Rassismus, Kolonialismus und die Macht der Bilder
Die Erfahrung der Sichtbarkeit, die Welt der Blicke und des von anderen Angesehenwerdens ist eines der zentralen Felder, auf denen Rassismus im Alltag gelebt und erlebt wird. Denn nur selten war das Recht zu schauen auf alle Mitglieder einer Gesellschaft gleich verteilt, sondern blieb meist Ausdruck von weißen und männlichen Privilegien: Während die einen schauten und dabei selbst unsichtbar blieben, wurden andere als Objekte des Blicks fixiert.
Die Blickverhältnisse und die Bilder, die eine Gesellschaft produziert, sind nicht neutral und unschuldig, sondern von Machtstrukturen durchzogen. Stereotypen nehmen meist die Form von Bildern an und über Bilder werden rassistische Vorurteile "spontan" und unmittelbar reproduziert und "verstanden".
Die Bedeutung des Visuellen hat in der Geschichte des Rassismus eine lange Tradition. Bereits die europäische Antike besaß einen Farbsymbolismus, der "schwarz" negativ besetzte, doch erst als die Anatomen des 18. Jahrhunderts begannen, Menschen afrikanischer Herkunft nach deren verschiedenen körperlichen Merkmalen wie Schädel oder Gesichtsprofil zu vermessen, wurden ästhetische Kriterien zur Legitimation der Idee "höherer" oder "niederer Rassen" eingesetzt.
Die Markierung und Repräsentation visueller Differenz wurde mit dem "wissenschaftlich" argumentierenden Rassismus und der Ethnologie des 19. Jahrhunderts schließlich systematisiert. Neue Reproduktionsmedien wie Fotografie, illustrierter Buchdruck, Panoramen und Dioramen, aber auch die Zurschaustellung der Kolonisierten in "Völkerschauen" lösten einen "Taumel der Sichtbarkeit" aus, der die Wahrnehmung des Restes der Welt durch den Westen nachhaltig prägte: "Durch Reisen, Entdeckungen und Kolonisation wurde die ganze Welt in dem Maße sichtbar, wie sie sich auch tatsächlich aneignen ließ." (Jean-Louis Comolli) Von daher ist es mehr als ein reiner Zufall, dass die Erfindung des Kinos und die Blütezeit des modernen europäischen Kolonialismus historisch in dieselbe Epoche fallen.
Eine "unerhörte Echtheit": Schwarze Migranten im Kino der Weimarer Republik
Aus der deutschen Kolonialzeit (1884-1918) sind zwar viele Fotografien, aber nur sehr wenige Filmaufnahmen überliefert, da sich die Filmindustrie in Deutschland kommerziell erst während der Isolation des Ersten Weltkrieges entwickelte. Umgekehrt fanden viele der meist männlichen afrikanischen Kolonialmigranten aufgrund ökonomischer und politischer Ausschlussmechanismen nach 1918 ihr Auskommen in Berufen, in denen sie als "Repräsentanten ethno-kultureller Differenz" (Pascal Grosse) deutlich zur Schau gestellt wurden: als Artisten, Kellner, Tänzer oder Musiker. Eine ganz besondere Bedeutung besaß dabei jedoch die Filmproduktion, die in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine Unzahl von vor heimischen Kulissen inszenierten Abenteuerfilmen auf den Markt brachte, unter deren "exotischer" Oberfläche eine nur schwer zu übersehende koloniale Nostalgie deutlich wurde.
Sklavenrad in "Die Herrin der Welt" 1919/20, Regie: Joe May. (© Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)
Sklavenrad in "Die Herrin der Welt" 1919/20, Regie: Joe May. (© Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)
So offensichtlich und naiv der Eskapismus dieser Filme, so beschränkt und undifferenziert blieben die anonymen Rollen, die sie für Schwarze Darsteller vorsahen: dämonische "Mohren", "fanatisierte Eingeborene", "treue Diener", Pagen und Portiers, manchmal "Inder" oder "Malayen", später gelegentlich auch amerikanisierte Musiker oder Boxer – das waren die sich aus dem Bildarchiv des Rassismus speisenden Rollen, die Schwarze Deutsche in Filmen wie "Die Herrin der Welt", "Das indische Grabmal", "Eine Weiße unter Kannibalen" oder "Die Austernprinzessin" zu spielen hatten. Wie die aus "völkerkundlichen" Museen entliehenen Kulissen diente ihre Anwesenheit zu wenig mehr, als die "unerhörte Echtheit" des Dargestellten zu verbürgen.
