"Widerstand ist nicht, Widerstand wird!" – mit diesen Worten beschrieb Joachim Gauck als damaliger Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen – Für Demokratie" im Juli 2004 den prozesshaften Charakter aller gegen die nationalsozialistische Diktatur gerichteten Verhaltensweisen. Damit verwies er nicht nur auf die Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, sondern gleichzeitig auch darauf, dass sich dieser Widerstand starren und einseitigen Erklärungsversuchen entzieht.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann zuerst einmal als Oberbegriff für alle Formen aktiven Handelns gegen die nationalsozialistische Ideologie und Herrschaftspraxis verstanden werden. Beschrieben wird damit ein Verhalten, das mehr ist als nur eine kritische Einstellung gegenüber der Diktatur. Es setzt nicht nur die Bereitschaft zur Aktion voraus, sondern erfordert konkrete Handlungen. Diese Handlungen waren immer mit einem Risiko für die eigene Person oder für Familienangehörige verbunden.
Aus heutiger Sicht umfasst der Begriff des Widerstands ein weites Spektrum von Verhaltensweisen. Zu seinen Ausgangspunkten gehörten systemkritische Haltungen, Selbstbehauptung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie oder die Verweigerung regimetreuer Aktivitäten. So konnten sich unterschiedliche Formen der Gegenöffentlichkeit oder des Protests entwickeln. Sie boten wiederum die Voraussetzungen für die aktive Gegnerschaft oder für die politische Verschwörung, die auf eine Veränderung der Verhältnisse oder den Umsturz des Regimes nach einem gelungenen Attentat auf Hitler zielten.
Das handlungsorientierte und umfassende Verständnis des Widerstands ermöglicht es der historischen Forschung, nicht nur die Existenz von Handlungsspielräumen unter den Bedingungen der Diktatur aufzuzeigen, sondern auch danach zu fragen, ob und wie sie genutzt wurden. Denn nur wenige ergriffen die Möglichkeiten, die noch zur politischen Aktion gegen den Nationalsozialismus bestanden. Widerstand war damit in der NS-Zeit das abweichende Verhalten einer Minderheit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft.
QuellentextWas Widerstand bedeutet (I)
Widerstand gegen das Unrechtsregime ist also mehr als nur Verweigerung, als schweigende Ablehnung, mehr als das Einverständnis gegen die Nationalsozialisten im gleichgesinnten Milieu, mehr als die Verurteilung des Diktators und seiner Gehilfen im geschlossenen Kreis. Aus der Ablehnung des Regimes wird Widerstand durch das Bekenntnis und die Bereitschaft, Konsequenzen der Haltung und Handlung zu tragen.
Ein zentrales Element von Widerstand ist die Gefährdung dessen, der sich erkennbar auflehnt. Eine Voraussetzung ist die Bewahrung eigener Identität, das Festhalten an Normen und Werten, die Verweigerung von Anpassung und Kompromiss, wie es des Vorteils, des Friedens, des Fortkommens wegen von der Mehrheit praktiziert wurde. Widerstand ist mehr als das Beharren auf persönlichen Einstellungen, die mit der Räson des Regimes nicht übereinstimmten. Aber ohne eigene Haltung und Orientierung war kein Widerstand möglich.
Wolfgang Benz, Der deutsche Widerstand gegen Hitler, C.H. Beck München 2014, S. 8
Die meisten Deutschen begrüßten 1933 die neue Herrschaft. Sie folgten bereitwillig der nationalsozialistischen Führung oder passten sich zumindest in die NS-"Volksgemeinschaft" ein. Nur wenige stellten sich dem Regime entgegen, und nur in den allerwenigsten Fällen handelte es sich dabei um einen bewaffneten Widerstand wie in den von Deutschland besetzten Gebieten.
Es gab in jeder Phase des NS-Regimes unterschiedlichste Formen des Widerstands, die von ethischen, politischen und religiösen Grundüberzeugungen getragen waren. Sie konnten einsamen Entschlüssen zum Sich-Widersetzen entspringen, aber auch auf gruppen- oder milieuorientierten Entscheidungen bzw. Haltungen beruhen. Sie konnten Reaktionen auf Unterdrückung und Verbrechen sein oder sich gegen den weltanschaulichen Gestaltungs- und Führungsanspruch der Nationalsozialisten wenden.
