Die Breschnew-Ära, die im Westen lange zuvorderst mit Restalinisierung, der Niederschlagung des Prager Frühlings und der Verfolgung der Dissidenten assoziiert wurde, unterliegt heute einer Umwertung. Während Gorbatschow sie als Zeit der Stagnation und Korruption brandmarkte, wird sie in Russland inzwischen als "goldenes Zeitalter" verklärt, in dem die Welt vor der UdSSR gezittert habe und die Menschen satt und zufrieden gewesen seien. Die Forschung, die lange Zeit ebenfalls Stillstand und Niedergang hervorhob, konzentriert sich zunehmend auf die Frage, was die Sowjetunion so lange erfolgreich existieren ließ.
"Kollektive Führung" unter Breschnew
Die Absetzung Chruschtschows
Am 14. Oktober 1964 wurde Chruschtschow abgesetzt. Lange Zeit herrschte im Westen Einigkeit darüber, er sei abgesetzt worden, weil er das Land außenpolitisch in der Kuba-Krise blamiert hätte und weil er für die Nahrungsmittelkrise und den Aufstand in Nowotscherkask verantwortlich gemacht worden sei. Die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle zeigt aber heute, dass das Parteipräsidium in erster Linie die Angst trieb, von Chruschtschow zerschlagen zu werden, da er es für einen "Haufen alter Männer" hielt. Schließlich hatte er bereits zahlreiche Ministerien aufgelöst, Parteikomitees in zwei Zuständigkeitsbereiche gespalten und das Rotationsprinzip eingeführt. Obwohl Chruschtschow den Putsch 1957 nur hatte abwenden können, weil die regionalen Parteisekretäre als seine Klientel loyal zu ihm hielten, hatte er viele in den folgenden Jahren durch seinen Reformeifer verprellt. Der Hauptvorwurf richtete sich daher gegen seine "Umstrukturierungswut". Das Parteipräsidium bestimmte (erneut), es solle eine kollektive Führung herrschen; das Amt des Ersten Sekretärs und das des Ministerratspräsidenten sollten nie wieder wie unter Stalin und Chruschtschow in einer Person vereint werden. Also wurden Leonid Breschnew (1906-1982) zum Ersten Sekretär und Alexei Kosygin (1904-1980) zum Ministerratsvorsitzenden bestimmt. Auf dem XXIII. Parteitag 1966 beschloss die Partei, das Präsidium wieder Politbüro und den Ersten Sekretär wieder Generalsekretär zu nennen. Chruschtschow wurde einfach in Rente geschickt. Breschnew legte ihm die Höhe der Pensionsansprüche, Wohnung, Datscha, Krankenversorgung, Kantinenzugang und Autotyp fest und bat ihn, sich nicht mehr in Moskau blicken zu lassen.
Breschnews "Idealbiografie"
Unter den Zeitgenossen und Historikern wird gestritten, ob es ein "Unfall der Geschichte" war, dass ausgerechnet Breschnew, der im Westen als grau, profillos und entscheidungsschwach galt, neuer Generalsekretär wurde. Doch der smarte, gut gekleidete, jugendlich wirkende Breschnew war in der Sowjetunion die Parteihoffnung und hatte die "ideale" sowjetische Biografie vorzuweisen: Er war ein Arbeitersohn und gehörte der typischen, um 1905 geborenen Generation an, die in den 1920er-Jahren studiert und in den 1930ern Karriere gemacht hatte. Nachdem er zunächst als Landvermesser gearbeitet hatte, absolvierte Breschnew von 1930 bis 1935 in Dniprodzerschynsk am Institut für Metallurgie ein Abendstudium, während er tagsüber als Dreher arbeitete. Dank des Terrors begann 1937 sein rasanter Aufstieg, weil durch Verhaftungen Posten frei wurden. 1939 war er bereits Sekretär des Gebietskomitees von Dnjepropetrowsk, wo er Chruschtschow kennenlernte. Dieser protegierte ihn nach dem Krieg, den Breschnew als einfacher Politkommissar verbracht hatte: Breschnew wurde nicht nur Gebietsleiter von Dnjepropetrowsk (1947-1950) und führte die Republik Moldawien (1950-1952), er setzte für Chruschtschow auch die Neulandkampagne in Kasachstan durch, bevor er ab 1956 als dessen rechte Hand in Moskau diente und für den Militärisch-Industriellen Komplex und den Raketenbau zuständig war. Ab 1960 fungierte er als formales Staatsoberhaupt, 1963 bestellte ihn Chruschtschow zum Zweiten ZK-Sekretär. Breschnew war also ein Zögling Chruschtschows, doch Überdruss an dessen Launen und Beleidigungen veranlassten ihn, den Unmut gegen Chruschtschow zu organisieren.
Machtsicherung im Konsens
Im Vergleich zu dem jähzornigen Chruschtschow besaß Breschnew genau die Eigenschaften, nach denen sich die Parteiführung sehnte: Ausgeglichen, ruhig, zu allen freundlich, ergriff er nie als erster das Wort und hörte jedem aufmerksam zu. Politikwissenschaftler waren daher lange Zeit der Meinung, er sei kein Führer, sondern nur ein Vermittler zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Dagegen spricht allerdings, dass Breschnew über die Jahre hinweg von langer Hand vorbereitet seine Mitverschwörer entmachtete. Angesichts des gescheiterten Putsches 1957 und des geglückten Coups 1964 setzte Breschnew alles daran, seine Macht auf ein Netzwerk loyaler Klienten stützen zu können. Er baute es systematisch aus, indem er seine Gefolgsleute aus Dnjepropetrowsker Zeiten nach Moskau holte, seine Konkurrenten mit diesen umstellte und dann behutsam, meist mit einem "goldenen Handschlag", absetzte. Er machte sich dabei zur Regel, auch solche "Versetzungen" im Konsens zu entscheiden und alle Politbüro- und ZK-Mitglieder so in die Entscheidungsfindung einzubinden, dass die Kollektivführung verwirklicht erschien. Auf diese Weise ersetzte er 1967 den KGB-Chef Wladimir Semitschastnyi (1924-2001) durch Juri Andropow (1914-1984) und machte seinen mächtigsten Rivalen und ZK-Sekretär Alexander Schelepin (1918-1994) zum "zahnlosen" Gewerkschaftsvorsitzenden. 1977 benutzte er die neue Verfassung, um den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Nikolai Podgornyj (1903-1983), in Rente zu schicken und damit selbst auch formales Staatsoberhaupt zu werden.
"Vertrauen in die Kader"
Jenseits der Entmachtung seiner stärksten Rivalen stand Breschnew für "Vertrauen in die Kader" und "Stabilität in den Kadern", zwei Leitlinien seiner Politik, die er 1966 auf dem XXIII. Parteitag verkündete. Breschnew setzte sich damit dezidiert von Stalin und Chruschtschow ab, die beide – der eine mit Repressionen, der andere mit Reformen – die Menschen terrorisiert hatten: "Unter Stalin fürchteten die Menschen Repressionen, unter Chruschtschow die Veränderungen und Erneuerungen. Das Volk wusste nicht, was morgen kommt. Nun sollen die Sowjetmenschen ein friedliches Leben führen, damit sie produktiv arbeiten können." Das Versprechen, den Menschen zu vertrauen, nicht in jedem einen potenziellen "Volksfeind" zu sehen, war eine Kulturrevolution, die die Unschuldsvermutung wieder herstellte. Die "Stabilität in den Kadern" brachte als Kehrseite, dass die Eliten in Staat und Partei, Wirtschaft und Wissenschaft veralteten und keine jungen Kräfte nachrücken konnten. Der "Vertrauensschutz" führte in die Stagnation.
Autonomie der Republiken und Nationalitäten
Maike Lehmann
Auch in den Unionsrepubliken dominierte die Netzwerk- und Kaderpolitik das politische Geschehen. Das Primat der Partei schien die föderale Struktur der Sowjetunion regelrecht auszuhebeln. Daher sahen westliche Beobachter oft einen elementaren Unterschied zwischen dem "Nationalen" – im Westen meist als widerständig und per se antisowjetisch verstanden – und dem "Sozialistischen". Doch in der Sowjetunion galt weiterhin das Diktum, dass eine Kultur "national in der Form, sozialistisch im Inhalt" zu fördern sei; auch die Indigenisierungspolitik, die Förderung heimischer Eliten in Staat und Partei, aber auch in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, hatte trotz Terror und Deportationen nie eine offizielle Absage erfahren. Beides konnte sehr unterschiedlich ausgelegt werden, was im Wechselspiel mit anderen politischen Faktoren mitunter, aber keinesfalls zwangsläufig, zu Konflikten führen konnte.
