Einleitung
Die Umweltpolitik der Europäischen Union (EU) hat in den letzten drei Jahrzehnten eine beachtliche Entwicklung durchlaufen. Seit Anfang der 1970er Jahre lässt sich eine Ausweitung umweltpolitischer Aktivitäten auf europäischer Ebene beobachten, die sich mittlerweile auf alle wichtigen Bereiche des Umweltschutzes erstrecken.
Anfänge der EU-Umweltpolitik
Als Beginn einer eigenständigen Umweltpolitik der EU kann die Pariser Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der damaligen Gemeinschaft vom Oktober 1972 angesehen werden. Sie verabschiedeten eine Erklärung zur Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik. Darin beauftragten sie die Europäische Kommission, ein Aktionsprogramm für den Umweltschutz auszuarbeiten. Die Mitgliedstaaten erteilten der Union damit erstmals ein umweltpolitisches Mandat. Die Tatsache, dass die EU eine Umweltpolitik betreiben sollte, war jedoch keineswegs selbstverständlich. Denn die Union war im Rahmen der Römischen Verträge von 1957 als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet worden. Abgesehen davon, dass Umweltprobleme zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema von politischer Bedeutung waren, ging es den Gründungsvätern der EU primär um die wirtschaftliche Integration. Entsprechend enthielten die Vertragsgrundlagen auch keinerlei umweltpolitische Handlungskompetenzen und Zuständigkeiten für die europäische Ebene.
Primat der Handelspolitik
Wie war es trotz dieser Ausgangsbedingungen möglich, dass die Umweltpolitik sich zu einem wichtigen Bereich auf europäischer Ebene entwickeln konnte? Man hat sich angesichts fehlender vertraglicher Ermächtigungen zunächst eines geschickten "Schachzuges" bedient: Umweltpolitik wurde als Handelspolitik "definiert"; ihre rechtliche Legitimation basierte somit weniger auf der Verwirklichung umweltpolitischer Ziele als auf der Beseitigung wirtschaftlicher Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten.
So wurde argumentiert, dass es aufgrund unterschiedlicher Umweltvorschriften in den Mitgliedstaaten zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Markt kommen könnte. Tatsächlich stellten beispielsweise national variierende Standards für bestimmte Produkte (wie etwa Grenzwerte für Autoabgase oder den Bleigehalt von Benzin) Hindernisse für den freien innergemeinschaftlichen Handel dieser Produkte dar. Umweltpolitik war daher hauptsächlich eine "flankierende Politik" zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes.
Zwänge durch grenzüberschreitende Belastungen
Wirtschaftspolitische Ziele waren zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor, der die Etablierung der europäischen Politik begünstigt hat. Sie wurde auch befördert durch das Auftreten grenzüberschreitender Umweltprobleme, besonders der Luftverschmutzung ("saurer Regen").
Das Problem wurde auf internationaler Ebene erstmals um 1970 anlässlich der Versäuerung schwedischer Seen thematisiert. Es hatte sich gezeigt, dass die Versäuerung und der dadurch ausgelöste Rückgang der Fischbestände weniger auf schwedische Emissionen zurückzuführen war als vielmehr auf die Luftverschmutzungen in anderen Staaten (insbesondere in Großbritannien sowie in den Industriegebieten Mittel- und Osteuropas).
Das Problem des sauren Regens verdeutlichte, dass Umweltverschmutzung nicht an Staatsgrenzen Halt macht. Auf grenzüberschreitende Umweltbelastungen musste also auch mit grenzüberschreitenden Maßnahmen reagiert werden.
Eigenständiger Politikbereich
Trotz fehlender spezieller rechtlicher Grundlagen bildete sich die Umweltpolitik im Verlauf der 1970er/1980er Jahre als eigenständiger Politikbereich der Gemeinschaft heraus, der sich immer mehr von seinem Status als Anhängsel der wirtschaftlichen Integration emanzipierte. Als Folge zunehmender grenzüberschreitender Umweltprobleme und der aktiven Rolle umweltpolitisch ambitionierter Mitgliedstaaten (wie Dänemark, die Niederlande oder Deutschland) entwickelte die EU ein beachtliches Programm mit teilweise sehr ehrgeizigen Maßnahmen und Zielen.
