Goldene Zwanziger Jahre
Nachdem die Weimarer Demokratie die totalitäre Herausforderung von links und rechts abgewehrt hatte, folgte die "hochkonjunkturelle Mittelphase der Republik" (Hans-Ulrich Wehler). Diese Jahre von 1924 bis 1929 waren durch wirtschaftliche Stabilität gekennzeichnet und zugleich durch eine enorme Vielfalt künstlerischer, kultureller und auch wissenschaftlicher Leistungen. In der Weimarer Zeit gingen insgesamt 14 Nobelpreise in den Kategorien Chemie, Physik und Medizin an deutsche Wissenschaftler, darunter 1921 an Albert Einstein. 1929 bekam Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur.
Geprägt war diese Zeitspanne durch eine wahre Explosion an Kunst und Kultur, ein ekstatisches neues Lebensgefühl und neue Formen der Massenkultur. Der Ausgangspunkt für die "Roaring Twenties" waren die USA, jener Staat, der als die eigentliche Siegermacht des Weltkriegs nun eine zunehmend prominentere Rolle auf der Weltbühne spielte. Von dort kam die Jazzmusik, die zu Beginn des Jahrhunderts in den Südstaaten der USA entstanden war und vor allem von Afroamerikanern gespielt wurde. 1927 entstand in den USA der erste Tonfilm. Josephine Baker war der erste afroamerikanische Weltstar. Mit 19 Jahren kam sie 1925 zur Uraufführung der "Revue Nègre" nach Paris und machte den Charleston, einen exaltierten und provokativen Gesellschaftstanz, in Europa populär. Am 14. Januar 1926 trat Baker erstmals in Berlin auf. Ihre Tanzdarbietungen, bei denen sie zumeist äußerst spärlich bekleidet auftrat, erregten großes Aufsehen und zogen Auftrittsverbote, unter anderem in München und Wien, nach sich.
Die deutsche Hauptstadt bot die Bühne für radikale künstlerische Experimente, Ausschweifungen aller Art, eine homosexuelle Subkultur und Raum für das "dritte Geschlecht". Der gleichnamige Roman des Schriftstellers Ernst von Wolzogen und das 1904 veröffentlichte Sachbuch des Sexualforschers Magnus Hirschfeld "Berlins drittes Geschlecht" erfreuten sich großer Popularität. Beliebt waren zudem die Modedroge Kokain, Nachtclubs, Großkinos, Varietés und Tanzlokale, wie das 1926 eröffnete "Moka Efti", das durch die Fernsehserie "Babylon Berlin" jüngst zu Nachruhm gekommen ist.
Alfred Döblin beschrieb in seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" (1929) in expressiver Sprache die Geschichte des Lohnarbeiters Franz Biberkopf, der versucht, sich nach seiner Haftentlassung eine neue Existenz aufzubauen, dabei im Moloch der Großstadt aber erneut auf die schiefe Bahn gerät. 1927 produzierte Fritz Lang seinen monumentalen expressionistischen Stummfilm "Metropolis", der eine Zweiklassengesellschaft in einer futuristischen Großstadt zeigt. Die Oberschicht lebt in absolutem Luxus, während die Arbeiterklasse in großen unterirdischen Hallen an riesigen Maschinen schuftet, um dieses Luxusleben zu ermöglichen.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, hier an Berlin zu denken. Die Stadt hatte durch die Schaffung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin 1920 ihre Fläche verdreizehnfacht und war nun flächenmäßig nach Los Angeles die zweitgrößte Stadt der Welt. Berlin war Europas größte Industriestadt, Unternehmen wie die Borsig-Maschinenbau-Werke, die pharmazeutische Firma Schering, die Agfa, Herstellerin für chemische Präparate zu fotografischen Zwecken, und der Elektrokonzern AEG wurden hier gegründet. Die Maschinen- und Telegrafenbau-Fabrik Siemens & Halske-AG prägte einen ganzen Stadtteil, die "Siemensstadt", Berlin wandelte sich von "Spreeathen" zu "Spreechicago" (Walther Rathenau). 1924 wurde der Flughafen Tempelhof eröffnet, im gleichen Jahr fand erstmals die Internationale Funkausstellung statt.
Neue Sachlichkeit
Nicht nur in Berlin entstanden große Fabriken mit modernen Maschinen und hoher Produktivität durch den Einsatz von Fließbändern nach amerikanischem Vorbild. Mit dieser neuen Lebenswelt der Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte sich die Kunstrichtung der Neuen Sachlichkeit. Eisenstahlkonstruktionen und Industrieanlagen rückten ins Bild, aber auch die Wohnquartiere der Bergarbeiter. Riesige Fabriken mit weit aufragenden Schornsteinen waren die Kathedralen der Moderne.
Künstler wie George Grosz oder Otto Dix stellten die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen ins Zentrum ihrer Arbeit. Auch Max Beckmann, der bedeutendste deutsche Maler jener Zeit, hat sich in vielen Arbeiten mit dem politischen Umbruch 1918/19 auseinandergesetzt und beispielsweise die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dargestellt. Viele Schriftsteller machten soziale und wirtschaftliche Fragen zum Thema. Ein bedeutender Vertreter der Neuen Sachlichkeit war Hans Fallada, sein Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932), der die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen in den Blick nahm, brachte ihm Weltruhm ein.
Neue Formen der Literatur kamen auf. Dazu gehörte die von Bertolt Brecht so bezeichnete "Gebrauchslyrik", die nicht durch ihre Schönheit berühren, sondern durch Denkanstöße gesellschaftliche Veränderungen erzielen wollte. Neu war auch das Genre des Zeitromans, dessen besonders markantes Beispiel, Erich Maria Remarques Werk "Im Westen nichts Neues" (1929), die Schrecken des Ersten Weltkriegs noch einmal lebendig werden ließ. Dazu kam die Reportageliteratur, deren bekanntester Vertreter der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch war.
Der Ausdruck Neue Sachlichkeit, den der Kunsthistoriker Georg Friedrich Hartlaub prägte und der 1925 einer Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim den Titel gab, bezeichnete die vorherrschenden Tendenzen der nachexpressionistischen Epoche so treffend, dass der Begriff sich rasch einbürgerte und auch auf alle anderen Kunstbereiche Anwendung fand. Die Neue Sachlichkeit war der genuine Stil der Weimarer Republik.
Neues Bauen
Ihre größte internationale Ausstrahlung hatte die Weimarer Kultur zweifellos im Gebiet der Architektur. Das betraf nicht nur die Stadtplanung und die Projekte zur Linderung der Wohnungsnot, sondern auch die Formensprache des neuen Bauens. Diese Formensprache verkörperte beispielhaft das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Bauhaus, das Architektur und Design maßgeblich beeinflusst hat. Ebenfalls 1919 erschien das Buch "Neues Bauen. Grundlagen zur praktischen Siedlungstätigkeit" des Berliner Architekten Erwin Anton Gutkind, dessen Titel der neuen Bewegung den Namen gab.
Es wurden neue Werkstoffe wie Glas, Stahl und Beton eingesetzt, Rationalisierung und Typisierung sollten ein kostengünstigeres Bauen ermöglichen. Dabei wurden, vor allem seitens sozialdemokratisch geführter Stadtverwaltungen, verstärkte Anstrengungen unternommen, auch für den ärmeren Teil der Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen. Der Nachholbedarf war enorm, weil der Wohnungsbau in den Jahren 1914 bis 1923 angesichts von Krieg und Inflation nahezu vollständig zum Erliegen gekommen war.
In Berlin entstanden unter dem Stadtbaurat Martin Wagner ab 1926 in sechs Jahren fünf Großsiedlungen, unter anderem die Hufeisensiedlung und die Ringsiedlung Siemensstadt. Insgesamt wurden in seiner Amtszeit 140.000 Sozialwohnungen gebaut. In Frankfurt am Main realisierte der Architekt und Stadtplaner Ernst May zwischen 1925 und 1930 das "Neue Frankfurt" mit 12.000 Wohnungen. Der Deutsche Werkbund errichtete unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe in Stuttgart die Weißenhofsiedlung. Der Architekt und Bauunternehmer Bernhard Borst ließ in München die Borstei erbauen, eine Wohnsiedlung mit eigenem Heizkraftwerk, Großwäscherei, Großküche und eigenem Postamt. Ernst May holte die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky nach Frankfurt, die, geleitet von der Idee, die Arbeitsabläufe zu optimieren und Platz zu sparen, eine Küche entwarf, die als "Frankfurter Küche" berühmt wurde und gewissermaßen die Urform der modernen Einbauküche darstellt.
Aufbegehren gegen gesellschaftliche Konventionen
Hatte sich schon im Kaiserreich eine moderne Industriegesellschaft entwickelt, so setzte sich die kulturelle Moderne erst in der Weimarer Republik durch. Das galt für die Hochkultur genauso wie für die Massenmedien, für die Stadtplanung wie für die Pädagogik, für die Gesundheitspolitik wie für die Emanzipation der Frau. Ein typisches Zeitphänomen waren die "Flapper" (dt.: Flatternde), junge Frauen, die kurze Röcke und kurze, zu einer "Bubikopf"-Frisur geschnittene Haare trugen, in der Öffentlichkeit rauchten, auch vor hochprozentigem Alkohol nicht zurückschreckten und sich selbstbewusst über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzten.
QuellentextDas Erscheinungsbild der modernen Frau
Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung waren kurze Röcke, Seidenstrümpfe und der Bubikopf weit verbreitet und in der Bevölkerung überwiegend akzeptiert.
Von früheren und späteren Richtungen unterschied sich die Mode der zwanziger Jahre in mehrfacher Hinsicht: Die konventionelle Unterscheidung zwischen Mann und Frau war oft ebenso verwischt wie die Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Frauen, und insgesamt ging es um eine Aufhebung der individuellen Rollendifferenzen sowie der damit korrespondierenden traditionellen Vorstellungen. Diese Einstellung manifestierte sich am deutlichsten im Bubikopf, weniger ausgeprägt in der Rocklänge und praktisch gar nicht in Seidenstrümpfen, die darüber hinaus für viele Menschen einen unerreichbaren Luxus darstellten.
