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Wirtschaft in der Transformation | Tschechien | bpb.de

Tschechien Zu diesem Heft Annäherung an ein Land im Wandel Entwicklung bis zum Ende der Monarchie Republik unter Druck Mitglied im kommunistischen Lager Politisches System nach 1989 Wirtschaft in der Transformation Gesellschaft im Umbruch Ziele und Ergebnisse tschechischer Außenpolitik Beziehungen zu Deutschland Literaturhinweise und Internetadressen Impressum

Wirtschaft in der Transformation

Dieter Segert

/ 15 Minuten zu lesen

Prag, Hauptbahnhof: Ehe sich der historische Zug in Bewegung setzen kann, wird der Kohleofen gefüttert. (© ddp/AP)

Einleitung

Nach 1989 vollzog sich der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Die Ausgangssituation dafür lässt sich so charakterisieren: In der sozialistischen Tschechoslowakei existierte eine zentral geplante Wirtschaft. Die staatliche Führung erstellte einen Wirtschaftsplan, nach dessen Vorgaben der gesamte Wirtschaftsablauf gelenkt wurde. Alle Preise wurden administrativ geregelt. Es herrschte offiziell weder Inflation noch Arbeitslosigkeit. Im Unterschied zur DDR oder Ungarn gab es in der Tschechoslowakei weder private Restaurants noch privaten Einzelhandel. Anfang der sechziger Jahre wurden die bäuerlichen Privatbetriebe zu staatlich reglementierten Genossenschaften zusammengeschlossen.

Die planwirtschaftlichen Betriebe hatten "weiche Budgetbeschränkungen", das heißt, sie mussten sich an die Vorgaben halten und durften eigentlich keine Verluste einfahren. Traten diese jedoch ein, erfolgten keine Sanktionen. Der Außenhandel wurde ebenfalls staatlich geregelt. Die Währung konnte nur im Inland verwendet und nur in festgelegtem, begrenztem Maße im Ausland umgetauscht werden. Sie war nicht frei konvertierbar. Der Anteil des Handels mit westlichen Industriestaaten war gering. 60 Prozent des Exports gingen in die sozialistischen Staaten.

Ausgangssituation vor 1989

Es gab auch Besonderheiten, die im vorsozialistischen Erbe der Tschechoslowakei wurzelten: Das Land war im westlichen Teil schon lange vor 1945 hoch industrialisiert, vor 1938 insbesondere im Bereich der Leichtindustrie. Die deutsche Besetzung nach 1938 führte im tschechischen Teil des Landes zur Stärkung der Rüstungsindustrie.

Im Unterschied zu den anderen Staaten des sowjetischen Machtbereiches, die erst ab 1945 die Industrieproduktion ausweiteten, war die Tschechoslowakei 1948 gemeinsam mit Ostdeutschland (der späteren DDR) relativ weit vorangeschritten. Die Wirtschaftsleistung dieser beiden Staaten war noch am Ende der achtziger Jahre die höchste innerhalb der Gruppe der Staatswirtschaftsländer.

Allerdings herrschten regionale Unterschiede: Innerhalb der Tschechoslowakei war die Slowakei 1945 deutlich weniger industrialisiert. Um diesen Rückstand auszugleichen, wurde dort während der sozialistischen Ära zwar überproportional investiert, allerdings vorwiegend in eine 1989 bereits deutlich veraltete Schwerindustrie.

Eine weitere Besonderheit bildete sich nach der militärischen Zerschlagung des "Prager Frühlings" heraus: Die tschechoslowakische Wirtschaft, auch die Befriedigung des Konsumbedarfs wurde nunmehr durch die Sowjetunion und den "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe" (RGW oder COMECON), Organisation zur Regelung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Staatswirtschaftsländern, nachhaltig unterstützt. Das sollte die Wiedereingliederung des Landes in den Machtblock fördern. Eine dogmatische politische Ausrichtung verhinderte, dass die tschechoslowakische Wirtschaft sich wie die Ungarns und Polens auf eine Öffnung hin zum Weltmarkt vorbereitete. Damit hatte die Tschechoslowakei 1990 vergleichsweise schlechte wirtschaftliche Startbedingungen. Andererseits wirkte sich ihre geringere Auslandsverschuldung anfangs positiv aus. Bereits 1989 wurde mit dem Abbau des staatlichen Bankenmonopols begonnen, wodurch schneller als anderswo ein marktwirtschaftlich funktionstüchtiges System mit einer Staatsbank und konkurrierenden Geschäftsbanken entstand.