Soziale Differenzierung der Völker der UdSSR 1970/1972 (© Hans-Heinrich Nolte, Kleine Geschichte Russlands, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 2003, S. 339)
Soziale Differenzierung der Völker der UdSSR 1970/1972 (© Hans-Heinrich Nolte, Kleine Geschichte Russlands, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 2003, S. 339)
Für Moskau standen offenbar vor allem die Kontrollmöglichkeiten im Vordergrund. So hatten die Republiken unter Chruschtschow zunächst an wirtschaftlicher und politischer Autonomie gewonnen, verloren aber Teile ihrer Kompetenzen wieder ab den frühen 1960er-Jahren. Dies erfolgte unter anderem mit der Begründung, die jeweiligen Republikführungen hätten Angehörige ihres eigenen Volkes übermäßig bevorzugt. Breschnew, der sich kaum für die Probleme der Nationalitäten interessierte, tauschte unter dem Gesichtspunkt der Loyalität behutsam einige Republikführer aus, um sie durch eigene Gefolgsleute zu ersetzen. Unter der Anschuldigung, sie hätten dem Nationalismus, vor allem aber der Korruption Vorschub geleistet, entfernte er 1969, 1972 und 1974 den aserbaidschanischen, den ukrainischen, den armenischen und den georgischen Parteichef. Dies war der Versuch der Moskauer Parteizentrale, national definierte Patronagenetzwerke einzudämmen, die schwer zu kontrollieren waren. Tatsächlich waren diese Netzwerke erst infolge der Moskauer Nationalitätenpolitik entstanden. Denn im Gegensatz zur Stalinzeit, in der ein Mangel an qualifizierten, nicht slawischen Kadern herrschte, begannen in den 1960er- und 1970er-Jahren die jeweiligen Titularnationen die Partei und die Staatsapparate in den Republiken zu dominieren, während die Zentralorgane in Moskau zunehmend von Slawen gelenkt wurden.
Zugleich waren inzwischen nationale Bildungseliten entstanden, die mehr und mehr an die Universitäten drängten und in verantwortliche, qualifizierte Positionen aufrückten. Unter diesen Voraussetzungen entwickelten sich trotz der Zentralisierung unter anderem in der Bildungspolitik und der nachdrücklichen Förderung des Russischen als sowjetischer Verkehrssprache zunehmend eigenständige, nationale Interpretationen von Geschichte und Gegenwart. Der 1972 geschasste ukrainische Parteichef etwa ließ ukrainische Wissenschaftler die ökonomischen Entscheidungen Moskaus kritisieren, hielt seine Hand schützend über Schriftsteller, die sich mit nationalen Themen befassten, und trieb eine Autonomisierung der Ukraine voran. In Zentralasien verfestigte sich die Auffassung, dass nur ein guter Muslim ein guter Sowjetbürger sein könne. Im Kaukasus stritten Georgier, Armenier und Aserbaidschaner derart um bestimmte Territorien, dass eine von der Akademie der Wissenschaften geplante gemeinsame Enzyklopädie zum Südkaukasus schon an dem Streit über historische Karten scheiterte. Nichtsdestoweniger förderte die Breschnew-Führung nationale Erinnerungspolitik, sofern sie mit der offiziellen Weltsicht vereinbar war; ab den 1970er-Jahren wurden historische Monumente wie Kirchen und Friedhöfe auf Staatskosten renoviert bzw. konserviert. Als in der neuen Verfassung von 1977 die nationalen Sprachen als offizielle Amtssprachen der Republiken wegfallen sollten, gab ein überraschter Breschnew massiven Protesten aus den Kaukasusrepubliken nach; sie konnten in Berufung auf die Leninsche Nationalitätenpolitik als einzige Republiken ihre nationalen Sprachen als offizielle Verkehrssprachen neben dem Russischen verteidigen.
Damit entwickelten sich nach Ende des Terrors unter dem Schutz der jeweiligen Republikführung partikulare Identitäten – oft zum Nachteil anderer vor Ort lebender Volksgruppen. Die nationalen Bewegungen an der Peripherie entsprangen aber nur in wenigen Fällen einer ausgesprochenen Ablehnung von Sowjetunion und Sozialismus; nur wenige nationalistische Untergrundgruppen forderten die Unabhängigkeit ihrer Republik. Für die Mehrheit waren die sowjetischen Lehren inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Für sie stand ihre nationale Identität in keinem Widerspruch zu einer übergeordneten sowjetischen Identität. Immerhin schienen der gerade in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren entstandene Wohnraum und die neue Konsumkultur auch in den Unionsrepubliken die Versprechen der Revolution einzulösen.
Anhebung des Lebensstandards
Eine der entscheidenden Leitlinien, wenn nicht das zentrale Ziel Breschnews überhaupt, war die Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung. Von seiner Aufbauarbeit in der Ukraine, in Moldawien und Kasachstan wusste er nur zu gut, in welch entbehrungsreichen Verhältnissen große Teile der Bevölkerung immer noch lebten. Rechtfertigte Breschnew anfangs die neue Politik, die Menschen sollten mehr konsumieren können, damit sie motivierter wären, den Sozialismus zu schaffen, behauptete er bald, eine bessere Versorgung der Gesellschaft sei Ausdruck der neuen Entwicklungsstufe, die der Sozialismus inzwischen erreicht habe. Breschnew versuchte also, die Konzentration auf Konsumbedürfnisse mit der marxistisch-leninistischen Theorie zu legitimieren. In der Forschung ist aber heute umstritten, ob die Propagierung des Konsums nicht zu einer Entideologisierung führte und damit entscheidenden Anteil am Niedergang der Sowjetunion hatte.
QuellentextLebensgefühl der 1970er-Jahre
Der idealtypische Homo sowjeticus der Siebzigerjahre ging seiner Arbeit nach, widmete sich in seiner Freizeit der Familie, verfügte über eine Anderthalb- oder Zweizimmerwohnung in einer Neubausiedlung mit Zentralheizung und Bad, über ein Sparbuch, kaufte sich nach und nach einen Plattenspieler, einen Fernseher etwa der Marke "Junost", einen Kühlschrank "Saratow" oder "Minsk", eine Waschmaschine und einen Staubsauger. Er stand geduldig Schlange beim täglichen Einkauf, wartete ewig auf einen Telefonanschluss oder gar auf einen Lada, der als Fiat-Lizenz in der Stadt Togliatti produziert wurde. Die beiden dreitägigen Staatsfeiern zum 1. Mai und 7. November feierte er im Freundeskreis mit Lachs, Torte und reichlich Wodka. Außerdem feierte er, je nach Profession, den "Tag des Fischers", den "Tag des Eisenbahners" oder den "Tag des Lehrers". Seinen Sommerurlaub verbrachte er entweder in einer bescheidenen hölzernen Datscha in der Freizeitkolonie, oder er vergnügte sich während seiner Familienausflüge mit Angeln. Für Leute aus der Provinz war ein Aufenthalt in Moskau, möglichst mit einer Aufführung des Balletts "Schwanensee" im Kongresspalast, oder in Leningrad mit Besuch in der Eremitage ein besonderes Erlebnis. Seltener kam es zu einem Urlaub auf der Krim oder im Kaukasus und als Höchstgenuss zu einer Reise nach Ungarn, in die CˇSSR oder die DDR – selbstverständlich in einer gut kontrollierbaren Gruppe.
Die Siebzigerjahre waren die ruhigste, besser gesagt die einzig relativ ruhige Zeitspanne in der Geschichte der Sowjetunion. Die Menschen erhielten mehr Freiräume und Konsummöglichkeiten als früher, während die ideologische Mobilisierung immer lascher wurde. Gleichzeitig kostete es das System enorme Summen und Anstrengungen, diese heute nostalgisch betrachtete Stabilität aufrechtzuerhalten. […]
György Dalos, Lebt wohl Genossen! Der Untergang des sowjetischen Imperiums, hg. von Christian Beetz und Olivier Mille, deutsche Bearbeitung von Elsbeth Zylla, Verlag C. H. Beck oHG, München 2011, Seite 10 f.
Reform der Landwirtschaft
Wie Chruschtschow machte sich auch Breschnew zuerst an die Reform der Landwirtschaft. Hatte sein Vorgänger dafür gesorgt, dass die Bauern überhaupt einen Lohn erhielten, war Breschnews ehrgeiziges Ziel, die Bauern endlich mit den Arbeitern gleichzustellen und ihnen kostendeckende Preise zu zahlen. Das bedeutete, zwei bis dato vollkommen verschiedene Welten aneinander anzugleichen und den Dörfern die Moderne zu bringen. Hintergrund waren die nach wie vor prekäre Versorgungslage und die niedrige Produktivität der Landwirtschaft sowie die enorme Landflucht. Zwischen 1951 und 1965 war die Landbevölkerung um ein Drittel gesunken. Im Zeitraum von 1960 bis 1965 war die Gruppe der 17- bis 29-Jährigen im Dorf um mehr als sechs Millionen Menschen geschrumpft. Auf dem Land gab es nach wie vor kaum Infrastruktur, oft nicht einmal einen Laden, in dem Gebrauchsgegenstände gekauft werden konnten. Ärztliche Versorgung, kulturelle Angebote und Fortbildungsmöglichkeiten fehlten genauso wie fließend Wasser und eine Kanalisation. Auf dem ZK-Plenum im März 1965 verkündete Breschnew eine jährliche Steigerung der Investitionen in die Landwirtschaft um drei Milliarden Rubel, um die Ankaufpreise für Getreide, Fleisch, Milchprodukte und die Löhne zu erhöhen. Lag 1950 der jahresdurchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch mit 26 Kilogramm noch unter dem Wert von 1913, stieg er bis 1975 auf 57 Kilogramm; Ziel der Planbehörden waren allerdings 80 Kilogramm, die nie erreicht wurden. Die Hauptnahrungsmittel blieben Brot und Kartoffeln, Kohl, Karotten und Rote Bete; die Sowjetmenschen aßen doppelt so viele Kohlenhydrate, aber nur halb so viel Fleisch und Fisch wie die US-Amerikaner. Ein Kolchosvorsitzender wird mit den Worten zitiert: "Wenn wir früher nicht arbeiteten, weil wir wussten, dass wir sowieso nichts dafür bekommen würden, dann arbeiten wir heute deshalb nicht, weil wir auch so unseren Lohn bekommen werden." Gilt die erste Dekade unter Breschnew als "satte Zeit", wurden ab Mitte der 1970er-Jahre die Schlangen vor den Lebensmittelläden wieder länger. Dabei brauchte Breschnew die Landwirtschaft auch zunehmend für die Außenpolitik: Im Wettkampf um die Gunst von Drittweltstaaten war es entscheidend, mit den Lebensmittellieferungen der USA mithalten und versprochene Hilfsleistungen einhalten zu können.