Erich Fromm, Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches (1929), zitiert nach: Die Erste Republik. Dokumente zur Geschichte des Weimarer Staates. Herausgegeben von Peter Longerich, Piper Verlag München 1992, S. 220 f.
Erich Fromm (1900–1980), in eine streng jüdische Familie geboren, war ein deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe. Bereits seit Ende der 1920er-Jahre vertrat er einen humanistischen, demokratischen Sozialismus. 1933 verließ er Deutschland und emigrierte 1934 in die USA. Er schrieb u.a. die Bestseller "Die Kunst des Liebens" 1956 und "Haben oder Sein" 1976.
QuellentextDie Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe, 1929
Allmählich dämmert bei der politisch organisierten Arbeitsfrau, bei der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterin das Bewußtsein auf, daß die Enttäuschungen, die die Ehe oder das freie Liebesverhältnis ihnen bereitet haben, nicht durch persönliches Schicksal allein heraufbeschworen wurden, sondern daß neben dem wirtschaftlichen Druck immer noch die ungünstige Stellung der Frau im Familienleben auf ihr persönliches Glück zerstörend einwirkt.
[…]
"Mein Verlobter lässt es absolut nicht gelten, daß ich eigene Meinungen habe, ich darf keine andere Meinung haben als er", erklärt eine gewerkschaftlich organisierte jüngere Arbeiterin, die nach der Kameradschaftsehe sich sehnt und um Ratschläge bittet.
Sie sieht ein, wie wenig sich ein kameradschaftliches Verhältnis mit der Herrschsucht ihres Verlobten verträgt und ist vor die schwere Wahl gestellt, entweder auf den Mann, den sie liebt, oder auf die persönliche Würde zu verzichten. "Wie hartnäckig mußte ich in den ersten zwei Jahren meiner Ehe mit meinem Manne kämpfen, um meinen geistigen Interessen nachgehen zu dürfen", berichtet die junge Frau eines Bahnarbeiters, und ihr von Genugtuung strahlendes Gesicht beweist, wie schwer es ihr fiele, der Ehe dieses Opfer zu bringen.
Diese und viele ähnliche Beispiele, die sich anführen ließen, beweisen, daß die Proletarierin der jungen Generation dem Manne als ebenbürtige Kameradin zur Seite stehen und von ihm als solche geachtet werden will. In diesem zielbewußten Streben, das zunächst die weibliche Elite der Arbeiterschaft, dann aber immer weitere Schichten erfaßt, bekundet sich die tiefste Umwälzung in den Beziehungen zwischen Frau und Mann, die die Geschichte jemals aufzuweisen hatte.
Aus einem Eigentumsobjekt, aus einer Gebärmaschine und Haushälterin, aus einem geschlechtlichen Genußobjekt verwandelt sich die Frau in einen selbstbewußten Menschen, der die Eigenart des eigenen Geschlechtes entfalten will und die seelische Gemeinschaft mit dem Manne anstrebt. Anstelle des Kampfes der Geschlechter, der bisher zu einer körperlichen und seelischen Unterjochung der Frau führte, soll die Kameradschaft der Geschlechter treten.
Judith Grünfeld, Mütter und Töchter, in: Frauenwelt, Juni 1929, zitiert nach: Die Erste Republik. Dokumente zur Geschichte des Weimarer Staates. Herausgegeben von Peter Longerich, Piper Verlag München 1992, S. 234 f.
Der schon vor dem Krieg gegründete Deutsche Bund für Mutterschutz und Sexualreform wurde zum Träger einer außerparlamentarischen Protestbewegung gegen den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs (StGB) zum Schwangerschaftsabbruch, dessen Abschaffung allerdings nicht gelang. Eine Gesetzesnovelle vom 18. Mai 1926 hielt am Abtreibungsverbot fest, stufte jedoch Abtreibung vom Verbrechen zum Vergehen herab, was wesentlich milder bestraft wurde. Im Jahr darauf ging das Reichsgericht noch einen Schritt weiter und erklärte in einem Urteil eine Abtreibung, die ein Arzt aus medizinischen Gründen vornahm, unter dem Gesichtspunkt der Güterabwägung für zulässig. In enger Zusammenarbeit mit dem Magnus-Hirschfeld-Institut kämpfte der Deutsche Bund für Mutterschutz und Sexualreform auch für die Straffreiheit der Homosexualität. Hier scheiterten indes alle Reformbemühungen an den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen.
Massenmedien
Die Populärkultur der Weimarer Republik war gekennzeichnet durch die modernen Massenmedien, die damals an Wirkungsmacht gewannen und vielfach bis heute das Alltagsleben beeinflussen. Der Film etablierte sich als Massenmedium. Es gab 5000 Kinos in Deutschland, die täglich von zwei Millionen Menschen besucht wurden. In den 1920er-Jahren wurden in Deutschland mehr Filme produziert als in allen anderen europäischen Staaten zusammen. Hier wirkten Regisseure wie Friedrich Wilhelm Murnau, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Josef von Sternberg, die ihre Karriere in Hollywood fortsetzten und dort einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des amerikanischen Films leisteten. Zu nennen ist auch Billy Wilder, der 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen musste.
QuellentextMarlene Dietrich
Marlene Dietrich (1901–1992) begann ihre Karriere in ihrer Geburtsstadt Berlin am Theater und in Stummfilmen. Sie gehörte zu den wenigen Schauspielerinnen, die dann ohne jede Schwierigkeit sofort zum Tonfilm wechselten, und hatte bereits 1930 ihren internationalen Durchbruch mit dem Film "Der blaue Engel" von Josef von Sternberg.
Im April 1930 reiste Dietrich in die USA und unterschrieb bei der Filmgesellschaft "Paramount Pictures" einen Sieben-Jahres-Vertrag. Mit Sternberg, der damals bereits seit Längerem in Hollywood lebte, drehte Dietrich noch sechs weitere Filme. In "Marokko", dem ersten dieser Filme, war Gary Cooper ihr Partner. Sie trat als Sängerin im Smoking auf und küsste eine andere Frau. Die Rolle brachte ihr eine Oskar-Nominierung ein, löste aber auch einen Skandal aus.
Marlene Dietrich galt seit ihrer Rolle in "Der blaue Engel" als Sexsymbol, ihre langen Beine waren ihr Markenzeichen. In den USA perfektionierte sie ihr Aussehen und wurde eine der großen Stilikonen des 20. Jahrhunderts. Ihre weit geschnittenen "Marlene-Hosen" wurden von vielen Frauen kopiert. Der Smoking, den sie in "Marokko" getragen hatte, war bis dahin ein Männern vorbehaltenes Kleidungsstück gewesen. Dietrich zeigte sich auch privat gerne in Anzug und Krawatte, ihr männlicher Kleidungsstil verlieh ihr eine androgyne Ausstrahlung, die auf Frauen und Männer gleichermaßen anziehend wirkte und zu ihrem großen Erfolg als Schauspielerin beitrug.
1936 schickte Joseph Goebbels Emissäre nach Hollywood, die Dietrich für jeden Film, den sie in Deutschland drehen würde, 200.000 Reichsmark Honorar bei freier Wahl des Stoffes, des Produzenten und des Regisseurs anboten, und zu ihr sagten: "Das Reich braucht Sie." Dietrich antwortete ihnen kühl: "Aber ich brauche nicht das Reich." 1937 war sie ein letztes Mal vor 1945 in Deutschland, lehnte aber Filmangebote der Nationalsozialisten erneut ab und erwarb 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Im Jahr zuvor hatte sie ihren europäischen Hauptwohnsitz nach Paris verlegt, um Flüchtlinge aus Deutschland und emigrierende Künstler besser unterstützen zu können. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg unterbrach sie ihre Tätigkeit als Schauspielerin, trat stattdessen vor amerikanischen Truppen in Nordafrika, Italien und Frankreich auf und besuchte auch verwundete Soldaten in den Lazaretten. US-Präsident Harry S. Truman verlieh Dietrich 1947 dafür die "Medal of Freedom", die höchste amerikanische Auszeichnung für Zivilpersonen. 1950 ernannte der französische Präsident sie zum Ritter der Ehrenlegion.
Nach dem Krieg drehte Dietrich noch einige Filme, darunter 1957 "Zeugin der Anklage" mit Billy Wilder. Überwiegend trat sie jedoch als Sängerin auf der Bühne auf, immer wieder auch in Deutschland, wo sie einerseits gefeiert, andererseits als "Vaterlandsverräterin" diffamiert wurde. Seit 1976 lebte sie äußerst zurückgezogen in Paris, wo sie nach langer Krankheit 1992 im Alter von 90 Jahren starb. Auch nach ihrem Tod gab es noch Kontroversen um die "Vaterlandsverräterin". Zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2001 entschuldigte sich das Land Berlin offiziell für die Anfeindungen. Im Jahr darauf erhielt sie postum die Ehrenbürgerschaft Berlins.
Das Radio, das zuvor schon zur Übermittlung von Nachrichten eingesetzt worden war, nahm im Oktober 1923 seinen Sendebetrieb auf. Zuerst gab es nur 10.000 Teilnehmer, zehn Jahre später waren es dann schon 5,4 Millionen.
Das wichtigste Massenmedium war nach wie vor die Presse, die sich schon im 19. Jahrhundert entwickelt hatte. 1928 gab es in Deutschland 3356 Tageszeitungen, davon allein 147 in Berlin. Allerdings hatten nur 26 Zeitungen, also weniger als ein Prozent, eine Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren. Große Pressehäuser waren Mosse, Ullstein und Scherl. Während die Verlage Mosse und Ullstein der demokratischen Republik positiv gegenüberstanden, geriet der konservative Verlag von August Scherl in Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten schon 1916 unter die Kontrolle von Alfred Hugenberg, der damals noch bei Krupp tätig war. Nach Kriegsende hatte er die DNVP mitbegründet und zehn Jahre später wurde er ihr Vorsitzender. Mit großem Geschick baute Hugenberg den Scherl Verlag zu einem nationalistisch-antidemokratisch ausgerichteten Konzern aus, dem nicht nur etliche Zeitungen gehörten, sondern der darüber hinaus mit seinem Korrespondenz-Dienst nahezu die Hälfte aller deutschen Zeitungen mit Nachrichten belieferte (siehe auch Quellentext zu Interner Link: Alfred Hugenberg weiter unten).