Es dauerte jedoch bis Mitte der 1980er Jahre, ehe rechtlich festgeschrieben wurde, was informell bereits ein Faktum war: Die Umweltpolitik wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 als offizielles Handlungsfeld der Gemeinschaft im EWG-Vertrag verankert. Ein neuer Vertragstitel zur Umweltpolitik legte deren Ziele, Prinzipien und Entscheidungsverfahren fest. Damit wurden die umweltpolitischen Handlungskompetenzen der EU beträchtlich ausgeweitet.
In den Verträgen von Maastricht (1993) und Amsterdam (1997) wurden die umweltpolitischen Handlungsgrundlagen der EU weiter ausgebaut. Dies betrifft insbesondere das Entscheidungsverfahren. Die meisten umweltpolitischen Entscheidungen werden heute nach dem Mehrheitsprinzip getroffen, ein einstimmiger Beschluss der Mitgliedstaaten ist nur noch in wenigen Ausnahmefällen erforderlich. Auf diese Weise reduzieren sich die Möglichkeiten für einzelne EU-Staaten, umweltpolitische Maßnahmen zu blockieren.
Inhaltliche Ausgestaltung
Die Umweltpolitik der EU zeichnet sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Prinzipien und Instrumente aus, die nicht nur in den umweltpolitischen Rechtsakten, sondern auch in mehrjährigen Aktionsprogrammen zum Ausdruck kommen.
Die umweltpolitischen Aktionsprogramme der EU verfolgen zwei Ziele. Sie präzisieren die Schwerpunkte der Gesetzgebung für die kommenden Jahre und legen die strategische Orientierung der EU-Umweltpolitik fest - wenngleich sie keine rechtliche Bindungswirkung entfalten. Seit 1973 hat die EU sechs solcher Programme verabschiedet, das letzte im Jahr 2001.
In diesem Zusammenhang werden grundsätzlich medienspezifische und medienübergreifende Maßnahmen unterschieden. Medienspezifische Maßnahmen beziehen sich auf Einzelbereiche des Umweltschutzes, wie etwa die Luftreinhaltung, den Gewässerschutz, den Lärmschutz, die Chemikalienkontrolle, die Abfallwirtschaft oder den Naturschutz. In all diesen Bereichen hat die EU seit den siebziger Jahren über 300 Rechtsakte (Verordnungen und Richtlinien) verabschiedet. Diese enthalten zum Teil strenge Vorschriften und Grenzwerte, die deutlich über die Regelungen vieler Mitgliedstaaten hinausgehen.
Medienübergreifende Maßnahmen zielen hingegen auf eine integrierte Behandlung von Umweltproblemen ab. Hiervon sind bislang auf europäischer Ebene nur wenige Rechtsakte verabschiedet worden. Ein Beispiel ist die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung von 1985. Sie schreibt vor, dass bei Projekten mit potenziell weitreichenden Umweltauswirkungen (wie etwa dem Bau von Straßen) nachteilige Effekte für die verschiedenen Umweltmedien (Boden, Wasser, Luft) umfassend analysiert werden müssen.
Verschiebungen in der Prioritätensetzung
In den 1970er Jahren betrieb die EU umweltpolitische Steuerung vor allem mit der Festlegung von Grenzwerten. Die Mitgliedstaaten hatten einen großen Spielraum bei der Umsetzung: Die EU definierte lediglich ein bestimmtes Ziel (beispielsweise für die Qualität der Luft oder der Gewässer). Mit welchen Maßnahmen dieses Ziel erreicht wurde, blieb den Mitgliedstaaten freigestellt.
Mit dem dritten Aktionsprogramm (1982 bis 1986) änderte sich diese Schwerpunktsetzung. An die Stelle von Qualitätsgrenzwerten traten verstärkt Grenzwerte für Emissionen aus Verschmutzungsquellen. Es hatte sich gezeigt, dass die bis dahin verabschiedeten Qualitätsvorgaben wenig geeignet waren, die angestrebten Ziele zu erreichen. Oft kam es lediglich zu einer Verlagerung, nicht aber zu einer Beseitigung von Umweltproblemen. Beispielsweise verfolgten einige Mitgliedstaaten eine "Politik der hohen Schornsteine", um europäische Qualitätsziele für die Luftreinhaltung einzuhalten. Der Bau hoher Schornsteine führte aber nicht zu einer Reduktion der emittierten Schadstoffe, sondern bewirkte nur, dass diese Stoffe sich weiter ausbreiteten und damit die Luftqualität in anderen Staaten belasteten. Das dritte Aktionsprogramm versuchte diesen Problemen Rechnung zu tragen. Mit einer emissionsorientierten Strategie sollte der Ausstoß von Schadstoffen bereits an der Quelle reduziert werden.
