Die Abgabenordnung (AO) ist die Basis des deutschen Steuerrechts. Sie erläutert steuerliche Grundbegriffe, legt Vorschriften fest, die für alle Steuern gemeinsam gelten und beschreibt die Einzelheiten des Steuergeheimnisses.
Die Abgabenordnung enthält zudem grundlegende Regelungen darüber, wie die Steuer festzusetzen und wann sie zu entrichten ist. Wer wofür Steuern bezahlen muss und wer wie unter welchen Umständen begünstigt oder gar von der jeweiligen Steuer befreit ist, regeln in Deutschland inzwischen mehr als 200 Bundesgesetze und Verordnungen. Dazu kommen jährlich zahlreiche neue Anordnungen und Erlasse der Ministerien für die Finanzverwaltung.
QuellentextDas Steuergeheimnis
Die Steuerpflichtigen müssen bei der Steuererklärung mitwirken und dafür der Finanzbehörde ihre steuerlichen Verhältnisse vollständig offenbaren, wie es in der Abgabenordnung (AO) heißt. Daher muss laut AO die Geheimhaltung dieser Angaben gewährleistet sein. Die Daten dürfen nur anderweitig verwertet werden, wenn der oder die Betroffene zustimmt oder wenn sie in einem Strafverfahren angewandt werden – allerdings auch hier mit Einschränkungen.
Constanze Elter
Die Finanzverwaltung ist zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Die Bundesfinanzverwaltung ist vor allem für Zölle und die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern zuständig. Die Länder verwalten die weiteren Steuern entweder in eigener Sache oder im Auftrag der anderen föderalen Ebenen.
Die Steuererklärung
Die wichtigste Informationsquelle für die Arbeit der Finanzbehörden ist die Steuererklärung. Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind laut Abgabenordnung dazu verpflichtet, dabei zu helfen, die Daten zu ermitteln, die für die Steuerfestsetzung relevant sind. So müssen Selbstständige Auskünfte über ihre Einnahmen und Ausgaben geben und sind in vielen Fällen dazu verpflichtet, Buch zu führen.
Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird zwar die Lohnsteuer als eine Art Vorauszahlung auf die Einkommensteuer direkt vom Gehalt abgezogen, sodass die (Steuer-)Angelegenheit damit eigentlich erledigt sein könnte. Oft aber müssen auch sie eine Steuererklärung abgeben, zum Beispiel, weil sie noch andere Einkünfte haben, Freibeträge in Anspruch genommen haben oder als Eheleute mit den Steuerklassen III und V abgerechnet worden sind. Aber auch in folgenden Fällen ist der Steuerzahlende verpflichtet, seine Einkünfte dem Finanzamt zu erklären
Wer Elterngeld, Arbeitslosengeld, Kranken- oder Kurzarbeitergeld über 410 Euro bekommen hat, muss eine Steuererklärung einreichen. Die Lohnersatzleistungen sind zwar für sich genommen steuerfrei, erhöhen aber den Steuersatz der übrigen Einkünfte.
Wer parallel bei mehreren Arbeitgebern gearbeitet hat, muss ebenfalls eine Steuererklärung abgeben.
Rentnerinnen und Rentner, deren Einkünfte über 11 604 Euro (bei Ehepaaren 23 208 Euro, Stand: 2024) liegen, müssen eine Steuererklärung machen.
Die gleichen Grenzen wie bei Rentnerinnen und Rentnern gelten auch für Selbstständige; sie orientieren sich am steuerfreien Grundfreibetrag. Wer mehr einnimmt, muss eine Steuererklärung machen.
Grundsätzlich gilt: Jeder muss sich selbst darüber informieren, ob er oder sie eine Einkommensteuererklärung abgeben muss. Das Finanzamt fordert nicht automatisch zur fristgerechten Abgabe der Steuererklärung auf. Zudem möchten manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einfach zu viel gezahlte Steuern zurückerstattet bekommen – und reichen deswegen eine Steuererklärung ein. Ist man per Gesetz dazu verpflichtet, eine Steuererklärung abzuliefern, muss dies bis zum 31. Juli des nachfolgenden Jahres geschehen – in Papierform oder elektronisch.
