Einleitung
Parallel zur Septemberkrise in Frankfurt wurden auch die Habsburgermonarchie und Preußen von Krisen geschüttelt. Den jungen Verfassungsstaaten mit ihren liberalen "Märzregierungen" war eine Stabilisierung nicht geglückt. Ende Oktober/Anfang November kam die Stunde der Gegenrevolutionäre, in der diese wieder die Macht an sich nahmen und ihre Traditionsstaaten erneut in souverän handelnde Großmächte konservativer Prägung umwandelten, womit auch die Erfolgschancen für die Frankfurter Liberalen dramatisch zusammenschrumpften.
Fortan konnte die Paulskirche nicht mehr damit rechnen, dass sich die Einzelstaaten der Entwicklung im deutschen Gesamtstaat anpassen und unterordnen würden. Doch auch in der nächstfolgenden, bis 1850/51 andauernden Phase hielt ein gegenrevolutionärer Prozess an. Zwar erhielten Österreich und Preußen erstaunlich fortschrittliche Verfassungen, da an den politischen Maßstäben, die Liberale und Demokraten innerhalb und außerhalb der Parlamente gesetzt hatten, nicht vorbeizukommen war. Gleichzeitig ließen sie jedoch die Paulskirche scheitern und drängten mit zunehmender innerer Stabilisierung auch das Verfassungsleben in ihren eigenen Staaten zurück.
Krise der Habsburgermonarchie
In der Habsburgermonarchie war auch während des Sommers 1848 die Politisierung der Öffentlichkeit auf eine recht kleine aktive Minderheit in den städtischen Zentren beschränkt geblieben. Politische Vereine besaßen durchaus Gewicht, doch flächendeckende Parteiorganisationen fehlten. Soziale Konflikte verschärften die nationalen Spannungen nur unerheblich. Eine wichtige Ausnahme war Wien. Hier führte die "Praterschlacht" vom August, aus der die bürgerlich strukturierte Nationalgarde und die Akademische Legion als Sieger hervorgingen, zu Toten auf Seiten der in den Vorstädten lebenden Unterschichten. Erst im Zuge der Gegenrevolution fanden sich Teile der regulären Truppen, Nationalgardisten, Handwerksgesellen und Arbeiter wieder zum gemeinsamen Kampf gegen das Gros der regulären Truppen zusammen.
Drohender Staatszerfall
Für Sprengstoff sorgten die Interessenkollisionen der verschiedenen Nationalbewegungen im Vielvölkerstaat, am meisten in Italien und Ungarn. Im lombardisch-venetianischen Königreich schien der Triumph des Risorgimento schon perfekt, doch gelang es den Italienern wegen programmatischer Differenzen, dynastischer Eigeninteressen und militärischer Schwäche nicht, Österreichs hier aus Südslawen zusammengestellte Truppen unter General Johann Graf von Radetzky (1766-1858) aus einem Festungsviereck an Etsch und Mincio zu vertreiben. Im Königreich Ungarn mit seinen Magyaren, Slawen, Rumänen und Deutschen erreichten die Magyaren unter Lajos Kossuth (1802-1894) und Ludwig Graf Batthyány (1806-1849) eine weitgehende Unabhängigkeit des Landes bei Fortbestehen einer Personalunion mit Österreich, doch war zu erwarten, dass die Habsburgermonarchie im Falle eines Wiedererstarkens jede sich bietende Chance nutzen würde, um ihre reale Oberhoheit wiederherzustellen, zumal dabei mit Hilfe der südslawischen Minderheit Ungarns, insbesondere der Kroaten, zu rechnen war.
In Prag versuchten zwar ein tschechischer Nationalausschuss und bald eine provisorische Regierung, das Königreich Böhmen und Mähren zum autonomen Bestandteil einer föderativ umgestalteten und mit einer Verfassung ausgestatteten Habsburgermonarchie zu machen, in der die Slawen die Majorität besaßen. Doch eine hinhaltende Politik Österreichs und die Präsenz seiner Truppen im Lande hielt die Lage in der Schwebe. Im Königreich Galizien konnten Bürokratie und Militär sogar umgehend die polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen eindämmen und niederschlagen.
Der deutschlandpolitische Komplex war daher nur ein Aspekt der grundsätzlichen Frage, ob Österreich erhalten oder geteilt werden sollte. Eine dominierende Zielvorgabe war nirgends auszumachen. Da mit einem Verlust Italiens und Ungarns gerechnet wurde, wetteiferten die verschiedenen Parteien und Völker mit Überlegungen, was mit einer entsprechend verkleinerten Habsburgermonarchie geschehen sollte. Unter den Verfechtern eines straff zentralistisch geführten Staates konkurrierten bei manchen Übereinstimmungen Anhänger einer absolutistischen Staatsform mit Befürwortern eines Verfassungsstaates. Entsprechend gespalten waren auch die Vertreter eines föderativen Staatenbundes. Das Modell der Paulskirche, demzufolge das westliche Österreich zum Bestandteil eines konstitutionellen Großdeutschlands werden sollte, dominierte in der Gesamtbevölkerung nie, von der politischen Führung ganz zu schweigen. Selbst im deutschen Teil der Bevölkerung standen durchgängig "schwarz-gelbe", also der Habsburgerdynastie verpflichtete, neben den "schwarz-rot-goldenen" Ideen der "Germanophilen".
