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Staatliche Umweltpolitik am Beispiel Deutschlands

Martin Jänicke

/ 8 Minuten zu lesen

Am 11. Mai 2005 wurde das neue Gebäude des Umweltbundesamtes in Dessau eingeweiht. (© AP)

Einleitung

Umweltschutz ist die Summe aller organisierten Handlungen zur Ermittlung und Lösung von Umweltproblemen. Umweltpolitik ist derjenige Teil dieser Handlungen, an denen staatliche Akteure - ausschließlich oder teilweise, national oder international - beteiligt sind. Dieses neue Politikfeld hat sich in den entwickelten Ländern als Reaktion auf die massiven Probleme eines hohen, umweltintensiven Industriewachstums zu Beginn der 1970er Jahre herausgebildet. Heute ist die Umweltpolitik weltweit verbreitet, in über 100 Staaten bestehenUmweltministerien. Die Mehrheit der Länder hat den Umweltschutz in der Verfassung verankert. Zugleich vollzieht sich Umweltpolitik auch auf regionaler Ebene, in der EU und im globalen Kontext. Auch hier ist eine Vielzahl von Institutionen entstanden, die sich mit Umweltfragen befassen.

Zur Rolle des Nationalstaates

Dimensionen umweltpolitischen Regierens

Obwohl die nationalen Regierungen einen Teil ihrer Souveränität im Rahmen internationaler Verträge an die EU oder die UNO abgegeben haben, sind sie die wichtigsten Träger der Umweltpolitik geblieben. Ihre Rolle hat sich im Zeichen der Globalisierung verändert, aber keineswegs verringert. Der Nationalstaat verfügt weiterhin über das Monopol legitimen Zwanges. Als Verfassungsstaat unterliegt er rechtlichen Verpflichtungen (zum Beispiel der Gefahrenabwehr), die ihn von gesellschaftlichen Akteuren unterscheiden.

Hochentwickelte Industrieländer wie die Bundesrepublik verfügen zudem über erhebliche Ressourcen und fachliche Kompetenz auf diesem Gebiet. Während die Sekretariate internationaler Umweltregime - beispielsweise das Klimasekretariat - über einige hundert Mitglieder verfügen, zählen die Beschäftigten nationaler Umweltinstitutionen nach Tausenden. Die US-Umweltbehörde hat rund 18 000 Beschäftigte, das deutsche Umweltbundesamt über 1200.

Staatliche Umweltverwaltungen sind aktiver Teil internationaler Expertennetzwerke, die für die Lösung von grenzüberschreitenden Problemen hohe Bedeutung besitzen. Nationale Regierungen genießen im Vergleich zu internationalen Organisationen auch eine größere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Massenmedien, was besonders für die Umweltthematik wichtig ist. Sie sind zumeist die erste Adresse, wenn es um die Lösung akuter Probleme geht. Umweltentlastende Technologien - von der Katalysatortechnik bis zur Windkraftanlage - starten in der Regel auf staatlich geförderten Märkten entwickelter Länder.

Eine wichtige Rolle spielen auch Lernprozesse zwischen Ländern wie die Übernahme neuer Politikmuster und Institutionen, die sich in so genannten Vorreiterländern bewährt haben. Die globale Ausbreitung nationaler Umweltministerien oder Umweltpläne ist dafür ein Beispiel. Für die weltweite Entwicklung von Umweltpolitik haben Vorreiterländer eine wichtige Bedeutung. Dass Deutschland in bestimmten Fällen eine solche Vorreiterrolle übernommen und die internationale Umweltpolitik mitgestaltet hat, ist eine parteiübergreifende Leistung. Sowohl die Regierung Kohl als auch die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder haben diese internationale Rolle in Teilbereichen des Umweltschutzes - insbesondere im Klimaschutz - mitgetragen.