Wer seine eigene Erklärung nicht selbst erledigen möchte, kann sich an einen Steuerberater wenden. Hilfeleistung in Sachen Steuern dürfen neben Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern in Deutschland aber auch andere geben. Lohnsteuerhilfevereinen und Handwerkskammern ist es beispielsweise erlaubt, Stellen für die steuerliche Betreuung ihrer Mitglieder einzurichten. Auch Gewerkschaften, Haus- und Grundbesitzervereine können ihre Mitglieder in Steuerfragen beraten. Banken dürfen ebenfalls bei der Anlageberatung auf einkommensteuerrechtliche Folgen hinweisen. Steuerberaterinnen und Steuerberater sowie Lohnsteuerhilfevereine haben immer bis zum letzten Februartag des übernächsten Jahres Zeit für die Steuererklärungen, die sie im Auftrag ihrer Mandantinnen und Mandanten bzw. ihrer Mitglieder bearbeiten.
Wer nicht zur Steuerberatung befugt ist und trotzdem andere in Steuersachen berät, muss mit Strafe rechnen. „Unbefugte Hilfeleistung in Steuersachen“ heißt das im offiziellen Amtsdeutsch – und die wird mit einer Geldbuße bis zu 5000 Euro geahndet. Der Gesetzgeber will damit vermeiden, dass den Steuerzahlern durch eine nicht fachkundige Beratung Nachteile entstehen.
Alles digitalisiert, oder was?
Auch in Steuerangelegenheiten hat die Digitalisierung Einzug gehalten. So erhält jeder Steuerpflichtige in Deutschland vom Bundeszentralamt für Steuern eine dauerhafte 11-stellige Identifikationsnummer, die von Geburt an lebenslang gilt. Das Bundeszentralamt für Steuern speichert zu dieser Nummer den Namen, Geburtsort und -datum, das Geschlecht, die Anschrift und die zuständige Finanzbehörde. Ein Umzug oder eine Heirat ändern nun nichts mehr an der individuellen Steueridentifikationsnummer.
Elektronisch geht es auch bei den Steuererklärungen zu: Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die Möglichkeit, ihre Daten online an das Finanzamt zu übermitteln. ELSTER – die elektronische Steuererklärung – macht das kostenlos möglich. Unternehmerinnen und Unternehmer sind sogar verpflichtet, ihre Voranmeldungen und Steuererklärungen elektronisch dem Finanzamt zu übermitteln, ebenso weitere steuerliche Formulare.
Wer seine Steuererklärung digital über ELSTER erledigen möchte, muss sich dort einmalig registrieren. Denn nur so erhält man die technischen Voraussetzungen, die für das Übermitteln der Steuerdaten notwendig sind: eine Zertifikatsdatei sowie ein Passwort. Alternativ lässt sich auch die App ElsterSecure nutzen.
Für ELSTER stellt das Finanzamt die Browser-Lösung Mein ELSTER und die App Mein ELSTER+ zur Verfügung. In der App können Belege erfasst und digital hochgeladen werden, mithilfe einer Texterkennungssoftware werden die Belege von der App gescannt. Online können Voranmeldungen und Steuererklärungen elektronisch eingereicht werden. Bisher müssen allerdings die Werte in der digitalen Plattform weitestgehend manuell in die einzelnen Formularfelder eingetragen werden. Alternativ können sich Steuerpflichtige auch für andere Softwarelösungen entscheiden, diese unterscheiden sich in der Regel in der Menüführung und in der Oberfläche. Eine ELSTER-Schnittstelle muss vorhanden sein, damit die Daten ans Finanzamt übermittelt werden können.