Mit dem fünften Aktionsprogramm (1993 bis 2000) vollzog sich eine weitere strategische Neuausrichtung der europäischen Umweltpolitik. Diese zielte darauf ab, die Probleme bei der nationalen Umsetzung zu reduzieren. Das Aktionsprogramm betonte die Notwendigkeit, neue Steuerungsinstrumente einzuführen.
Im Gegensatz zur emissionsorientierten Strategie sollte den Mitgliedstaaten zunächst ein höherer Spielraum belassen werden, um europäische Vorgaben stärker an die nationalen Problemlagen anzupassen (zum Beispiel geografische Besonderheiten, Siedlungs- und Industriebesatzstruktur). Gleichzeitig hoben die neuen Instrumente auf eine stärkere Einbeziehung der Öffentlichkeit ab. Der Bevölkerung wurden verbesserte Informationsrechte und Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet, um einen größeren gesellschaftlichen Druck für eine bessere Umsetzung zu erzeugen. Auch betonte das Aktionsprogramm die Einführung ökonomischer Anreize (etwa Umweltsteuern oder handelbare Emissionsrechte), um insbesondere die Industrie zu einem umweltfreundlicheren Verhalten zu bewegen. Beispiele für die neuen Instrumente sind die Richtlinie über den freien Zugang zu Umweltinformationen oder die Öko-Audit-Verordnung. Die Informationsrichtlinie zielt ab auf eine größere Transparenz umweltpolitischer Regulierung und eine breitere Verfahrensbeteiligung der Öffentlichkeit. Zu diesem Zweck eröffnet sie jeder Person die Möglichkeit, ohne Nachweis eines besonderen Interesses freien Zugang zu allen bei den nationalen Behörden vorhandenen umweltrelevanten Informationen zu erhalten. Im Rahmen der Öko-Audit-Verordnung wird der Industrie die Möglichkeit eingeräumt, auf freiwilliger Basis ein betriebliches Umweltschutz-Managementsystem einzurichten und dessen Qualität durch externe Gutachter bewerten zu lassen.
QuellentextZielkonflikt: Energiegewinnung versus Umweltschutz
[...] Aufgrund der technischen Fortentwicklung der Bioenergie und dem daraus resultierenden rasanten Anstieg des Anbaus nachwachsender Rohstoffe wird Fläche in Europa wieder knapp. [...] Mittlerweile treten die nachwachsenden Rohstoffe in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln. [...]
Für einen effektiven Ausbau der Bioenergie und der stofflichen Nutzung von Biomasse gilt es, möglichst viel Trockenmasse pro Hektar Nutzfläche zu ernten. Diese Vorgabe hat entscheidende Auswirkungen auf die Art der Landnutzung in Europa, auf das Landschaftsbild und auf den Naturschutz. [...]
Dem Naturschutz widerspricht [...] der zumeist faktorintensive Anbau der Energiepflanzen. Vor allem Mais (für Biogas) und Raps (für Biodiesel), aus ökonomischen Gründen derzeit als nachwachsende Rohstoffe favorisiert, zeichnen sich in der Regel durch hohe Düngergaben und intensiven Pestizideinsatz aus. Mais wird hauptsächlich in einseitigen Fruchtfolgen angebaut. Dies führt zu höheren Stoffeinträgen in die Ökosysteme und zu einem weiteren Rückgang der Biodiversität in der Kulturlandschaft. Auch eine auf intensive Ertragssteigerung ausgerichtete Grünlandnutzung zur Produktion von Grassilage als Koferment von Biogasanlagen verringert die Artenzahl und führt sensiblen Biotopen zu viele Nährstoffe zu. [...]
Zahlreiche Studien zu Biomassepotentialen prognostizieren für die Landwirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten der EU Ertragssteigerungen von bis zu 100 Prozent in den nächsten 20 bis 40 Jahren [...].