Entwicklung in der Bundesrepublik

Deutschland ist ein Industrieland, dessen umweltintensivste Sektoren (wie Energie, Straßenverkehr, Chemie, Bau) in der Nachkriegszeit ein besonders hohes Wachstum aufwiesen. Die mit dieser Entwicklung verbundenen Umweltprobleme hatten sich dementsprechend ähnlich zugespitzt wie in anderen hochentwickelten Industrieländern. Die Einführung des neuen Politikfeldes "Umweltpolitik" durch die SPD/FDP-geführte Regierung Brandt/Scheel erfolgte dennoch eher überraschend. Sie wurde umgehend nach der Neuwahl 1969 mit einem Sofortprogramm (1970) eingeleitet, dem schon ein Jahr später ein anspruchsvolles Umweltprogramm mit einem detaillierten Gesetzgebungsfahrplan und konkreten Zielvorgaben folgte. Zu den ersten Maßnahmen gehörten die

  • Einführung der Bundeskompetenz für wichtige Bereiche des Umweltschutzes (ohne den Natur- und Gewässerschutz),

  • Gründung des Umweltbundesamtes (1974) wie auch

  • die Schaffung des Sachverständigenrates für Umweltfragen (1971).

Diesen Institutionen folgte relativ spät die Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (1986), die auch durch das gestiegene Umweltbewusstsein im Zeichen des Reaktorunfalls von Tschernobyl beeinflusst war. Das Bundesamt für Naturschutz wurde 1993 eingerichtet. Es knüpfte an Vorgängerbehörden an, deren erste bereits 1906 gegründet worden war. 2001 führte die Einführung einer deutschen Strategie Nachhaltiger Entwicklung zur Gründung weiterer Einrichtungen.

Wie in einigen anderen Industrieländern gehen Regelungen zur Luftreinhaltung und zum Gewässerschutz in Deutschland schon auf das 19. Jahrhundert zurück. Der Naturschutz wurde bereits 1935 gesetzlich verankert, und Ländergesetze zur Luftreinhaltung gibt es bereits seit den 1960er Jahren. Wichtige Eckpunkte der deutschen Umweltgesetzgebung folgten aber erst mit dem Start der neuen Politik und ihrer institutionellen Verankerung auf Bundesebene:

  • das Abfallbeseitigungsgesetz (1972),

  • das für die Luftreinhaltung zentrale Bundes-Immissionsschutzgesetz (1974),

  • das Bundesnaturschutzgesetz (1976),

  • das (neugefasste) Wasserhaushalts- und das Abwasserabgabengesetz (1976),

  • das Chemikaliengesetz (1980) sowie

  • das mit großer Verzögerung beschlossene Bundes-Bodenschutzgesetz (1998).

Die Entwicklung der Umweltpolitik bestand in der Folge zunehmend darin, die bisherige Gesetzgebung fortzuentwickeln und auszudifferenzieren. Mit dem "Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz" (1994) rückte die Vermeidung und Verwertung in das Zentrum der Abfallpolitik. Die Modernisierung des Bundesnaturschutzes 2002 verankerte unter anderem die Verbandsklage für Umweltverbände und den systematischen Ausbau von zusammenhängenden Naturschutzflächen zur Sicherung wertvoller Biotope im Sinne des EU-Programms "Natura 2000". Einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Politik stellte die gesetzliche Regelung von 2002 zum Ausstieg aus der Atomenergie dar.