Die Kosygin-Reformen
Breschnew und dem Politbüro war bewusst, dass angesichts sinkenden Wachstums und einer Produktivität, die im Vergleich zu den USA in der Industrie zwei- bis zweieinhalbmal niedriger, in der Landwirtschaft sogar viermal niedriger lag, mehr Konsum nur über eine neue "industrielle Revolution" zu erreichen wäre: Die ganze Ökonomie musste von extensiver Rohstoffnutzung auf ein intensives Wachstum umgestellt werden, sprich: Auch die UdSSR hatte nicht unendliche Ressourcen, die immer weiter ausgebeutet werden konnten, sondern die vorhandenen mussten effizienter genutzt werden.
Insofern bestand im Politbüro Einigkeit über Ursachen und Ziele, aber der Weg dorthin war zwischen Breschnew und Regierungschef Kosygin sehr umstritten. Schließlich setzte sich Kosygin durch, dessen Reformen das Zentralkomitee im September 1965 verabschiedete: Unter den Parolen "kreative Eigeninitiative", "Verantwortungsgefühl" und "materielle Anreize" sollten die Betriebe mehr Spielraum beim Einsetzen ihrer Mittel erhalten und dazu angehalten werden, kostendeckend zu arbeiten. Moskau gab nur noch die Planzahlen vor; wie die Produktion organisiert wurde und die zugeteilten Mittel einzusetzen waren, sollte Sache des jeweiligen Betriebes sein. Damit ging einher, dass die Betriebe Rücklagen für Investitionen, Lohnzuschüsse und soziale Maßnahmen bilden durften. Bis zu einem gewissen Grad konnten sie selbst entscheiden, wie sie ihre Angestellten entlohnten, die einen Anreiz erhalten sollten, Verantwortung zu übernehmen und effizienter zu arbeiten. Zur Umsetzung dieser Jahrhundertreform, die als drittwichtigste nach der NÖP und dem Ersten Fünfjahrplan galt, wurde eine Kommission eingesetzt. Zum 1. Januar 1966 wurden 43 Betriebe umgestellt, 1968 waren es 54 Prozent der Unternehmen, die nach dem Kostendeckungsprinzip arbeiteten. Doch bis Anfang der 1970er-Jahre hatte sich die Reform erschöpft: Wie sollte ein Betrieb Gewinn erzielen und Kosten selbst kalkulieren, wenn sowohl die Ressourcen, die er beziehen durfte, als auch der Preis der Ware staatlich festgelegt waren? Zudem nutzten die meisten Betriebe die Überschüsse ausschließlich, um den Arbeiterinnen und Arbeitern mehr Lohn zu zahlen, ohne dass die Produktivität stieg, Kosten gesenkt oder neue Technologien eingeführt wurden. Die Probleme waren und blieben seit den 1930er-Jahren die gleichen: Teure ausländische Technik wurde nicht montiert, sondern verrottete, Fabriken wurden erst mit so vielen Jahren Verspätung in Betrieb genommen, dass ihre Produktion schon veraltet war, fertige Produktionsstraßen hatten so viele Mängel, dass sie gleich in Reparatur gehen mussten, Ministerien kauften Ware für Devisen im Ausland, obwohl sie eine Lizenz hatten, sie selbst herzustellen, Parteiführer bauten willkürlich Kulturpaläste, Sportarenen und Schwimmbäder, anstatt Wohnraum zu schaffen. Doch das offensichtliche Strukturproblem wurde von Breschnew und dem Politbüro ausschließlich als persönliches Fehlverhalten angeprangert: "Wenn die Ministerien und Unternehmensführungen die nötige Parteidisziplin und Prinzipienfestigkeit an den Tag legten und ihre Aufgabe als Parteiführer richtig verständen, gäbe es diese Probleme nicht."
Lohnreform, Rentenreform und Wohnungsbau
Einkommen in der UdSSR 1972 (© Hans-Heinrich Nolte, Kleine Geschichte Russlands, Philipp Reclam jun. GmbH Co, Stuttgart 2003, S. 337)
Einkommen in der UdSSR 1972 (© Hans-Heinrich Nolte, Kleine Geschichte Russlands, Philipp Reclam jun. GmbH Co, Stuttgart 2003, S. 337)
Zum 1. Januar 1968 beschloss das ZK eine Lohn- und Rentenreform, die Breschnew mit den Worten pries, noch nie sei so viel Geld bereitgestellt worden, um den Lebensstandard der Menschen zu erhöhen. Der Mindestlohn wurde von 30 auf 60, in einigen Branchen auf 70 Rubel angehoben und für alle Arbeiterinnen und Arbeiter der Urlaubsanspruch von zwölf auf 15 Tage erhöht. Gleichzeitig wurde die Fünf-Tage-Woche eingeführt und das Rentenalter nun auch für Kolchosbauern und -bäuerinnen auf 60 bzw. 55 Jahre gesenkt. Die nächste Lohnerhöhung kündigte Breschnew bereits auf dem Märzplenum 1971 an: Im Laufe des 9. Fünfjahrplans (1971-1975) sollte der Mindestlohn auf 70 Rubel und der Durchschnittslohn auf 148 Rubel, für Kolchosangestellte auf 100 Rubel steigen und sich bis 1991 nicht ändern. Auch die Mindestrenten für Arbeiter und Bauern sollten erneut wachsen. Breschnew forcierte auch den Wohnungsbau weiter – bis 1975 sollten 575 Millionen Quadratmeter Wohnraum geschaffen werden. Allerdings hatten 1980 nur 80 Prozent aller Familien eine eigene Wohnung, während sich 20 Prozent weiterhin Kommunalwohnungen teilten. Zum Ende der Sowjetunion lag die Wartezeit für eine Wohnung bei acht Jahren. 1976 bestand die typische 50-Quadratmeter-Wohnung aus zwei Zimmern, Küche und Bad. Damit hatte eine Person im russischen Teil des Landes durchschnittlich 8,3 Quadratmeter zur Verfügung, halb so viel wie Menschen in Westeuropa. Auf dem Land besaßen 1985 erst zehn Prozent aller Häuser ein Badezimmer und fließend Wasser.
Autos für den Sowjetmenschen
PKWs pro 1000 Einwohner 1977
PKWs pro 1000 Einwohner 1977
Hatte Chruschtschow 1959 in den USA erklärt, das Automobil sei nichts für den Sowjetmenschen, der besser Bus und Bahn fahre, war Breschnew, selbst ein Autonarr, ganz anderer Meinung. Er reanimierte die Vision der 1930er-Jahre, nach der ein Auto Fortschritt und Zukunft bedeutete. Neu war, dass jetzt nicht nur die Stachanow-Arbeiter, sondern alle Sowjetmenschen ein Auto haben sollten. Breschnew schwärmte: "Ein Mädchen, das heiratet, bekommt von seinen Eltern nicht eine Truhe mit Wäsche und Geschirr, sondern ein Auto – die moderne Mitgift." Das 1965 gegründete Autoministerium vereinbarte, neben vielen anderen Abkommen mit westlichen Firmen, 1966 mit Fiat für 900 Millionen Dollar den Bau einer Fabrik an der Wolga. Seit 1974 rollten dank der Kooperation mit Fiat im Autowerk Toljatti 660.000 Ladas im Jahr vom Band. Auch wenn die Wartezeiten für ein Auto legendär waren, eine Arbeiterin oder ein Arbeiter 20 Monatslöhne investieren musste und die Autodichte in der Sowjetunion (1977 fünf Millionen PKWs auf 270 Millionen Menschen) die dünnste im Ostblock blieb, veränderte das Auto das soziale und kulturelle Leben der Sowjetmenschen. Mit dem Auto konnte man auf die Datscha fahren, Defizitprodukten hinterherjagen, Kartoffeln klauen oder schwarz Taxifahrten anbieten. Da die Autos ständig wartungsbedürftig waren und es viel zu wenige Werkstätten gab, wurde es zum neuen − männlichen − Volkshobby, abends und am Wochenende am Auto zu schrauben.
Die neue individuelle Bewegungsfreiheit wird auch als "Kleiner Deal" zwischen Partei und Bevölkerung bezeichnet: Die Partei schuf neue Freiräume für Freizeitgestaltung und kleine Privatgeschäfte, die Bürgerinnen und Bürger verhielten sich dafür loyal.