Die sogenannte vorausgefüllte Steuererklärung bietet die Finanzverwaltung als Service an. Hier können bei der Steuerverwaltung gespeicherte Daten elektronisch abgerufen und in die Steuererklärung übernommen werden. Derzeit umfassen die Einträge unter anderem
gespeicherte Stammdaten,
Lohnsteuerbescheinigungen,
Lohnersatzleistungen,
Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen,
Zuschüsse und Erstattungen von Behörden oder auch
Kapitalerträge mit Freistellungsauftrag.
(© bpb, Eigene Darstellung)
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Steuerbescheid, Einspruch und Klage
Ist ein Steuerzahler mit einer Entscheidung des Finanzamts nicht einverstanden, hat er mehrere Möglichkeiten, sich zu wehren. Manchmal verrechnet sich auch das Finanzamt. Handelt es sich dabei um einen klassischen Zahlendreher, so kann dieser auf einfachem Wege geändert werden: Offensichtliche Unrichtigkeiten wie Rechenfehler im Steuerbescheid lassen sich mit einem Berichtigungsantrag korrigieren.
Möglicherweise ist aber auch noch ein Beleg aufgetaucht, der wichtig für den Werbungskostenabzug ist. Dann kann ein Antrag auf Änderung des Steuerbescheids gestellt werden. Das geht sogar mündlich, sollte aber aufgrund des besseren Nachweises schriftlich erledigt werden. Die Frist für einfache Änderungen beläuft sich auf vier Wochen; das Finanzamt darf dann nur die angesprochenen Punkte korrigieren. In einigen Teilen sind Steuerbescheide manchmal von Amtswegen noch längere Zeit veränderbar. Das gilt immer dann, wenn sich auf dem Bescheid der Satz „Der Bescheid ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig“ findet. Am Ende des Steuerbescheids sind die Punkte aufgelistet, in denen der Bescheid noch offen ist. Dabei handelt es sich um die sogenannten Vorläufigkeitsvermerke; diese werden von den Finanzbehörden für ausgewählte Fälle festgelegt, in denen Gerichtsverfahren anhängig sind. Die Liste aller aktuellen Vorläufigkeitsvermerke wird regelmäßig vom Bundesfinanzministerium veröffentlicht.
Manchmal steht auch der gesamte Steuerbescheid unter dem „Vorbehalt der Nachprüfung“. Das bedeutet, dass der Bescheid noch nicht abschließend geprüft ist; das Finanzamt will sich hiermit in der Regel die Möglichkeit einer Betriebsprüfung offenhalten. Daher findet sich dieser Vorbehalt meist nur bei Selbstständigen.
Fühlt sich ein Steuerzahler zu Unrecht zur Kasse gebeten, kann er gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen. Damit wird ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren in Gang gesetzt, in dem der Steuerbescheid umfassend überprüft wird – späterer Rechtsweg (für Steuerpflichtige) nicht ausgeschlossen. Allerdings muss der Einspruch innerhalb eines Monats nach Erhalt des Steuerbescheids eingelegt werden. Das Finanzamt hat mehrere Möglichkeiten, auf einen Einspruch zu reagieren:
Abhilfe oder Teilabhilfe: Das bedeutet, dass die Behörde ganz oder in Teilen den Argumenten des Einspruchs folgt und den Steuerbescheid entsprechend ändert.
Rücknahme des Einspruchs: Kommen die Finanzbeamten zu der Auffassung, dass der Einspruch keine Aussicht auf Erfolg hat, wird dem Steuerzahler dies mitgeteilt. Danach hat der bzw. die Betroffene die Möglichkeit, den Einspruch zurückzunehmen – mit der Folge, dass der Steuerbescheid bestandskräftig wird.
Förmliche Einspruchsentscheidung: Wird der Einspruch in solchen Fällen nicht zurückgenommen, entscheidet das Finanzamt, dass der Einspruch ganz oder teilweise als unbegründet zurückgewiesen wird. Dagegen kann vor dem Finanzgericht geklagt werden.