QuellentextNeue Wege der Müll-Entsorgung

Haushalte und Gewerbebetriebe produzieren jährlich rund 23,5 Millionen Tonnen Restmüll. Seit dem 1. Juni 2005 darf dieser nach den Vorschriften der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (Tasi) nicht mehr unbehandelt auf Deponien gekippt werden. Die Vorbehandlung geschieht dann entweder in den bestehenden 75 Müllverbrennungsanlagen oder in den 50 neuen mechanisch-biologischen Anlagen. [...]
Mechanisch-biologische Anlagen, Fachkürzel MBA, sollen die Müllmixtur aus der grauen Tonne fast genauso wie eine Müllverbrennungsanlage entschärfen, bevor sie als weitgehend "inertes", das heißt nicht mehr reaktionsfähiges Material sozusagen für die Ewigkeit abgelagert wird. Kurz hinter dem kleinen Ort Singhofen, an der Bundesstraße 260 in Rheinland-Pfalz, kann man sehen, wie das funktioniert. [...] Lkw karren den Restmüll heran, eine Sortieranlage trennt ihn, und zwar in erstens wiederverwertbare Materialien wie Metalle und Holz, zweitens die "heizwertreiche Fraktion" (Plastik, Papier, Pappe) - sowie drittens den gärenden Rest. Das Plastik-Zellstoff-Gemisch wird zu "Ersatzbrennstoff" aufgearbeitet und endet in Kraftwerken oder Zementöfen. [...]
Der Sortierrest aber, jetzt nur noch knapp die Hälfte der ursprünglichen Tonnage, wandert auf einem Förderband hinüber zur "Intensivrotte". Rotte, das liegt nahe, kommt von verrotten. Intensiv-Rotte bedeutet: Es geht alles schnell. [...]
Ein Schaufelbagger kippt den Müllrest halb hoch hinein, die Tür geht zu, und der Zersetzungsprozess beginnt. Bis zu 70 Grad wird der Müllmix dabei heiß, wobei frische Luft unten zugeführt und die Faulgase oben zwecks Verbrennung aufgefangen werden. Nach einer Woche ist der Müllberg deutlich geschrumpft. Doch die dampfende Abfall-Melange wird noch viermal im Wochenrhythmus herausgeholt, umgesetzt und in eine neue Box gepackt. Dann schaffen die Müllwerker alles nach draußen, auf eine abgedichtete Nachrottefläche. Weitere neun Wochen später folgt die Ablagerung auf einem neuen Abschnitt in der alten Deponie. [...]
Bei Leipzig zum Beispiel wird derzeit die größte deutsche MBA fertiggestellt. Kapazität: 300 000 Tonnen pro Jahr - eine Menge, für die man früher im Westen der Republik meist Müllverbrennungsanlagen baute.

Joachim Wille, "Wenn die Tasi kommt", in: Frankfurter Rundschau vom 25./26. Mai 2005

Umweltschutz als Querschnittsaufgabe

Seit 1998 wurden Umweltbelange zunehmend in Politikfelder mit hoher Umweltbedeutung integriert: In der Energiepolitik erhielt etwa die Förderung erneuerbarer Energien große Bedeutung, und an dem neuen Klimaprogramm (2007) ist eine ganze Reihe von Ressorts beteiligt. In der Verkehrspolitik wurde - ergänzend zur Öko-Steuer - die auch umweltpolitisch begründete LKW-Maut eingeführt. In der Agrarpolitik wurden der ökologische Landbau und der Naturschutz im ländlichen Raum verstärkt gefördert.

Umweltpolitik-Integration in Deutschland seit 1998

Dieser Integrationsansatz geht teils auf die EU zurück (Art. VI. EGV, "Cardiff-Prozess"). Er ist zugleich Teil der Nachhaltigkeitsstrategie, die auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro (1992) zur globalen Leitlinie erhoben wurde. Wie in anderen Ländern hat sie auch in Deutschland eigene Institutionen hervorgebracht, die den Querschnittscharakter der Umweltpolitik unterstreichen. Dazu gehören der Staatssekretärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung, der Rat für Nachhaltige Entwicklung und der Beirat des Bundestages für Nachhaltige Entwicklung. Die Einbeziehung von Umweltbelangen in die Politik anderer Ministerien spielte aber schon in der Startphase der deutschen Umweltpolitik eine Rolle. Ein Kabinettsausschuss für Umweltfragen wurde schon 1970 eingeführt. 1975 wurden Prinzipien für die Umweltfolgenabschätzung bei Maßnahmen des Bundes formuliert. Dass das Thema der Umweltpolitik-Integration danach an Bedeutung verlor und schließlich neu aufgegriffen wurde, zeigt zugleich die großen Schwierigkeiten bei seiner Umsetzung. Die Begünstigung der klimaschädlichen Kohleverstromung in Deutschland ist dafür ein Beispiel.