Vor der nationalsozialistischen Regierungsübernahme 1933 hatten vor allem die Parteien der Arbeiterbewegung, aber auch viele Künstler und Intellektuelle vor den Gefahren des Nationalsozialismus gewarnt. Nach ihrer Regierungsübernahme im Januar 1933 betrieben die Nationalsozialisten dann ebenso zügig und planmäßig wie gewalttätig die Ausschaltung aller politischen Gegner und Konkurrenten. Alle Parteien außer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurden verboten; ein Medien- und Meinungsmonopol sollte die politische "Gleichschaltung" der deutschen Bevölkerung sichern. Die Grundrechte der Weimarer Verfassung wurden nach einem Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude mit der "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933 aufgehoben.
So sahen sich etwa Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten und Gewerkschafter erst einmal gezwungen, neue Organisationsstrukturen aufzubauen, bevor sie mit Flugschriften und Flugblättern über den menschenverachtenden Charakter der neuen Diktatur informieren konnten. Die Nationalsozialisten betrachteten dies als "Hochverrat", den sie mit hohen Haftstrafen verfolgten. Dennoch wurden aus den traditionellen Milieus der Arbeiterbewegung immer wieder Versuche unternommen, alte Kontakte zu bewahren und neue Widerstandsgruppen zu bilden, um aktiv an der Beseitigung der NS-Diktatur mitzuwirken.
Die Verteidigung der eigenen Normen und Werte sowie der geistigen Unabhängigkeit findet sich ebenso bei den liberalen wie bei den konservativen NS-Gegnern. Einzelne wagten es, sich offen gegen die Zumutungen der neuen Machthaber aufzulehnen und fanden ihren Weg in den aktiven Widerstand.
Auch Christen beider Konfessionen und Mitglieder kleinerer religiöser Gemeinschaften wehrten sich gegen Übergriffe des Staates auf die Freiheit des Glaubens. Sie dokumentierten ihren Willen zur geistigen Selbstbehauptung und verteidigten so aktiv die Freiheit des Bekenntnisses.
Selbst nahe dem Zentrum der Macht regte sich aktiver Widerstand. Er zeigte sich in den militärischen Umsturzversuchen zwischen 1938 und 1944 und der Verschwörung entschiedener Regimegegner, die auf den Sturz der NS-Herrschaft abzielten.
Formen der Selbstbehauptung, der Verweigerung und der daraus folgenden Auflehnung fanden sich auch bei Jugendlichen. Mitglieder früherer politischer oder kirchlicher Jugendverbände widersetzten sich der Gleichschaltung ebenso wie Mitglieder bündischer Gruppen, deren elitärer Anspruch auf Neuausrichtung der Gesellschaft der NS-Massenideologie zuwiderlief und die deshalb 1933 direkt verboten worden waren. Sie verteidigten damit ihr Recht auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
Desertion und Kriegsdienstverweigerung aus politischen und weltanschaulichen Gründen waren ebenfalls Ausdruck der Regimegegnerschaft. So desertierten etwa Soldaten, weil sie mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen konfrontiert wurden und nicht bereit waren, einem verbrecherischen Staat zu dienen.
Auch die Unterstützung für verfolgte Juden, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene gehörte zu den Formen des Widerstands im Kriegsalltag. Insbesondere die Hilfe für verfolgte Juden wandte sich gegen einen Kernpunkt der NS-Ideologie.
QuellentextWas Widerstand bedeutet (II)
Kein System kann alle Normenverletzungen ahnden, jederderartige Versuch würde das System selbst blockieren. Es gibt also in jedem, auch dem nationalsozialistischen System ganze Bereiche, die gewöhnlich unterhalb der polizeilichen Eingreifschwelle liegen. In diesen Bereichen – also in gewöhnlich sehr privaten Räumen – waren die meisten Akte von Nonkonformität gegenüber dem NS-Regime angesiedelt. In der Regel handelte es sich um einzelne Normenverletzungen, die nicht das Ganze in Frage stellten.
Akte bloßer Nonkonformität wurden dann um einen Grad genereller und damit politisch gegen das Regime gerichtet, wenn sie nicht nur gegen irgendwelche Normen des Systems verstießen, sondern sich den Anordnungen etwa von Behörden bewußt widersetzten. Solche Verweigerung konnte etwa darin bestehen, daß man seinen Sohn oder seine Tochter trotz mehrmaliger offizieller Intervention nicht zur HJ ["Hitler-Jugend"] oder zum BDM ["Bund Deutscher Mädel"] schickte. Oder darin, daß man trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Werksleitung die eigene Produktionsleistung nicht erhöhte.