Wird ein Einspruch zurückgewiesen, ist die Klage beim Finanzgericht der nächste Schritt. Jeder Steuerzahler kann sich nach einem negativen Bescheid über seinen Einspruch grundsätzlich selbst an das Finanzgericht wenden – und ein Verfahren entweder schriftlich oder per E-Mail einleiten. Voraussetzung für eine Klage beim Finanzgericht ist eine (negative) Einspruchsentscheidung. Dann kann binnen eines Monats die Klage eingereicht werden. Diese sollte eine Kopie des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung enthalten. Die Begründung der Klage kann gegebenenfalls nachgereicht werden; aufgrund der Komplexität des Steuerrechts ist es empfehlenswert, spätestens bei diesem Stand des Verfahrens einen Steuerberater oder eine Fachanwältin hinzuzuziehen.
Das Finanzgericht verlangt einen Vorschuss auf die Gerichtskosten. Dieser bemisst sich nach dem Streitwert. Das Finanzgericht prüft nun den Sachverhalt, bittet das beklagte Finanzamt um Stellungnahme, fordert möglicherweise weitere Unterlagen oder Zeugen an. In der Regel kommt es zu einer mündlichen Verhandlung, das Gericht kann aber auch ohne eine solche zu einer Entscheidung kommen. Am Ende des Verfahrens steht das Urteil oder der Gerichtsbescheid. Oder aber das Gericht versucht zwischen den Parteien zu vermitteln: Bei einer gütlichen Einigung legt das Gericht einen Kompromissvorschlag vor; wird dieser angenommen, müssen sich die Beteiligten die Gerichtskosten teilen. Weist das Finanzgericht die Klage ab, kann man gegen diese Entscheidung vor den Bundesfinanzhof (BFH) ziehen. Dort besteht allerdings Vertretungszwang, sprich dort können nur Steuerberater oder Anwältinnen das Verfahren führen. Voraussetzung für ein BFH-Verfahren ist, dass das Finanzgericht die Revision zugelassen hat. Ansonsten bleibt nur die sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde: Dann prüft der BFH selbst, ob Verfahrensfehler vorliegen oder der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Finanzgerichte
Die Finanzgerichtsbarkeit besteht – anders als die anderen Gerichtsbarkeiten in Deutschland – lediglich aus zwei Stufen: den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof (BFH). Während es beispielsweise bei Klagen gegen Verwaltungsbescheide als erste Instanz das Verwaltungsgericht und als zweite Instanz die Oberverwaltungsgerichte gibt, bevor eine Sache dann an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen wird, sind die 18 Finanzgerichte bereits sogenannte Obere Landesgerichte. Deshalb gibt es in der Regel in jedem Bundesland nur ein Finanzgericht. Die Ausnahmen bilden Bayern (München und Nürnberg) und Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf, Köln und Münster).
Gegen eine Entscheidung des jeweiligen Finanzgerichts ist Revision oder Beschwerde beim BFH möglich, und zwar immer für diejenigen, die durch die Entscheidung des Gerichts „beschwert“ sind – deren rechtliche Auffassung also vom Gericht nicht oder nicht ganz geteilt wird. Manchmal erlangen Entscheidungen der Finanzgerichte, vor allem aber des Bundesfinanzhofs, einen größeren Bekanntheitsgrad. Jedoch kommt ein steuerfreundliches Urteil nicht immer auch bei anderen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern an: Mit einem Nichtanwendungserlass können die obersten Finanzbehörden die Finanzämter verpflichten, eine bestimmte Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.
Das ist möglich, weil Urteile in einem finanzgerichtlichen Verfahren in aller Regel nur diejenigen binden, die am Rechtsstreit beteiligt waren. Im Gegensatz zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben Urteile des Bundesfinanzhofs keine allgemeinverbindliche Wirkung. Umgekehrt kann es aber auch der Fall sein, dass die obersten Finanzbehörden Entscheidungen des BFH prüfen, ob das entsprechende Urteil oder der Beschluss im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung über den Einzelfall hinaus angewandt werden kann.