Erfolgsbilanz

Umweltpolitische Erfolge haben sich bisher in Deutschland vor allem dort ergeben, wo technische Problemlösungen möglich und die Probleme gut wahrnehmbar waren bzw. eine breite (zum Beispiel gesundheitliche) Betroffenheit ausgelöst haben. Die Luftreinhaltung und der Gewässerschutz sind hier die wichtigsten Erfolgsfelder. Auf der anderen Seite sind Umweltprobleme, die eine "schleichende Verschlechterung" ergeben wie der Flächenverbrauch, Artenverluste, Boden- oder Grundwasserbelastungen, bisher kaum gelöst. Von annähernd 300 000 Altlastenverdachtsflächen ist - aus Kostengründen - nur ein Bruchteil saniert worden. Die Erfassung negativer Umwelteffekte tausender chemischer Substanzen steht erst am Anfang. Der Flächenverbrauch einer immer dichteren Verkehrsinfrastruktur und die Schrumpfung unzerschnittener Räume ("Verinselung") ist höher als in anderen EU-Staaten und wächst im Zuge der Osterweiterung weiterhin.

Insgesamt gehört Deutschland mit seiner Umweltbilanz zu den erfolgreicheren Indu-s-trieländern, teilt aber das weltweite Versagen in wichtigen Problembereichen dieses Politikfeldes. Dies gilt vor allem dort, wo der für Deutschland typische Erfolgspfad innovations-orientierter Umweltpolitik ("ökologische Modernisierung") nicht anwendbar ist - wo also nicht technische Lösungen (vom Filter bis zum effizienteren Kraftwerk), sondern strukturelle Änderungen (ob bei Verkehrsträgern, Siedlungsformen oder Lebensstilen) gefragt sind.

QuellentextStaatlicher Gewässerschutz am Beispiel Rhein

[...] In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war der Rhein biologisch verödet. [...] Der majestätische, vier Länder durchmessende Fluss transportierte Gifte und Unrat aller Art, degenerierte zur "Kloake Europas". [...]
1986, das Schicksalsjahr. Es brachte nicht nur die Atomkatastrophe von Tschernobyl. 1986 ereignete sich auch der "Rhein-GAU". In Basel waren nach einem Brand beim Chemiekonzern Sandoz rund 30 Tonnen gefährliche Chemikalien, zumeist Pestizide, in den Fluss gespült worden, die über mehrere hundert Kilometer bis hinunter zum Loreley-Felsen fast alles Leben im Wasser auslöschten. Fische schwammen mit dem Bauch nach oben, der Rhein glänzte silbrig, Helfer schaufelten Müllcontainer mit dem toten Getier voll. [...]
"Sandoz" wirkte als Katalysator. [...] Heute sind bis auf den empfindlichen Stör praktisch alle früher hier heimischen gut 60 Fischarten wieder da. Mehr als 90 Prozent der Abwässer von rund 55 Millionen Rhein-Anwohnern und zahlreichen Chemiefabriken wie Novartis, Ciba, BASF, Boehringer und Bayer fließen heute über Kläranlagen in den Fluss. Stolze 50 Milliarden Euro hat das die Rhein-Anliegerstaaten gekostet. Gut angelegtes Geld, bedenkt man, dass bei 20 Millionen Menschen aufbereitetes Rhein-Wasser aus der Wasserleitung kommt. Auch wenn damit die Probleme der Wasserqualität im Rhein längst nicht restlos beseitigt sind.
Der Fluss entsorgt erstens die moderne Intensivlandwirtschaft in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden, indem er mit dem Regen- und Grundwasser Nitrat aus überdüngten Feldern aufnimmt und Richtung Nordsee transportiert. Zweitens ist er der Vorfluter für "Mikro-Verunreinigungen".
Wissenschaftler schätzen, dass sich im Rhein bis zu 100 000 technisch hergestellte organische Substanzen finden, beispielsweise Arzneimittel-Rückstände, die aus Haushalten, Krankenhäusern oder Ställen der Massentierhaltung stammen. Welche Langzeitwirkungen sie auf das Ökosystem Rhein haben werden, ist unklar. [...]
Das Hauptproblem: Der Rhein ist längst kein natürliches Gewässer mehr. Er ist eine Autobahn aus Wasser. [...] Im 20. Jahrhundert startete der Komplettumbau des Rheins - zu Europas wichtigstem Transportweg und zur Energiegewinnungsmaschine. Man vertiefte die Fahrrinne, "pflasterte" und befestigte sie mit Buhnen (künstlichen Dämmen), leitete den Rhein (nördlich von Basel) in einen Seitenkanal um, staute ihn abschnittsweise auf, um Strom zu produzieren, verlegte Deiche zwecks Landgewinnung immer weiter vor, trennte verbliebene natürliche Überflutungszonen vom Hauptstrom ab. Von den ursprünglichen, tier- und pflanzenreichen Auengebieten des Rheins existieren heute nur noch 15 Prozent. Mit dem Ausmaß dieser modernen Fluss-,,Korrektion" wuchsen die negativen Folgen. Hauptstichwort: Hochwassergefahr. Wegen des beschleunigten Abflusses im Oberlauf - das Flusswasser braucht für die Strecke Basel-Karlsruhe nicht mehr wie einst 65, sondern nur noch 24 bis 28 Stunden - überlagern sichHochwasserwellen aus dem Rhein und seinen Nebenflüssen wie Kinzig, Murg, Neckar und Main. So genannte Jahrhundert-Hochwasser suchten Koblenz, Köln, Düsseldorf und Co. in den 90er Jahren gleich zweimal heim, im Dezember 1993 und im Januar 1995.
Auch damals war der Schock, der die Rhein-Anlieger hunderte Millionen kostete, groß. Doch die bereits 1982 aufgelegten Pläne für einen ökologisch orientierten Hochwasserschutz, durch den die kanalisierte Wasserstraße einen Teil der alten Überflutungsgebiete zurückerhalten soll, kommen nur mühsam voran. [...]
Aber immerhin hat die "Internationale Kommission zum Schutz des Rheins" (IKSR), in der alle Anliegerstaaten zusammenarbeiten, ein visionäres Programm aufgelegt. "Rhein 2020" sieht vor, dass rund 100 der [...] Altarme wieder angegliedert werden. An 800 Kilometern des Stroms soll das verödete, verbaute Ufer wieder vielfältiger gestaltet werden. [...]