Mit der Entwicklung des Fotojournalismus gewannen auch illustrierte Zeitungen zunehmend an Bedeutung. Die "Berliner Illustrirte Zeitung" (BIZ), die im Ullstein Verlag erschien, gab es schon seit 1894. In den 1920er-Jahren erreichte sie eine Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren. Während die BIZ eine unpolitische Zeitung war, spielten andere illustrierte Blätter eine wichtige Rolle im politischen Kampf. Im November 1921 erschien erstmals die Monatsschrift "Sowjet-Russland im Bild", die 1924 in "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (A-I-Z) umbenannt wurde. Herausgeber war der Verleger Willi Münzenberg, Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der KPD und Reichstagsabgeordneter.
QuellentextWilli Münzenberg
Willi Münzenberg kam 1889 als Sohn eines Gastwirtes zur Welt. Nachdem er selbst nur eine unregelmäßige Schulbildung genossen hatte, trat er 1906 einem Arbeiterbildungsverein bei und übernahm nach einem Jahr dessen Vorsitz.
Münzenberg ging nach Berlin und schloss sich dort der KPD an. Im November 1919 wurde er zum Vorsitzenden der neu gegründeten Kommunistischen Jugendinternationale, einer Unterorganisation der Komintern, gewählt. Am 12. August 1921 wurde in Berlin die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) gegründet. Vorausgegangen war ein Aufruf Lenins, der angesichts einer Dürre- und Hungerkatastrophe im Wolgagebiet um internationale Unterstützung warb.
Nachdem Lenin Münzenberg mit der Organisation der IAH beauftragt hatte, gründete dieser für die Öffentlichkeitsarbeit der IAH die Monatsschrift "Sowjet-Russland im Bild". Schon bald nahm die Redaktion auch Berichte auf, die die deutschen Verhältnisse thematisierten, und 1922 bekam die Zeitschrift den Titel "Sichel und Hammer". Zu den regelmäßigen Mitarbeitern gehörten George Grosz, Maxim Gorki, George Bernard Shaw und Käthe Kollwitz.
Unter Münzenbergs Leitung hatte die Zeitschrift einen beachtlichen Erfolg, die Auflage stieg von anfänglichen 10.000 auf 180 000 Exemplare im Jahr 1924, sie erschien nun im großen Format jede zweite Woche und bekam den Namen "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (A-I-Z). Sie war das proletarische Gegenstück zur bürgerlichen "Berliner Illustrirten Zeitung" und wurde bald zur führenden sozialistischen Illustrierten in Deutschland. Neben politische Themen und aktuelle Reportagen traten literarische Beiträge, für die Münzenberg wichtige Autoren wie Anna Seghers, Erich Kästner und Kurt Tucholsky gewann. 1926 wurde auf wöchentliches Erscheinen umgestellt, die Auflage stieg bis 1933 auf über 500.000 Exemplare. (Im Exil erschien die Zeitschrift unter sehr viel bescheideneren Verhältnissen noch bis 1938.)
Für den Vertrieb der A-I-Z baute Münzenberg eine Organisation mit mehreren tausend Mitarbeitern auf. 1926 erwarb er die Zeitung "Welt am Abend", deren Auflage er in kurzer Zeit von 3000 auf über 100.000 Exemplare zu steigern vermochte. 1928 gründete er gemeinsam mit Heinrich Zille die satirische Zeitschrift "Eulenspiegel", 1931 die Tageszeitung "Berlin am Morgen" sowie die Illustrierte "Der Weg der Frau", die mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren sehr erfolgreich war.
Mit der Verleihgesellschaft "Prometheus" und der "Weltfilm" sicherte sich Münzenberg das alleinige Vertriebsrecht für sowjetische Filme. Er war gewissermaßen der Propagandachef der Komintern für die westliche Welt. Es gelang ihm, mit der "Kosmos-Verlag GmbH" für die KPD ein Medienimperium aufzubauen, das nach dem Hugenberg-Konzern das größte in Deutschland war.
Nach dem Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar 1933 emigrierte Münzenberg nach Paris, gründete den Verlag "Éditions du Carrefour" und setzte so sein publizistisches Engagement gegen den Nationalsozialismus fort. Unter anderem erschien dort das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror", das Alexander Abusch und Albert Norden herausgaben. In dieser Zeit begann er, sich von der stalinistischen Linie der Komintern zu lösen und übte vorsichtig Kritik an den Moskauer Schauprozessen. 1938 wurde er aus dem ZK und im Jahr darauf auch aus der KPD ausgeschlossen.
Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Münzenberg mit anderen Emigranten im Mai 1940 in Paris interniert und bald darauf nach Südwestfrankreich verlegt. Dort wurde er einer Arbeitskompagnie zugeteilt, die unter Aufsicht eines französischen Regiments Dienst tat. Als die deutschen Truppen näherkamen, wurde das Arbeitslager evakuiert. Die Internierten setzten ihre Flucht bald in kleinen Gruppen fort, am 21. Juni wurde Münzenberg zum letzten Mal lebend gesehen. Den schon halb verwesten Leichnam des einstigen "roten Pressezaren" fanden zwei Jäger erst im Oktober. Bis heute ist nicht geklärt, ob er von der Gestapo oder von sowjetischen Agenten ermordet wurde oder sich vielleicht selbst das Leben genommen hat.
Münzenberg war so etwas wie der kommunistische Gegenspieler Hugenbergs und tatsächlich gelang es ihm, das nach dem Scherl Verlag zweitgrößte Medienunternehmen in Deutschland aufzubauen. Noch erfolgreicher als die A-I-Z war "Der rote Stern", eine illustrierte Beilage, die einer Vielzahl von kommunistischen Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von mehr als 600.000 Exemplaren beigelegt wurde. Am entgegengesetzten Ende des politischen Spektrums war der "Illustrierte Beobachter" angesiedelt, der seit 1926 im nationalsozialistischen Eher Verlag in München als Ergänzung zum "Völkischen Beobachter" erschien, aber vor 1933 nur eine eher bescheidene Rolle spielte.
Wirtschaftliche Stabilisierung und politische Verschiebung nach rechts
Reichstagswahlen Mai 1924
Die Wahl vom 4. Mai 1924 war die erste nach den schweren Auseinandersetzungen mit den Radikalen von links und rechts, die den demokratischen Konsens grundsätzlich in Frage gestellt hatten. Diese Auseinandersetzungen hatten ihre Spuren hinterlassen. Alle Parteien, die sich in den Jahren zuvor an der Regierung beteiligt und so den angegriffenen Staat repräsentiert hatten, mussten Stimmenverluste hinnehmen.
Die NSDAP war verboten, aber ihre Funktionäre kandidierten für die Nationalsozialistische Freiheitspartei (NSFP), einer Listenverbindung mit Abtrünnigen aus der DNVP. Das Bündnis erzielte einen beachtlichen Erfolg mit 6,5 Prozent der Stimmen und 32 Mandaten, darunter zehn für die Nationalsozialisten. Auch die DNVP selbst konnte einen starken Stimmenzuwachs verzeichnen. Sie erreichte 19,5 Prozent und stellte, knapp hinter der massiv geschwächten SPD, nunmehr die zweitstärkste Fraktion im Deutschen Reichstag.
Das Lager der rechten Feinde der Republik war also ganz erheblich angewachsen. Gleichzeitig mussten die gemäßigten bürgerlichen Parteien, mit Ausnahme des Zentrums, deutliche Verluste hinnehmen. Ihre schwindende Bindungskraft zeigte sich auch darin, dass 8,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Splitterparteien entfielen und die Wahlbeteiligung rückläufig war.
Das linke Lager verlor etwa zwei Millionen Stimmen, wobei es zu einer starken Verschiebung innerhalb der verbliebenen Wählerschaft kam. Die beiden sozialdemokratischen Parteien hatten die stärkste und die zweitstärkste Fraktion gestellt, die SPD mit 102 und die USPD mit 84 Abgeordneten. Inzwischen war die USPD marginalisiert und nicht mehr im Reichstag vertreten, wovon die SPD aber nicht profitierte. Sie kam diesmal sogar nur auf 100 Sitze. Die KPD dagegen erreichte 12,6 Prozent der Stimmen und konnte die Zahl ihrer Abgeordneten von 4 auf 62 steigern.
Hätte die Wahl einige Monate früher stattgefunden, wäre die Wählerwanderung zu den politischen Rändern wahrscheinlich noch extremer ausgefallen. Inzwischen war eine gewisse Beruhigung eingetreten. Dennoch war die Regierung von Wilhelm Marx (Zentrum), die sich auf Zentrum, DDP und DVP stützte, von einer parlamentarischen Mehrheit weit entfernt und verfügte, selbst wenn sie von der oppositionellen SPD unterstützt wurde, nur über eine fragile Mehrheit von zwei Stimmen. Das Kabinett Marx, es war bereits das zehnte seit 1919, hatte deshalb auch nicht sehr lange Bestand und schon im Dezember wurden die Wählerinnen und Wähler erneut zu den Urnen gerufen.
Dawes-Plan
Vom 12. November bis zum 22. Dezember 1923 hatte der Bankier Hjalmar Schacht, der bis dahin in der Privatwirtschaft tätig gewesen war, als Reichswährungskommissar amtiert, bevor er dann zum Präsidenten der Reichsbank ernannt wurde. Ihm gelang es, durch die Einführung der Rentenmark die Hyperinflation zu beenden. Das war ein entscheidender Schritt zur Stabilisierung der deutschen Währung.
Damals verhandelte Schacht bereits seit einigen Monaten mit den Alliierten, um eine Reduzierung der Reparationslasten zu erreichen. Er vertrat die zutreffende Auffassung, dass das Deutsche Reich die Reparationen nur aus seinen Exporterlösen bezahlen konnte und dafür durfte die Last nicht zu groß sein. Nach einer Reihe von Konferenzen, die zunächst ergebnislos blieben, lenkte Frankreich schließlich auf Druck Großbritanniens und der USA ein.