Steuerhinterziehung und Steuermoral
Mancher Steuerpflichtige geht beim Versuch, Steuern zu sparen, zu weit, nennt Einnahmen nicht vollständig in seiner Steuererklärung oder setzt Ausgaben zu hoch an. Und manch einer wendet dabei sogar kriminelle Energie auf, hinterzieht Steuern in großem Stil oder bringt gar Geld ins Ausland. Die Bandbreite der Steuersünden ist groß, sodass die Finanzbehörden nicht umhinkommen, nicht nur die fristgerechte, sondern auch die ordnungsgemäße Steuerzahlung zu überwachen.
Zunächst einmal können die Finanzämter selbst die Angaben der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kontrollieren: Die sogenannte Außenprüfung – im Sprachgebrauch besser bekannt als „Betriebsprüfung“ – dürfen Finanzbeamtinnen und -beamte in der Regel bei Unternehmen anordnen, also bei Gewerbetreibenden, Land- und Forstwirtschaftsbetrieben sowie bei Freiberuflern. Aber manchmal werden die Prüfer auch zu anderen Steuerzahlenden geschickt, nämlich dann, wenn „die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist“ (§ 193 AO, Abs. 2). Mit anderen Worten: Im Fall der Fälle kann es jeden treffen. Im Jahr 2022 beliefen sich die Steuermehreinnahmen durch Außenprüfungen auf 10,8 Milliarden Euro. Knapp 152 000 Betriebe wurden geprüft. In Einzelfällen kann es sehr hohe Nachzahlungen geben, häufig aber ergibt sich gar keine Beanstandung – und in manchen Fällen bekommt der oder die Geprüfte sogar Geld zurück.
(© Bundesfinanzministerium (Oktober 2023) Eigene Darstellung auf Grundlage von picture alliance/dpa/dpa-infografik GmbH | dpainfografik GmbH (Oktober 2023))
(© Bundesfinanzministerium (Oktober 2023) Eigene Darstellung auf Grundlage von picture alliance/dpa/dpa-infografik GmbH | dpainfografik GmbH (Oktober 2023))
Rechnet man die Kosten einer Außenprüfung gegen die möglichen Einnahmen, lohnt sich die Prüfung, rein finanziell betrachtet, nicht unbedingt. Die vorbeugende Wirkung ist entscheidend, weil jeder Unternehmer und jede Unternehmerin weiß, dass er oder sie geprüft werden kann. Die Außenprüfung ist also im Grunde mit einer Verkehrskontrolle vergleichbar: Auch Autofahrerinnen und Autofahrer wissen, dass sie jederzeit von der Polizei angehalten werden können, und überlegen sich daher vor einer Autofahrt genau, ob sie zu schnell oder mit Alkohol im Blut fahren und damit eine Strafe riskieren. Auch bei einer Außenprüfung kann neben den Steuernachzahlungen samt Zinsen die Grenze zur Strafbarkeit überschritten werden; Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Einsehen dürfen die Prüferinnen und Prüfer die Daten der Finanz-, Lohn- und Anlagebuchhaltung. Daher müssen sämtliche Aufzeichnungen der Buchführung inklusive der Buchungsbelege und Kontenblätter zehn Jahre aufbewahrt werden – und in jedem Fall so lange, bis die jeweiligen Steuerbescheide verjährt sind.
Zahlt ein Steuerpflichtiger seine Steuern nicht, so kann das Finanzamt die Steuern zwangsweise eintreiben; Säumniszuschläge werden für verspätete Steuerzahlungen fällig und Steuerschulden verzinst. Allerdings ist auch das Finanzamt zur Zinszahlung verpflichtet, wenn es nach Ablauf bestimmter Fristen zurückzuerstattende Steuern nicht überwiesen hat. Und in bestimmten Fällen können Steuerzahlungen sogar gestundet oder erlassen werden.
Wenn ein Steuerzahler jedoch gegenüber dem Finanzamt falsche Angaben macht, beispielsweise seine Einkünfte nicht in voller Höhe angibt, Nebeneinnahmen verschweigt oder sogar Unterlagen vernichtet, macht er sich der Steuerhinterziehung schuldig.