Unpopuläre Verfassung "von oben"
Während die Regierung zur Untätigkeit verurteilt war, versuchte sich der Hof, nun von einer Kamarilla statt der Staatskonferenz gelenkt, an einem Spagat zwischen Bewahrung des Alten und Arrangement mit unvermeidlich Neuem. Improvisationen sollten möglichst viel sowohl von der eigenen Macht als auch vom traditionellen Besitzstand des Staates bewahren. Als am 25. April 1848 eine Verfassung verordnet wurde, bescherte dies dem Staat zwar ein Parlament, aber kein populäres Führungsorgan.
Immerhin fand am 22. Juli 1848 tatsächlich - wenn auch ohne Vertreter Italiens und Ungarns - die feierliche Eröffnung eines Reichstags statt. Die Hälfte der Abgeordneten waren Slawen; eine große Zahl von Bauern aus den deutschen Kronländern und Galizien saß neben bürgerlichen Parlamentariern aus Wien und anderen städtischen Regionen, insbesondere auch Böhmens; Aristokraten waren nur schwach vertreten. Es fehlte eine gemeinsame liberale Führungsschicht analog zur Paulskirche. Trotz massiver Verständigungsprobleme gelang die Verabschiedung eines grundlegenden Gesetzes auf dem Agrarsektor. Am 31. August beschloss der Reichstag eine entschädigungslose Aufhebung der Untertänigkeitsverhältnisse und eine Beseitigung der Grundlasten bei Entschädigungsvorbehalt. Diese Bauernbefreiung löste das längst überfällige zentrale soziale Problem des noch überwiegend agrarischen Österreich. Im Sommer 1848 blieb es jedoch bei diesem einmaligen Kraftakt des Reichstags, so dass dieser nicht die Popularität gewann, um im inneren Kräftefeld eine bedeutende Rolle zu spielen.
Verselbstständigung des Militärs
Die Tatsache, dass die Verfassung vom April 1848 nicht das Werk einer Nationalversammlung war und somit nicht vom Volk ausging, aber auch weitere Bemühungen von Hof und Regierung, sich den Volksbewegungen nicht zu beugen, führten im Mai zu einem Aufstand, der anders als im März auf Wien beschränkt blieb und die Entmachtung der Regierung durch einen "Sicherheitsausschuss" der Stadt zur Folge hatte. Kaiser Ferdinand und die Kamarilla entschlossen sich zur Flucht ins kaisertreue Innsbruck.
In dieser verfahrenen und chaotischen Situation verselbständigten sich verschiedene durch den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie aufgebrachte und durch den eigenen Prestige- und Machtverlust unmittelbar betroffene Heerführer. Sie begannen an ihren Standorten, auf eigene Faust "Ordnung" zu schaffen, wovon der kaiserliche Hof bisweilen erst nachträglich informiert wurde. Ihre Aktionen entwickelten sich zur Gegenrevolution in Österreich-Ungarn, wobei sie Hof und Kamarilla jenen Machtgewinn bescherten, der diesem in der Schlussphase der Gegenrevolution wieder die politische Führung einbrachte.
Die entscheidenden Generäle waren neben Radetzky in Italien, dem der Diplomat Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800-1852) als kommender politischer Kopf Österreichs zur Seite trat, Alfred Fürst zu Windischgraetz (1787-1862) in Böhmen und Joseph Freiherr von Jellacic (1801-1859) in Ungarn, der nicht nur für das alte Österreich, sondern auch als Kroate gegen die Magyaren kämpfte. Zuerst nutzte Windischgraetz während des für politische Aufregungen sorgenden Slawenkongresses am 2. Juni 1848 in Prag die Gunst der Stunde, um die tschechische Nationalbewegung durch militärische Machtdemonstrationen zu einem "Aufstand" zu reizen und Mitte Juni in fünftägigen Barrikadenkämpfen auszuschalten. Radetzky, der mit Hilfe Schwarzenbergs nur mit Mühe eine politische Kapitulation Österreichs in Italien abgewendet hatte, gelang Ende Juli bei Custozza der entscheidende Sieg, der bei vorläufigem Ausscheiden Sardinien-Piemonts aus dem Krieg die Herrschaft der Habsburgermonarchie in Oberitalien wieder konsolidierte.
Bevor im September Ungarn an die Reihe kam, hatte sich die Lage in Wien zunächst nicht zuletzt dank des gemäßigt wirkenden Reichstags deutlich entspannt. Auch der Hof kehrte am 11. August nach Wien zurück. Nach dem Erfolg in Italien betrieb dieser dank der Mithilfe des neuen Kriegsministers Theodor Graf Latour (1780-1848) immer entschiedener eine militärische Lösung der Ungarnfrage, wobei die Kroaten gegen die Magyaren ausgespielt wurden. Diese scharfe Konfrontationspolitik wurde von der Regierung zwar nicht mitgetragen, doch auf einem Verhandlungsweg bemühte auch sie sich um eine Revision der Zusage an Ungarn, dass das Königreich fortan mit der übrigen Habsburgermonarchie nur noch in Personalunion verbunden sein sollte.
Diese Politik mobilisierte die mit der ungarischen Nationalbewegung sympathisierende politische Linke in Wien aufs Neue. Wie in der Frankfurter Septemberkrise bereiteten nationale Empörung in Verbindung mit sozialen Problemen und Sorgen vor gegenrevolutionären Entwicklungen den Weg zu einer Radikalisierung und zu neuen Unruhen. Dadurch ergab sich für die Gegenrevolutionäre die Perspektive eines Doppelschlages gegen die Ungarn und gegen die Linke in Wien. Da auf die Truppen Verlass war, spielte ihnen ab jetzt jede Eskalation der Situation in die Hände.