QuellentextUmweltsituation

Im Laufe der siebziger und achtziger Jahre verschlechterte sich der Zustand der Umwelt in Böhmen und Mähren deutlich. Besonders die Verschmutzung von Luft und Wasser erreichte kritische Werte. Der Schädigungsgrad der Waldbestände war der höchste in ganz Europa. Katastrophal war die Lage vor allem im so genannten "Schwarzen Dreieck", wo Tschechische Republik, Polen und ehemalige DDR aneinander grenzen. Die Emissionen der nicht entschwefelten nordböhmischen Kohlekraftwerke verursachten Waldschäden bis tief in das Gebiet von Deutschland hinein. [...]

Besonders ab Mitte der achtziger Jahre fand die ökologische Bewegung mehr und mehr Zulauf; sie vereinigte nicht nur Naturschützer im klassischen Sinn, sondern auch eine Reihe von Leuten, die in den sich verschlechternden ökologischen Bedingungen einen klaren Beweis dafür sahen, dass das System des realen Sozialismus nicht in der Lage war, die Probleme zu lösen, die es in der Praxis täglich aufs Neue hervorbrachte. [...]

Nach dem November 1989 hat sich die Situation in vielerlei Hinsicht geändert. [...] Eine Reihe ökologisch wichtiger Gesetze wurde verabschiedet, unter ihnen das Naturschutzgesetz. [...]

Zu einer Besserung der Lage kam es jedoch zweifellos in wenigstens zwei wichtigen Bereichen. Bis 1998 wurden die Kamine sämtlicher Kohlekraftwerke entschwefelt. Gleichzeitig wurden Hunderte neuer Kläranlagen in Gemeinden jeglicher Größe errichtet. [...] Allzu große Euphorie ist jedoch nicht angebracht. Zu Beginn des Jahres 1999 fehlten der Tschechischen Republik rund 500 Milliarden Kronen für Investitionen, die erforderlich gewesen wären, um den europäischen Umweltstandards zu genügen. [...]

In den neunziger Jahren wurde vor allem aus Deutschland fast eine Million Gebrauchtwagen nach Tschechien eingeführt. Die Anzahl der Autos auf 1000 Einwohner erreichte innerhalb weniger Jahre europäisches Niveau. [...] Die Konzentration von Kohlendioxid durch den Automobilverkehr steigt drastisch an, in den größeren Städten verschlechtert sich vor allem aus diesem Grund die Luftqualität wieder rasant.

Gleichzeitig gerät der umweltfreundlichere öffentliche Verkehr in eine Dauerkrise. Besonders die Situation der Eisenbahn wird von Jahr zu Jahr brisanter. Die Verschuldung der Bahn steigt, der Zustand des Schienenverkehrsnetzes und die Reisesicherheit verschlechtern sich. [...]

Trotz aller Verbesserungen, zu denen es nach 1989 kam, gilt für die Tschechische Republik weiterhin, dass sie auf Kosten der Zukunft lebt. [...]

Jan Keller, "Noch warten die Tschechen auf Grün", in Walter Koschmal u.a. (Hg.), Deutsche und Tschechen, München 2001, S. 372 ff.

Wirtschaftlicher Umbau

Ganz Osteuropa stand 1989 in wirtschaftlicher Hinsicht vor ähnlichen Aufgaben: Erstens mussten die Regierungen Geld- und Warenkreisläufe ins Gleichgewicht bringen (makroökonomische Stabilisierung). Hinzu kam die Einführung von Marktpreisen, also die Freigabe der bisher administrativ festgelegten Preise im Innern und für den Außenhandel (die so genannte Preisliberalisierung und die Einführung der Währungskonvertibilität). Drittens stand die Privatisierung der Staatsbetriebe an. Viertens war eine Steuerreform nötig und schließlich, fünftens, mussten Institutionen etabliert werden, die für das Funktionieren von Märkten wichtig sind (Arbeitsmarkt: Arbeitsämter; Geld- und Kapitalmarkt: Börsen). Nachdem 1990 für die Tschechoslowakei zunächst die politische Reform vorrangig gewesen war, rückte die Wirtschaftsreform im Folgejahr auf der Prioritätenliste nach oben.