Neue Utopien und Legitimationsverlust
Der Weltkriegskult seit 1965
Wie Chruschtschow stand auch Breschnew unter dem Druck, die Sowjetunion nach Stalin neu zu legitimieren und neue Identifikationsangebote zu schaffen. Eine Maßnahme war, den Kult um den "Großen Vaterländischen Krieg" neu zu beleben. Diesmal richtete sich der Kult aber nicht auf Stalin, sondern auf die gesamte Bevölkerung: Jede Frau und jeder Mann hatte dazu beigetragen, die Heimat zu verteidigen und Europa von Hitler zu befreien. Dieser neue Gründungsmythos bot gegenüber der Oktoberrevolution den großen Vorteil, dass tatsächlich nahezu alle Menschen mit diesem Ereignis Erinnerungen verbanden, es erst zwei und nicht fünf Jahrzehnte zurücklag und viel weniger ideologisch aufgeladen war. 1965 wurde der 9. Mai als Tag des Sieges erstmals zum arbeitsfreien Tag erklärt. Seit 1967 bekamen insgesamt 13 Städte den Titel "Heldenstadt" verliehen. An allen größeren Kampforten wurden "Gräber des unbekannten Soldaten" eingeweiht, es wurden Museen mit Dioramen eröffnet, die heroische Schlachtszenen zeigten, und monumentale Skulpturen zu Ehren von Volk und Sieg errichtet, wie 1967 die 85 Meter große Statue der "Mutter Heimat ruft" in Wolgograd.
Einerseits war der Weltkriegskult sehr erfolgreich und wurde bald Bestandteil des Alltagslebens vieler Menschen – bis heute legen Brautpaare Blumen am Grab des unbekannten Soldaten nieder. Andererseits gelang es der Partei nicht, sich als unverzichtbarer Teil dieser Siegesgeschichte darzustellen – der Kult lebte auch ohne sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiter. Problematisch war er dort, wo er der Jugend ein Schuldgefühl gegenüber der älteren Generation vermittelte. Ins Lächerliche kippte er seit 1976, als sich Breschnew, der im Krieg einfacher Politkommissar gewesen war, zum Marschall ernennen und in seinen Memoiren "Kleines Land" 1978 als Weltkriegsheld feiern ließ.
Der Bau der Baikal-Amur-Magistrale (1974-1985)
Während Breschnew einerseits auf Konsum und eine Anhebung des Lebensstandards setzte, versuchte er andererseits an den Enthusiasmus und Pioniergeist der 1930er-Jahre anzuknüpfen. Wie Chruschtschow mit der Neulandkampagne wollte auch er eine Utopie Wirklichkeit werden lassen und ferne, öde Gegenden zivilisieren. Exakt 20 Jahre nach dem Start der Neulandkampagne verkündete Breschnew 1974 den Baubeginn einer Entlastungstrasse für die Transsibirische Eisenbahn, die Baikal-Amur-Magistrale (BAM). Der propagandistische Aufwand war enorm: Wieder wurden junge Männer und Frauen aufgerufen, das Abenteuer des sowjetischen Aufbaus in Sibirien zu suchen, verpflichteten sich Arbeitskollektive, nur für die BAM zu produzieren, entwarfen Künstler Plakate und verfassten Schriftsteller Romane und Erzählungen. Die BAM wurde als sowjetischer "melting pot" propagiert, der die verschiedenen Ethnien der Sowjetunion zu einem harmonischen Arbeitskollektiv verschmolz. Doch das Ergebnis war niederschmetternd: Statt neuem Aufbruchsgeist brachte die BAM für Saisonarbeiter die Möglichkeit, schnelles Geld zu verdienen, statt Verständigung zwischen den Völkern gab es strukturelle Benachteiligungen und fremdenfeindliche Ausschreitungen, statt der Suche nach dem privaten Glück kam es vermehrt zu Vergewaltigungen der wenigen Frauen, die sich auf das "Abenteuer BAM" eingelassen hatten.
Der Kampf gegen Abweichung und Dissens
Es ist zu vereinfachend und letztlich falsch, von einer Restalinisierung unter Breschnew zu sprechen. 1969 sprach er sich auf einer ZK-Sitzung eindeutig dagegen aus, erneut die Methoden der Angst und "brutalen Administrierung" anzuwenden: Diese Zeiten seien vorbei. Gleichzeitig unterband er die noch unter Chruschtschow möglichen freieren Diskussionen und die Thematisierung "heikler" Themen. Der KGB verstand sich wie unter Chruschtschow als "Erziehungsbehörde", die ein abgestuftes System von Instrumentarien einsetzte: vom "prophylaktischen Gespräch" mit dem Delinquenten über die "Abschreckung" durch Schmutzkampagnen in der Presse oder Verlust des Arbeitsplatzes bis hin zu Haft, Zwangsunterbringung in der Psychiatrie, Verbannung und Exil.
Als Geburtsstunde des Dissenses gilt die Verhaftung der Publizisten Andrei Sinjawski (1925-1997) und Juli Daniel (1925-1988) 1965, die im Ausland unter Pseudonymen Satiren auf die Sowjetunion publiziert hatten. Als ihnen Anfang 1966 ein Schauprozess wegen des "tamizdats" (im Ausland auf Russisch verlegte, in die Sowjetunion zurück geschmuggelte Werke) gemacht wurde, fürchteten Angehörige und Freunde eine Rückkehr zu Stalins Zeiten und organisierten verschiedene Protest- und Solidaritätsbekundungen, mit denen sie die Einhaltung der sowjetischen Gesetze forderten. Im Vorfeld des XXIII. Parteitags im Frühjahr 1966 richteten 25 Intellektuelle und Gelehrte einen Brief an das Parteipräsidium, in dem sie vor einer Rehabilitierung Stalins warnten. Sie bezeichneten sich selbst als "Unterstützer" oder "Unterzeichner" von Petitionen, nicht als "Dissidenten", wie sie im Westen genannt wurden. Sie beriefen sich auf sowjetische Gesetze, wenn sie argumentierten, Auslandspublikationen seien nicht verboten, Gerichtsverhandlungen öffentlich und die freie Meinungsäußerung durch die Verfassung von 1936 gedeckt. Am 5. Dezember 1966 versammelten sich einige Dutzend am Puschkindenkmal in Moskau zu einer Schweigedemonstration, um die Einhaltung der Verfassung anzumahnen. Als 1968 die UNO das Jahr der Menschenrechte ausrief, gründeten sie im Selbstverlag (russ.: samizdat) die Zeitschrift "Chronik der laufenden Ereignisse", die aus den Gerichtssälen von den politischen Prozessen und über die Haftbedingungen in den Lagern, Gefängnissen und Psychiatrien berichtete. Obwohl zwischendurch die gesamte Redaktion verhaftet wurde, erschien die "Chronik" bis 1983 in 63 Nummern. Samizdat entwickelte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren zu einer eigenen, unzensierten, inoffiziellen Kultur, in der verbotene Gedichte, Romane, religiöse Texte, politische Pamphlete und vieles mehr zirkulierten.
Die "Dissidenten" umfassten ein Spektrum höchst unterschiedlicher Gesinnungen: von dem antisowjetischen wie auch antiwestlichen Solschenizyn, der 1970 den Literaturnobelpreis erhalten hatte und für die Veröffentlichung seines Werks "Archipel Gulag" im Tamizdat 1974 ausgewiesen wurde, bis hin zum prosowjetischen Vater der sowjetischen Atombombe Andrei Sacharow (1921-1989), der wegen seines Manifests "Gedanken über den Fortschritt, die friedliche Koexistenz und die geistige Freiheit" 1968 seinen Arbeitsplatz verlor, 1975 den Friedensnobelpreis erhielt und 1980 in die geschlossene Stadt Gorki verbannt wurde, aus der ihn Gorbatschow 1986 persönlich befreite.
Allerdings waren zum Amtsantritt Gorbatschows 1985 bereits die meisten Dissidenten ins ausländische Exil vertrieben, verhaftet oder verbannt worden. Wie groß ihr intellektueller Einfluss auf die Reformen Gorbatschows war, ist umstritten.
Arbeitsverweigerer und Underground
Alexandra Oberländer
Das 1961 verabschiedete Gesetz gegen "Parasitismus" gab nicht nur den Behörden eine Handhabe gegen missliebige Personen, sondern diesen auch die Möglichkeit, sich auszurechnen, wie sie sich einer regulären Arbeit repressionsfrei entziehen konnten. Vor allem der gut vernetzte subkulturelle Underground der 1970er- und 1980er-Jahre begnügte sich oft mit einfachen Jobs als Hausmeister, Hilfsarbeiter oder Fassadenstreicher und wenig Geld, um sich in erster Linie zeitliche Freiräume zu schaffen. Inoffizielle Netzwerke sorgten für die notwendigen nachzuweisenden Stempel in den Arbeitsbüchern – nach dem Pass das wichtigste Dokument sowjetischer Bürgerinnen und Bürger. Viktor Zoy (1962-1990) etwa war an ein bis zwei Tagen der Woche Heizer in einem Leningrader Wohnblock und den Rest der Tage Rockmusiker und Frontsänger der Gruppe "Kino".