In diesem Bewusstsein nahm Jellacic am 11. September den Kampf gegen die Ungarn auf. Als Jellacics Lage aufgrund der unerwarteten Schlagkraft der Magyaren kritisch wurde und er sich auf österreichisches Gebiet zurückziehen musste, brach auch Windischgraetz aus Prag auf, um Österreich zu "retten". Schwarzenberg erschien Ende September in der österreichischen Hauptstadt Wien.
Die Verknüpfung des Kampfes gegen die Ungarn mit dem gegen die Liberalen und Demokraten Wiens machte Fortschritte, als das Hilfeersuchen einer ungarischen Reichstagsdelegation in Wien durch eine Mehrheit des dortigen Reichstags abgelehnt wurde, was in der österreichischen Hauptstadt für neuerliche Unruhen sorgte. Nutzen zogen die Gegenrevolutionäre auch aus der Ermordung des von der Regierung Wessenberg als außerordentlicher Kommissar für Ungarn entsandten Generals Franz Graf Lamberg am 28. September in Pest.
Niederschlagung des Wiener Aufstandes
Als Latour am 4. Oktober den Einsatz eines in Wien stationierten Bataillons als Ergänzung der gegen die Ungarn kämpfenden Truppen anordnete, mündete eine Beinahe-Meuterei der betroffenen Truppenteile in einen umfassenden Aufstand in der Hauptstadt, bei dem Latour ermordet und das Zeughaus gestürmt wurde.
Angeführt von demokratischen Vereinen und linken Reichstagsabgeordneten entstand eine einzigartige Bürgerkriegsfront gegen die Gegenrevolutionäre, die allerdings auf Wien beschränkt blieb und nur eine politisch aktive Minderheit umfasste. In ihr waren radikale Demokraten und sozial Unzufriedene mit maßvollen und kompromissbereiten Demokraten zusammengeschweißt, zu denen auch der Paulskirchenabgeordnete Robert Blum gehörte, der als Abgesandter seiner Fraktion nach Wien gekommen war.
Der Hof floh am 7. Oktober erneut, nunmehr in die erzbischöfliche Residenzstadt Olmütz in Mähren, wobei der Kaiser die österreichischen Völker zum Kampf gegen die Wiener Revolution aufrief. Mitte Oktober entschied sich der Hof intern für Schwarzenberg als künftigen gegenrevolutionären Regierungschef, während dessen Schwager Windischgraetz als Oberkommandierender mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurde, um die Revolution in Wien zu bekämpfen.
In der Literatur wird vielfach von einer Wiener Oktoberrevolution gesprochen, doch ist dieser Ausdruck mit Vorsicht zu gebrauchen. Die Weichenstellungen kamen von den Gegenrevolutionären, die - wie Schwarzenberg formulierte - eine Abrechnung mit "der europäischen Partei des Umsturzes" suchten und durch entsprechende Vorgaben die Bürgerkriegssituation vom Oktober hervorriefen. Da die Aufständischen jedoch mit ihren Bluttaten, vor allem der Ermordung des Kriegsministers, die Eskalation maßgeblich vorantrieben, lässt sich von einem Nebeneinander von Gegenrevolution und präventiver Revolution sprechen, wobei beide Seiten glaubten, defensiv zu handeln.
Am 20. Oktober wurde Wien von Windischgraetz eingeschlossen. Die übermächtige Streitmacht der regulären Truppen siegte faktisch schon am ersten Tag des Bürgerkriegs, doch ein rasch scheiternder Versuch ungarischer Verbände, die Stadt zu befreien, ließ Beschießungen durch Artillerie und Straßenkämpfe erst nach vier Tagen, am 31. Oktober, enden; schließlich waren über 2000 Tote, meist Zivilisten, zu beklagen. Es folgte eine ebenso grausame wie willkürliche Abrechnung durch die Gegenrevolutionäre, deren spektakulärster Fall - gedacht als Demonstration gegen die Linke im Allgemeinen und die Paulskirche im Besonderen - die "standrechtliche Erschießung" Robert Blums war, des angeblich "hervorragendsten unter den deutschen Anarchisten".
Die Lage im gesamten Italien bekamen die Gegenrevolutionäre erst Monate später in den Griff, zumal sich die Gegenseite radikalisierte und vor allem in Rom und Venedig für ihre Freiheit kämpfende Republiken entstanden. Als Reaktionär, der seinem engeren Herrschaftsbereich wieder ein absolutistisches Regiment aufzwang, schritt der König von Neapel-Sardinien voran. Österreich besiegte sodann am 23. März 1849 Piemont-Sardinien bei Novara, was zur Abdankung Karl Alberts zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II. führte. Im Juli wurden die Römische Republik - zu deren Beseitigung kämpfte nunmehr eine in ideologischer Hinsicht seltsame Koalition von, unter anderen, Österreichern und Franzosen Seite an Seite - und die Republik Venedig niedergerungen, und abermals einen Monat später signalisierte ein österreichisch-piemontesischer Friedensschluss das vorläufige Scheitern der italienischen Nationalbewegung; allerdings blieb Piemont-Sardinien analog zu Preußen ein Verfassungsstaat.