Das Jahr 1991 begann mit der plötzlichen Freigabe von 86 Prozent der Binnenpreise ("Liberalisierungsschock"). Eine zusätzliche Steuer auf das Lohnwachstum sollte den Lohnanstieg bremsen. Gleichzeitig wurde die Tschechische Krone, die zum wiederholten Male abgewertet worden war, konvertibel und der Außenhandel stark liberalisiert. Im Ergebnis dieser Maßnahmen sanken Produktion und Reallöhne (letztere 1990 um fünf Prozent und 1991 um 26 Prozent). Zudem büßten auch die Sparguthaben der Bevölkerung an Wert ein, da deren Verzinsung wesentlich geringer als die Inflationsrate war.

Durch den Druck auf die Betriebe, wirtschaftlich zu arbeiten, entstand erstmals Arbeitslosigkeit. Bezogen auf die gesamte Tschechoslowakei stieg die Erwerbslosenrate anfangs nur langsam, in der Slowakei entwickelte sie sich dagegen deutlich schneller. 1992 war die Arbeitslosigkeit im slowakischen Landesteil durchschnittlich viermal so hoch wie in Tschechien. In der Slowakei waren 65 Prozent der staatlichen Rüstungsgüter produziert worden. Diese Produktion brach ein, als sich die entsprechende Nachfrage verminderte und sich prominente tschechische Politiker für Kürzungen dieses Sektors einsetzten. Außerdem flossen in der ersten Zeit wesentlich weniger ausländische Direktinvestitionen (ADI) in die slowakische Teilrepublik.

1991 verminderte sich auch der Handel mit den anderen osteuropäischen Ländern drastisch. Der RGW (COMECON) wurde im Juni 1991 aufgelöst. Der Außenhandel der Tschechoslowakei und später Tschechiens orientierte sich jedoch relativ schnell auf die westlichen Industriestaaten um. Bereits 1995 wurden über 60 Prozent des Außenhandels mit den Ländern der Europäischen Union abgewickelt. Darunter war Deutschland der wichtigste Handelspartner.

Privatisierung

Die Schaffung von Privateigentum begann mit der Verabschiedung der entsprechenden Gesetze: Ende 1990/Anfang 1991 wurden ein Restitutionsgesetz, ein Gesetz über die Privatisierung kleiner Betriebe ("kleine Privatisierung") und ein Gesetz über die umstrittene Privatisierung von großen Unternehmen ("große Privatisierung") verabschiedet. Zuerst erfolgte die Privatisierung der nach dem Februar 1948 enteigneten Unternehmen und Handelsbetriebe. Die früheren Enteignungen – etwa aus der Zeit des Protektorats – wurden erst in den letzten Jahren in Angriff genommen. Unberücksichtigt blieben dagegen die Enteignungen der Sudetendeutschen nach 1945. Hier wirkten die entsprechenden Regelungen der sogenannten Benepi-Dekrete weiter.

Bis Ende 1992 wurden ungefähr 70000 Objekte vor allem des kleingewerblichen Sektors rückübertragen. Dann begann die kleine Privatisierung vor allem über öffentliche Auktionen, an denen sich in einer ersten Runde nur tschechoslowakische Staatsangehörige beteiligen durften. Insgesamt entstanden so weit über 100000 kleine Privatbetriebe vorwiegend im Einzelhandel, im Handwerk und in der Gastronomie. Teilweise wurde die Methode des "Management-buy-out" angewandt, das heißt, die bisherigen Leiter der Staatsbetriebe kauften, meist mittels eines Kredits, "ihren" Betrieb.

In der 1990 gebildeten föderalen Regierung hatten sich zunächst zwei unterschiedliche Auffassungen über die geeignetste Art der Privatisierung gegenüber gestanden. Die eine Gruppierung, vertreten durch den Vizepremier Valtr Komárek, der nach der Spaltung des "Bürgerforums" zu den Sozialdemokraten wechselte, favorisierte die Übertragung der Unternehmen an die Belegschaften. Der Finanzminister Václav Klaus, der spätere Vorsitzende der ODS, und seine Anhänger befürworteten dagegen Direktverkäufe der Unternehmen unter Beteiligung ausländischen Kapitals.