Am 16. August 1924 wurde der Dawes-Plan verabschiedet, der seinen Namen dem amerikanischen Bankier Charles Dawes verdankt. Er sah jährliche Zahlungen in Höhe von einer Milliarde Reichsmark vor, die bis 1928 auf 2,5 Milliarden ansteigen sollten. Zur Finanzierung dieser Zahlungen stellten insbesondere amerikanische Banken Kredite zur Verfügung. Eine Transferschutzklausel sollte verhindern, dass die deutsche Zahlungsbilanz überfordert wurde. Geldbeträge für Reparationen sollten nur dann ins Ausland transferiert werden, wenn sie die Golddeckung der Reichsmark nicht gefährdeten. Die Rückzahlung kommerzieller Schulden hatte Vorrang vor dem Transfer der Reparationen, sodass Deutschland trotz seiner Reparationsverpflichtungen kreditwürdig blieb.
Insgesamt flossen bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 circa 21 Milliarden an Krediten nach Deutschland, wobei es sich großenteils um kurzfristig zur Verfügung gestellte Gelder handelte. Das konnte in einer Krisensituation zu einem gewaltigen Problem werden, weil keine ausreichenden Mittel für die fälligen Rückzahlungen vorhanden sein würden.
Doch zunächst einmal war es ein großer Fortschritt, dass der Dawes-Plan von dem Grundsatz ausging, die Reparationszahlungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands anzupassen. Außerdem sagte Frankreich ein Ende der Ruhrbesetzung zu, sodass im Reichstag sogar ein Teil der DNVP-Abgeordneten für die Annahme des Plans stimmte. Schacht war es gelungen, Deutschlands Kreditwürdigkeit wiederherzustellen. Und der amerikanische Bankier Charles Dawes, der der Alliierten Reparationskommission angehört hatte und der maßgeblich am Zustandekommen des Abkommens mitgewirkt hatte, erhielt 1925 für seine Arbeit den Friedensnobelpreis. Im gleichen Jahr wurde er auch Vizepräsident der USA.
Reichstagswahlen Dezember 1924
Nach der Annahme des in London verabschiedeten Dawes-Plans durch den Reichstag stieg erneut der Druck rechtskonservativer Kreise auf Reichskanzler Wilhelm Marx, sich nicht länger von der Tolerierung durch die Sozialdemokraten abhängig zu machen und seine Regierung nach rechts hin zu erweitern. Marx, der auf Ausgleich bedacht war, strebte eher eine große Koalition unter Einbeziehung sowohl der SPD als auch der DNVP an. Doch diese Idee erwies sich schon bald als irreal, denn die beiden Parteien wollten nichts miteinander zu tun haben. Die Fortsetzung der bisherigen Minderheitsregierung bot andererseits keine sichere Perspektive, sodass der Reichstag aufgelöst wurde und am 7. Dezember 1924 Neuwahlen stattfanden.
Das Wahlergebnis reflektierte die Tatsache, dass sich das Land im Lauf des Jahres deutlich stabilisiert hatte. Ausländisches Kapital strömte ins Land, die Zahl der Arbeitslosen hatte sich fast halbiert, die Löhne stiegen. Die Parteien der Weimarer Koalition konnten allesamt Stimmen dazugewinnen, am meisten die Sozialdemokraten, die sich von 20,5 auf 26 Prozent verbesserten. Dafür verloren die Kommunisten mehr als ein Viertel der Stimmen und auch die Listenverbindung aus Völkischen und Nationalsozialisten stürzte von 6,5 auf 3 Prozent ab, wovon die DNVP aber nur in geringem Maß profitierte.
Insgesamt verbesserten sich SPD, DDP und Zentrum/BVP von 42,8 auf 49,6 Prozent und hätten damit auch nach Sitzen eine knappe absolute Mehrheit im Parlament gehabt. Aber die Weimarer Koalition ließ sich nicht wiederherstellen. Da Marx der alternativen Lösung eines Rechtsblocks skeptisch gegenüberstand, gab er den Auftrag zur Regierungsbildung an Reichspräsident Ebert zurück. Dieser beauftragte stattdessen den früheren Essener Oberbürgermeister Hans Luther, der parteilos war und später der DVP beitrat.
Luther bildete eine Regierung aus Zentrum/BVP, DVP und DNVP. Die weit rechtsstehende DNVP, die erstmals an einer Reichsregierung beteiligt war, stellte wie das Zentrum vier Minister, unter anderem den Innen-, Finanz- und Wirtschaftsminister. Reichswehrminister war Otto Geßler, der damals noch der DDP angehörte, die Partei aber im Jahr darauf verließ. Im siebten Jahr der Republik war Luther bereits der neunte Reichskanzler. Er sollte vierzehn Monate im Amt bleiben und in dieser Zeit dem elften und zwölften Kabinett vorstehen.
Die Republik hatte sich wirtschaftlich stabilisiert, aber politisch hatten sich die Gewichte bereits so weit nach rechts verschoben, dass eine solche Regierungsbildung plausibel erschien. Ausgerechnet aus diesen Wahlen, die die demokratischen Parteien eindeutig gestärkt hatten, ging die "erste offene Rechtsregierung" (Heinrich August Winkler) hervor, an der Feinde der Republik beteiligt waren.
Tod von Reichspräsident Ebert
Friedrich Ebert war während seiner gesamten Amtszeit einer stetig anschwellenden Flut von Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt, gegen die er sich unermüdlich vor den Gerichten zur Wehr setzte. Das war sehr mühsam, weil diese Gerichte sehr häufig noch mit Richtern aus der Kaiserzeit besetzt waren, die Demokratie und Republik ablehnten.
Ein besonders schwerer Schlag traf ihn am 23. Dezember 1924, als die von ihm verklagten Redakteure der "Mitteldeutschen Presse" zwar wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark verurteilt wurden, das Amtsgericht Magdeburg aber zugleich feststellte, dass Ebert durch seinen Eintritt in die Streikleitung im Januar 1918 objektiv Landesverrat begangen habe. Dieses Urteil war "politischer Rufmord" (Walter Mühlhausen). Indem es den Reichspräsidenten zum Landesverräter stempelte, beschädigte das Gericht zugleich das vom ihm repräsentierte demokratische Gemeinwesen.
Die Regierung von Wilhelm Marx, der die SPD nicht angehörte, stellte sich demonstrativ auf die Seite des Reichspräsidenten. Zahllose Politiker, Wissenschaftler und Intellektuelle gaben Solidaritätserklärungen ab. Gleichwohl war das Skandalurteil Munition für die Feinde der Demokratie. Und Ebert, für den 1924 ohnehin ein schwieriges Jahr gewesen war, hatte große Bedenken, bei der 1925 anstehenden Neuwahl des Reichspräsidenten noch einmal zu kandidieren.
Das Skandalurteil setzte Ebert aber auch persönlich zu. Bereits an Weihnachten 1924 hatte er sich unwohl gefühlt. Am 28. Februar verstarb er dann an einer verschleppten und zu spät erkannten Blinddarmentzündung. Die Trauerfeierlichkeiten begannen am 4. März mit einer Kundgebung vor dem Reichspräsidentenpalais. Nach einem Stopp vor dem Reichstag wurde der Sarg zum Potsdamer Bahnhof gebracht und von dort in Eberts Heimatstadt Heidelberg überführt. Bezeichnend für die politische Lage war, dass es im Deutschen Reichstag eine höchst unwürdige Debatte über die Beerdigungskosten gab, bei der sich Nationalsozialisten und Kommunisten mit wüsten Beschimpfungen des Verstorbenen gegenseitig überboten.
Paul von Hindenburgs Wahl zum Reichspräsidenten
Reichspräsidentenwahlen 1925 (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 50 072)
Reichspräsidentenwahlen 1925 (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 50 072)
Am 29. März 1925 fand die Wahl von Eberts Nachfolger statt, es war zugleich die erste Direktwahl des Reichspräsidenten. Für den rechtsgerichteten "Reichsblock" – bestehend aus der DVP, der DNVP und der Reichspartei des deutschen Mittelstandes – kandidierte der ehemalige Reichsinnenminister und Oberbürgermeister von Duisburg Karl Jarres (DVP). Sein wichtigster Opponent war der Ministerpräsident von Preußen Otto Braun (SPD). Das katholische Lager war gespalten. Für das Zentrum kandidierte der frühere Reichskanzler Wilhelm Marx, für die BVP der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held. Die DDP stellte den badischen Staatspräsidenten Willy Hellpach auf, die KPD schickte den Hamburger Ernst Thälmann ins Rennen.
Da kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit erreicht hatte, wurde für den 26. April ein zweiter Wahlgang angesetzt. Im Lager der ehemaligen Weimarer Koalition schloss man einen Kompromiss. Hellpach zog als schwächster Kandidat zurück. Das Zentrum unterstützte die erneute Wahl Otto Brauns zum preußischen Ministerpräsidenten, die am 3. April erfolgte, und die SPD akzeptierte im Gegenzug Marx als gemeinsamen Kandidaten für die Reichspräsidentschaft.
Wilhelm Marx hatte 1923 die Inflation beendet und war mit einer Amtszeit von etwas mehr als drei Jahren der am längsten amtierende Reichskanzler der Weimarer Republik. Gegen ihn hätte Jarres kaum eine Chance gehabt. Das war auch dem rechten Lager klar. Deshalb hielt es nach einem attraktiveren Kandidaten Ausschau und fand ihn in dem 77-jährigen pensionierten Feldmarschall Paul von Hindenburg.
Doch selbst Hindenburg hätte sich gegen Marx wohl nicht durchgesetzt, wenn ihm nicht ein folgenschwerer Umstand zu Hilfe gekommen wäre: Die Abneigung zwischen den beiden katholischen Parteien war so tief, dass sie seit 1920 im Reichstag keine Fraktionsgemeinschaft mehr bildeten. Daher rief die deutlich konservativere BVP jetzt nicht zur Wahl von Marx auf, sondern schloss sich dem "Reichsblock" an und unterstützte Hindenburg. So gestärkt gewann der Feldmarschall die Wahl mit einem knappen Vorsprung. Mit Paul von Hindenburg trat ein Mann an die Spitze des Staates, der ein bekennender Monarchist war, das demokratisch-republikanische System entschieden ablehnte und von sich behauptete, er habe seit der Lektüre der Felddienstordnung nie wieder ein Buch zur Hand genommen.