Auch in den übrigen EU-Nationen wird erwartet, dass die Erträge wie in den letzten Jahrzehnten steigen werden. Dabei wird eine voranschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft unterstellt. Diese gilt es aber zu hinterfragen angesichts des agrarpolitischen Ziels, die Produktion zu extensivieren, sowie vor dem Hintergrund des von der EU angestrebten Schutzes der Biodiversität und des Erhaltes der Kulturlandschaft. [...] Das Ziel der ökologischen Produktion, hohe Qualität und damit höhere Preise für ihre Produkte zu erzielen, steht prinzipiell im Gegensatz zu einer reinen Steigerung des Hektarertrags an Trockenmasse, auf den es beim Anbau nachwachsender Rohstoffe vornehmlich ankommt. [...]
Timo Kaphengst, "Nachhaltige Biomassenutzung in Europa", in:GAIA - Ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft 2/2007
Maßgebliche Akteure
Wie kommt es zu solchen Veränderungen der umweltpolitischen Instrumente der EU? Welche Akteure sind hier verantwortlich und wie wirken sie zusammen? Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Rolle der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten.
Europäische Kommission
Im institutionellen System der EU kommt der Kommission eine zentrale Rolle zu. Der Grund hierfür liegt vor allem in ihrem Initiativmonopol. Dieses bedeutet, dass innerhalb der EU ausschließlich die Kommission berechtigt ist, Vorschläge für europäische Rechtsakte auszuarbeiten. Ohne einen Vorschlag der Kommission können die Mitgliedstaaten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine Beschlüsse fassen.
Wenngleich sie damit formal als Initiatorin von Gemeinschaftspolitik betrachtet werden kann, folgt daraus jedoch nicht zwangsläufig, dass alle umweltpolitischen Maßnahmen der EU auf ihre Aktivitäten zurückgeführt werden können. Insbesondere einzelne Mitgliedstaaten wenden sich häufig mit neuen Ideen für Umweltmaßnahmen an die Kommission und bitten diese, einen offiziellen Vorschlag auszuarbeiten.
Allerdings besitzt die Kommission dabei großen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Umweltpolitik. Aufgrund ihrer formalen Monopolstellung bei der Initiierung gemeinschaftlicher Maßnahmen ist sie grundsätzlich in der Lage, Gesetzgebungsvorschläge nach ihren eigenen Vorstellungen auszugestalten. Die Einführung neuer Steuerungsinstrumente oder das Setzen neuer Prioritäten ist daher nur dann möglich, wenn diese Änderungen von der Kommission unterstützt werden.
EU-Mitgliedstaaten
Während die Kommission großen Einfluss bei der Entwicklung umweltpolitischer Vorschläge besitzt, spielen die Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle, wenn es um die Entscheidung über diese Vorschläge geht. So sind die jeweiligen nationalen Fachminister im Rat der Umweltminister vertreten, dem im Entscheidungsprozess über europäische Rechtsakte eine zentrale Rolle zukommt.
Umweltpolitische Maßnahmen der EU können nur dann verabschiedet werden, wenn die Mitgliedstaaten zustimmen. Lange Zeit war hierfür eine einstimmige Entscheidung im Ministerrat erforderlich. Aber auch die heute vielfach angewandte Mehrheitsregel erfordert einen breiten Konsens zwischen den EU-Staaten.
Aufgrund unterschiedlicher Interessen der Mitgliedstaaten setzt eine Einigung im Rat der Umweltminister häufig langwierige Prozesse der Konsensbildung voraus. Nicht selten wird im Rahmen dieser Verfahren der ursprüngliche Vorschlag der Kommission stark verändert. Einzelne Mitgliedstaaten verlangen für ihre Zustimmung Ausnahmeregelungen oder eine Abschwächung der vorgeschlagenen Zielvorgaben.
QuellentextGespaltenes Europa
Eigentlich ist der Atomausstieg in Deutschland beschlossene Sache. 2020 sollen die letzten Meiler vom Netz gehen. Doch das Projekt [...] wird zunehmend in Frage gestellt. [...] Die Unabhängigkeit von Öl- und Gasimporten und die Verpflichtung, den Kohlendioxidausstoß zu verringern, sind die schlagkräftigsten Argumente in der neu entfachten Atomdebatte. [...] Auch in den europäischen Nachbarstaaten wird darüber diskutiert, ob und wie es weitergeht mit der Kernenergie.