Aus dieser Diskussion ging relativ frühzeitig als Kompromisslösung der besondere tschechische Weg der Privatisierung hervor. Im Februar 1990 wurde ein Gesetz über die Unternehmensprivatisierung verabschiedet. Es sah neben einem Massenprivatisierungsprogramm über Voucher die so genannten Standardverfahren der Eigentumsübertragung (Ausschreibung, Auktion oder Direktverkauf) vor. Die Voucherprivatisierung sollte eine breite Streuung des Eigentums unter die Bevölkerung gewährleisten, damit die Reformen insgesamt durch gesellschaftliche Unterstützung abgesichert werden konnten. Durch die "Standardverfahren" sollte das nötige Kapital angezogen werden. Als dritte Möglichkeit wurde die unentgeltliche Übertragung von Unternehmen auf Kommunen vorgesehen.

Voucher – Vermögensbildung für die Massen

Die Schritte, mit denen die Privatisierung vollzogen wurde, waren die Überführung der staatlichen Betriebe in das Eigentum eines Nationalen Vermögensfonds und ein öffentlicher Wettbewerb um das beste Konzept zur Privatisierung der Unternehmen, über das besondere staatliche Institutionen entschieden. Falls es nicht zu einer unentgeltlichen Übertragung des Unternehmens oder seinem Direktverkauf kam, wurde die Voucherprivatisierung in Gang gesetzt, wobei diese Unternehmen niemals vollständig, sondern nur zwischen sieben und höchstens 97 Prozent ihres Wertes über die Voucherprivatisierung veräußert wurden.

Was aber sind Voucher? Es handelt sich dabei um Ansprüche tschechoslowakischer Bürgerinnen und Bürger auf die Aktien der über die Voucherprivatisierung zum Verkauf stehenden Betriebe. Ab dem 1. Oktober 1991 wurden sie in Form eines Couponheftes zu je 1000 Investitionspunkten gegen die Verwaltungsgebühr von 1000 Kronen an interessierte Personen ausgegeben. Diese Investitionspunkte waren für den Kauf von Aktien in ausgeschriebenen Unternehmen bestimmt, wobei die Nachfrage nach bestimmten Aktien dann deren Wert in Investitionspunkten bestimmte. Der Umtausch von Voucherpunkten in Aktien erfolgte durch eigene Initiative der Bürgerinnen und Bürger oder durch private Investmentfonds, denen sie ihre Voucheranteile übertrugen.

In die erste Runde der Unternehmensverkäufe, die zwischen Mai 1992 und Juni 1993 fiel, wurden knapp 1500 Unternehmen mit 1,26 Millionen Beschäftigten einbezogen. Es wurde ein Erlös von 26,85 Milliarden Kronen erzielt. Das Ergebnis dieser ersten Phase differierte nach Landesteilen: Während die Aktion im tschechischen Landesteil (nach der Teilung: Tschechische Republik) ein Erfolg war, stellten sich die Ergebnisse in der Slowakei weniger positiv dar.

Im zweiten Schub der Privatisierung ab Oktober 1993, der nur noch in der Tschechischen Republik stattfand, wurden ungefähr 2000 Betriebe veräußert. In der Slowakei wurde die Privatisierung zwischen 1994 und 1998 in anderer Weise – vor allem über Direktverkäufe der Unternehmen – weitergeführt.

Im Ergebnis haben sich viele Tschechinnen und Tschechen, nämlich 79 Prozent, an der Aktion beteiligt und sind damit zumindest zeitweise zu realen Eigentümern des vorher anonymen "Volkseigentums" geworden. Ein Teil der Unternehmenswerte ist dabei tatsächlich auf die Bürgerinnen und Bürger übertragen worden, denn die Besitzenden eines Voucher-Heftes konnten während der zweiten Runde der Privatisierung den Wert ihres eingezahlten Geldes durch Aktienerwerb im Durchschnitt auf 33000 Kronen Zeitwert steigern.

Andererseits aber hat der Aktienverkauf schon zu Beginn zu einer erheblichen Konzentration des Aktienbesitzes geführt. Viele verkauften ihre Investitionspunkte an Investmentfonds. Deren Gewicht in der Struktur des Eigentums stellte sich schließlich als weit größer heraus, als ursprünglich angenommen worden war: 74 Prozent aller Voucherpunkte waren in der ersten Privatisierungsrunde an Investmentfonds veräußert worden. Zudem konzentrierten sich über die Hälfte der durch Fonds erworbenen Aktien auf die 14 größten Fonds. Es gibt auch Schätzungen, die eine noch höhere Konzentration des Aktienbesitzes auf einige wenige Fonds annehmen.