Zu einem weitaus härteren Kampf, in dem Schwarzenberg - wenn auch nach langem Zögern - die kriegsentscheidende militärische Hilfe von Zar Nikolaj I. in Anspruch nahm, entwickelte sich der ab Dezember 1848 wütende Krieg Österreichs gegen Ungarn. Auch Ungarn, das die kurze Spanne seiner faktischen Unabhängigkeit nicht zuletzt zu Rüstungen genutzt hatte und in dem Kossuth während des Krieges quasi wie ein Diktator herrschte, wurde am Ende der Revolutionsphase, im April 1849, noch in eine Republik umgewandelt. Doch schließlich wurde auch deren Gegenwehr sinnlos, und nach der Niederlage der Ungarn am 13. August 1849 mit einer Kapitulation vor den Russen bei Világos rechneten die Sieger in grausamer Form ab.
Staatliche Neuordnung
Nach der Niederschlagung der Demokraten in Wien kam es ungeachtet des Andauerns äußerer Probleme zu einer raschen Entscheidung in der Frage der künftigen Staats- und Regierungsform. Als Schwarzenberg am 21. November Ministerpräsident wurde, erhielt erstmals ein Vertreter jenes "realpolitischen" Kurses das Amt eines Regierungschefs, der später in der Bismarck-zeit vorherrschend werden sollte. Schwarzenberg befürwortete einen zentralistisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat, der den "Stämmen" Gleichberechtigung und dem Volk Staatsbürgerrechte einräumte. An dessen Spitze sollte die Habsburgerdynastie mit einem Kaiser stehen, dessen zentrale Stützen Bürokratie und Armee waren, während allenfalls den Großgrundbesitzern und ähnlich Vermögenden eine darüber hinausgehende Teilhabe an der politischen Verantwortung zugedacht war.
Als Sieger der Gegenrevolution trat Schwarzenberg jedoch, seinen Rivalen Windischgraetz beiseite drängend, zunächst als Reformkonservativer auf, der den Erfordernissen einer nach der Märzrevolution veränderten politischen und gesellschaftlichen Landschaft Tribut zollte. So blieb sein Hauptanliegen zwar die Rekonstruktion eines auf die Habsburgerdynastie gestützten Systems, doch stattete er dieses mit einer Verfassung und einem Parlament aus. Im Reichstag, der in die mährische Stadt Kremsier beordert worden war, erntete er am 27. November 1848 enthusiastischen Beifall, als er ausführte: "Wir wollen die konstitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt."
Kurswechsel unter Kaiser Franz Joseph
Mit der Einsetzung des 18jährigen Kaisers Franz Joseph (1830-1916) am 2. Dezember 1848 erfolgte jedoch eine nicht unwesentliche Kurskorrektur. Für fast sieben Jahrzehnte betrat nämlich ein gewissenhafter und mutiger, dabei nur wenig kreativer Herrscher die politische Bühne, der vor allem verinnerlicht hatte, dass er dem Heer sowohl den Fortbestand der Habsburgermonarchie wie seine Macht verdankte. In seinem Antrittsmanifest hielt er sich mit seinen eigenen Absichten noch zurück. Doch sehr bald wurde klar, dass der junge Monarch keinen Wert auf seine eigene Volkstümlichkeit oder einen konstitutionellen Aufbau des Staates legte, dass er vielmehr als autokratischer Fürst selbst herrschen wollte.
Franz Joseph kam die Auflösung des Kremsierer Reichstags durch Schwarzenberg am 4. März 1849 entgegen. Sie erfolgte zum Zeitpunkt, als der Reichstag sich gerade zur Fertigstellung einer Verfassung anschickte. Als der Regierungschef zeitgleich eine Verfassung oktroyieren ließ, bereitete es dem Kaiser und anderen Gegnern eines konstitutionellen Österreichs keine Schwierigkeiten, die Wahl eines neuen Reichstags zu verhindern. Für Schwarzenberg brachte dies nur Vorteile, konnte er so doch in freier Gestaltung die Konsolidierung der Großmacht Österreich außenpolitisch vorantreiben.
Schon in den Jahren 1849/50 übernahmen Absolutisten im Umfeld des Kaisers Zug um Zug wieder die innenpolitische Führung. Schwarzenberg kapitulierte 1851 vor ihnen. Schon seit längerem schwer erkrankt, starb er im April 1852.
Ab April 1851 regierte Franz Joseph ohne Abstriche absolutistisch, mit Hilfe "seines" Reichsrats, besetzt mit hohen Angehörigen der Bürokratie. Mit dem Silvesterpatent zum Jahreswechsel 1851/52 wurde schließlich auch die Zusage einer Verfassung rückgängig gemacht. Hiermit war der dramatische Versuch der Jahre 1848 bis 1851, den Vielvölkerstaat zu modernisieren, in einer revolutionären wie in einer gegenrevolutionären Etappe völlig gescheitert. Unangetastet blieb lediglich die sozialpolitische Reform im Agrarbereich von 1848. Auch in Wirtschaft und Handel wurde eine Anpassung an das bürgerliche Zeitalter versucht.