Noch weitgehender, weil in der Tendenz noch mehr auf die generelle Ablehnung des Regimes ausgerichtet, ist der Protest. Er konnte sich immer noch auf eine Einzelmaßnahme beziehen, wie etwa in der Kampagne der Kirchen gegen die Euthanasie.
Als Widerstand würden wir in dieser langen Skala abweichenden Verhaltens dann jene Verhaltensformen bezeichnen, in denen das NS-Regime als Ganzes abgelehnt wurde, und Maßnahmen zur Vorbereitung des Sturzes des NS-Regimes im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des jeweils einzelnen Subjektes getroffen wurden.
Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Bund Verlag Köln 1982, S. 96 ff.
Regimegegner mussten im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich besondere Vorsicht walten lassen. Sie hatten sich vor der Polizei zu hüten, aber fast noch mehr vor ihren Nachbarn, die regimekritische Handlungen registrierten und vielfach bereitwillig meldeten. Viele Flugblätter der Opposition kennen wir heute nur aus den Akten der Verfolgungsbehörden, da sie von ihren Empfängern zwar gelesen, aber dann oftmals rasch bei der Polizei abgegeben wurden. Denunziationen führten in vielen Fällen zu Aktionen der Polizei oder der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gegen Menschen, die sich regimekritisch geäußert oder verhalten hatten.
Die Bereitschaft zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus beruhte auf einer individuellen, ganz persönlichen Entscheidung, zumeist sogar auf einer Reihe von Entschlüssen. In Interviews können viele ehemalige Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer oftmals einen genauen Punkt benennen, an dem Regimekritik oder Opposition in aktive Gegnerschaft umschlug. Viele andere können dies jedoch weder auf eine konkrete Einzelentscheidung noch auf einen genauen Zeitpunkt festlegen.
Gruppenbildung und Vernetzung waren unter den Bedingungen der Diktatur keine einfachen Vorhaben, sondern häufig komplex ablaufende Vorgänge, in deren Verlauf sich die Beteiligten erst einmal kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen mussten. Das gemeinsame Milieu, die gemeinsame Alterskohorte, gemeinsame Interessen – all diese Faktoren konnten Menschen zusammenführen. Die Gruppenbildung erfolgte vielfach in einer gemeinsamen Suche nach politischer und weltanschaulicher Übereinstimmung. Persönliche und politische Diskussionen gingen ineinander über. In diesen Diskussionen wurde vor allem das Informationsmonopol der Diktatur in Frage gestellt. Es ging darum, Informationen auszutauschen, sie mit der Propaganda der Diktatur zu vergleichen und sich so ein eigenes Bild von den politischen Prozessen der Gegenwart zu machen. Dabei wurde oft der eigene politische Standort – in Abgrenzung vom nationalsozialistischen System – bestimmt, bevor weitere Aktionen erfolgten. "Gegenöffentlichkeit" – so klein sie auch sein mochte – war ein Ziel, das mit Flugblättern oder Wandparolen erreicht werden sollte.
Widerstand wird so als Prozess einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen deutlich. Die Geschichte des Widerstands zeigt aber auch das Spannungsfeld, in dem die Deutschen in der NS-Zeit standen. Es reicht von Begeisterung, Anpassung und Nachfolgebereitschaft zu Distanz, Opposition und Widerstand.
Die Vielfalt und Breite der Widerstandsformen führen dazu, dass der Begriff des Widerstands gegen den Nationalsozialismus nur schwer in theoretische Modelle oder eine harmonisierende Zusammenschau zu fassen ist. Hinzu kommt, dass der Widerstandsbegriff nach 1945 in der politischen wie in der wissenschaftlichen Diskussion oftmals umstritten war. Jede Modellbildung kann hier anregend sein, niemals jedoch die genaue historische Analyse ersetzen.
Gerade in der Kriegsphase spiegelte sich in vielfältigen Aktionen des Widerstands und des Protests gegen die nationalsozialistische Diktatur auch der Zerfall einer Gesellschaft, die mit dem militärischen Zusammenbruch zugleich auf ihre gesellschaftliche Katastrophe zutrieb.