Da Schwarze Komparsen jedoch vergleichsweise rar waren, stellte die Tätigkeit im Kino für die meisten kolonialen Migranten oftmals nicht nur eine finanziell einträgliche Einkommensquelle dar, sondern, so eine Reihe von neiderfüllten Berichten aus der Berliner Filmpresse über die "tätliche Meckerei" und den Eigensinn Schwarzer Darsteller, war auch mit Möglichkeiten zur dandyhaften Selbstinszenierung, der Verweigerung und dem Gefühl subjektiver Aufwertung verbunden.
Überleben in der Traumfabrik: Koloniale Propaganda und die Verfolgung Schwarzer im "Dritten Reich"|
Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 verschlechterten sich die ohnehin prekären Lebensbedingungen Schwarzer Deutscher unmittelbar: Zunächst spontan, später institutionell verordnet, wurden die Bühnen und Unterhaltungs-Etablissements von Schwarzen Artisten "gereinigt". Auch im Kino machte sich die anti-schwarze Kulturpolitik bemerkbar. "In seiner ernsten Form brauchen wir das schlicht-heroische, mit Blut und Boden zusammenhängende Geschehen mit kernig-deutschen Gestalten", so ein Kritiker. "Vom leichten Film erwarten wir Entspannung und Erfrischung, wenn wir in ihm auch keine Rumba tanzenden Neger sehen wollen."
Nazi-Propaganda-Film "Carl Peters", im Hintergrund der später im KZ ermordete farbige Schauspieler Mohamed Husen, 1941. (© Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)
Nazi-Propaganda-Film "Carl Peters", im Hintergrund der später im KZ ermordete farbige Schauspieler Mohamed Husen, 1941. (© Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)
Konsequent verwirklicht werden konnten solche rassistischen Positionen auch in der vorwiegend auf "reine" Unterhaltung setzenden Filmindustrie des "Dritten Reiches" freilich kaum, nicht zuletzt, weil die Produktion von Kolonialspielfilmen wie "Die Reiter von Deutsch-Ostafrika", "Carl Peters", "Ohm Krüger" oder "Germanin" auf Schwarze Darsteller angewiesen war. Dennoch veränderten sich die Repräsentationen Schwarzer im NS-Kino fundamental: Die "exotistische" Ambivalenz Schwarzer Rollen zwischen Faszination und Dämonie im Weimarer Kino ersetzte Goebbels' Traumfabrik durch das domestizierte Bild stets unterwürfiger Dienstboten oder kindlich-naiver "Eingeborener", die den Herrschaftsanspruch Nazi-Deutschlands zu bestätigen hatten.
Während die Wochenschau-Propaganda lautstark mobil machte gegen Jazz, Schwarze Sportler und – nach Kriegsbeginn – gegen die Schwarzen Truppenregimenter der Alliierten, die zum Teil aus den Kriegsgefangenenlagern als Komparsen zwangsverpflichtet wurden, bedeutete die Mitwirkung an "staatspolitisch wertvollen" Filmen für Schwarze Deutsche eine Überlebenschance. Kleinste "rassenpolitische" Fehltritte jedoch reichten aus, um vom Drehort ins Konzentrationslager verschleppt zu werden.