QuellentextSteuerhinterziehung durch sogenannte Cum-Cum-Deals?
[…] Rund 25 Milliarden Euro, schätzt der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel von der Universität Mannheim, sind dem Staat seit 2001 durch sogenannte Cum-Cum-Deals entgangen. Das sind Aktiengeschäfte, die darauf angelegt sind, dass diejenigen, die sie betreiben, Steuererstattungen bekommen, die ihnen nicht zustehen.
Cum-Cum-Deals sind eine ähnliche Masche wie die bekannteren Cum-Ex-Geschäfte. Die sorgten in den vergangenen Jahren für viel Aufsehen und für zahlreiche Straf- und Ermittlungsverfahren. Doch womöglich richteten die Cum-Cum-Geschäfte noch größeren finanziellen Schaden an.
Sie funktionierten lange so: Wer Aktien deutscher Unternehmen besitzt, muss auf die dabei anfallenden Dividenden Steuern abführen. Deutsche Finanzunternehmen können sich diese Steuer später aber zurückholen, weil sie schon Körperschaftsteuer bezahlen. Ausländische Banken dürfen das nicht. Doch es gibt einen Trick: Ausländische Banken leihen ihre Aktien kurz vor dem Stichtag der Dividende an deutsche Institute aus – und die fordern die Steuer zurück. Danach wandern die Aktien wieder an die ausländischen Eigentümer. Die Steuerersparnis teilen sich beide Seiten. Anfang der Nullerjahre trieben es große Investmentbanken aus London mit dieser Masche besonders bunt und kassierten Milliarden.
Die 25 Milliarden, die der Finanzwissenschaftler Spengel für die Cum-Cum-Deals errechnet hat, seien eine konservative Schätzung, sagt er. Es könnte um wesentlich mehr Geld gehen. „Es ist der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik“, so Spengel. Anne Brorhilker, bis Mai noch Oberstaatsanwältin in Köln und bekannteste Jägerin von Steuerbetrügern, spricht von organisierter Kriminalität.
Beteiligt haben sich an diesem Beutezug Wertpapierhändler aus London, Banker aus Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart sowie Steuerberater und Rechtsanwälte. Auch Sparkassen und Volksbanken sind darin verwickelt.
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt beispielsweise gegen zwei Mitarbeiter der Kreissparkasse Göppingen wegen Cum-Cum-Geschäften. Am 16. Februar 2023 schrieb die Sparkasse ihren Kunden dazu einen Brief. Darin ist zu lesen, dass das Institut zwischen 2008 und 2014 „Wertpapierleihegeschäfte“ gemacht habe. Das seien „bankübliche Geschäfte“, die die Finanzverwaltung „uneingeschränkt akzeptiert“ habe – bis 2015. Da habe der Bundesfinanzhof geurteilt, so heißt es in dem Schreiben, dass solche Cum-Cum-Deals nicht erlaubt seien. Doch auch danach sei nicht klar erkennbar gewesen, was möglich sei und was nicht, argumentiert die Sparkasse und verweist darauf, dass das Bundesfinanzministerium „teils einander widersprechende Begründungen“ geliefert habe, warum die Steueranrechnung nicht erlaubt sein sollte.
Weshalb beteiligt sich eine Kreissparkasse, die als öffentliches Institut dem Gemeinwohl verpflichtet ist, überhaupt an Geschäften zulasten des Staates?
Weil sie benutzt wurde, lautet die kurze Antwort. Die ausführlichere Erklärung: Cum-Cum-Deals wurden von großen Banken betrieben. Dafür müssen gewaltige Mengen an Aktien bewegt werden. Die deutschen Banken wollten das Risiko dafür senken, also deckelten sie die Geschäfte. Wenn die Wünsche der ausländischen Partner diese Grenze überstiegen, so der Verdacht, teilten die großen Banken die Deals in viele kleine Päckchen auf und boten sie regionalen Banken überall im Land an. Sparkassen und Volksbanken griffen zu. Nun ermitteln Staatsanwälte gegen Dutzende von ihnen.