In der zweiten Runde waren die Bürgerinnen und Bürger aktiver. Sie kauften gezielter Aktien von Unternehmen, die profitabel schienen. Aber auch diesmal wurden viele Couponhefte an Investmentfonds weiter verkauft. Wenn auch diesmal weniger Aktien an die Fonds wechselten, waren immerhin am Ende 64 Prozent der verkauften Aktien im Eigentum der Investmentfonds, von denen wiederum die 14 größten unter ihnen 38,2 Prozent der verkauften Aktien erwarben. Nach Angaben der OECD wurden im Rahmen der "großen" Privatisierung bis Ende 1995 circa 58 Prozent des Wertes der beteiligten Unternehmen gegen Voucher veräußert.

Nach den beiden Wellen der großen Privatisierung waren nur noch Restbestände nicht privatisiert. Anfänglich behielt die Regierung für mindestens fünf Jahre 500 Unternehmen im Besitz des staatlichen "Nationalen Eigentumsfonds", so die Bahn und die Flughäfen. Mitte 1997 betrug der Anteil des in der privaten Wirtschaft erzeugten Bruttoinlandsprodukts ungefähr 75 Prozent.

Allerdings vollzog sich nach 1995 über Firmenkonkurse, Zusammenlegungen und Verkauf von Beteiligungen ein weiterer Konzentrationsprozess, die so genannte dritte Welle der Privatisierung. Dabei spielten die großen Geschäftsbanken eine aktive Rolle. Teilweise waren sie mit dem Problem der "faulen Kredite" konfrontiert, deren Rückzahlung in Frage stand. Dabei handelte es sich sowohl um Kredite aus der Zeit vor als auch nach 1989. Die Banken standen dabei in einem Interessenkonflikt: Einerseits waren sie Kreditgeberinnen, andererseits als Eigentümerinnen von Investmentfonds, die Aktien dieser Unternehmen besaßen, auch an den Unternehmen beteiligt. Schließlich waren sie selbst als teilweise im Staatseigentum befindliche Institute auch von der Politik abhängig.

Diese unübersichtliche Lage kritisierte die Europäische Union im Rahmen des Beitrittsprozesses. In den Verwicklungen dieser Konzentrationsprozesse kam es auch zu Eigentumstransaktionen, die die Firmen und dabei vor allem das Eigentum der Kleinaktionäre gefährdeten. Die Substanz der Unternehmen wurde ausgehöhlt, das Geld häufig ins Ausland verschoben.

Das tschechische Wort für diese Aktivitäten heißt: "Vytunelovaní", Untertunnelung oder Aushöhlung. Präsident Havel sprach 1998 von mehreren Hundert Milliarden Kronen, die auf diese Weise illegal verschoben worden wären. Das führte auch zum Konkurs von etwa einem Dutzend kleinerer und mittlerer Banken, die teilweise mit Hilfe von Steuergeldern saniert werden mussten. Die nach den vorgezogenen Wahlen von 1998 gebildete sozialdemokratische Regierung versuchte diese Kette zu durchbrechen, indem sie einerseits die Privatisierung der Banken vorantrieb, andererseits aktiver für eine Restrukturierung der großen Industriebetriebe eintrat. Schließlich unternahm sie einige Anstrengungen, die Wirtschaftsverbrechen im Zuge der "vytunelovaní" mittels der Aktion "saubere Hände" aufzudecken und zu bestrafen.

Soziale Abfederung

Mit der Stabilisierung der Wirtschaft und der Privatisierung der Unternehmen waren die Aufgaben der Wirtschaftsreform nicht erschöpft. Parallel dazu musste dieser Prozess sozial und institutionell abgesichert werden. Dazu gehörten die Einrichtung von Arbeitsämtern, das System der Arbeitslosenversicherung sowie die Arbeitsförderung. Gleichzeitig mussten die sozialen Sicherungssysteme (Altersrente, Gesundheitsversorgung) marktwirtschaftlich organisiert werden.