QuellentextTheodor Wolff über die Reichspräsidentenwahl am 27. April 1925 im Berliner Tageblatt
Die Republikaner haben eine Schlacht verloren, der bisher monarchistische Feldmarschall von Hindenburg wird Präsident der deutschen Republik.
Berliner Tageblatt vom 25.4.1925, zitiert nach: Die Erste Republik. Dokumente zur Geschichte des Weimarer Staates. Herausgegeben von Peter Longerich, Piper Verlag München 1992, S. 218 f.
Theodor Wolff (1868–1943) war langjähriger Chefredakteur des legendären "Berliner Tageblatts". 1933 musste er vor den Nazis ins französische Exil fliehen, wo er verhaftet und der Gestapo ausgeliefert wurde. Er starb 1943 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. Mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis erinnert der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. (BDZV) an ihn.
Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert war 1919 als Vertreter der stärksten Partei zum Reichspräsidenten gewählt worden. Er hatte sich im Amt redlich gemüht, der Demokratie zu Ansehen zu verhelfen und als Präsident aller Deutschen unparteiisch zu agieren. Hindenburg war dagegen ein "Exponent altpreußischständischen Denkens, dessen Selbstverständnis durch die gesellschaftlichen und politischen Wandlungen im Laufe seines langen Lebens nicht berührt wurde" (Horst Möller).
Noch vor der Revolution von 1848 geboren, verkörperte der Weltkriegsheld Hindenburg die Welt von vorgestern. Er wurde von genau jenen Kräften unterstützt, die zunächst mit Gewalt versucht hatten, die verhasste Demokratie zu überwinden, und nun erkannt hatten, dass es wesentlich Erfolg versprechender war, die Rückkehr zu autoritären Verhältnissen legal und mithilfe einer Gallionsfigur, die im Volk großes Ansehen besaß, zu realisieren. Durch Hindenburgs Wahl gewannen die präsidialen Elemente der Reichsverfassung zunehmend an Gewicht. Seine Wahl war eine "empfindliche Niederlage der demokratischen Republik" (Eberhard Kolb/Dirk Schumann).
Von der Konferenz von Locarno bis zur Weltwirtschaftskrise
Konferenz von Locarno
Das Deutsche Reich hatte mit dem Vertrag von Rapallo einen ersten wichtigen Schritt aus der internationalen Isolation getan. Trotz des Misstrauens, das dieser Vertrag bei den Westmächten zunächst ausgelöst hatte, gelang drei Jahre später ein weiterer, noch bedeutenderer außenpolitischer Erfolg. Inzwischen gab es ein Einverständnis darüber, die Interessen der jeweils anderen Seite ernst zu nehmen.
Im Oktober 1925 wurden in Locarno, einem Ort im schweizerischen Tessin, insgesamt sieben völkerrechtliche Vereinbarungen ausgehandelt, durch die die Siegermächte ihre Beziehungen zu Deutschland wieder normalisieren wollten. Frankreich und Belgien gegenüber erkannte Deutschland seine gegenwärtige Westgrenze an, womit es den Anspruch auf die Wiedergewinnung Elsass-Lothringen offiziell aufgab. Es akzeptierte auch die dauerhafte Entmilitarisierung des Rheinlands. Letzteres bedeutete aber umgekehrt auch, dass die Alliierten ihre Besatzungstruppen aus dem Rheinland nach und nach abzogen. Großbritannien und Italien fungierten als Garantiemächte für diese Vereinbarungen und verpflichteten sich, im Konfliktfall dem jeweils Angegriffenen zu Hilfe zu kommen.
Mit Polen und der Tschechoslowakei, Staaten, die nach dem Krieg entstanden waren, schloss das Deutsche Reich Schiedsverträge, die eine gewaltsame Veränderung der gemeinsamen Grenzen ausschlossen. Anders als im Westen wurde die Ostgrenze von Deutschland aber nicht als unabänderlich anerkannt, Deutschland behielt sich vielmehr ausdrücklich die Möglichkeit einer Revision vor. Frankreich anerkannte die Souveränität von Polen und der Tschechoslowakei und verpflichtete sich im Fall eines deutschen Angriffs zum Beistand. Die insgesamt sieben Vereinbarungen sollten die Grundlagen für eine langfristige europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur schaffen.
QuellentextDenkschrift Gustav Stresemanns über die deutsche Polenpolitik vom 19. April 1926
[…] Es ist zu begrüßen, daß sich maßgebende Kreise für die deutsch-polnische Grenzfrage interessieren und Verständnis dafür zu gewinnen scheinen, daß die Lösung dieser Frage nicht nur die wichtigste Aufgabe unserer Politik, sondern vielleicht die wichtigste Aufgabe der europäischen Politik überhaupt ist. Die Mitwirkung Englands ist eine unerläßliche Voraussetzung für eine Lösung auf friedlichem Wege, und nur eine solche kommt für uns in Betracht. [...]
1. Eine friedliche Lösung der polnischen Grenzfrage, die unseren Forderungen wirklich gerecht wird, wird nicht zu erreichen sein, ohne daß die wirtschaftliche und finanzielle Notlage Polens den äußersten Grad erreicht und den gesamten polnischen Staatskörper in einen Zustand der Ohnmacht gebracht hat. Solange sich das Land noch irgendwie bei Kräften befindet, wird keine Polnische Regierung in der Lage sein, sich auf eine friedliche Verständigung mit uns über die Grenzfrage einzulassen.
2. Aber auch ganz abgesehen von der polnischen Einstellung ist die allgemeine politische Stellung Deutschlands, insbesondere im Verhältnis zu den Westmächten, einstweilen noch zu schwach, als daß wir unsere politischen Wünsche hinsichtlich Polens in einem internationalen Gremium mit einiger Aussicht auf Erfolg geltend machen könnten. Wenn jetzt bei einem internationalen Sanierungsverfahren, etwa mit wohlwollender Unterstützung Englands, der Versuch einer Lösung der Grenzfrage gemacht würde, so würde diese Lösung, falls sie überhaupt zustande käme, doch nur so denkbar sein, daß das Ergebnis für Deutschland ein äußerst unzulängliches wäre. Unzulängliche Lösungen würden aber unsere Situation nur verschlechtern, weil damit einer tatsächlichen befriedigenden Lösung in gefährlicher Weise präjudiziert wäre.
[…]
Harttung, Arnold (Hg.): Gustav Stresemann Schriften. Mit einem Vorwort von Willy Brandt. Berlin, Berlin Verlag, 1976.
Zitiert nach: Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918–1933. Herausgegeben von Wolfgang Michalka / Gottfried Niedhart, dtv-Dokumente, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG München 1980, S. 188 f.
Der DNVP waren die deutschen Zugeständnisse zu groß und das für Deutschland in Locarno Erreichte zu gering, sie zog ihre Minister zurück und trat aus der Reichsregierung aus. Die Reichsregierung, die nun nur noch aus Zentrum/BVP und DVP bestand, konnte die erforderliche Mehrheit für die Annahme der Verträge bei der Abstimmung im Reichstag nur mit Hilfe der Oppositionsparteien DDP und SPD erreichen. Reichskanzler Hans Luther bildete daraufhin eine neue Regierung ohne die DNVP, an der dafür die DDP, nicht aber die SPD beteiligt war. Der deutsche Außenminister Stresemann und sein französischer Kollege Aristide Briand, die maßgeblich zum Zustandekommen der Verträge beigetragen hatten, erhielten im selben Jahr den Friedensnobelpreis.
Mit dem Vertragswerk durchbrach das Deutsche Reich endgültig seine außenpolitische Isolation. Es entsprach dem Geist der Vereinbarungen, dass der einstige Kriegsgegner Deutschland im September 1926 als ständiges Mitglied in den Völkerbund und auch in den diesem zugehörigen Völkerbundsrat aufgenommen wurde.
Der Völkerbund war auf Anregung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson im Januar 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz gegründet worden, wenngleich die USA ihm letztendlich nicht beitraten. Seinen Hauptsitz hatte er in Genf. Der Völkerbund war zunächst eine Organisation der Siegermächte. Er übernahm auch die Verwaltung der ehemaligen deutschen Kolonien, des von Frankreich verwalteten Saargebiets und Oberschlesiens sowie die Aufsicht über die Freie Stadt Danzig. Der Völkerbund leistete Beachtliches auf humanitärem Gebiet und auch in Fragen des nationalen Minderheitenschutzes. Aber bei internationalen Konflikten gelang es ihm kaum, schlichtend einzugreifen.
Auf der Abrüstungskonferenz, die 1932 in Genf begann, beharrten die deutschen Vertreter auf der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands. Am 11. Dezember 1932 anerkannten Frankreich, die USA, Großbritannien und Italien diese Forderung grundsätzlich, wollten sie aber vor allem durch eine allgemeine Abrüstung erreichen.
Adolf Hitler, dessen Außenpolitik auf militärische Expansion ausgerichtet war, lehnte den Völkerbund ab. Insbesondere wollte er keine internationalen Rüstungsbeschränkungen oder gar eine Kontrolle durch den Völkerbund akzeptieren. In einem mit den Reichstagswahlen vom 12. November 1933 verbundenen Plebiszit stimmten nach offiziellen Angaben über 95 Prozent der Deutschen für den Austritt. Die nationalsozialistische Propaganda stellte ihn als notwendigen Schritt zur Wiedergewinnung der deutschen Souveränität dar, die durch den Friedensvertrag von Versailles verloren gegangen sei.
Volksentscheid zur Fürstenenteignung
Die Besitztümer der Fürsten, die im Zuge der Novemberrevolution abgedankt hatten, waren beschlagnahmt, aber zunächst nicht enteignet worden. Artikel 153 Absatz 2 der Weimarer Verfassung garantierte den Schutz des Eigentums: "Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt."