Die Dynastie richtete erneut und verstärkt ihr Hauptaugenmerk auf die Bewahrung der Integrität der Großmacht, wobei sie versuchte, den Staatsbürgern/Untertanen sowie den Völkern und historisch gewachsenen Einheiten Freiräume zu verschaffen. Als durch die Revolutionszeit bewiesene Staatsdoktrin galt, dass Emanzipationsbestrebungen und Nivellierungsversuche jeder Art die Habsburgermonarchie zwangsläufig in Chaos und Verderben führen mussten. Neu war eine strikte Ausrichtung des Kaisers auf das Militär, die auf die politische Kultur des Landes ausstrahlte. Da sich aber die Nationalitätenprobleme des Vielvölkerstaates in der Folgezeit nicht mehr eindämmen ließen, konnte der absolutistische Staat nach frühneuzeitlichem Muster die angestrebte neue innere Stärke zu keinem Zeitpunkt mehr erreichen.
Preußen - Bündnis von Militär und Monarchie
Ausgangs- und Endpunkt der Entwicklung in Berlin unterschieden sich erheblich von denen in Wien, doch waren vergleichbare Etappen der Gegenrevolution zu beobachten. In der preußischen Hauptstadt hatte die Märzrevolution den Liberalen die politische Führung gebracht. Drei aufeinander folgende Regierungen unter den Ministerpräsidenten Ludolf Camphausen, Rudolf von Auerswald und Ernst von Pfuel schienen über unangefochtene Autorität zu verfügen. Von der im Mai gewählten Nationalversammlung war zu erwarten, dass sie an ihre Seite trat. Preußen übernahm in den Kämpfen gegen Dänemark und die polnische Nationalbewegung eine wichtige deutschlandpolitische Funktion. Es gewann dadurch an nationalem Renommee, während das weiterhin auf den Monarchen ausgerichtete Heer sein demütigendes Zurückweichen in der Märzrevolution wieder vergessen machen konnte.
Hiermit gelangten konservative Militärs auch in Preußen in eine günstige Ausgangsposition, um zu einer treibenden gegenrevolutionären Kraft zu werden. Maßgeblich war dabei, dass der König den Gegenrevolutionären Rückendeckung gab und strikt auf seiner persönlichen Kommandogewalt über das Heer beharrte. Immer wieder gab er zu erkennen, dass er im Falle einer preußischen Politik, die von dem Prinzip der Volkssouveränität ausgehe, damit sein Gottesgnadentum missachte und seine Kommandogewalt über das Heer einschränke, entweder abdanken oder das Heer als Machtfaktor einsetzen wolle. Diese Situation nutzten als Vertreter der Gegenrevolution im Heer General Friedrich von Wrangel (1784-1877) und Oberstleutnant Karl Gustav von Griesheim (1798-1854).
Der populistische General Friedrich Graf Wrangel sollte von Friedrich Wilhelm IV. nach seinem prestigeträchtigen Kommando in Schleswig schließlich den Auftrag zur militärischen Einkreisung des "revolutionären" Berlin erhalten. Sein wichtigster Beitrag zum Gelingen der Gegenrevolution war seine überzeugend gespielte Bürgernähe beim Einrücken in Berlin, die nicht einmal Ansätze eines Widerstandes aufkommen ließ. Die politischen Fäden im Hintergrund zog die "graue Eminenz" Griesheim, der als Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements das politisch bedeutendste Amt im Kriegsministerium innehatte. Er hing absolutistischen Staatsvorstellungen an und gehörte zu jenen Konservativen, die sich nach der Märzrevolution mit großem publizistischen Einsatz und Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit zuwandten, um die Dominanz liberaler und demokratischer Leitvorstellungen zu brechen.
Durch Militärzeitschriften erreichte er die Soldaten, von denen eine große Zahl in die konservativen Vereine eintrat und sich in ihnen für ein starkes, auf das Heer gestütztes, monarchisches Preußen einsetzte. Vier große Propagandakampagnen, die jeweils in Flugschriften kulminierten und weit über militärische Kreise hinaus wirkten, kamen hinzu. Zunächst gestaltete Griesheim die Wende in der preußischen Politik gegen die polnische Nationalbewegung mit und verhinderte dadurch, dass Preußen in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum reaktionären Russland und ins Fahrwasser einer westlich-liberalen Blockpolitik geriet. Der anschließende Kampf gegen den Huldigungserlass (s. a. Seite 29 f.) und das vermeintliche "Schattenreich" der Paulskirche legte die Basis für die staatliche Selbstbehauptung Preußens. Danach schob er einer demokratischen Kontrolle des Heeres, beispielsweise durch einen Verfassungseid, einen Riegel vor. Schließlich lieferte Griesheim mit der baldgängigen Parole "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten" das Motto zur "Abrechnung" mit der politischen Linken in Preußen, aber auch im übrigen Deutschland.
Schwächung der liberalen Regierungen
Da die Regierung Camphausen an der Realisierbarkeit ihres liberalen Programms bei eigener Führungsrolle nicht zweifelte und weiterhin auf eine Zusammenarbeit mit dem König setzte, akzeptierte sie Kernbereiche von dessen Haltung und unterließ es, für eine Einbindung des Heeresbereichs in den konstitutionellen Staat zu sorgen. Dies stellte den Auftakt zu einer fatalen Entwicklung dar, in der Friedrich Wilhelm IV., obwohl er nicht handelte, sondern "nur" überall seine Meinung kundtat und Rücksichtnahmen verlangte, der Regierung subtil Schaden zufügte.