Es kann der Widerstandsforschung und der wissenschaftlichen Zeitgeschichte nur gelingen, die Vielfalt dieser Erscheinungen wahrzunehmen, wenn sich die Forschenden die Offenheit des Blicks und die Unbefangenheit des Urteils bewahren, aber auch den Willen haben, das ganze Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Im Widerstand wird dann die Alternative zur Anpassung und zur Folgebereitschaft der meisten Deutschen sichtbar. Und dies wiederum weist durchgängig darauf hin, dass Zivilcourage und Teilhabe, die heute so selbstverständlich erscheinen, niemandem in den Schoß fallen.
QuellentextWas Widerstand bedeutet (III)
Der Begriff Widerstand ist stets umstritten gewesen. In der Regel bezeichnet das Wort Widerstand Reaktionen eines Menschen oder von Gruppen auf Machtmißbrauch, Verfassungsbruch und Menschenrechtsverletzungen. Deshalb erscheint Widerstand immer dann als geboten oder gerechtfertigt, wenn Grundsätze des modernen Naturrechts oder Grundprinzipien einer demokratischen, freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung gegen Übergriffe verteidigt werden sollen.
Weil sich Widerstand vor allem auf die Verteidigung einer menschenwürdigen Ordnung bezieht, hängt die innere Anerkennung des Widerstands von der Formulierung der Grenzen und Ziele des Staates ab, deren Gefährdung und Verletzung widerständiges Verhalten notwendig macht. In der Regel wird Widerstand durch Attribute präzisiert. Dadurch soll deutlich gemacht werden, daß Widerstand als eine Form abweichenden Verhaltens ein breites Verhaltensspektrum abdeckt – vom passiven Widerstand und der Verweigerung über die innere Emigration, den ideologischen Gegensatz und die bewußte Nonkonformität zum Protest, zur offenen Ablehnung und schließlich zur Konspiration, die sich sowohl auf die gedankliche Vorbereitung der Neuordnung nach dem Ende des NS-Staates konzentrieren konnte als auch versuchen mußte, aktiv den Umsturz des Regimes vorzubereiten und durchzuführen.
Widerstand bezeichnet ein breites Verhaltensspektrum, dessen Voraussetzungen in Vorbehalten gegenüber dem Regime (Resistenz), in der inneren Kraft zur bewußten Distanzierung von den politischen Konventionen der Zeit und in der Befähigung zur Bewahrung traditional vermittelter Wertvorstellungen liegen. Im Verständnis der Deutschen wird der Begriff Widerstand vor allem durch die Erfahrungen der NS-Zeit bestimmt. Widerstand bezeichnet in diesem Zusammenhang jedes aktive und passive Verhalten, das sich gegen das NS-Regime oder einen erheblichen Teilbereich der NS-Ideologie richtete und mit hohen persönlichen Risiken verbunden war.
Peter Steinbach / Johannes Tuchel, Widerstandsbegriff, in: Dies. (Hg.), Lexikon des Widerstandes 1933–1945, 2. durchgesehene Auflage, C. H. Beck München 1998, S. 240 f.
Warnungen vor dem Nationalsozialismus
Nach dem Ende des Kaiserreichs im November 1918 prägten Aufstände und Putschversuche die ersten Jahre der Weimarer Republik. In der Bevölkerung wie unter deren politischen Vertretern herrschte eine ausgeprägte Abneigung gegen politische und soziale Kompromisse, die das Entstehen eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins für ihren neuen, demokratischen Staat verhinderte.
Erst 1924 begann eine Phase relativer Stabilität und innenpolitischer Ruhe, die bis 1929 andauerte. Verbunden mit wirtschaftlichem Aufschwung führte sie zu einer Blütezeit in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Eine Zwiespältigkeit zwischen Fortschritt und Stagnation, demokratischem Ringen und Anarchie, Moderne und Beharren auf Tradition kennzeichnete die "Goldenen Zwanziger". Technischer Fortschritt und künstlerische Experimentierfreudigkeit beflügelten das Lebensgefühl.
Dies alles endete mit der im Oktober 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, in der Armut und Verzweiflung um sich griffen. Die regierenden Parteien entzogen sich ihrer Verantwortung und waren unfähig, stabile Koalitionen zu bilden. Tief verwurzeltes autoritäres Gedankengut und antisemitische Überzeugungen beeinflussten die Wertvorstellungen der Gesellschaft. In dieser Situation entfesselten die Gegner der Weimarer Republik von rechts und links eine beispiellose Agitation gegen den Staat, der keine Mittel gegen die wirtschaftliche und politische Krise fand.