Joachim Wille, "Das Rheinheitsgebot ", in: Frankfurter Rundschau vom 23. Juli 2004

In den 1980er Jahren haben Luftreinhaltemaßnahmen bei Fahrzeugen und Kohlekraftwerken ebenso wie die Abfall- und Klimapolitik unter Umweltminister Klaus Töpfer wesentlichen Einfluss auf die Umweltpolitik der EU gehabt. Umgekehrt sind wichtige umweltpolitische Verbesserungen in Deutschland von der EU ausgegangen. Dies gilt für Neuerungen wie:

  • das Öko-Audit für Unternehmen,

  • die Umweltverträglichkeitsprüfung für Projekte und Politiken (UVP),

  • die Ausweitung von Beteiligungsrechten (Aarhus-Konvention),

  • das Biotopverbundnetz (Natura 2000) oder

  • die Chemikalienkontrolle (REACH).

Entwicklung der Emissionen ausgewählter Luftschadstoffe

Teilweise haben solche Neuerungen auf europä-ischer Ebene sogar anhaltenden Widerstand in der Bundesrepublik ausgelöst, wie etwa im Falle der Übernahme der UVP-Richtlinie oder der REACH-Verordnung.

Weitreichende Handlungskapazitäten

Deutschlands Vorreiterrolle bei technikbasierten Problemlösungen in der Luftreinhaltung, Abfallpolitik oder im Klimaschutz geht einher mit einer gut entwickelten Handlungskapazität auf diesem Gebiet. Die Bundesrepublik ist ein Industrieland mit einem beachtlichen Innovationspotenzial. Dies gilt nicht nur für das hohe Niveau an Forschung und Entwicklung, sondern auch für Einrichtungen wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Deutschland verfügt auch auf allen politischen Ebenen über ausgebaute Umweltinstitutionen. Es hat eine starke Umweltbewegung (8,6 Prozent der Bürger - doppelt so viele wie 1998 - bezeichneten sich 2004 nach einer BMU-Umfrage als Mitglieder von Umweltverbänden). Die Umweltverbände sind anerkannte Partner der Regierung geworden. Die Umweltberichterstattung der Medien ist vergleichsweise umfangreich. Deutschland hat mit rund vier Prozent der Beschäftigten unter den OECD-Ländern auch die am stärksten entwickelte, dynamisch wachsende und exportstarke Umweltindustrie. Die Umweltfrage hat im Innovationswettbewerb der Bundesrepublik eine wachsende Bedeutung erhalten.