Zunächst aber brachte die Regierung die schon angesprochenen Modernisierungen in Wirtschaft und Handel auf den Weg (s. a. Seite 38). Außerdem suchte sie eine liberale Bürgergesellschaft im Sinne der Märzforderungen in die Tat umzusetzen. So sollte im unruhigen Berlin ein Sicherheitsausschuss, bestehend aus demokratischen und liberalen Vertretern der Justiz und Polizei, die angestrebte neue Rechtssicherheit gewährleisten. Schließlich wurde ein Verfassungsentwurf erstellt, um die Tätigkeit der Nationalversammlung vorzubereiten.
Angesichts dieser Maßnahmen kam Berlin für eine kurze Zeitspanne zur Ruhe. Doch neue Ungereimtheiten des liberalen Kurses, die aus der Haltung alter Eliten und des Monarchen resultierten, alarmierten nur allzu bald wieder die politische Linke. Bezeichnend war das Wirken des Berliner Sicherheitsausschusses. Der Versuch liberaler und demokratischer Richter, Staatsanwälte und Polizisten, eine rechtsstaatliche und gewaltenteilige Ordnung mit mündigen Staatsbürgern zu praktizieren, wurde von Günstlingen des Königs zum Scheitern gebracht, die ihre Kompetenzen aus der Zeit der alten Untertanengesellschaft nicht preisgeben wollten. Um ein effektives Wirken der liberalen Beamten zu verhindern, halfen sie selbst bei Unruhen nach und dramatisierten diese.
Die weit über die Frage der inneren Sicherheit in Berlin hinausgehenden Folgen für die liberale Führung waren, dass einerseits die Unterschichten und die demokratischen Verbände den Liberalen die obrigkeitsstaatlichen Übergriffe anlasteten und andererseits das Bürgertum die Sicht der Konservativen übernahm und die Liberalen nicht für fähig ansah, eine neue Ordnung in der Stadt und im Staat zu gewährleisten.
Da die Regierung unverändert dem König große Rechte einräumte, geriet sie in den Verdacht, Gegenrevolutionären in die Hand zu spielen, während der König sie gleichzeitig als "ernste Narren" und "so genannte konstitutionelle Minister" herabsetzen konnte.
Beispielhaft zeigte sich diese Problematik bei der Rückberufung des Prinzen Wilhelm von Preußen aus dem Exil. Als der König sich durchsetzte und die Regierung den Beschluss am 11. Mai mittrug, wertete die misstrauische politische Linke dies als Signal für die Vorbereitung einer Gegenrevolution. Neuerliche, nun nicht mehr abreißende Unruhen in der Hauptstadt waren die Folge. Als anschließend der Monarch nicht Willens war, sich zur Eröffnung der preußischen Nationalversammlung am 22. Mai an den Tagungsort dieses Parlaments zu begeben, steigerte die Regierung den Unmut der Linken noch, indem sie willfährig den feierlichen Auftakt der Parlamentsberatungen in die Residenz des Königs, den Weißen Saal des Stadtschlosses, verlegen ließ.
Konflikt zwischen Parlament und König
Nicht zufällig waren damit schon zu Beginn der preußischen Nationalversammlung die grundlegenden Konflikte offengelegt: Für die politische Linke stellten weiterhin die Kapitulation und die Zusagen des Königs vom März das Fundament dar, auf dem ein vom Volk gewähltes und beauftragtes Parlament ein demokratisches Preußen aufbauen sollte. Demgegenüber beanspruchte Friedrich Wilhelm IV. im Bewusstsein seiner unantastbaren Position als König von Gottes Gnaden Mitsprache- und Kontrollrechte, die ein monarchisches Preußen gewährleisten sollten.
Ein Verfassungsentwurf der Regierung, der wiederum einen monarchischen Führungsanspruch vorsah, veranlasste die Nationalversammlung daraufhin am 8. Juni, unterstützt von lebhaften Demonstrationen demokratischer Vereine in Berlin, eindeutig Stellung zu beziehen, indem sie auf dem Prinzip der Volkssouveränität als Grundlage für ihre Verfassungsberatungen beharrte.
Dieser frühe Beschluss, der als Antwort auf die demonstrativen Richtungsvorgaben des Königs zu verstehen war, markierte den endgültigen Beginn einer anhaltenden Konfrontation von Parlament und König. Er gab den gegenrevolutionären Kräften des Landes Anlass, die Nationalversammlung als ein Gremium zu diffamieren, das von einer radikalen Linken beherrscht sei und sich durch anmaßendes und unfähiges Verhalten selbst diskreditiere.
Bei näherer Betrachtung verfügte die Berliner Nationalversammlung, die aus einem bemerkenswert demokratischen Wahlverfahren hervorgegangen war, zwar tatsächlich nicht über die geistige Brillanz der Paulskirche. Auch zeigte sich im Vergleich zur Paulskirche insgesamt eine Linksverschiebung des politischen Spektrums, da das Bildungsbürgertum weniger dominierte und auch die untere Mittelschicht vertreten war. Schon ein Blick auf die vier Fraktionen zeigt aber, dass von einer Linkslastigkeit oder Radikalität keine Rede sein konnte. Die konservative Gruppe, zu der Hochkonservative wiederum nicht gehörten, war viel stärker als die des Frankfurter Parlaments. Demgegenüber auffallend schwach vertreten waren die rechten Liberalen, doch stellten sie mit den Konservativen die Majorität des Hauses. Bei den linken Liberalen fiel deren Aufgeschlossenheit für sozialpolitische Maßnahmen auf. Die Demokraten schließlich strebten mehrheitlich nach einer parlamentarischen Monarchie; nur eine kleine Minderheit vertrat strikt republikanische Zielvorstellungen. Auch der Vorwurf, das Parlament sei unfähig gewesen, war verfehlt; sein folgerichtiges und maßvolles Handeln widersprach dem.