Von Walter Klingenbeck gemaltes „Victory“-Zeichen, München-Bogenhausen 1941
Der 1924 geborene Münchener Mechanikerlehrling verbreitet 1941 gemeinsam mit Freunden Nachrichten, die sie beim Abhören ausländischer "Feindsender" erfahren haben. Zudem malt Klingenbeck auf Hauswände und Straßenschilder mit schwarzer Ölfarbe das "Victory"-Zeichen, ein Symbol für den Sieg der Alliierten. Er wird im September 1942 vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 in München-Stadelheim enthauptet. (© Barch, R3017/3828)
Von Walter Klingenbeck gemaltes „Victory“-Zeichen, München-Bogenhausen 1941
Der 1924 geborene Münchener Mechanikerlehrling verbreitet 1941 gemeinsam mit Freunden Nachrichten, die sie beim Abhören ausländischer "Feindsender" erfahren haben. Zudem malt Klingenbeck auf Hauswände und Straßenschilder mit schwarzer Ölfarbe das "Victory"-Zeichen, ein Symbol für den Sieg der Alliierten. Er wird im September 1942 vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 in München-Stadelheim enthauptet. (© Barch, R3017/3828)
Breite Initiativen zur Verteidigung der Demokratie blieben aus. Nur eine Massenorganisation bildete die Ausnahme: das 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der größte republikanische Schutzverband mit etwa drei Millionen Mitgliedern aus allen demokratischen Parteien und aus den Gewerkschaften. 1931 schlossen sich Mitglieder des Reichsbanners, der Arbeitersportverbände und der freien Gewerkschaften sowie der Sozialdemokraten zur Eisernen Front zusammen. Sie reagierten damit auf die antidemokratische und rechtsextreme Harzburger Front, die sich unter Beteiligung der Nationalsozialisten im November 1931 zusammengefunden hatte. Die Eiserne Front wollte verhindern, dass aus der Republik ein autoritärer Staat wurde. Doch die Arbeiterbewegung der Weimarer Republik war gespalten. Die Kommunisten bekämpften die als "sozialfaschistisch" diffamierte Sozialdemokratie mit mindestens ebenso viel Energie wie den aufkommenden und immer stärker werdenden Nationalsozialismus.
Einzelne Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler warnten frühzeitig, jedoch erfolglos, vor dem Nationalsozialismus. "Daß der Nazi dir einen Totenkranz flicht: Deutschland, siehst du das nicht?", fragte Kurt Tucholsky 1930 in seinem Gedicht "Deutschland, erwache". Carl von Ossietzky, der Herausgeber der Zeitschrift "Weltbühne", schrieb Ende 1931: "Die gleiche Not, die alle schwächt, ist Hitlers Stärke. Der Nationalsozialismus bringt wenigstens die letzte Hoffnung von Verhungernden: den Kannibalismus. Man kann sich schließlich noch gegenseitig fressen." Kritik am Antisemitismus übte der liberale Politiker und spätere Bundespräsident Theodor Heuss in seinem 1932 erschienenen Buch "Hitlers Weg. Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozialismus". Ihm fehlte jedoch das Vorstellungsvermögen dafür, mit welcher Brutalität und Mordlust die Absichten der NSDAP ab 1933 in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollten.
Im Sommer 1932 entmachtete schließlich Reichskanzler Franz von Papen die demokratisch legitimierte preußische Regierung und besiegelte so das Schicksal der Weimarer Republik. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den "Führer" der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Als seine Gegner erkannten, dass er die endgültige Zerstörung der Weimarer Republik betrieb, verfügte Hitler bereits über die entscheidenden Machtmittel zur Errichtung einer Diktatur.
Fritz Gerlich
Der 1883 geborene Journalist Fritz Gerlich leitete zwischen 1920 und 1928 die Münchner Neuesten Nachrichten, eine Vorgängerzeitung der heutigen Süddeutschen Zeitung.
Unter dem Eindruck des Hitlerputsches vom November 1923 entwickelte sich der engagierte Katholik zu einem scharfen Kritiker und Gegner Adolf Hitlers. 1930 übernahm Gerlich das Wochenblatt "Illustrierter Sonntag", das ab 1932 unter dem programmatischen Titel "Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht" erschien.
Gestützt auf seine eigenen Informationsquellen und Interna der NS-Bewegung wandelte er die Zeitung in ein Kampfblatt gegen den Nationalsozialismus um. Ab Herbst 1932 berichtete er wiederholt über Zerwürfnisse in der NSDAP-Spitze und Putschpläne aus den Reihen der SA.
