Unterstützung der afrikanischen Länder bei vielen Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen, usw.

Die Suche nach Verbündeten zur Konsolidierung seiner Ambitionen einer hegemonialen Macht: China profiliert sich auf der internationalen Bühne als Befürworter der afrikanischen Staaten bei den Vereinten Nationen. Um diese Rolle ist die traditionell eher Frankreich bemüht. Xi Jinpings Diskurs im Rahmen des FOCACs 2021 ist diese Ambition jedoch deutlich zu entnehmen: Er erklärt den afrikanischen Staatschefs, er habe bei der UN-Generalversammlung 2021 die Globale Entwicklungsinitiative vorgeschlagen, die mit der Agenda 2063 der Afrikanischen Union und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verzahnt sei, und begrüße die aktive Unterstützung und Teilnahme afrikanischer Länder. Ähnlich dazu appellierte der chinesische Außenminister Qin Gang am 11. Januar 2023 im Rahmen einer einwöchigen Dienstreise in fünf afrikanische Länder daran, die Vertretung und Stimme der Entwicklungsländer, insbesondere jener in Afrika, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen zu stärken. So festigen die chinesischen Entscheidungsträger die Rolle Chinas als Pionier der Süd-Süd-Kooperation und der sino-afrikanischen strategischen Partnerschaft. Die dadurch entstehenden Abhängigkeiten werden wiederum an anderen Stellen genutzt: China sichert sich so die erforderlichen Kompromisse oder Unterstützung für den Ausbau seines Einflusses als globale Macht und es kann nationale Interessen wahren, beispielsweise bei der WHO, der WTO, der Ernährung und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).

Der Ausbau der Vision der „Ein-China-Politik“: Diese seit der Machtaufnahme durch XI Jinping im Jahr 2012 verbreite Vision besteht darin, die hegemoniale Macht der USA zu überholen und beide Teile Chinas wieder zu vereinen. Die Anwesenheit der USA in der Region Asien und Pazifik, die seit 2009 andauernden Spannungen im südchinesischen Meer, die hier angesprochene Betrachtung der Republik China als Bestandteil der Volksrepublik Chinas, der 2012 eskalierte Konflikt mit den Philippinen um die Scarborough-Inseln, die durch Australien und Indien empfundenen Unsicherheiten gegenüber der zuwachsenden Präsenz Chinas im Südpazifik und die Spannungen in Xinjiang, Hong Kong und Taiwan heizen die Stimmung im Südpazifik an und verschärfen die politische Konfrontation zwischen China und den USA. Die amerikanische Regierung unter Joe Biden sieht in China und Russland China deutlich eine der Bedrohungen des 21. Jahrhunderts (vgl. The White House 2022: 23ff). Diese Konfrontation ist ein Faktor, der Peking einerseits zur militärischen Aufrüstung und anderseits zur Suche nach Verbündeten veranlasst, um eine Isolierung zu vermeiden. Der afrikanische Kontinent wiederum erscheint als eine Bühne zur Demonstration seines Machtpotenzials.

Der Bedarf an Rohstoffen für Chinas Wirtschaft: Zur Abdeckung des rasant steigenden Bedarfs seiner Industrie ist China seit den 1990er Jahren beispielsweise auf externe Energiequellen angewiesen. Alle Länder, die damals potenziell als Lieferanten bzw. Rohstoffquellen galten, waren aber bereits durch andere Mächte besetzt. Da kam es China gelegen, dass viele afrikanische Länder als Ergebnis von jahrelangen Strukturanpassungsprogrammen und eurozentrischer Weltanschauung enorm frustriert waren und gleichzeitig ein Vakuum durch die fahrlässige Afrikapolitik der USA entstanden war (vgl. Halper 2010: xixf). Im Zuge seiner Going Global Strategy motivierte das Reich der Mitte heimische Unternehmen, ins Ausland zu investieren und sich hierdurch den direkten Zugang zu Rohstoffquellen zu verschaffen. In diesem Kontext entstand der erste FOCAC in China im Oktober 2000 mit 44 afrikanischen Ländern. Das Potenzial Afrikas beschrieb Martin Ling wie folgt: „Schließlich beherbergt Afrika 89 Prozent der Weltreserven an Platin, 60 Prozent der Diamanten sowie bedeutende Anteile bei Gold, Kobalt, Mangan, Chrom, Bauxit, Nickel, Kupfer, Kohle und Uran. Und 2010 soll nach Prognosen jedes fünfte Barrel (159 Liter) Öl auf dem Weltmarkt aus der Region des Golfs von Guinea kommen - vorwiegend aus Nigeria und Angola.“ (Ling 2008) Mittlerweile deckt das Erdöl aus Angola ein Siebtel des Importbedarfs Chinas ab (vgl. Burgis 2021:13).