Die Fürsten stellten oftmals offensive Forderungen und hatten dabei in der Mehrzahl der Fälle die monarchistisch gesinnten Gerichte auf ihrer Seite. Für Empörung sorgte insbesondere ein Urteil des Reichsgerichts vom 18. Juni 1925. Es hob ein Gesetz des inzwischen zu Thüringen gehörenden Landes Sachsen-Gotha als verfassungswidrig auf und erklärte die Einziehung des Domänenbesitzes für nichtig. Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik, sollte eine Entschädigung von 37,2 Millionen Reichsmark erhalten. Dieses Urteil sorgte für große Erbitterung in der Bevölkerung, die zu weiten Teilen unter Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger und unzumutbaren Wohnverhältnissen litt.
Die preußische Regierung verhandelte jahrelang mit dem Haus Hohenzollern, ohne dass es zu einer Einigung kam. Am 23. November 1925 brachte schließlich die DDP im Reichstag einen Gesetzentwurf ein. Dieser sollte die Länderparlamente zu gesetzlichen Regelungen ermächtigen, gegen die auf dem Rechtsweg nicht vorgegangen werden konnte. Das war ein konstruktiver Vorschlag, der auch bei der SPD auf Sympathie stieß. Doch zwei Tage später legte die KPD einen radikalen Gesetzentwurf vor, der die Stimmung im Lande aufgriff und keinen Interessenausgleich zwischen den Fürstenhäusern und den Ländern vorsah. Vielmehr sollten die Ländereien in den Besitz von Bauern übergehen, die Schlösser sollten künftig als Erholungsheime dienen und das Barvermögen der Fürsten den Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen zukommen.
Dieser Gesetzentwurf hatte angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse keine Chance, im Reichstag eine Mehrheit zu finden. Aber er war ein geschickter Schachzug der KPD, die ihre Initiative im Parlament mit einer großen Propagandakampagne begleitete. Die Inflation, die viele um ihre Ersparnisse gebracht hatte, war noch in lebhafter Erinnerung, und im November 1925 war die Zahl der Arbeitslosen in Folge eines Konjunktureinbruchs angestiegen. Am 4. Dezember wandte sich die KPD an SPD, ADGB, AfA, den Deutschen Beamten-Bund und das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", um sie für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Dieser in der "Roten Fahne" veröffentlichte Aufruf war ein erstes Ergebnis der neuen Einheitsfront-Taktik, zu der die KPD sich nach sowjetischer Kritik an ihrem ultralinken Kurs entschlossen hatte.
Die SPD reagierte zunächst zurückhaltend, schloss sich der Gesetzesinitiative aber an, als sich die Verhandlungen über ihre Beteiligung am zweiten Kabinett Luther zerschlugen. Im Januar 1926 brachten KPD und SPD im Reichstag gemeinsam einen Antrag auf die entschädigungslose Enteignung deutscher Fürstenhäuser durch einen Volksentscheid ein.
Im März 1926 wurde das Volksbegehren "Enteignung der Fürstenvermögen" durchgeführt. Von den 39,4 Millionen Stimmberechtigten trugen sich 12,5 Millionen in die Listen ein. Das war mehr als das Dreifache des erforderlichen Quorums von 10 Prozent. Selbst die Stimmenzahl von 10,6 Millionen, die KPD und SPD bei den letzten Reichstagswahlen erreicht hatten, war übertroffen worden, was vor allem daran lag, dass sich auch viele Wählerinnen und Wähler des Zentrums beteiligt hatten.
Am 6. Mai 1926 wurde der Gesetzentwurf dem Reichstag vorgelegt, dessen bürgerliche Mehrheit ihn erwartungsgemäß ablehnte. Nun folgte der eigentliche Volksentscheid. Diese zweite Hürde war wesentlich schwieriger zu nehmen, denn es mussten 50 Prozent aller Wahlberechtigten für das Gesetz stimmen, wenn es angenommen werden sollte, weil Hindenburg verfügt hatte, dass die Enteignung der Fürsten einer Verfassungsänderung gleichkomme. Tatsächlich beteiligten sich mit 15,6 Millionen etwa 39,3 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung. Von ihnen stimmten 14,5 Millionen mit Ja.
Das war für die Initiatoren ein beachtlicher Erfolg, reichte aber nicht für ein Gesetz zur Enteignung der Fürsten. In den folgenden beiden Jahren wurden in den meisten Ländern Vereinbarungen mit den Fürstenhäusern getroffen, die ihnen zwar großzügige Entschädigungen einbrachten, aber doch hinter den zunächst diskutierten Maximalforderungen zurückblieben.
Interessant war das Verhalten der NSDAP. Dort kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei. Die eher sozialrevolutionär gestimmte Arbeitsgemeinschaft der Nord- und Westdeutschen Gaue kam auf ihrer Arbeitstagung vom 24. Januar 1926 zu dem Ergebnis, dass die "ungeheure Notlage des deutschen Volkes" es nicht zulasse, den ehemaligen Fürsten Hunderte von Millionen Reichsmark an Entschädigung zu bewilligen.
Hitler dagegen pochte einmal mehr auf die Alleinstellung der nationalsozialistischen Bewegung und lehnte die Unterstützung des Volksbegehrens kategorisch ab. Die Klärung des innerparteilichen Streits brachte die Führertagung vom 14. Februar 1926, auf der Hitler erklärte: "Für uns gibt es heute keine Fürsten, sondern nur Deutsche." In der Fürstenenteignung sah er eine Ausplünderung des deutschen Volkes durch ein jüdisches Ausbeutersystem: "Erst mögen die nichtdeutschen ‚Fürsten‘ des Geldes, der Börse, des Handels und der Wirtschaft enteignet werden. Nur dann, wenn eine Gewähr gegeben ist, dass die Opfer an eingezogenen Gütern dem deutschen Volk zukommen, fallen unsere Bedenken."
QuellentextDie deutsche Industrie
[…] Vor dem Einbruch der "Großen Depression" [1929] hatte […] sich [die deutsche Industriewirtschaft], ungeachtet aller Hindernisse, jenem Wachstumstrend, der ihrem Potential entsprach, seit 1914 aber faktisch einen Knick erlebt hatte, wieder dicht angenähert […]. Das ist um so bemerkenswerter, als die Wirtschaftsstatistik von dem neuen Gebietsstand der Republik und das hieß: von dem Verlust des lothringischen und größtenteils auch des oberschlesischen Industriereviers, mithin von einer scharf reduzierten ökonomischen Basis auszugehen hatte. […]
Die Produktivität in der deutschen Industrie steigerte sich zwischen Kriegsende und Weltwirtschaftskrise um 100 Prozent, allein während der "goldenen Jahre" in einigen Führungssek-toren um 25 bis 40 Prozent. […]
Daß die Dynamik der alten und jungen Führungssektoren erhalten blieb, bezeugt ebenfalls die inhärente Wachstumskraft der deutschen Industrie. Von den klassischen Spitzenreitern der "Industriellen Revolution" seit den 1840er Jahren behielten der Maschinenbau, der Steinkohlenbergbau, die Eisen- und Stahlproduktion ihre prominente Rolle. Von den neuen Leitbranchen konnten die Elektrotechnische und die Chemische Industrie, die bereits zu den Motoren des ersten deutschen "Wirtschaftswunders" zwischen 1895 und 1913 gehört hatten, ihre Position ausbauen. Außerdem erlebte jetzt der Automobilbau einen steilen Aufstieg, mit dem er gewissermaßen seinen Anspruch auf den künftigen Spitzenrang anmeldete. […]
Nach dem Zerfall von Stinnes‘ megalomaner "Union" gingen im Mai 1926 aus zwölf hochintegrierten Unternehmen die "Vereinigten Stahlwerke" hervor – ein Gigant, der mit 800 Millionen Mark Nominalkapital und 173.000 Arbeitskräften in der globalen Hackordnung der größten metallproduzierenden Unternehmen dicht hinter "United States Steel" den zweiten Platz belegte. Unter der Leitung seines aggressiven Generaldirektors Albert Vögler kontrollierte dieser marktbeherrschende Konzern nicht nur sogleich 50 Prozent der deutschen Roheisen-, 42 Prozent der Rohstahl- und 40 Prozent der Walzstahlproduktion, sondern trieb auch noch den Ausbau neuer Kapazitäten voran.
Die Elektrotechnische Industrie wurde weiterhin von Siemens und der AEG dominiert. Bereits 1914 stellten diese beiden Branchenführer 75 Prozent der deutschen Produktion her und besaßen daher auch den Löwenanteil an dem Drittel der Weltproduktion, der Hälfte des Weltexports und jenen 1,7 Milliarden Mark Umsatz, den dieser Führungssektor vor 1914 insgesamt erwirtschaftet hat. Auf dem Binnenmarkt setzte sich ihr Aufstieg trotz des Krieges, ja zum Teil wegen seiner Produktionsimpulse weiter fort, und auf den Außenmärkten stellten die beiden Riesenunternehmen 1929 schon wieder 28 Prozent des Weltexports. Die letzte Bestandsaufnahme der Reichsstatistik hatte 1907 bei Siemens 153 Millionen Mark Kapital und 43.000 Arbeitskräfte ergeben, bei der AEG 100 Millionen Mark und 30.000 Beschäftige. 20 Jahre später war Siemens aber schon bei 217 Millionen und 116.000 Beschäftigten, die AEG bei 186 Millionen und 65.000 Mitarbeitern angelangt. […]
In der deutschen Chemischen Industrie hatte sich um 1900 das Führungsrudel jener acht Großunternehmen herausgebildet, die zusammen bis 1913 die Hälfte des Weltmarktes kon-trollierten, einen Umsatz von 2,4 Milliarden Mark erzielten und 290.000 Arbeitskräfte beschäftigten. Aus der "Kleinen IG Farbenindustrie" vor 1904 ging auf einer Elefantenhochzeit der sechs größten Betriebe im Januar 1926 die "Große IG" hervor, die mit 1,1 Milliarden Mark Nominalkapital – mithin noch kapitalstärker als die Reichsbahn – und 96.000 Arbeitskräften hinter "United States Steel" und der "Esso" als drittgrößter Konzern der Welt fungierte. Zusätzlich zu ihrer marktdominanten Position in Deutschland hat dieser Koloß nach kriegsbedingten Einbußen auf den wichtigsten Außenmärkten mit einer furiosen Anstrengung einen Großteil seines Terrains bis 1930 wiedergewonnen. […]
Andrerseits näherte sich ihre Marktmacht nicht selten dem Monopol oder zumindest doch einem Oligopol an, das die gefürchteten Merkmale der Wettbewerbseinschränkung, der Konsumentenausbeutung, der unbeweglichen Marktmacht aufwies. Es war diese fehlende Flexibilität, die zu den ökonomischen Strukturmängeln der Republik, auch und gerade seit 1929, erheblich beigetragen hat.