In Göppingen führte das schon zu Steuerrückzahlungen. Die Kreissparkasse will sich nicht dazu äußern, wie viel sie genau zurückgezahlt hat, nur so viel: Alle Forderungen seien vollständig beglichen.
Während inzwischen ein Dutzend Täter wegen Cum-Ex-Geschäften zu teils hohen Haftstrafen verurteilt wurden, steht bei Cum-Cum der erste Strafprozess noch aus. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat im vergangenen Jahr fünf frühere Mitarbeiter der damaligen DEPFA Deutsche Pfandbriefbank wegen Deals zwischen 2004 und 2007 vor dem dortigen Landgericht angeklagt. Dabei geht es um einen Schaden von rund 15 Millionen Euro. Doch das Gericht ließ die Anklage nicht zu, es sah keine Chance auf eine Verurteilung der Beschuldigten. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Oberlandesgericht in Frankfurt ein. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen.
Käme es in Wiesbaden zum Prozess und zu einer rechtskräftigen Verurteilung, wäre nicht nur steuerrechtlich, sondern auch strafrechtlich festgestellt, dass Cum-Cum illegal ist. Das Vorbild Wiesbaden könnte zum Musterverfahren für weitere Cum-Cum-Fälle werden. Allein die Staatsanwaltschaft Köln führt 135 Verfahren, in denen sowohl zu Cum-Ex wie zu Cum-Cum ermittelt werde, teilt ein Sprecher mit. […]
Ingo Malcher, Karsten Polke-Majewski und Marc Windmann, „Wenn selbst die Sparkasse zulangt“, in: DIE ZEIT vom 27. Juni 2024
Auch diejenigen, die nicht vorsätzlich handeln, müssen mit einem Bußgeld rechnen, wenn die Finanzbeamten ihnen auf die Schliche kommen: Leichtfertige Steuerverkürzung – wie es im Amtsdeutsch heißt – kann mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro geahndet werden. Leichtfertigkeit ist eine besondere Form der Fahrlässigkeit und heißt, dass jemand in besonderem Maße gegen Sorgfaltspflichten verstößt.
QuellentextSteuerhinterziehung in der Abgabenordnung (§ 370 AO)
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
Abgabenordnung (AO), § 370 Steuerhinterziehung. Online: Externer Link: https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__370.html
Steuerfahnder haben in Steuerstrafsachen ein weitgehendes Zugriffsrecht auf die Daten der Steuerpflichtigen – Hausdurchsuchung inklusive – und können auch bei anderen Stellen nachhaken: So sind die Kreditinstitute zur Auskunft und Vorlage von Unterlagen verpflichtet, ohne sich auf das Bankgeheimnis berufen zu können.
(© Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): Was Steuern sind und wozu wir sie zahlen, Berlin 2023, S. 31)
(© Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): Was Steuern sind und wozu wir sie zahlen, Berlin 2023, S. 31)
Tätige Reue kann sich in Sachen Steuerhinterziehung lohnen: Wenn eine Steuerzahlerin oder ein Steuerzahler gegenüber dem Finanzamt falsche Angaben macht, diese aber noch rechtzeitig korrigiert, bevor das Finanzamt die Steuern festsetzt, werten die Juristen das als „Rücktritt vom Versuch“ – und bestrafen den Steuersünder nicht. Nach einer Steuerhinterziehung können sich reuige Steuersünder nur noch mit einer Selbstanzeige behelfen, um der Härte des Gesetzes zu entgehen. Aber selbst das nutzt nur der Person, die sich anzeigt, bevor Ihre Tat entdeckt ist. Sie bleibt nur straffrei, solange sie zum Zeitpunkt der Selbstanzeige noch nicht weiß, dass ein Verfahren gegen sie eingeleitet wurde. Die entgangenen Steuern müssen in jedem Fall plus Zinsen nachgezahlt werden.