Derartige Versuche, weniger zu arbeiten, waren allerdings kein Privileg des subkulturellen Undergrounds. Viele Menschen richteten sich ihre Nischen in der sowjetischen Arbeitswelt ein. Derart leisteten sich auch durchschnittliche Sowjetbürger und Sowjetbürgerinnen ihren Teil der Arbeitsverweigerung. Mittagspausen wurden genutzt, um Einkäufe zu erledigen, die oft etwas länger dauerten, da man lange in den Schlangen anstehen musste. Oder aber die Arbeitszeit selbst wurde zweckentfremdet, um illegal in die eigene Tasche zu wirtschaften. Auch die unabdingbaren persönlichen Netzwerke, die einem Ersatzteile, Kleidung, Westzigaretten oder andere Konsumprodukte besorgten, pflegte man gerne zur Arbeitszeit.
Die Supermacht Sowjetunion
US-Importe in die UdSSR
US-Importe in die UdSSR
Breschnew war durch seine Zeit als formales Staatsoberhaupt 1960 bis 1963 bereits viel gereist und somit im Ausland bekannt. Seine "Eintrittskarte" in die Welt der Außenpolitik war jedoch der Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968, mit dem er sich als mächtiger, zugleich kühl kalkulierender Gegner etablierte. Dennoch war auch seine Amtszeit vorrangig von dem Ziel geprägt, einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden und zu einer Begrenzung des Wettrüstens mit den USA zu finden. Der zeitliche Schwerpunkt seiner außenpolitischen Aktivitäten lag in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre. Auf Gipfeltreffen in den USA, Frankreich und Westdeutschland traf er mit den jeweiligen Regierungschefs Richard Nixon, George Pompidou und Willy Brandt zusammen, lud sie teils auch privat zu sich auf die Krim ein und erwies sich als charmanter und witziger Gesprächspartner.
Die "Ostpolitik" Willy Brandts, die Unterzeichnung eines Nichtangriffspakts mit Westdeutschland sowie die Anerkennung der bestehenden deutschen Grenzen und damit der DDR im August 1970 waren für die Sowjetunion wichtige Bausteine für die Entspannung mit den USA: Die Unantastbarkeit der Grenzen machte es einfacher, sich die Hand zu reichen. Seit 1969 verhandelten sowjetische und US-amerikanische Unterhändler im Rahmen der Strategic Arms Limitations Talks (SALT) über eine Rüstungsbeschränkung, die 1972 (SALT I) und 1979 (SALT II) zum Abschluss kamen. Für die Sowjetunion fast noch wichtiger als die Begrenzung der Raketen waren gleichzeitig geschlossene weitreichende Wirtschaftsabkommen mit den USA, die die Lieferung von Gebrauchsgütern und Getreide sicherten. In diesem Rahmen wurde 1972 auch eine Kooperation im All vereinbart, die 1975 zum Ankoppeln einer Apollo-Rakete an das sowjetische Raumschiff Sojus führte.
QuellentextDeutsch-russische Beziehungen 1971/73
In Oreanda sprachen wir mehrmals über Stunden miteinander. Vorrangig über die bilateralen Beziehungen und Möglichkeiten europäischer Zusammenarbeit. Auch über China, das ich als Gesprächsthema angemeldet hatte, aber das unergiebig blieb. Natürlich nahmen die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und die deutsche Frage einen breiten Raum ein. Ich war beeindruckt davon, wie Breschnew – nach den auflockernden Stunden im Gästehaus des Flugplatzes und als wir uns auf den Weg hinunter zur Krim begaben – die deutsche Frage zugleich anschnitt und aus der Diskussion nahm. Als der Wagen startete, legte er seine Hand auf mein Knie und sagte: "Ich verstehe Sie, Willy Brandt, was Deutschland angeht. Aber nicht wir, Hitler ist dafür verantwortlich." Oder sagte er sogar, wir könnten jetzt nichts daran ändern?
Ganz unter uns wollte er wissen, ob denn der Moskauer Vertrag wohl wirklich ratifiziert werde; ein Scheitern könne einen Rückschlag um Jahrzehnte bedeuten. Es blieb nicht ohne Eindruck, daß ich offen über die schwache und fragile Mehrheit meiner Koalition sprach und hinzufügte: "Ich habe das Schicksal meiner Regierung mit der Vertragspolitik verknüpft, und dabei bleibt es."
Das Berlin-Thema schien Breschnew loswerden zu wollen. Weder verstand er, noch wollte er verstehen, daß wir auf der Hut waren, West-Berlin nicht noch stärker vom Bund zu trennen, als es der zwischen den Siegermächten ausgehandelte Sonderstatus gebot. Das neue Viermächteabkommen war zwei Wochen zuvor, am 3. September 1971, unterzeichnet worden. Um die deutsche Übersetzung – West- oder Ostfassung! – hatte es Ärger gegeben. Breschnew wollte davon zunächst nichts hören, bedankte sich dann doch für meine Aufklärung – hinzufügend, daß ihn dieser Dank zu nichts verpflichtete. [...]
Breschnews Bonn-Besuch im Mai 1973 war von Hektik geprägt. Der Russe war in schlechter Form. Er wirkte abgespannt und fahrig und schien sich in dem ihm sehr fremden Gelände nicht wohl zu fühlen. Doch das war es nicht allein. Denn wir spürten beide, daß sich die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen erneut verschlechterten. Ein Jahr zuvor hatte Nixon in Moskau eine Grundsatzerklärung über die Beziehungen zwischen den beiden Mächten unterzeichnet. Dies bedeutete im Kern, daß die Sowjetunion als gleichberechtigte Weltmacht anerkannt wurde. […]
Wir unterzeichneten einen Zehnjahresvertrag über die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit. Breschnew sang das Lied, das ich nun schon auswendig kannte. Ob wir uns nicht daran beteiligen wollten, die gewaltigen sowjetischen Naturschätze, vor allem in Sibirien, zu erschließen? Nicht nur Erdgas und Kohle, auch wichtige Erze warteten auf uns, und nirgends sonst lägen so reiche Holzvorräte. Gewiß, so Breschnew, seien die Systeme verschieden: "Bei uns kann man Befehle erteilen, bei Ihnen ist das anders. Aber trotzdem, wenn die führenden Persönlichkeiten die Impulse geben, werden auch die Geschäftsleute beginnen, in anderen Kategorien zu denken. Ich bin, mit meinen Leuten, auf eine kühnere Perspektive vorbereitet."
Willy Brandt, Erinnerungen. © 1989 Ullstein Buchverlage GmbH Berlin, Seite 209 ff.
Prager Frühling und Breschnew-Doktrin
Breschnew pflegte zu den Ersten Sekretären der Warschauer- Pakt-Staaten ein Verhältnis wie zu den Vorsitzenden der Unionsrepubliken: Er sah sich als freundschaftlich verbundenen Patron, der das Recht und die Pflicht hatte, seinen "Schutzbefohlenen" mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Das galt zunächst auch für die Beziehung zu Alexander Dubcˇek (1921-1992), der im Januar 1968 neuer Vorsitzender der KP der Tschechoslowakei (CˇSSR) geworden war und bald Reformen einleitete. Zwar vermied es Dubcˇek tunlichst, die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt in Frage zu stellen. Aber die nun von der Zensur befreite Presse seines Landes forderte, die Verteidigungsstrategie müsse überdacht, stalinistische Verbrechen aufgeklärt und die Freundschaft mit der Sowjetunion hinterfragt werden. Am 21. August marschierten Warschauer-Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei ein. In der Forschung wird eine Vielzahl von Gründen dafür angeführt: Die Angst vor dem Überspringen des reformatorischen Funkens auf die Sowjetunion und andere "Bruderstaaten", die "historische Pflicht" zu verteidigen, was im Zweiten Weltkrieg mit so vielen menschlichen Opfern erkauft worden war, die strategische Bedeutung der CˇSSR im Rahmen des Kalten Krieges und der Druck, der auf Breschnew lastete, kein Land "verlieren" zu dürfen.
Die zur Rechtfertigung verbreitete Formel, die Selbstbestimmung der Warschauer-Pakt-Staaten ende dort, wo die Interessen des Verteidigungsbündnisses bedroht seien, wurde im Westen als "Breschnew-Doktrin" bezeichnet. Sie war im Grunde als Handlungsmaxime nicht neu. Seit Berija und den Unruhen in der DDR 1953 sowie Chruschtschow und den Aufständen in Polen und Ungarn 1956 galt der Verlust eines Bündnispartners als größter anzunehmender Unfall.
Die Breschnew-Doktrin war ein weiterer Grund für China, auf Distanz zur Sowjetunion zu gehen. Breschnews anfängliche Bemühungen um ein besseres Verhältnis zu Peking trugen keine Früchte, zumal das Politbüro in Moskau seinerseits die Exzesse der chinesischen "Kulturrevolution" mit Argwohn beobachtete. Beide Mächte konkurrierten zudem im Vietnamkrieg (1955-1975) darum, wer mehr Hilfe für und Einfluss auf die nordvietnamesischen Kräfte geltend machen konnte.