Verfassungsdebatte
Nach dem turbulenten Auftakt zu den Beratungen der preußischen Nationalversammlung versuchte die Regierung, dem Parlament wie dem König gerecht zu werden, indem sie mit Hilfe der beiden rechten Fraktionen einen Formelkompromiss durchsetzte, der Königs- und Volksrechte nebeneinander stellte. Doch schon das erschien dem König wie den Linken unerträglich. Die Erregung auf demokratischer Seite über den Kompromiss bündelte sich mit Streitigkeiten über die Bürgerwehr, die in einen Sturm auf das Berliner Zeughaus am 14. Juni einmündeten. Die Einnahme der preußischen Waffenkammer durch eine aufgebrachte Menge, die eine "allgemeine Volksbewaffnung" forderte, galt den Konservativen als Beweis, dass die "Straße" Hand in Hand mit linken Parlamentsvertretern eine Anarchie im Land ansteuere. Als die in Bedrängnis geratene Regierung Camphausen dem Parlament riet, sich in militärische "Obhut" zu begeben, was die Nationalversammlung in einem Misstrauensvotum zurückwies, war ihr Rücktritt besiegelt.
Dessen ungeachtet liefen die Verfassungsberatungen an. In dem rechtsliberalen Verfassungsentwurf der Regierung Camphausen waren alle "Minimalbedingungen" berücksichtigt, die der König für sein Einschwenken auf einen konstitutionellen Kurs gestellt hatte. Preußen sollte eine konstitutionelle Monarchie werden, in der der Monarch Heer und Bürokratie dominierte. Auch wurde dem König zur Vermeidung eines immer wieder beschworenen "Parlamentsabsolutismus" ein absolutes Vetorecht gegenüber dem für Gesetze und Budget zuständigen Parlament zugestanden. Eine Erste Kammer, die stark auf besitzende Schichten ausgerichtet war, sollte als gleichberechtigte legislative Körperschaft die Macht der Volksvertretung als Zweite Kammer eingrenzen. Die Nationalversammlung reagierte, indem sie am 26. Juni einen eigenen Verfassungsentwurf vorlegte und zur Grundlage der Beratungen machte. Diese neue Vorlage entsprach dem auf einen parlamentarischen Konstitutionalismus ausgerichteten Bestreben der Paulskirche.
Kampf um das Heer
Ansätze zu einer geradlinigen Arbeit an der Verfassung endeten bereits einen Monat später, als Gegenrevolutionäre am 31. Juli in der Festung Schweidnitz in einem Konflikt zwischen Bürgerwehr und stehendem Heer zur Herstellung der Ordnung 14 Bürger niederschossen. Daraufhin forderte das Parlament am 7. September, unterstützt durch die demokratischen Gruppen der Berliner Öffentlichkeit, von der Regierung nicht nur die Bestrafung der Schuldigen, sondern auch die Armee von reaktionären Kräften zu säubern. Erklärtes Ziel war eine nunmehr als elementar wichtig erachtete Einbindung des Heeres in den Verfassungsstaat. Da die Regierung Auerswald das gegenüber der Krone nicht durchsetzen konnte, trat sie am folgenden Tage zurück.
Gedrängt von der gegenrevolutionären Kamarilla, griff Friedrich Wilhelm IV. nun wieder unmittelbar lenkend in die Staatsgeschäfte ein. Am 11./13. September wurden durch einen geheimen "Revolutionsfahrplan" und durch Personalentscheidungen die Weichen für die Gegenrevolution gestellt. Diese Absichten des Königs wurden im Verlauf der kommenden Ereignisse fast generalstabsmäßig vollzogen, obwohl er zwischendurch häufig Meinungswechseln unterlag und andere Vorstellungen verwirklichen wollte: Zur Vermeidung größerer Kämpfe war ein Vorgehen in Etappen vorgesehen. Eingangs sollte eine gegenrevolutionäre Kampfregierung gebildet werden, dann war die Nationalversammlung zu vertagen und in die Provinz zu verlegen, schließlich sollte das Parlament mittels Staatsstreich aufgelöst und eine Verfassung von oben befohlen werden.
Neuer Ministerpräsident wurde zunächst der populäre, reformfreundliche und an fortbestehende Vermittlungsmöglichkeiten glaubende General Ernst von Pfuel, der den Säuberungsbeschluss des Parlaments unterstützte und die Gefahr einer Gegenrevolution eindämmen wollte. Zwischen dem Parlament, das ein weiteres Lavieren nicht mehr hinnehmen wollte, und dem König mit seinen hochkonservativen Helfern sah er sich schon bald vor unlösbare Aufgaben gestellt.
Als entscheidender machtpolitischer Schachzug erwies sich die Einsetzung Wrangels als Befehlshaber einer bald 50000 und schließlich 80000 Mann umfassenden Truppe im Raum Berlin mit dem Ziel der Wiederherstellung der "öffentlichen Ruhe". Diese militärische Übermacht musste als Bedrohung der konstitutionellen Regierung sowie der Liberalen und Demokraten innerhalb und außerhalb des Parlaments angesehen werden und nach dem Kalkül der Konservativen in Preußen verstärkte Unruhen in der Hauptstadt provozieren.