Am 9. März 1933 wurde Gerlich in der Redaktion von SA-Leuten misshandelt und festgenommen, am 13. März wurde "Der gerade Weg" verboten. Nach 16-monatiger Haft wurde Fritz Gerlich in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 in das KZ Dachau verlegt und dort erschossen.
"Der Nationalsozialismus ist eine Pest! […] Nationalsozialismus aber bedeutet: Feindschaft mit den benachbarten Nationen,Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg,Völkerkrieg. Nationalsozialismus heißt: Lüge, Haß, Brudermord und grenzenlose Not. Adolf Hitler verkündigt das Recht der Lüge. […] Ihr, die ihr diesem Betruge eines um die Gewaltherrschaft Besessenen verfallen seid, erwacht! Es geht um Deutschlands, um Euer, um Eurer Kinder Schicksal."
Wahlaufruf von Dr. Fritz Gerlich, "Der gerade Weg", Nr. 31
Kurt Schumacher
Der 1895 geborene Kurt Schumacher studierte von 1915 bis 1919 Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte 1920. Noch während des Studiums schloss er sich 1918 der SPD an.
Von 1920 bis 1930 politischer Redakteur der "Schwäbischen Tagwacht", stieg er zum Repräsentanten der Stuttgarter Sozialdemokratie auf. Leidenschaftlich setzte er sich für die gefährdete Weimarer Republik ein. Mehrere Jahre war er Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Stuttgart.
Im September 1930 wurde Kurt Schumacher Abgeordneter im Deutschen Reichstag. Als dort am 23. Februar 1932 Joseph Goebbels die SPD als "Partei der Deserteure" beschimpfte, antwortete er mit einer Stegreifrede, die noch heute als eine der schärfsten Attacken gegen den Nationalsozialismus gilt.
Im Juli 1933 wurde Schumacher festgenommen. Es folgte ein fast zehnjähriger Leidensweg durch Gefängnisse und Konzentrationslager. Nach dem Krieg war Kurt Schumacher zwischen 1946 und seinem Tod 1952 SPD-Parteivorsitzender.
"Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. […] Wenn wir irgendetwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm zum ersten Mal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist. […] Abschließend sage ich den Herren Nationalsozialisten: Sie können tun und lassen, was sie wollen; an den Grad unserer Verachtung werden sie niemals heranreichen."
Aus der Reichstagsrede des sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Kurt Schumacher vom 23. Februar 1932
Carl von Ossietzky
Der 1889 geborene Journalist Carl von Ossietzky war zwischen 1911 und 1922 Mitarbeiter und Redakteur verschiedener Wochen- und Tageszeitungen und ab 1919 Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft. Bewaffnete Auseinandersetzungen lehnte er kategorisch ab und trat für das Prinzip der Gewaltlosigkeit ein. Die von ihm ab 1927 geleitete politische Zeitschrift "Die Weltbühne" war das wichtigste Medium gegen den deutschen Militarismus und übte scharfe Kritik am obrigkeitsstaatlichen Denken und an der politischen Justiz.
Im März 1933 wurde "Die Weltbühne" verboten. Anfang April 1933 wurde Carl von Ossietzky vom Polizeigefängnis Berlin-Spandau in das Konzentrationslager Sonnenburg verlegt und dort schwer misshandelt. Seine Schriften fielen im Mai 1933 der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer. Mitte Februar 1934 setzte sich Ossietzkys Leidensweg im emsländischen Konzentrationslager Esterwegen fort. Anfang November 1936 musste der Schwerkranke nach Berlin verlegt werden.
Kurz darauf erhielt der engagierte Pazifist und Demokrat rückwirkend für 1935 den Friedensnobelpreis. Die Nationalsozialisten verboten ihm, zur Preisverleihung nach Oslo zu reisen. Sie forderten ihn zur Ablehnung des Preises auf, was Carl von Ossietzky jedoch standhaft verweigerte. Er starb am 4. Mai 1938 in der Klinik Nordend in Berlin-Weißensee an den Folgen der Haft.
"Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache. Wie man aber später von uns denken wird, ist so wichtig wie, daß man an uns denken wird. […] Ein Deutschland, das an uns denkt, wird ein besseres Deutschland sein."
Bemerkung von Carl von Ossietzky gegenüber einem Mithäftling im KZ Esterwegen