Frankreich: Das Land ist der stärkste Befürworter der Kernenergie in Europa. Ein Ausstieg stand nie ernsthaft zur Debatte. [...] Frankreich bezieht fast 80 Prozent seines Stroms aus 59 kommerziell genutzten Reaktoren (in Deutschland sind es 17). Damit ist das Land nach den USA die zweitgrößte Atommacht der Welt. Französische Firmen investieren viel Geld in die Entwicklung neuer Technologien. In Flamanville wird 2012 ein supermoderner Reaktor ans Netz gehen, weitere sind in Planung.
Großbritannien: [...] Großbritannien bezieht ein Fünftel seines Stromverbrauchs aus der Kernenergie. Bis auf eines müssen alle Kraftwerke aus Altersgründen bis 2023 stillgelegt werden. Vor wenigen Jahren noch wollte man den Umstand auch zum Ausstieg nutzen. Jetzt denkt die Regierung laut über den Bau neuer Meiler nach. Als Hauptgrund gilt der Beschluss der Europäischen Union, wonach jedes Mitglied seinen Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent senken muss.
Schweden: [...] Laut Meinungsumfragen wollen mehr als 70 Prozent der Schweden, dass die vorhandenen zehn Reaktoren weiterlaufen. [...] 2005 hat die Regierung erklärt, Schweden wolle im Jahr 2020 keinen Tropfen Öl mehr verbrauchen. Ohne Atomkraft wird das nicht gehen. Die Schweden verbrauchen sehr viel Strom, auch weil viele ihre Holzhäuser elektrisch beheizen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Mehr als die Hälfte davon fließt aus Kernkraftwerken.
Polen: Die Polen haben ganz andere Motive für den geplanten Einstieg in die Atomenergie. Zwei Atomkraftwerke sollen gebaut werden, eines davon gemeinsam mit den drei baltischen Staaten in Litauen. Wie viele Staaten in Osteuropa fürchtet Polen, in Energiefragen von der einstigen Besatzungsmacht Russland abhängig zu sein. Über 90 Prozent der Erdölimporte kommen aus Russland. [...]
Österreich: Das Land gehört zu den entschiedensten Gegnern der Kernkraft in Europa. Die Technik gilt als gefährlich, und wegen der schwierigen Abfallentsorgung auch als kostspielig. Darum ist das in Zwentendorf gebaute Atomkraftwerk nie ans Netz gegangen. [...] Ohne (Atom-)Stromimporte aus dem Ausland könnte Österreich seinen Energiebedarf nicht decken.
Miriam Schröder, "Einstellung zur Atomkraft spaltet Europa", in: Das Parlament Nr. 37 vom 10. September 2007
Europäisches Parlament
Die Zustimmung des Rates der Umweltminister reicht jedoch nicht aus, um ein umweltpolitisches Gesetz zu verabschieden. Es muss auch vomEuropäischen Parlament befürwortet werden. Das Parlament hat stets eine aktive Rolle in der EU-Umweltpolitik gespielt. In seinen Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ist esfür strenge und weitreichende Maßnahmen eingetreten, die meist über die Positionen von Kommission und Ministerrat hinausgingen.
Europäische Umweltagentur
Die 1994 eingerichtete Europäische Umweltagentur mit Sitz in Kopenhagen ist für die Sammlung und Aufbereitung von Informationen über den Zustand der Umwelt in der Gemeinschaft verantwortlich. Die Umweltagentur ist nicht direkt am umweltpolitischen Entscheidungsprozess in der EU beteiligt. Ihre Daten, die von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden müssen, liefern jedoch eine wichtige Basis für die Entwicklung umweltpolitischer Maßnahmen.
Wechselnde Führungsrollen
Die Entwicklung der europäischen Umweltpolitik hat von der wechselnden Führungsrolle einzelner Mitgliedstaaten profitiert. So war es in den 1980er Jahren insbesondere Deutschland, das auf eine Reduzierung von Emissionen an der Quelle drängte unddamit die EU-Umweltpolitik beeinflusst hat. Anfang der 1990er Jahre spielte Großbritannien eine wichtige Rolle. Die Briten hatten ihre nationale Umweltgesetzgebung modernisiert und wollten die von ihnenentwickelten innovativenKonzepte (wie freie Zugangsrechte zu Umweltinformationen bei allen Verwaltungsstellen) auch auf die europäische Ebene übertragen.