Die Gewerkschaften strukturierten sich ebenfalls grundlegend um. Im Sozialismus hatten sie als Teil des staatlichen Verwaltungsapparates funktioniert, der für das Sozialwesen und die Versorgung mit Ferienplätzen zuständig war. Nun mussten sie die Interessen der abhängig Beschäftigten aktiv vertreten. Der Organisationsgrad von fast 100 Prozent im Jahre 1989 sank auf circa 23 Prozent im Jahre 1999. Die betrieblichen Streikkomitees, die sich während des Generalstreiks am 17. November 1989 gebildet hatten, schlossen sich zu einem Koordinationszentrum zusammen. Aus diesem bildete sich Anfang März 1990 eine neue Gewerkschaftskonföderation mit zwei Landesverbänden, die in Branchengewerkschaften untergliedert waren.

Bis heute ist die tschechische Gewerkschaftsbewegung im Unterschied zu den meisten anderen Staaten Osteuropas mehrheitlich in diesem einen Dachverband organisiert. Charakteristisch für seine Struktur ist außerdem die starke Stellung der Basisorganisationen, die 60 bis 80 Prozent der Mitgliedsbeiträge einbehalten, während die Konföderation nur etwa vier Prozent erhält. Diese starke Stellung der betrieblichen Ebene entspricht alten Traditionen aus der Zeit der Ersten Republik.

Gleichzeitig formierten sich, in Tschechien und der Slowakei getrennt, Dachverbände der Unternehmer. Der tschechische Unternehmerverband umfasste allerdings im Jahre 2000 nicht mehr als ungefähr 30 Prozent aller Unternehmen.

Die Sozialpartner und die Regierung arbeiteten ab Herbst 1990 im Rahmen des paritätischen "Rates für wirtschaftliche und soziale Übereinkunft" zusammen. Bis 1994 entschied dieser jährlich über Zielsetzungen für die Wirtschaftspolitik des Staates. Diese Richtlinien – etwa über eine angestrebte Lohnentwicklung – waren vor allem auf Betriebsebene wirksam. Nach 1994 blockierte die Regierung Klaus eine konstruktive Arbeit, um selbst einen größeren Spielraum für die eigene Wirtschaftspolitik zu erlangen. Erst ab 1998, unter der Regierung Zeman, wurde der "Rat" wieder aktiviert. Die Zusammenarbeit der Sozialpartner mit Regierungsvertretern stärkte den sozialen Frieden während des Systemwechsels. Die Gewerkschaften akzeptierten über weite Strecken eine Politik der Lohnzurückhaltung. Es wurde selten gestreikt.

Auswirkungen der Transformation

Die wirtschaftliche Transformation Tschechiens verlief in folgenden Etappen: Zu Beginn der Entwicklung, im Zeitraum zwischen 1990 und 1992, kam es zu einem erheblichen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um insgesamt etwa ein Fünftel, gemessen am Stand von 1989. Die Industrieproduktion verringerte sich in diesem Zeitraum noch stärker. Erst 1993, in der Industrieproduktion 1994, wuchs die Wirtschaft wieder. Es dauerte weitere sieben Jahre, bevor das Bruttoinlandsprodukt in etwa dem des Jahres 1989 entsprach. Die "Anpassungsrezession", wie der durch die Umstellung der Planwirtschaft auf die Marktwirtschaft erzeugte Einbruch genannt wird, ist allerdings keine tschechische Besonderheit.

Neben der Reform der Eigentumsverhältnisse sowie dem Umbau der Instrumentarien der staatlichen Wirtschaftspolitik wandelte sich in dieser Zeit die Produktionsstruktur: Der Anteil der Industrie an der Produktion und den Beschäftigten verringerte sich wie auch der Anteil der Land- und Forstwirtschaft, während der Dienstleistungssektor stark ausgebaut wurde. Diesen strukturellen Wandel begleiteten Stilllegungen von ineffizienten Betrieben besonders in Bergbau und Schwerindustrie, die sich auf bestimmte Regionen, vor allem Nordböhmen und Nordmähren, konzentrierten.

1999 wurden knapp 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Dienstleistungsbereich produziert. Dort wuchsen besonders der Handel und die Finanzdienstleistungen. Zwischen 1990 und 1999 sank der Anteil der in der Industrie Beschäftigten von 38 auf 33 Prozent, während der Anteil der in Handel und Reparaturen beruflich Tätigen von zehn auf 15 Prozent anstieg.

Der Aufbau eines modernen Bankensystems nahm allerdings Zeit in Anspruch und verlief nicht ohne Komplikationen. 1994 kam es zu Zusammenbrüchen privater Geschäftsbanken. Die Privatisierung der größeren Geschäftsbanken verzögerte sich dadurch und wurde nach deutlicher Kritik der EU seitens der sozialdemokratischen Minderheitsregierung wieder beschleunigt. Sie konnte im Sommer 2001 mit dem Verkauf des Staatsanteils an der größten tschechischen Bank, der Komercní Banka (Kommerzbank), an ein französisches Unternehmen abgeschlossen werden.