Die Suche nach Absatzmärkten: China braucht Käufer für seine Dienstleistungen und umfangreiche Währungsreserven, mithilfe derer es etwa Staatsanleihen kauft, das Haushaltsdefizit der USA finanziert und Gelder an afrikanische Länder verleiht. Afrika mit seiner jungen Bevölkerung ist zudem ein attraktiver Absatzmarkt für chinesische Konsumgüter.

Die Sicherung seiner Energie- und Handelsinteressen: Afrika ist zentral in der Abwicklung und im Schutz der geostrategischen Interessen Chinas. Wie im Projekt der neuen Seidenstraße, der Road and Belt Initiative, werden diese Interessen mit militärischen Mitteln geschützt: die Energiesicherung, die Befähigung afrikanischer Staaten zur Friedens- und Sicherheitsgewährleistung, die Machtprojektion jenseits des Pazifiks und die bewusste Beschränkung des politischen Einflusses anderer Mächte wie der USA, Frankreich und der EU. In Dschibuti zeigt sich wie in keinem anderen Land auf dem Kontinent das geostrategische Ringen um die Kontrolle der Seewege und Rohstoffe in Afrika: Um den Transit von Rohstoffen auf der Bab El-Mandeb-Straße zu sichern, auf der ca. 40% des Erdöls weltweit transportiert wird, unterzeichneten China und Dschibuti im Januar 2015 eine strategische Partnerschaft, welche Peking die Einrichtung seines ersten Afrika-Militärstützpunkts mit einer Kapazität von 10.000 Soldaten in dschibutischen Doraleh im August 2017 ermöglichte. Weitere Mächte wie Frankreich (1500 Soldaten), die USA (4000 Soldaten), Spanien, Italien und Japan sind dort mit viel weniger Soldaten stationiert.

Afrika und China haben angesichts dieser Motive vier gemeinsame Motive, die eine Zusammenarbeit für die Entscheidungsträger rechtfertigen: ihre besonderen und ähnlichen Geschichten als ehemals unterdrückte Staaten, die daraus entstandene historische Solidarität, ihre Entwicklungsbestrebungen und das Potenzial zur Komplementarität ihrer Ressourcen. Diese Erkenntnis führte u.a. zur Gründung der Konferenz von Bandung 1955, der Afro-Asian People’s Solidarity Organisation (AAPSO), des FOCACs, zur Veröffentlichung des Strategiepapiers über Afrika 2006 und zur aktiven Teilnahme Chinas an Friedensmissionen der UNO. Es ist dennoch festzustellen, dass China aufgrund seiner Handlungsressourcen, seiner privilegierten Stellung als Kreditgeber und Spender am längeren Hebel sitzt, d.h. es hat bessere Möglichkeiten seine Interessen in der Interaktion mit seinen Partnern aus Afrika durchzusetzen. In der Tat wird in vielen Finanzierungsabkommen, die ich während meiner Feldforschung gesichtet habe, die Verfügbarkeit der Finanzmittel an die Bestellung des erforderlichen Materials aus China und die Durchführung des Projekts durch chinesische Unternehmen geknüpft (vgl. V8 2011: 5; vgl. auch V10 2007: 5). Dennoch herrschte bei den Befragten ein neoliberales Verständnis der internationalen Politik: Sie betonten, dass es China bei der Zusammenarbeit mit Afrika nicht um bloße Philanthropie geht, sondern um die Erfüllung eigener Interessen; diesmal mit dem Unterschied, dass afrikanische Länder einen großen Nutzen aus dieser Politik Chinas ziehen können, wenn die Entscheidungsträger abwägen. Anders gesagt: Das Streben Chinas nach geopolitischer und ökonomischer Weltmacht stellt eine historische Chance für viele afrikanischen Staaten dar, um aus der Rolle des gelähmten Opfers herauszubrechen.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu Glüsing et al 2006; vgl. auch Burgis 2021: 93ff und Seitz 2009: 27ff.