Quellentext"Warschauer Brief" vom 15. Juli 1968
Aus einem Schreiben der Kommunistischen Parteien Bulgariens, Ungarns, der DDR, Polens und der UdSSR an das ZK der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei
[…] Der gesamte Verlauf der Ereignisse in Ihrem Lande während der letzten Monate läßt keinen Zweifel daran, daß die von den imperialistischen Zentren unterstützten Kräfte der Konterrevolution eine breitangelegte Offensive gegen die sozialistische Ordnung entfaltet haben, ohne auf die erforderliche Zurückweisung von seiten der Partei und der Volksmacht zu stoßen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich in diese Ereignisse in der Tschechoslowakei die Zentren der internationalen Reaktion eingeschaltet haben, die alles unternehmen, um die Atmosphäre anzuheizen, zu komplizieren und die in dieser Richtung das Vorgehen der antisozialistischen Kräfte inspirieren.
Die bürgerliche Presse geizt nicht mit Worten des Lobes für die "Demokratisierung" und "Liberalisierung" in der CSSR und hetzt zugleich gegen die sozialistischen Bruderländer. Besondere Aktivität entwickeln die herrschenden Kreise der westdeutschen Bundesrepublik, die die Ereignisse in der Tschechoslowakei auszunutzen versuchen, um Zwietracht zwischen den sozialistischen Ländern zu säen, die DDR zu isolieren und ihre revanchistischen Absichten zu verwirklichen.
Seht Ihr denn diese Gefahr nicht, Genossen? Kann man denn in dieser Situation passiv bleiben, sich nur auf Deklarationen und Versicherungen der Treue zum Sozialismus und zu den Bündnisverpflichtungen beschränken, ohne konkrete Schritte zu unternehmen? Seht Ihr denn nicht, daß Euch die Konterrevolution eine Position nach der anderen entreißt, daß die Partei die Kontrolle über den Verlauf der Ereignisse verliert und immer mehr vor dem Druck der antikommunistischen Kräfte zurückweicht? […]
Nach unserer Überzeugung ist eine Situation entstanden, in welcher die Bedrohung der Grundlagen des Sozialismus in der Tschechoslowakei die gemeinsamen Lebensinteressen der übrigen sozialistischen Länder gefährdet. Die Völker unserer Länder würden uns ein gleichgültiges und sorgloses Verhalten zu einer solchen Gefahr niemals verzeihen. […]
Der Fall CSSR. Strafaktion gegen einen Bruderstaat, hg. von der Redaktion der Fischer Bücherei unter Mitarbeit des Südwestfunks, Baden-Baden, Redaktion Klaus Kamberger, Frankfurt a.M./Hamburg 1968, Seite 129 f.
QuellentextTelefongespräch zwischen Breschnew und Dubček am 13. August 1968
Dubček: Letztes Mal habe ich Ihnen alles gesagt, und jetzt kann ich nur das wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe, dass wir das Plenum einberufen, dass man das Plenum vorbereiten muss, dass man dafür Zeit braucht. Wenn Sie glauben, dass wir Sie betrügen, dann ergreifen Sie jene Maßnahmen, die Sie für richtig halten. Das ist Ihre Sache.
Brežnev: Siehst du, Sascha, die Maßnahmen, die wir für richtig halten, werden wir sicherlich ergreifen. Und du sagst richtig, dass es unsere Sache ist. Aber zumal es nicht nur unsere, sondern auch eine gemeinsame Sache ist, wäre es für uns leichter, jene Maßnahmen zu ergreifen. Wenn du und deine Genossen ehrlicher wäret und sagen würdet, welche Maßnahmen es sind, die ihr von uns erwartet.
Dubček: Wir können alle Fragen mit eigenen Kräften lösen, aber wenn Sie glauben, dass man Maßnahmen ergreifen muss, bitte, ergreifen Sie diese.
Brežnev: Ich frage Dich ja nicht, warum du diese oder jene Frage nicht gelöst hast, ich frage dich etwas anderes, Sascha, wann du das zu lösen glaubst, was wir vereinbart haben.
Dubček: Aber Sie fragen mich nicht, Sie machen mir einen Vorwurf.
Brežnev: Ich mache Dir keinen Vorwurf, sondern ich stelle fest, dass sich nach unseren Beratungen nichts verändert hat, dass wir keine konkreten Aktionen sehen, die auf die Umsetzung der zwischen uns bestehenden Vereinbarungen abzielen würden. Und wenn dem so ist, dann steigt unsere Besorgnis. Uns scheint, dass ihr uns einfach betrügt und überhaupt nicht erfüllen wollt, was wir sowohl mit dir unter vier Augen als auch in den Vierer-Beratungsgesprächen vereinbart haben. Aber wenn Du sagst, dass du alle in Cˇierná nad Tisou vereinbarten Fragen beim nächsten Plenum löst, dann mildert das natürlich etwas unsere Zweifel. Ich sage nicht, dass sie verschwinden, aber sie werden gemildert, wir sind ja gewohnt, dir zu glauben, wir sehen dich als Führer der Bruderpartei, zu der wir ein großes Vertrauen haben.
Dubček: Ich würde jede andere Arbeit annehmen. Ich klammere mich nicht an diesen Posten. Soll sich doch irgendjemand anderer damit beschäftigen, soll doch jemand anderer Erster Sekretär des ZK der KPCˇ werden, ich kann nicht mehr ohne jegliche Unterstützung und unter ständigen Angriffen arbeiten.
Brežnev: Sascha, ich möchte dir aufrichtig sagen, dass all diese Schwierigkeiten, von denen du sprichst, ihr euch selbst geschaffen habt. […] Wir haben euch diese Probleme nicht beschert. Ihr seid es, die alles gelockert, die Macht verloren habt und nun klagt. Und es tut mir sehr leid, dass du unser Gespräch als Angriff und nicht als Unterstützung verstehst. Sieh das als eine Unterstützung, was ich dir jetzt sage. Das ist kein Angriff gegen dich.
Dubček: Leonid Il’ič, ich bitte Sie, sagen Sie mir: Was soll ich denn tun?
Brežnev: Es fällt mir schwer, dir Ratschläge zu erteilen. Aber ich will dir sagen, wenn du allein bleiben wirst, wenn du zwischen Linken und Rechten schwanken wirst, bringst du nichts zustande. Ohne [Partei-]Aktiv bringst du nichts zustande. Um dich herum gibt es viele enge Genossen, gute Menschen, gute Kommunisten.
Du, Sascha, schau dich aufmerksam um. Ich will dir keine Namen nennen, aber du kennst Menschen, auf die du dich ohne Bedenken verlassen könntest, und mit ihrer Unterstützung würdest du alle Probleme lösen. Ich sage dir noch einmal, dass ich dir mit dieser Unterredung, mit diesem Gespräch aus ganzem Herzen helfen möchte.
Jetzt kommen wir alle miteinander aus: sowohl unsere Partei als auch die Bruderparteien des Treffens in Bratislava und der Dokumente der Konferenz in Bratislava. Ich habe dir ganz herzlich, offen und direkt alle unsere Zweifel geäußert. Wir fordern nichts Großes. Lass uns doch das erfüllen, war wir vereinbart haben, kein Gramm mehr. Und auf deine Frage, was du tun solltest, kann ich dir eine Antwort geben. Wenn du einen Streit zwischen uns verhindern möchtest, lass uns doch das erfüllen, war wir vereinbart haben. Lass uns den rechten Kräften eine gebührende kommunistische Abfuhr erteilen. Man muss ihnen einen Schlag vor dem Parteitag versetzen. Einen solchen Schlag, von dem sie sich nicht erholen würden, und nur in diesem Fall wird die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei mit einem ungetrübten Ansehen den Parteitag betreten.
Mitschnitt eines Telefonats zwischen Breschnew und Dubček am 13. August 1968, in: Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968. Band 2: Dokumente, hg. v. Stefan Karner, Natalja Tomilina, Alexander Tschubarjan u. a., Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2008, Seite 329 ff., hier Seite 339
Die Helsinki-Schlußakte 1975
Die Idee einer "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) stammte von Molotow, der 1954 einen Nichtangriffspakt mit den USA und eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen vorgeschlagen hatte, die auf gegenseitigen Konsultationen basieren sollten. Was im Westen lange als reine Propaganda gewertet worden war, begann die neue Führung unter Breschnew ab Mitte der 1960er-Jahre aktiv zu verfolgen. Nachdem sich auch der Warschauer Pakt und die NATO zum Friedensprozess bekannt hatten, konkretisierten sich Anfang der 1970er-Jahre die Planungen. Nach zweijährigen Verhandlungen unterschrieben am 1. August 1975 35 Staatschefs in Helsinki die in drei Körbe unterteilte Schlussakte. Doch während sich Korb 1 "Sicherheitsfragen in Europa" und Korb 2 "Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt" im Sinne der sowjetischen Delegation gestalteten, entwickelte sich Korb 3 "Zusammenarbeit auf humanitären und anderen Gebieten" zum Problemfall, denn damit verpflichteten sich die Signatarmächte zur Einhaltung der Menschenrechte.