Mit der großen Privatisierung entstand der Handel mit Wertpapieren. 1993 nahmen in den Hauptstädten Prag und Bratislava Wertpapierbörsen ihre Tätigkeit auf.

Reformen nach 1996

Nach Abschluss der ersten Reformphase in der tschechischen Republik gegen Mitte der neunziger Jahre steht nach Einschätzung der in London ansässigen "Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" seit dem Ende des Jahrzehnts die Konsolidierung der Reformen im Vordergrund. In dieser Phase muss es nicht nur wegen des angestrebten Beitritts zur Europäischen Union gelingen, den Abstand der eigenen Wirtschaft zu denen der westlichen Industriestaaten zu mindern. Es geht auch um die Fähigkeit der tschechischen Wirtschaft, dem starken ökonomischen Wettbewerb auf den Weltmärkten dauerhaft standzuhalten.

Schwächen einer Wirtschaft zeigen sich häufig in Außenhandelsbilanzen, in Leistungs- und Handelsbilanzdefiziten. So war es auch in der Tschechischen Republik im Jahre 1996. Ein Jahr später begann die bisher im osteuropäischen Vergleich moderate Arbeitslosigkeit zu steigen und erreichte am Ende des Jahrzehnts acht bis neun Prozent. Dieser Wert blieb bis heute konstant. Im Jahr 2000 waren fast 40 Prozent der Arbeitslosen länger als zwölf Monate beschäftigungslos. Es zeigen sich auch regional spezifische Unterschiede. In einzelnen Kreisen Nordböhmens ist die Arbeitslosenquote ebenso wie in Teilen Nordmährens mit über 15 Prozent fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt, während in Prag weniger als fünf Prozent der Erwerbstätigen arbeitslos sind.

1996 bis 1997 geriet nicht nur die Wirtschaft in eine Krise, sondern es kam zur Verflechtung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisensymptomen. Die Versuche der Regierung, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufzufangen, führten zu stagnierenden, teilweise sogar sinkenden Reallöhnen. Enttäuschung über die Unfähigkeit der Politik, ihre Versprechungen einzulösen, führte zu einem rapiden Verfall des Vertrauens in die regierende Elite und die politischen Institutionen. Die bis dahin regierende Mitte-Rechts-Koalition wurde im November 1997 vorzeitig abgelöst. Damit war auch die Phase außergewöhnlicher politischer Stabilität vorbei: 1998 musste die tschechische Bevölkerung das erste Mal außerhalb der Reihe an die Wahlurne treten. Eine sozialdemokratische Minderheitsregierung löste die Mitte-Rechts-Regierung ab. Sie wurde mit den Wahlen im Jahre 2002 weiterhin im Amt bestätigt.

Der zwischen 1997 und 1999 entstandene Einbruch des Bruttoinlandsprodukts konnte erst im Jahr 2000 überwunden werden. In dieser Zeit wurden auch eine Reihe von unerledigten Wirtschaftsreformen, so die Privatisierung der Banken, die technische Erneuerung einiger großer Betriebe und die Vorbereitung der Wirtschaft auf den EU-Beitritt, beschleunigt oder zu Ende geführt. Nach 2,9 Prozent im Jahr 2000 steigerte sich das Bruttoinlandsprodukt im Folgejahr um 3,6 Prozent. Von wirtschaftlichen Erfolgen zeugen auch die seit 1999 wieder stark ansteigenden ausländischen Direktinvestitionen in Tschechien.

Diese Konsolidierung der Wirtschaftsentwicklung ist im wesentlichen ein Erfolg der sozialdemokratischen Minderheitsregierung, die, gestützt durch einen Vertrag mit der oppositionellen ODS und darüber hinaus mit wechselnden parlamentarischen Mehrheiten, einige wichtige, bisher ungelöste Probleme zügig in Angriff nahm. Ungeachtet dieser Fortschritte gibt es nach wie vor Schwachstellen der tschechischen Wirtschaftsentwicklung: Dazu zählen die vielfach unzureichenden Qualifikationen der Unternehmensführungen, die Defizite in der Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie offenkundige Mängel im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität.