Von "Toxi" zu "Afro-deutsch": Kontinuitäten und Wandel seit 1945 und der Kampf um das eigene Bild
Filmplakat für "Toxi" 1952. (© Privatarchiv Tobias Nagel)
Filmplakat für "Toxi" 1952. (© Privatarchiv Tobias Nagel)
Nach Ende des nationalsozialistischen "Rassenstaats" verschwand der offensive Rassismus des "Dritten Reichs" von den Leinwänden, nicht jedoch die Vorstellung, Deutschland sei eine "weiße" Nation. Deutlich wurde dies in der öffentlichen Debatte um die so genannten "Besatzungskinder" afro-amerikanischer Väter und weißer Mütter. Mit "Toxi" entstand 1952 zur Einschulung dieser Generation afro-deutscher Kinder ein Film, der vordergründig um "Verständnis" warb. Indem er aber die Existenz Schwarzer Deutscher ausschließlich als sozialpädagogisches "Problem" begriff, die NS-Vergangenheit verdrängte und die Mütter pathologisierte, reproduzierte er homogenierende Vorstellungen des "Weiß-Seins".
Wenn Schwarze Deutsche in den folgenden Jahren im Kino erschienen, dann nur als "exotische" oder "groteske" Fremdkörper, als "Schwarze" ohne eigene Subjektivität oder Geschichte. Als 1997 der afro-deutsche Schauspieler Charles M. Huber seine TV-Rolle in "Der Alte" kündigte und gegen das ZDF Rassismusvorwürfe erhob, wurde er einfach ausgetauscht – mit der Begründung, sein Nachfolger (Pierre Sanoussi-Bliss) sei doch auch schwarz.
Erst mit dem Kampf Afro-Deutscher und Schwarzer in Deutschland um Sichtbarkeit und Selbstbestimmung seit Mitte der 1980er Jahre zeichnete sich eine Veränderung ab. Mit Spielfilmen wie "Alles wird gut" oder "Zurück auf Los" begannen Schwarze Deutsche Filmemacher und Drehbuchautoren afro-deutschen Alltag aus eigenen Perspektiven zu erzählen, die auch das Geschlecht und die sexuelle Orientierung reflektierten und so tradierte Stereotypen herausforderten. Eine Agentur wie "Panthertainment" setzt sich für eine andere Casting-Praxis Schwarzer Schauspieler in Mainstream-Produktionen ein und mit Ayassi Ayassis Kurzfilm "Afro-Deutsch" produzierte die Firma ein die Möglichkeiten der Hip-Hop-Kultur filmisch und musikalisch geschickt nutzendes Manifest afro-deutscher Identitätspolitik. Während Branwen Okpako in "Dreckfresser" gegenwärtige Rassismus-Erfahrungen aus ostdeutscher Perspektive thematisiert, richten eine Reihe von Dokumentationen wie "Pagen in der Traumfabrik", "Black Survivors of the Holocaust" oder "Befreien Sie Afrika!" ihren Blick auf die Geschichte Afro-Deutscher innerhalb und außerhalb des Kinos. Denn was die Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen in den Medien angeht, ist Deutschland noch immer ein Entwicklungsland.
Literatur
Baer, Martin: "Von Heinz Rühmann bis zum Traumschiff. Bilder von Afrika im deutschen Film", in: Susan Arndt (Hg.): AfrikaBilder: Studien zu Rassismus in Deutschland, Münster 2001, S. 253-270.
Brauerhoch, Annette: "Schwarzes Kind und weiße Nachkriegsgesellschaft in 'Toxi'", in: Frauen und Film, Nr.60 (1997), S. 106-130.
Fuhrmann, Wolfgang: "Lichtbilder und kinematographische Aufnahmen aus den deutschen Kolonien", in: Kintop, Nr. 8/1999, S. 101-106.
Ders.: "Der Kinema in Afrika", in: Frank Kessler u.a. (Hg.): Grüße aus Viktoria. Film-Ansichten aus der Ferne (=Kintop-Schriften 7/2003), S. 117-138.
Hake, Sabine: "Mapping the Native Body: On Africa and the Colonial Film in the Third Reich", in: Sara Friedrichsmeyer u.a. (Hg.): The Imperialist Imagination: German Colonialism and Its Legacy, Ann Arbor 1998, S. 163-188.
Klotz, Marcia: "Epistemological Ambiguity and the Fascist Text: Jew Süss, Carl Peters, and Ohm Krüger", in: New German Critique, Nr. 74/1998, S. 91-125.