QuellentextErklärung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS vom 21. August 1968
TASS ist bevollmächtigt zu erklären, daß sich Persönlichkeiten der Partei und des Staates der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik an die Sowjetunion und die anderen verbündeten Staaten mit der Bitte gewandt haben, dem tschechoslowakischen Brudervolk dringend Hilfe, einschließlich der Hilfe durch bewaffnete Kräfte, zu gewähren. Dieser Appell wurde ausgelöst, weil die in der Verfassung festgelegte sozialistische Staatsordnung durch konterrevolutionäre Kräfte gefährdet wurde, die mit den dem Sozialismus feindlichen äußeren Kräften in eine Verschwörung getreten sind. […]
Die weitere Zuspitzung der Situation in der Tschechoslowakei berührt die Lebensinteressen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder, die Interessen der Sicherheit der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft. Die Gefahr für die sozialistische Ordnung in der Tschechoslowakei ist gleichzeitig auch eine Gefahr für die Grundfesten des europäischen Friedens. […]
Sowjetische Militäreinheiten haben gemeinsam mit Militäreinheiten der genannten verbündeten Länder [Bulgarien, DDR, Ungarn und Polen] am 21. August 1968 das Territorium der Tschechoslowakei betreten. […]
Die Bruderländer stellen jeder beliebigen Bedrohung von außen fest und entschlossen ihre unerschütterliche Solidarität entgegen. Niemals und niemandem wird es gestattet sein, auch nur ein Glied aus der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten herauszubrechen.
Der Fall CSSR. Strafaktion gegen einen Bruderstaat, hg. von der Redaktion der Fischer Bücherei unter Mitarbeit des Südwestfunks, Baden-Baden, Redaktion Klaus Kamberger, Frankfurt a. M. / Hamburg 1968, Seite 13 f.
Quellentext"Begrenzte Souveränität sozialistischer Staaten" ("Breschnew-Doktrin")
Die Völker der sozialistischen Länder, die kommunistischen Parteien haben die uneingeschränkte Freiheit und sie müssen sie haben, die Entwicklungswege ihres Landes zu bestimmen. Jedoch darf keine Entscheidung von ihrer Seite entweder dem Sozialismus in ihrem Land oder den Grundinteressen der anderen sozialistischen Länder […] Schaden zufügen. […] Man kann die Interessen einzelner sozialistischer Länder nicht den Interessen des Weltsozialismus, der revolutionären Bewegung der Welt entgegenstellen. W. I. Lenin forderte von allen Kommunisten "gegen die kleinnationale Beschränktheit, Abgeschlossenheit und Isolation zu kämpfen, für die Berücksichtigung des ganzen und allgemeinen, für die Unterordnung der Interessen des Teils unter die Interessen der Gesamtheit". […]
Die sozialistischen Staaten achten die demokratischen Normen des Völkerrechts. […] Nach marxistischer Auffassung können jedoch die Rechtsnormen, darunter auch die Normen der gegenseitigen Beziehungen der sozialistischen Länder, nicht rein formal, aus dem allgemeinen Klassenkampf der Gegenwart gelöst, ausgelegt werden. […]
Die Schwächung eines Gliedes des Weltsystems des Sozialismus wirkt sich direkt auf alle sozialistischen Länder aus, die sich demgegenüber nicht gleichgültig verhalten können.
S. Kowaljow, "Souveränität und internationale Pflichten der sozialistischen Länder", in: Prawda (Moskau) 26.9.1968. Übersetzung aus: Presse der Sowjetunion, 1968, H. 120, Seite 3-5
QuellentextVerkündung der „Breschnew-Doktrin“
Aus einer Rede des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, L. I. Breschnew, auf dem V. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei am 12. November 1968
[...]
Die Hauptbemühungen des Imperialismus in seinem Kampf gegen uns sind gerade auf die Trennung der sozialistischen Länder gerichtet, seine Kalkulationen setzen eine Schwächung unserer Einheit voraus. Die Solidarität unserer Länder bedeutet hingegen Schläge für die Hoffnungen unserer Feinde. [...]
Die sozialistischen Staaten setzen sich für die strikte Beachtung der Souveränität aller Länder ein, und wir wenden uns nachdrücklich gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, gegen die Verletzung ihrer Souveränität.
Für uns Kommunisten ist dabei die Festigung und der Schutz der Souveränität der Staaten von besonders großer Bedeutung, die den Weg des sozialistischen Aufbaus beschritten haben. Die Kräfte des Imperialismus und der Reaktion trachten danach, die Völker einmal des einen und dann des anderen sozialistischen Landes ihres erkämpften souveränen Rechts zu berauben, den Aufstieg ihres Landes, das Wohlergehen und das Glück der breiten Massen der Werktätigen durch die Errichtung einer von jeder Unterdrückung und Ausbeutung freien Gesellschaft zu sichern. Und wenn das sozialistische Lager den Anschlägen auf dieses Recht gemeinsam Paroli bietet, stimmen die bürgerlichen Agitatoren ein Geschrei an über "Schutz der Souveränität" und über "Nichteinmischung".
Es liegt auf der Hand, daß dies reiner Betrug und Demagogie ist. Tatsächlich geht es diesen Schreihälsen nicht um die Wahrung, sondern gerade um die Vernichtung der sozialistischen Souveränität.
Es ist bestens bekannt, daß die Sowjetunion manches für die reale Stärkung der Souveränität und Selbständigkeit der sozialistischen Länder getan hat. Die KPdSU setzte sich immer dafür ein, daß jedes sozialistische Land die konkreten Formen seiner Entwicklung auf dem Wege zum Sozialismus unter Berücksichtigung der Eigenart seiner nationalen Bedingungen selbst bestimmte.
Aber bekanntlich, Genossen, gibt es auch allgemeine Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus, und ein Abweichen von diesen Gesetzmäßigkeiten könnte zu einem Abweichen vom Sozialismus im allgemeinen führen. Und wenn innere und äußere dem Sozialismus feindliche Kräfte die Entwicklung eines sozialistischen Landes zu wenden und auf eine Wiederherstellung der kapitalistischen Zustände zu drängen versuchen, wenn also eine ernste Gefahr für die Sache des Sozialismus in diesem Lande, eine Gefahr für die Sicherheit der ganzen sozialistischen Gemeinschaft entsteht – dann wird dies nicht nur zu einem Problem für das Volk dieses Landes, sondern auch zu einem gemeinsamen Problem, zu einem Gegenstand der Sorge aller sozialistischen Länder. [...]
Boris Meissner, Die "Breshnew-Doktrin". Das Prinzip des "proletarisch-sozialistischen Internationalismus" und die Theorie von den "verschiedenen Wegen zum Sozialismus". Dokumentation, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1969, Seite 78 f.
Im Gegensatz zur Annahme vieler Diplomaten, Helsinki werde bald vergessen sein, entwickelte Korb 3 ein Eigenleben und verschaffte der Menschenrechtsbewegung in den Warschauer-Pakt-Staaten neue, wichtige Impulse: In Moskau gründete sich im Mai 1976 die erste von zahlreichen "Helsinki-Gruppen", die offen die Einhaltung der Menschenrechte einforderten. In der Tschechoslowakei traten Oppositionelle, ebenfalls unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte, am 1. Januar 1977 mit der Charta 77 an die Öffentlichkeit; in Polen bildete sich nach den Arbeiterunruhen von 1976 das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), das sich ebenfalls auf die in der Helsinki-Schlussakte verbürgten Rechte berief. Der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer, in den 1980er-Jahren einer der Anführer des zivilen Widerstands in der DDR, kam daher zu der Überzeugung: "1989 wäre nicht passiert, wenn es 1975 nicht gegeben hätte."
QuellentextBilanz der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ aus sowjetischer Sicht
Aus der Rede L. I. Breschnews in Helsinki am 31. Juli 1975
Die Sowjetunion betrachtet die Ergebnisse der Konferenz nicht einfach als die Abfassung der notwendigen politischen Bilanz des Zweiten Weltkrieges. Gleichzeitig bedeutet sie auch ein Besinnen auf die Zukunft im Zusammenhang mit der Realität des heutigen Tages und den jahrhundertelangen Erfahrungen der europäischen Völker.
Hier in Europa haben sich Aggressoren wiederholt mit zweifelhaften Lorbeeren gekrönt, aber über sie kam der Fluch der Völker. Hier in Europa wurden Ansprüche auf Weltherrschaft zur politischen Doktrin erhoben, die dann mit dem Zusammenbruch der Staaten endeten, deren Ressourcen in den Dienst verbrecherischer menschenfeindlicher Ziele gestellt wurden.
Eben deswegen hat die Stunde geschlagen, jetzt aus den Erfahrungen der Geschichte die unvermeidlichen kollektiven Konsequenzen zu ziehen. […]
Es wird wohl kaum jemand in Abrede stellen, daß die Ergebnisse dieser Konferenz eine sorgfältig ausgewogene Bilanz der Interessen aller Teilnehmerstaaten darstellen. Deshalb muß man sie ganz besonders umsichtig behandeln. Hinter uns liegt kein leichter Weg seit dem Vortragen der eigentlichen Idee der Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz bis hin zu ihrem Höhepunkt, dem Abschluß dieser Konferenz auf höchster Ebene. […]
Unserer Ansicht nach besteht das Ergebnis der Konferenz summa summarum darin, daß die internationale Entspannung in einem immer größeren Umfang mit konkretem materiellen Inhalt angereichert wird. Gerade in der Verwirklichung der Entspannung liegt der Kern der Sache, liegt der Kern all dessen, was den Frieden in Europa wirklich festigt und unerschütterlich gestalten muß. Und ganz in den Vordergrund stellen wir hierbei die Aufgabe, das Wettrüsten einzustellen und wirkliche Ergebnisse bei der Abrüstung herbeizuführen.