Ausländische Direktinvestitionen

Die veränderte Eigentumsstruktur, die Ausrichtung der Außenwirtschaft und die neuen sozialen Institutionen der Marktwirtschaft sind wichtige Voraussetzungen einer erfolgreichen Integration der tschechischen Wirtschaft in die Weltökonomie. Es mangelt vielen Unternehmen aber an Kapital, um in die Erneuerung der Produktionsbasis zu investieren. Ein Weg, um dieses Problem zu lösen, ist die Anziehung ausländischen Kapitals.

Insofern ist eins der Erfolgskriterien der Transformation die Bilanz der ausländischen Direktinvestitionen (ADI), die seit 1990 ins Land kamen. Diese Investitionen betreffen nicht ausschließlich die Industrie, sie schlagen sich auch nicht nur in der Erneuerung der Produktionsgrundlage nieder. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat in einer Studie zur Vorbereitung der ostmitteleuropäischen Länder auf den EU-Beitritt hervorgehoben, dass sich aus den ADI weitere wirtschaftliche Vorteile ergeben: Die ausländischen Firmen unterstützen in der Regel die Qualifizierung der Management- und Marketingfähigkeiten der betreffenden einheimischen Unternehmen, außerdem erleichtern sie ihnen den Zugang zu internationalen Finanz- und Warenmärkten.

Die Tschechische Republik gehört zu den Ländern in Ostmitteleuropa, die seit Jahren die meisten ADI anziehen. Die Gelder kommen vorwiegend aus vier bis fünf westlichen Industriestaaten, wobei Deutschland in den letzten Jahren meist den Spitzenplatz vor den Niederlanden einnahm. In Ostmitteleuropa wird vor allem in das Finanzwesen und in den Handel investiert. Die deutschen Direktinvestitionen in Tschechien hingegen kommen außer in diesen beiden Bereichen im erheblichen Maße der Produktion und dem Absatz von Kraftfahrzeugen sowie der Produktion von elektrischen Maschinen und Geräten zugute. Auch bei industriellen Projekten, in die Gelder investiert werden, nehmen deutsche Firmen eine Spitzenposition ein.

Ein Beispiel für ein solches Unternehmen ist der bekannte Autoproduzent des Landes, "Skoda" in Mladá Boleslav, der bereits 1991 Teil des deutschen VW-Konzerns wurde. VW besaß 70 Prozent der Aktien dieses größten tschechischen Werkes mit gegenwärtig 22000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 90 Milliarden Kronen. Der tschechische Staat besaß die restlichen 30 Prozent, im Mai 2000 hat er diese für 650 Millionen DM an VW verkauft, behält aber einen Sitz im Aufsichtsrat des Unternehmens.

Die von 1990 bis Ende 2000 ins Land investierten ausländischen Gelder in Höhe von 22,1 Milliarden US-Dollar machen einen Anteil von weit über 30 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts aus. Die ADI schaffen und sichern Arbeitsplätze in Tschechien, unterstützen die Umstrukturierung der Wirtschaft und stärken den Export. So wurden 1999 nach Angaben von "Czechinvest", einer Organisation zur Unterstützung ausländischer Investitionstätigkeit, ungefähr zwei Drittel aller industriellen Exportgüter in tschechischen Betrieben produziert, die ausländischen Unternehmen gehören.

Das heißt nicht, dass es keine Ängste angesichts dieser Internationalisierung der Wirtschaft gäbe. So wurde eine der größten Banken 1998 an die japanische Nomura-Gruppe verkauft. Im Oktober 1999 veräußerte diese Finanzgruppe den der Bank gehörenden Aktienanteil an den beiden größten tschechischen Biermarken Pilsner Urquell und Radegast an den südafrikanischen Brauereikonzern SAB. In der tschechischen Öffentlichkeit wurde dieser Verkauf kritisch kommentiert. Im Sommer 2000 ging die Bank selbst in den Besitz eines anderen ausländischen Eigentümers über. Soweit der konkrete Konflikt, der kein Einzelfall ist.

Allerdings scheint es zur Internationalisierung der tschechischen Betriebe angesichts der Verflechtung der Weltwirtschaft keine Alternative zu geben. Und solange die betreffenden Unternehmen die tschechischen Marken auf dem Weltmarkt durchsetzen und Arbeitsplätze erhalten bleiben, überwiegen die Vorteile für die Bevölkerung.