Es gibt zwei Gründe fürdieses Verhalten der Mitgliedstaaten:
Mit nationalen Politikinnovationen sind mög-licherweise Wettbewerbsnachteile für dieIndustrie verbunden, da diese mit neuen Umweltanforderungen konfrontiert wird. Solche Nachteile können vermieden werden, wenn die nationale Innovation auf europäischer Ebene übernommen wird und damit für alle Mitgliedstaaten gilt.
Die Mitgliedstaaten müssen darauf achten, dass ihre Gesetzgebung europäischen Vorgaben nicht widerspricht. Dieses Ziel können sie am besten verwirklichen, wenn es ihnen gelingt, die europäische Umweltpolitik zugunsten ihrer eigenen Konzepte und nationalen Handlungsmöglichkeiten zu beeinflussen.
Aufgrund der wechselnden Führungsrolle verschiedener Mitgliedsländer zeichnet sich die EU-Umweltpolitik durch eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente und Kozepte aus. Die Konkurrenz unter den EU-Mitgliedern sorgt für eine kontinuierliche Ausweitung und Weiterentwicklung umweltpolitischer Aktivitäten auf europäischer Ebene.
Defizite bei der Umsetzung
Allerdings bereitet die Umsetzung der beschlossenen Gesetze auf nationaler Ebene große Probleme. Dies gilt für die Umweltpolitik mehr als für jeden anderen Politikbereich der EU. Die Probleme, die in diesem Zusammenhang auftreten, beziehen sich nicht nur auf die vollständige und fristgemäße Übernahme europäischer Vorgaben in das nationale Recht. Sie zeigen sich auch bei der praktischen Anwendung dieser Vorgaben durch die nationalen Verwaltungen. So setzen die Mitgliedstaaten das europäische Umweltrecht zwar häufig formal ordnungsgemäß um, bei der praktischen Anwendung zeigen sich dann jedoch erhebliche Defizite.
Was sind die Ursachen? Vage und offene Formulierungen der europäischen Vorgaben - häufig eine Folge der Konsensfindung im Rat der Umweltminister - ermöglichen es den Mitgliedstaaten, in der Durchführungsphase von den ursprünglichen Zielen abzuweichen. Häufig versuchen die Mitgliedstaaten auch, mögliche rechtliche Anpassungserfordernisse, die sich aus der europäischen Maßnahme ergeben, so weit wie möglich zu reduzieren. Schließlich fehlen der EU Kontrollmöglichkeiten. So ist die Kommission, die für die Kontrolle der Umsetzung verantwortlich ist, hauptsächlich auf die von den nationalen Verwaltungen bereitgestellten Daten angewiesen. Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht können so nur schwer aufgedeckt werden.
Perspektiven für die weitere Entwicklung
Die europäische Umweltpolitik steht in den nächsten Jahren vor mehreren Herausforderungen. Dazu gehört die Osterweiterung. Es wird abzuwarten sein, wie sich die neuen Mitgliedstaaten umweltpolitisch positionieren. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Erweiterung die Entwicklung europäischer Umweltpolitik nachhaltig abbremsen oder beschleunigen wird. Jedoch mangelt es den neuen Mitgliedstaaten vielfach an ausreichenden technischen, personellen und finanziellen Ressourcen, um die europäischen Umweltvorschriften in die Praxis umzusetzen.
Eine weitere Herausforderung für die Umweltpolitik der EU ist ihre Rolle auf der internationalen Ebene. Hier ist die EU in den letzten Jahren zunehmend als Schrittmacherin in Erscheinung getreten. So nimmt sie insbesondere beim Klimaschutz eine internationale Führungsrolle ein.
Gerade der Klimaschutz zeigt, dass die EU trotz ungleicher umweltpolitischer Prioritäten der Mitgliedstaaten auf internationaler Ebene eine aktive Rolle spielen kann. So konnte sich die EU im Rahmen der Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll nach außen auf ein im internationalen Vergleich anspruchsvolles gemeinschaftsweites Ziel zur Reduzierung von Treibhausgasen festlegen. Die hierfür erforderliche jeweilige Reduktionsbelastung für die Mitgliedstaaten wurde EU-intern aufgeteilt. Spanien beispielsweise darf seine Emissionen bis 2010 um 15 Prozent steigern, während andere Mitgliedstaaten dies durch überproportionale Reduktionen ausgleichen sollen. Diese interne Dynamik für die internationale umweltpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gilt es auch nach der EU-Ost-und Südosterweiterung zu erreichen.