Umweltpolitik im Wandel

Wie in anderen Industrieländern unterlag die deutsche Umweltpolitik seit 1970 einem starken Wandel. War sie zunächst ausschließlich Sache des Staates, so hat sich das Spektrum der beteiligten Akteure immer weiter ausdifferenziert: Umweltpolitik muss heute auf verschiedenen Handlungsebenen (global, europäisch, national, regional, kommunal) agieren, sich um eine breite Beteiligung wichtiger organisierter Interessen (Stakeholder) bemühen. Ohne eine stärkere Eigenverantwortung von Unternehmen ist ein innovationsorientierter Umweltschutz - etwa bei der Einführung nachhaltiger Produktions- und Konsumptionsmuster - undenkbar.

Eine anspruchsvolle Umweltpolitik, die in Interessenlagen eingreift, ist auf eine Verbreiterung ihrer gesellschaftlichen Basis angewiesen. Umweltpolitische Steuerung vollzieht sich daher stärker in Kooperationsbeziehungen, oft in einem breiten Netzwerk staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Neben den Umweltverbänden gibt es inzwischen ein Netz von umweltorientierten Wirtschaftsorganisationen wie B.A.U.M (Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management e.V.), Future oder der World Business Council for Sustainable Development. Im lokalen Bereich sind zusätzliche Akteure an der Zielbildung bzw. an der Umsetzung von Maßnahmen beteiligt - 2427 deutsche Kommunen haben beispielsweise einen Beschluss zur Lokalen Agenda 21 gefasst.

Auch das Instrumentarium der Umweltpolitik ist immer vielfältiger geworden. Standen zunächst hoheitliche Rechtssetzungen mit verbindlichen Standards, Genehmigungsverfahren, Ge- und Verboten (command-and-control) im Vordergrund, so drohte die Überregulierung den Staat und auch die Folgebereitschaft der Betroffenen zu überfordern. Instrumente, die größere Anpassungsspielräume zulassen und auf die Eigenverantwortlichkeit der Verursacher setzen, spielen daher eine zunehmende Rolle. Das gilt für den Emissionshandel im Klimaschutz, der verbindliche Obergrenzen für den Schadstoffausstoß voraussetzt, aber eine flexible Anpassung ermöglicht. Das mittlerweile häufig nachgeahmte deutsche Instrument der Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien ist ein anderes Beispiel. Die gleichwohl unverminderte Bedeutung verbindlicher staatlicher Regelungen wird an der Tatsache erkennbar, dass neue Instrumente dieses Typs - allerdings solche mit hoher Flexibilität - sich international ausbreiten. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der japanische Top-Runner-Ansatz: Energieintensive Produkte wie Kühlschränke, PCs oder Klimaanlagen müssen innerhalb einer Frist den Verbrauch des energieeffizientesten Produktes in ihrer Sparte erreichen, sonst drohen öffentliche Abmahnungen und schließlich Bußgelder. Für eine ganze Reihe von Produkten sind die Standards sogar dynamisch verschärft worden.

Moderne Umweltpolitik steuert über einen Instrumenten-Mix bzw. über strategische, überprüfbare Zielvorgaben (etwa im Klimaschutz), die mit flexiblem Instrumenteneinsatz verfolgt werden. Das "harte" Instrumentarium (wie Gesetze, Verordnungen) behält dabei seine Bedeutung - nicht zuletzt als Garant dafür, dass "weichere" Instrumente tatsächlich Wirkungen erzielen.

Prof. Dr., leitet die Forschungsstelle für Umweltpolitik an der FU Berlin. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und Vorstandsmitglied der AGU. Seit 2003 ist er Mitglied im Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.

Kontakt: hauptman@zedat.fu-berlin.de