Will man sich […] die Hierarchie der 100 größten Unternehmen vergegenwärtigen, kann man auf die Reichsstatistik von 1927 zurückgreifen.
Die stärkste Spitzengruppe bildeten weiterhin trotz der Revierverluste im Osten und Westen die 22 vollintegrierten und -diversifizierten Mammutkonzerne der Eisen-, Stahl- und Metallproduktion. 13 hatten schon 1907, zehn sogar 1887 diese Gruppe erreicht. Allein sieben von ihnen gehörten jetzt den "Vereinigten Stahlwerken" an.
Der Maschinen- und Fahrzeugbau war von 13 auf 20 Unternehmen geklettert, während die Großchemie im Verlauf des Konzentrationsprozesses von 17 auf 13 geschrumpft und der Bergbau sogar von 23 auf neun Unternehmen abgesunken war, da viele Großzechen von der Metall-, der Chemischen und der Elektrotechnischen Industrie im Zuge der Integration gekauft worden waren. In der Elektrotechnik konnten Siemens und AEG ihre Führungsposition vor Bosch und Varta behaupten. Immerhin hielten sich noch zehn Textilbetriebe auf dem umkämpften Spitzenrang.
Die Führung hatte unbestritten die IG-Farben mit 1,1 Milliarden Mark Nominalkapital vor den "Vereinigten Stahlwerken" mit 800 Millionen Mark übernommen. Zusammen repräsentierten sie fast ein Drittel des Gesamtkapitals aller 100 größten Unternehmen. Wenn auch der Abstand zu den 98 anderen riesig groß war – selbst Siemens und AEG kamen nur auf 218 und 186, Krupp und Mannesmann auf 160, die "Deutsche Erdöl AG" als fünfte auf 100 Millionen Mark –, hatte sich doch das Durchschnittskapital seit 1907 verdoppelt. In 892 Großunternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten war ein Sechstel aller Erwerbstätigen in Industriebetrieben tätig; in den Mittel- und Kleinbetrieben waren es jeweils 20 Prozent. Die Überlebensfähigkeit vieler Großunternehmen in einer Zeit stürmischer Veränderungen war kräftig ausgeprägt, denn von den 100 größten Werken von 1887 erreichten 47 auch 1907 und 40 sogar 1927 die begehrte Führungsgruppe. Das hatten sie in hohem Maße ihrer erfolgreichen Integration und Diversifikation sowie dem Übergang zur kapitalstarken Aktionsgesellschaft, die unter dem Dach einer Holding die zentralen Funktionsabteilungen beherbergte, zu verdanken. Auf diese Weise waren sie ihren Zielwerten: Wachstumskontinuität und Produktivitätssteigerung, Konkurrenzfähigkeit und Wohlstandssteigerung trotz aller Fährnisse des Krieges kontinuierlich nähergekommen. […]
Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949, Verlag C.H. Beck, München 2003, S. 263–268.
Reichstagswahlen 1928
Die Reichstagswahlen von 1928 fanden nicht zum regulären Termin im September, sondern bereits am 20. Mai statt, weil die Regierung sich über ein neues Schulgesetz heillos zerstritten hatte. Die politische und wirtschaftliche Konsolidierung des Landes hatte nach den schwierigen Anfangsjahren ihren Höhepunkt erreicht und die Parteien der ehemaligen Weimarer Koalition konnten bei dieser Wahl beachtliche 46,8 Prozent der Stimmen gewinnen. Das lag vor allem am großen Erfolg der SPD, die sich auf 29,8 Prozent steigerte und mit 153 Abgeordneten die bei weitem stärkste Fraktion bildete. An zweiter Stelle stand die DNVP, die massive Verluste hatte hinnehmen müssen und 73 Abgeordnete stellte.
Noch einmal trat mit Hermann Müller ein Sozialdemokrat an die Spitze der Reichsregierung. Er blieb fast zwei Jahre im Amt und stützte sich auf eine Koalition aus SPD, DDP, Zentrum und BVP, verstärkt um die DVP, der mit Außenminister Gustav Stresemann das profilierteste Kabinettsmitglied angehörte. Stresemann war es auch wesentlich zu verdanken, dass diese Regierung überhaupt zustande kam. Sie war die letzte Regierung der Weimarer Republik, die sich auf eine Mehrheit im Reichstag stützen konnte, wobei allerdings mehrere Parteien dieser "latenten Großen Koalition" (Heinrich August Winkler) diverse Vorbehalte hatten. Tatsächlich kam es in den eindreiviertel Jahren der Regierung Müller immer wieder zu politischen Krisen und zu Umgruppierungen innerhalb des Kabinetts.
Die Parteien der bisherigen Bürgerblockregierung unter Wilhelm Marx erlitten – von der DNVP bis zur DDP – allesamt Verluste. Auf der anderen Seite zogen nicht weniger als sieben Kleinparteien in den Reichstag ein, die insgesamt 14 Prozent der Stimmen erreichten. Die größte war mit 23 Mandaten die Wirtschaftspartei des deutschen Mittelstandes. Aber auch die Landvolkbewegung hielt Einzug in den Reichstag. Diese Bewegung unzufriedener Bauern, die als Reaktion auf die wirtschaftliche Notlage zum Steuerboykott aufrief und auch vor Sprengstoffanschlägen auf Finanzämter nicht zurückschreckte, hatte in Schleswig-Holstein ihren Ursprung, breitete sich aber in weiten Teilen des Deutschen Reiches aus. Sie war mit drei regional organisierten Parteien zur Wahl angetreten und erreichte 19 Mandate.
QuellentextForderungen des Landvolkes von Schleswig-Holstein, 28. Januar 1928
Wir fordern:
1. Sofortige grundlegende Änderung unserer deutschen Handelspolitik mit dem klaren Ziel der "Nahrungsmittelfreiheit vom Auslande", das heißt, die deutsche Landwirtschaft wird durch gesicherte Inlandspreise in die Lage versetzt, aus deutschem Boden unser deutsches Volk zu versorgen.
Wir wissen, daß wir dazu in der Lage sind, ohne wesentliche Mehraufwendung für Lebenshaltung unseres Volkes.
Wir fordern Unterbindung jeglicher Einfuhr aller entbehrlichen Produkte, insbesondere aller Luxusartikel.
Wir wissen, daß weiteste Kreise unserer Wirtschaft alsdann sichere Stütze im Inlandsmarkt, vor allem durch die Landwirtschaft, finden.
Der deutsche Arbeiter soll und muß Lohn und Brot in ausreichender Weise durch deutsche Arbeit erhalten und unser gesamtes Volk seine sichere Ernährungsgrundlage innerhalb der deutschen Grenzen finden.
[…]
4. Sofortige Unterbindung der jetzigen hemmungslosen Ausgabenwirtschaft in Reich, Staat und Kommunen. Verbot jeglicher Anleihewirtschaft, auch wenn es sich um scheinbar lebenswichtige Maßnahmen handelt. Jegliche Erweiterung aller Aufwendungen öffentlicher Art muß in wirklich flüssigen, öffentlichen Mitteln, ohne neue wirtschaftliche Belastung, ihre volle Deckung finden.
Diese diktatorische Stellungnahme ist als Beispiel für alle Einzelwirtschaften öffentlich bekanntzugeben. […] Wir fordern:
5. Von der Presse Vermeidung jeglicher unserem Deutschtum abträglichen Fremdtümelei, Stärkung des Deutschgefühls, streng sachliche Beachtung der Belange deutscher Wirtschaft und weitgehende Raumgabe für Veröffentlichungen der Belange unserer Wirtschaft. Strengste Vermeidung jeglicher unsachlichen Kritik. […]
Zitiert nach: Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918–1933. Herausgegeben von Wolfgang Michalka / Gottfried Niedhart, dtv-Dokumente, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG München 1980, S. 247 ff.
Der Weltkrieg und die Hungerwinter der ersten Nachkriegsjahre hatten die Bauern in eine schwierige Lage gebracht. Die Inflation hatte ihre Betriebe zwar entschuldet, gleichzeitig aber ihre Sparguthaben vernichtet. Seit 1925 war das Deutsche Reich wieder an internationalen Handelsverträgen beteiligt und die Importe hatten eine nachlassende Inlandsnachfrage zur Folge. Die Agrarkrise und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 hatten einen allgemeinen Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte zur Folge. Dies alles führte zu einer Radikalisierung der ländlichen Bevölkerung, wobei in Schleswig-Holstein Überschwemmungen und Missernten die Situation verschlimmerten. Im Vergleich zur Zeit des Kaiserreichs erlitt der landwirtschaftliche Sektor einen Bedeutungsverlust, der die Bauern vom demokratischen System Weimars entfremdete.
Young-Plan
Fünf Jahre lang war das Deutsche Reich seinen im Dawes-Plan vorgesehenen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen. Doch auf Dauer erwiesen sich die als pragmatisch gedachten Konditionen als kaum erfüllbar. Unter Vorsitz des amerikanischen Industriellen Owen Young, der auch schon an den Beratungen über den Dawes-Plan teilgenommen hatte, wurde deshalb im Frühjahr 1929 in Paris ein neuer Zahlungsplan erarbeitet, der dem deutschen Wunsch nach Reduzierung der Belastungen entgegenkam.
Die Reparationssumme wurde nun auf 112 Milliarden Reichsmark mit einer Laufzeit bis 1988 festgelegt. Die durchschnittliche Jahresrate betrug zwei Milliarden Reichsmark. Reichsbahn und Reichsbank standen fortan nicht mehr unter ausländischer Kontrolle, die bisherige Einschränkung der deutschen Souveränität war damit aufgehoben. Außerdem erreichte Außenminister Stresemann die Zusicherung, dass das gesamte Rheinland bis zum 30. Juni 1930, also fünf Jahre früher als im Versailler Vertrag vorgesehen, von Besatzungstruppen geräumt werden sollte.