  2. Die Bedenken, China würde selbst imperialistisch in Afrika handeln, bagatellisieren einige Politiker mit der Bescheidenheit chinesischer Entscheidungsträger und der vorhandenen großen Bereitschaft, auf Kritik einzugehen und proaktiv an der Lösung zu arbeiten.

  3. Vgl. Alden / Jiang 2019: 655f; auch Oshodi 2022: 68.

  4. Hart in dem Sinne, dass z.B. Proteste gegen die Null-COVID-Politik der Regierung ausgelöst werden und dass Dissidenten unterdrückt werden.

  5. Vgl. Nguebong-Ngatat 2016: 353ff.

  6. Seit 2000 findet der FOCAC im vierjährigen Takt statt. Der letzte fand am 29. November 2021 im dakarischen Senegal statt.

  7. Experten zufolge zeichne sich in den letzten zwei bis drei Jahren ein informeller Wandel in dieser Rhetorik hin zu mehr Kompromissbereitschaft ab, da China auf die harsche Kritik zB. der USA und anderer Industrienationen eingeht und zunehmend die Erwartungen an seine Rolle bei der WTO erfülle (vgl. Ertl/Merkle 2019: 6f).

  8. An der Macht saß damals in Südrhodesien eine weiße Minderheitsregierung unter der Führung von Premierminister Ian Smith, die die Beteilung des mehrheitlich schwarzen Teils der Bevölkerung an der Regierungsbildung ablehnte und apartheidähnliche Maßnahmen anwendete. Dies führte zu Unruhen mit Guerillaaktivitäten durch bewaffnete Befreiungskämpfer und zum Bürgerkrieg. Die UNO reagierte folglich mit einem Isolierungspaket aus Boykott, Embargo und Sanktionen gegen das Land. Zuvor waren Süd- und Nordrhodesien gemeinsam mit dem heutigen Malawi in der Zentralafrikanischen Föderation vereint, Südrhodesien hatte sich einseitig in die Unabhängigkeit verabschiedet.

  9. Vgl. NTV 2021. Diese Strategie erweist sich als erfolgreich, denn Swasiland ist heute das einzige Land in Afrika, dass sich bisher für diplomatische Beziehungen zur Republik China zu Ungunsten der Volksrepublik China entschieden hat.

  10. Eine ähnliche Einschätzung, vor allem den Reichtum Afrikas an Erdöl betreffend, lässt sich bei vielen Forschern dokumentieren, vgl. u.a. Dietrich 2002 und Pham 2006.

  11. Das gigantische Infrastrukturnetzwerk wurde vom chinesischen Präsident Xi Jinping 2013 angesprochen und soll die Ostküste Afrikas an den indischen Ozean und den Suez Kanal an Europa verbinden. Somit würde es den internationalen Handel fördern.

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Charlotte Nguébong-Ngatat arbeitet als Politologin mit Schwerpunkten in der Außenpolitik, politischen Soziologie und vergleichenden Regierungslehre. Zu ihren Publikationen gehört „Effekte der außenpolitischen Instrumente Chinas in Afrika: Die Facetten des chinesischen Engagements am Beispiel Kameruns“.