Lusanne, Clarence: Hitler's Black Victims: The Historical Experiences of Afro-Germans, European Blacks, Africans, and African-Americans in the Nazi Era, New York; London 2002.
Manduli-Bolz, Marjorie: "Panthertainment: A Black Force in the entertainment business", in: The African Courier, April/Mai 2002, S. 26-28.
Nagl, Tobias: "Louis Brody", in: Cinegraph: Lexikon zum deutschsprachigen Film, E1-12, München 2002, 35. Lieferung.
Ders.: "'Afrika spricht!': Modernismus, Jazz und 'Rasse' im Kino der Weimarer Republik", in: Andrea Pollach u.a. (Hg.): Singen und Tanzen im Film, S. 171-185, Wien 2003.
Ders.: "Die Entscheidungsschlacht für den deutschen Großfilm: Ohm Krüger (1941) und der historische Nazi-Blockbuster", in: Jan Distelmeyer (Red.): Tonfilmfrieden / Tonfilmkrieg: Die Geschichte der Tobis vom Technik-Syndikat zum Staatskonzern, München 2003, S. 167-181.
Ders.: "Kaiser Wilhelms Minen: Kolonialismus, 'Rasse' und Gender in Joe Mays exotischem Abenteuer-Serial 'Die Herrin der Welt' (1919/20)", in: Knut Hickethier (Hg.): Das Genre als Abenteuer, Marburg 2004 (im Erscheinen).
Ders.: "Von fremder Rasse durchsetzt. Negrophobie im Kulturfilm", in: Peter Zimmermann/Kay Hoffmann (Hg.): Geschichte und Ästhetik des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3: 1933-1945, Stuttgart 2004 (im Erscheinen).
Nganang, Alain Patrice: "Der koloniale Sehnsuchtsfilm. Vom lieben 'Afrikaner' deutscher Filme in der NS-Zeit", in: Susan Arndt (Hg.): AfrikaBilder: Studien zu Rassismus in Deutschland, Münster 2001, S. 232–252.
O'Sickey, Ingeborg Majer: "Representing Blackness: Instrumentalizing Race and Gender in Rainer Werner Fassbinder's 'The Marriage of Maria Braun'", in: Women in German Yearbook: Feminist Studies in German Literature & Culture, Nr. 17/2001, S. 15-29.
Read, Allan (Hg.): The Fact of Blackness: Frantz Fanon and Visual Representation, London, Seattle 1996.
Filmverzeichnis
Spiefilme
Joe May: Die Herrin der Welt, 1919/20.
Hans Schomburgk: Eine Weiße unter Kannibalen, 1921.
Victor Trivas: Niemandsland, 1931.
Herbert Selpin: Die Reiter von Deutsch-Ostafrika, 1934.
Herbert Selpin: Carl Peters, 1941.
Max W. Kimmich: Germanin, 1943.
Robert Stemmle: Toxi, 1952.
Eduard von Borsody: Liane: Das Mädchen aus dem Urwald, 1956.
Rainer Werner Fassbinder: Whitey, 1971.
Angelina Maccarone/Fatima El-Tayeb: Alles wird gut, 1998.
Pierre Sanoussi-Bliss: Zurück auf Los, 2000.
Lars Becker: Dschungelbrüder, 2003.
Essay-, Kurz- und Dokumentarfilme
Wanjiru Kinyanjui: A Lover and a Killer of Color, 1988.
William Miles/Nina Rosenblum: Liberators: Fighting on Two Fronts in World War II, 1992.
Wanjiru Kinyanjui: Black in the Western World, 1992.
Helma Sanders-Brahms: Ein Schwarzer in der Traumfabrik, 1994.
Tsitsi Dangarembga: Die Schönheitsverschwörung, 1994.
Moise Shewa: Hitler's Forgotten Victims: Black Survivors of the Holocaust, 1997.
Branwen Okpako: Dreckfresser, 2000.
Martin Baer: Befreien Sie Afrika!, 1999.
Ayassi Ayassi/Tyron Ricketts: Afrodeutsch, 2001.
Britta Wandaogo: Liebe Schwarz-Weiß, 2001.
Anette von Wangenheim: Pagen in der Traumfabrik, 2002.