Der Young-Plan brachte zwar erhebliche Fortschritte für das Deutsche Reich, wurde aber dennoch zum Objekt einer intensiven Hasskampagne. Der nationalistische Medienunternehmer Alfred Hugenberg, der mit seinem Konzern die Hälfte der deutschen Presse kontrollierte, im Oktober 1928 Vorsitzender der DNVP geworden war und die Partei auf einen scharfen Rechtskurs brachte, nannte den Young-Plan eine "Maschinerie des Hochkapitalismus zur Unterjochung Deutschlands".
QuellentextAlfred Hugenberg
Der 1865 geborene Alfred Hugenberg, dessen Vater Mitglied des preußischen Landtags war, studierte in Göttingen, Heidelberg und Berlin und promovierte 1888 über die "Innere Colonisation im Nordwesten Deutschlands". Ab 1894 war er in der Ansiedlungskommission in Posen beschäftigt, die in dem Teil des Landes, der bei der polnischen Teilung 1815 Preußen zugeschlagen worden war, die Ansiedlung deutscher Familien fördern sollte.
Hugenbergs weitere Karriere entwickelte sich auf drei unterschiedlichen, aber miteinander verzahnten Feldern – Wirtschaft, Medien und Politik. Ab 1909 war er in leitender Position für die Friedrich Krupp AG tätig, ab 1912 auch Vorsitzender des Bergbauvereins und des Zechenverbandes sowie seit 1919 Mitglied im Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und im Vorstand der Vereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände.
1916 übernahm Hugenberg aber auch das Unternehmen des Berliner Großverlegers August Scherl. Als im November 1918 der Krieg zu Ende war, gehörte Hugenberg zu den Gründern der deutschnationalen DNVP, deren Politik er mit seinem Medienkonzern unterstützte. Umgekehrt gründeten Politiker der DNVP als gegenrevolutionäre Kraft 1919 die "Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte", deren Vorsitz Hugenberg übernahm.
Der Wirtschaftsvereinigung gehörten Industrievertreter und Vertrauensleute Hugenbergs an. Über eine zwischengeschaltete Treuhandgesellschaft und eine Privatbank fungierte sie als Dachgesellschaft des Hugenberg-Konzerns. Der Konzern umfasste Verlage, Pressedienste, Anzeigenvermittlungen sowie Materndienste, die Hunderte von Zeitungen mit fertig umbrochenen druckfähigen Vorlagen belieferten. Hugenberg war auch Aufsichtsratsvorsitzender der 1921 privatisierten Universalfilm AG (UFA), an der er einen Anteil hielt und die mit ihren 28 Tochtergesellschaften einen großen Teil der deutschen Filmproduktion bestritt. Auch die Wirtschaftsvereinigung war an der UFA beteiligt.
Damit gebot Alfred Hugenberg über ein Netzwerk, dessen Wirkungsmacht weit über das hinausging, was in den meist eher bescheidenen Wahlergebnissen der DNVP zum Ausdruck kam. Am 20. Oktober 1928 übernahm er den Vorsitz der Partei und führte sie konsequent in eine Fundamentalopposition gegen das bestehende demokratische System. Er verwaltete die Gelder der Ruhrlade, einer geheimen Vereinigung rheinischer Großindustrieller, die hohe Geldsummen an rechtsstehende Parteien spendeten.
Am 30. Januar 1933 trat Hugenberg als Minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung in das erste von Hitler geführte Kabinett ein. Er gehörte der Regierung auch nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 noch an, trat dann aber am 29. Juni 1933 von allen Minister- und Parteiämtern zurück. Ihm war inzwischen klargeworden, dass Hitler das Gesetz des Handelns an sich gerissen hatte und er nichts mehr zu sagen hatte. Eine bloße konservative Galionsfigur der Konservativen für das zunehmend gewalttätige NS-Regime wollte er nicht sein, blieb allerdings bis 1945 Mitglied des Deutschen Reichstags. Der größte Teil seiner Zeitungen wurde von NS-Verlagen übernommen. Nach dem Krieg verbrachte Hugenberg fünf Jahre in einem britischen Internierungslager. Er starb 1951.
Hugenberg bildete gemeinsam mit dem Alldeutschen Verband, den Vereinigten Vaterländischen Verbänden, rechten Splitterparteien, der im Dezember 1918 gegründeten antirepublikanischen Frontsoldatenorganisation "Stahlhelm" sowie prominenten Industriellen wie Fritz Thyssen und Albert Vögler ein Agitationskomitee gegen den Young-Plan, dem sich auch die NSDAP anschloss. Dieser "Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren gegen den Young-Plan und die Kriegsschuldlüge" sollte ein Volksbegehren gegen die Ratifizierung des Plans zustande bringen. Die rechten Systemgegner scheuten nicht davor zurück, sich eines basisdemokratischen Mittels der ungeliebten Weimarer Verfassung zu bedienen, wenn es helfen konnte, das demokratische System zu bekämpfen.
Der Gesetzentwurf, der Gegenstand des Volksbegehrens war, richtete sich "gegen die Versklavung des deutschen Volkes". Das sogenannte Freiheitsgesetz forderte eine Revision des Versailler Friedensvertrages, insbesondere die Außerkraftsetzung seines Artikels 231, nach dem das Deutsche Reich den Alliierten den Krieg "aufgezwungen" hatte und für "alle Verluste und alle Schäden verantwortlich" war, und lehnte weitere Reparationszahlungen rundheraus ab. Minister, die Vereinbarungen über die Umsetzung des Young-Planes unterschrieben, sollten wegen Landesverrats mit Zuchthausstrafen belegt werden. Das demagogische Machwerk trug die Handschrift Hugenbergs. Die Reichsregierung und womöglich sogar den Reichspräsidenten ins Zuchthaus zu schicken, war eine Forderung der NSDAP, die davon ihre Mitwirkung abhängig machte, sie ging selbst in der DNVP vielen zu weit.
Profiteure der Propagandaaktionen im Zusammenhang des Volksbegehrens waren vor allem die Nationalsozialisten, die zu dieser Zeit nur über sehr begrenzte publizistische Mittel verfügten. Nun spielten sie plötzlich eine wichtige Rolle und die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft beherrschten sie meisterhaft. Allein im Oktober 1929 hielt die NSDAP etwa 7000 Versammlungen ab.
Der Schulterschluss mit Männern wie Hugenberg, Thyssen und dem "Stahlhelm"-Führer Franz Seldte war für Hitler ein Prestigegewinn und trug dazu bei, ihn beim national gesinnten Bürgertum salonfähig zu machen. Nachdem das für das Volksbegehren notwendige Quorum von 10 Prozent knapp erreicht worden war, wurde der Gesetzentwurf am 28. September im Deutschen Reichstag eingebracht, am 30. November aber mit großer Mehrheit abgelehnt. Daraufhin fand am 22. Dezember der Volksentscheid statt, der allerdings ein für die Initiatoren eher klägliches Ergebnis erbrachte. Statt der erforderlichen 50 Prozent, hatten nur 13,5 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja gestimmt.
Gegen das Volksbegehren hatten sich Politiker verschiedener Parteien – von der SPD bis zur DVP – zu einem gemeinsamen Aufruf zusammengefunden. Hinzu kamen Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur und Wissenschaft wie der Maler Max Liebermann, der Schriftsteller Thomas Mann und der Physiker Albert Einstein. Hier artikulierte sich das demokratische Deutschland, das eine realistische Vorstellung davon hatte, wie das eigene Land mit friedlichen Mitteln wieder einen respektierten Platz in der internationalen Völkergemeinschaft gewinnen konnte.
Im Zug der folgenden Ereignisse überstieg allerdings bald auch der Young-Plan, der nur eine relativ geringe Absenkung der jährlich zu leistenden Zahlungen vorgesehen hatte, das deutsche Leistungsvermögen. Auf der Konferenz von Lausanne im Juni 1932 wurde der Plan offiziell ad acta gelegt. Es sollte lediglich noch eine symbolische Abschlusszahlung des Deutschen Reiches in Höhe von drei Milliarden Reichsmark erfolgen, die tatsächlich aber nie geleistet wurde.
Es gehört zur Tragik der Weimarer Republik, dass ihre demokratischen Politiker mit beachtlichem Erfolg die Interessen ihres Landes nicht zuletzt auch in der Frage der Reparationen vertraten und am Ende sogar eine Aufhebung des Zahlungsregimes erreichten und dennoch das demagogische Stigma der "Erfüllungspolitik" nicht loswurden.
Weltwirtschaftskrise
Das Jahr 1929 markiert das Ende einer Zeitspanne, die durch politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität gekennzeichnet war. Die Industrieproduktion, die 1919 gerade noch 38 Prozent des Vorkriegsniveaus erreicht hatte, übertraf 1929 mit 102 Prozent gerade einmal geringfügig den Stand von 1913. Doch im Jahr darauf ging es schon wieder signifikant abwärts.
Die Gründe dafür lagen aber nicht in Deutschland. Nachdem die Industrieproduktion in den USA bereits seit dem Frühjahr rückläufig war, erlebte die Welt am 24. Oktober 1929 den folgenreichsten Börsenkrach ihrer Geschichte. Dieser Tag ist als "Black Thursday" ("Schwarzer Donnerstag") bekannt. In Europa kennt man den Tag wegen der Zeitverschiebung als "Schwarzen Freitag". Der Absturz der Kurse hatte bereits im September begonnen und nahm im Oktober dramatische Formen an. Seinen tiefsten Punkt erreichte der Kursverfall erst am 8. Juli 1932. An diesem Tag lag der Dow-Jones-Index mit 41,22 Punkten um 89,19 Prozent unter seinem Höchststand vom 3. September 1929 mit 381,17 Punkten. Erst 25 Jahre später, am 23. November 1954, schloss der Index mit 382,74 Punkten wieder über dem Rekordstand von 1929.