Es ist sehr wichtig, korrekte und gerechte Grundsätze für die Beziehungen zwischen den Staaten zu verkünden. Nicht weniger wichtig ist es, diese Grundsätze dann in den derzeitigen internationalen Beziehungen zu verwurzeln, das heißt, ihnen praktische Geltung zu verschaffen und sie zum Gesetz des internationalen Lebens zu erheben, das von niemandem übertreten werden darf. Unsere Friedenspolitik ist gerade darauf gerichtet, was wir hier von dieser Tribüne noch einmal verkünden möchten.
Hans-Adolf Jacobsen u. a. (Hg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Analyse und Dokumentation 1973-1978, Bd. II / 2 der Dokumente zur Außenpolitik, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1978, Seite 821 ff.
Engagement und Stellvertreterkriege in der "Dritten Welt"
Breschnew baute aus, was Chruschtschow begonnen hatte: die Beziehungen zu Staaten in Südamerika, Afrika, im Nahen Osten und Südostasien. Die neueste Forschung zeigt, dass die Sowjetunion dabei keineswegs stets der dominante Partner war, sondern oft genug von den kleineren Ländern genötigt, gedrängt und damit erpresst wurde, man könne sich sonst auch den US-Amerikanern anschließen. Die Ideologie spielte oft keine Rolle, die Sowjetunion tolerierte es sogar mitunter stillschweigend oder nur mit formalem Protest, wenn die umworbenen Entwicklungsländer ihre kommunistischen Parteien drangsalierten, verboten und ihre Führer verhafteten oder sogar ermordeten. Auch die Lieferung von Lebensmittelhilfen, Technologie und Waffen bedeutete nicht automatisch, dass die Sowjetunion sich damit politischen Einfluss erkaufte: Obwohl Nordvietnam im Krieg 75 bis 80 Prozent seiner materiellen Hilfe aus der Sowjetunion bezog, blieb deren politischer Einfluss gering.
QuellentextDie Politik der UdSSR in den "befreiten Ländern" Afrikas und Asiens
[...] In vielen befreiten Ländern vollzieht sich ein komplizierter Prozeß der Polarisierung der Klassenkräfte, verstärkt sich der Klassenkampf. Das tritt auf verschiedene Art in Erscheinung. Neue fortschrittliche Veränderungen sind in der Wirtschaft und im politischen Leben der arabischen, afrikanischen und asiatischen Länder sozialistischer Orientierung eingetreten. Es gibt auch Länder, in denen die Entwicklung weiter auf dem kapitalistischen Weg vor sich gegangen ist. […]
Die Einstellung der Sowjetunion zu den komplizierten Prozessen in den Entwicklungsländern ist klar und bestimmt. Die Sowjetunion mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Völker ein. Die Achtung vor dem unantastbaren Recht jedes Volkes, jedes Landes, seinen Entwicklungsweg zu wählen, ist ein unumstößliches Prinzip der Leninschen Außenpolitik. Allerdings machen wir aus unseren Ansichten kein[en] Hehl. In den Entwicklungsländern wie überall stehen wir auf seiten der Kräfte des Fortschritts, der Demokratie und der nationalen Unabhängigkeit und stehen zu ihnen als Freunde und Kampfgenossen.
Unsere Partei unterstützt die um ihre Freiheit ringenden Völker und wird sie auch künftig unterstützen. Die Sowjetunion sucht hierbei keinerlei Vorteile für sich selbst, jagt keinen Konzessionen nach, erstrebt keine politische Vorherrschaft und trachtet nicht nach Militärstützpunkten. Wir handeln so, wie es uns unser revolutionäres Gewissen, unsere kommunistische Überzeugung gebieten. […]
XXV. Parteitag der KPdSU. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik. Berichterstatter: L. I. Breshnew, Generalsekretär des ZK der KPdSU. 24. Februar 1976, Dietz Verlag Berlin 1976, Seite 16 f.
Am meisten Strahlkraft entwickelte die Sowjetunion jenseits von Ideologie und Utopien durch die Schwerindustrialisierung, mit der sie sich in den 1930er-Jahren in die Moderne katapultiert hatte. Auf Basis der sowjetischen Ingenieurskunst kam es zu der Kooperation zwischen Ägypten und der Sowjetunion beim (Neu-)Bau des Assuan-Staudamms (1960-1971), bevor Ägypten die sowjetischen Berater auswies und sich den USA zuwandte.
Selbst Kuba war nicht, wie lange Zeit vom Westen unterstellt, von der Sowjetunion gesteuert, als es in den 1960er- und 1970er-Jahren ganze Bataillone von Freiheitskämpfern nach Afrika entsandte. 1975 gelang es Fidel Castro durch eigene Streitkräfte, lediglich durch diplomatischen Druck der Sowjetunion unterstützt, den Kampf um den Einfluss in Angola für die kommunistische Seite und gegen die USA zu entscheiden. Angola, in das seit 1961 Hilfsgüter und Waffen der Sowjetunion flossen, zeigt allerdings, dass die "Erpressbarkeit" der Supermächte den kleinen Ländern keineswegs immer zum Vorteil gereichte: So lange, wie alle Gruppierungen mit Waffen beliefert wurden, versank das Land in einem blutigen Bürgerkrieg.
Die Sowjetunion hütete sich davor, eigene Truppen in Krisengebiete zu entsenden, gerade wenn die Gefahr bestand, dass dies zu einer direkten Konfrontation mit den USA führen könnte. Doch der Anspruch, in Konkurrenz mit den USA immer mehr Länder mit immer mehr Lieferungen versorgen zu müssen, überforderte die heimische (Land-)Wirtschaft. Es entstand eine Situation, die heute als "Imperial Overstretch" ("Imperiale Überdehnung") bezeichnet wird: Die Ansprüche der "kontrollierten" Territorien überstiegen die zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Der Militäreinsatz in Afghanistan 1979
Auch die Beziehungen zu Afghanistan begannen mit Wirtschaftshilfen, Militärberatern, Waffenlieferungen und Millionenkrediten – schon im Jahr 1955. Bis zum Sturz des Königs und der Machtergreifung der Demokratischen Volkspartei DVPA unter Nur Mohammed Taraki (1917-1979) im Frühjahr 1978 war eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit entstanden, die sich von der Förderung von Bodenschätzen über das Bildungssystem bis hin zum Tourismus erstreckte. Obwohl die DVPA seit ihrer Gründung 1965 ideell wie finanziell von Moskau unterstützt wurde, beäugte Moskau sie doch mit Argwohn. Das änderte sich auch nicht mit dem Putsch 1978, in den Moskau nicht eingeweiht gewesen war. Mit großer Skepsis und Zurückhaltung beobachtete das Politbüro, wie die innerlich gespaltene Partei das Land ins Chaos stürzte und einem Terrorregime unterwarf. Die mehrfach von Taraki angeforderte Militärhilfe zur Niederschlagung von Volksaufständen lehnte Breschnew ab. Aber als Taraki im Herbst 1979 in einem weiteren Putsch von seinem Stellvertreter Hafisullah Amin (1921-1979) abgesetzt und ermordet wurde, beschloss am 12. Dezember ein kleiner Ausschuss des Politbüros, Truppen zu entsenden, um Amin abzusetzen und die Ordnung im Land wiederherzustellen. Am 25. Dezember überschritten sowjetische Truppen die Grenzen und ermordeten Amin.
Ähnlich wie beim Einmarsch in Prag wird bis heute in der Forschung debattiert, was letztlich ausschlaggebend für den Einmarsch war. Genannt werden:
interne Kommunikationsprobleme: ein unzureichendes Wissen über die Lage, da die Orientexperten und die Militärexperten nicht gehört wurden;
außenpolitische Erwägungen: die Einsicht und Enttäuschung, dass die Entspannungspolitik ohnehin gescheitert war angesichts des am gleichen Tag gefassten NATO-Doppelbeschlusses, in Europa Mittelstreckenraketen zu stationieren, und angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der US-Senat den SALT II-Vertrag ohnehin nicht ratifizieren würde;
geostrategische Gesichtspunkte: Der Zerfall des einst unter dem Schah von den USA dominierten Irans erzeugte ein Vakuum in der Region, das der Sowjetunion gebot, wenigstens Afghanistan für sich zu sichern. Gleichzeitig drohte die Annäherung Chinas an die USA, die NATO und Japan erneut die Kräfteverhältnisse in Asien zuungunsten der Sowjetunion zu verschieben;
eine Überschätzung der eigenen Kräfte: Die sowjetischen Erfolge in Angola 1975 und 1977/78 in Äthiopien hätten das Politbüro zu dem Glauben verführt, den eigenen Einflussbereich auf die Schnelle weiter ausdehnen zu können.
Wieder fiel der Satz wie in Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968: "Unter keinen Umständen dürfen wir Afghanistan verlieren." Aber anders als in Prag und vom Politbüro erwartet, brachten die sowjetischen Panzer keine Ruhe und "Ordnung", sondern ließen die Lage vollends eskalieren. Erst zehn Jahre später zog Gorbatschow die letzten Truppen ab und hinterließ ein verwüstetes Land im Bürgerkrieg. Afghanistan trug erheblich zur Delegitimierung und Unzufriedenheit in der Sowjetunion bei, denn seit 1945 war dies der erste Krieg, in den sowjetische Soldaten entsandt wurden; 15.000 fielen, 54.000 wurden verwundet.