Unruhen in Berlin
Einen Monat später war diese Rechnung voll aufgegangen. Auch in Berlin spürte man die in der Frankfurter Septemberkrise deutlich gewordene allgemeine Radikalisierung der Linken. Doch wie in Frankfurt und zeitgleich in Wien erwuchs sie aus Befürchtungen, die Gegenrevolutionäre könnten bei den anstehenden Grundsatzentscheidungen die Oberhand behalten.
Vor diesem Hintergrund versuchte die preußische Nationalversammlung, den Gegenrevolutionären auf gesetzgeberischem Wege und damit in ihrem eigentlichen Kompetenzbereich entgegenzuwirken. Mittels verschiedener Einzelgesetze sollte Preußen unaufhebbar demokratisiert werden. Für den König waren bald wieder die Grenzen des ihm erträglich Erscheinenden überschritten. Als die Nationalversammlung am 12. Oktober "sein" Gottesgnadentum abzuschaffen suchte, forderte er Pfuel auf, in Berlin den Belagerungszustand auszurufen, und als dieser sich weigerte, wurde er nur noch geschäftsführend im Amt belassen.
Die Unruhen in Berlin rissen nun nicht mehr ab: Ein am 13. Oktober verabschiedetes Gesetz, das aus der Bürgerwehr eine staatliche Einrichtung machte, stieß auf heftigen Widerstand der Demokraten, die um ihren letzten militärischen Rückhalt bei den bislang frei gewachsenen Volksverbänden fürchteten. Arbeiterunruhen, die niedergeschlagen wurden, waren die Folge. Die nächsten Turbulenzen wurden ausschließlich von außen in die Stadt hineingetragen.
Vor allem die sich dramatisch zuspitzende Lage in Wien führte zu einer Solidarisierung der Berliner Demokraten mit ihren bedrängten Gesinnungsgenossen. Der Ruf aus ihren Reihen nach einer "zweiten Revolution", vorgetragen vor allem auf dem zweiten Demokratenkongress, ermöglichte es den Gegenrevolutionären, ihre Eingreifpläne als dringliche Notstandsmaßnahme hinzustellen. In gleicher Weise wurde der chancenlose Versuch linker Abgeordneter verschiedener Parlamente gewertet, in Berlin ein "Gegenparlament" zu gründen. Die Unruhen in der Stadt erreichten am 31. Oktober ihren Höhepunkt, als sich die Mehrheit der Nationalversammlung gegen eine direkte Unterstützung des belagerten Wien aussprach.
Im gleichen Monat schlossen sich König, Kamarilla, Heer und konservative Verbände auch nach außen zu einer Front zusammen und erreichten eine massive politische Mobilisierung. Angesichts drohender Eingriffe in ihnen unveräußerlich erscheinende Rechte des Monarchen und der wachsenden Unruhen in Berlin wurde zum Widerstand und Kampf für den König aufgerufen, der als "Gefangener" von Parlament und Regierung hingestellt wurde. Diese Kampagne überzeugte bei nun massiver Unterstützung durch die protestantische Kirche nicht nur die Landbevölkerung, sondern auch das Berliner Bürgertum bis in kleinbürgerliche Kreise hinein. Die konservative Sammlungspolitik hatte zum Erfolg geführt, die Liberalen und Demokraten Berlins waren in eine aussichtslose Lage gedrängt.
Konservativer Staatsstreich
Der König nutzte die sich bietende Chance und setzte am 1. November - zeitgleich mit der Etablierung Schwarzenbergs als Ministerpräsident in Wien - ein gegenrevolutionäres Kampfkabinett unter seinem Onkel Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg (1792-1850) ein. Dieser vertagte am 9. November die Nationalversammlung und verlegte sie in die Stadt Brandenburg. Als sich das Parlament widersetzte, marschierte General von Wrangel in Berlin ein und verhängte den Belagerungszustand, der auch nach vollzogenem Machtwechsel nicht aufgehoben wurde und den weiteren Kurs der Regierung Brandenburg absicherte. Das Parlament versuchte vergeblich, Widerstand zu leisten, die Vermittlungsbemühungen der Reichsregierung und des Paulskirchenparlaments blieben wirkungslos. Am 5. Dezember folgten die Auflösung der Nationalversammlung und der Erlass einer Verfassung.
In Preußen war damit die Gegenrevolution in Form eines Staatsstreichs vollzogen worden. Weder die Linke in der Nationalversammlung noch die demokratischen Vereine hatten gegen das militärgestützte Vorgehen des Königs Vorkehrungen getroffen. Sie wurden von seinem etappenweisen und legalistischen Vorgehen, das stets einen Notstand für seine Maßnahmen vorzuschützen wusste, überrumpelt und verzichteten schließlich ganz anders als in Wien auf einen Verzweiflungsakt. So hatten die Schachzüge gegenrevolutionärer Militärs, die Sammlungspolitik der Hochkonservativen und Friedrich Wilhelm IV. mit seiner obstruktiven Verweigerungshaltung die allzu kooperationsbereiten Regierungen entmachtet und die preußische Nationalversammlung zum Staatsfeind gestempelt.
Mit dem Staatsstreich setzten auch in Preußen Richtungskämpfe innerhalb des konservativen Lagers ein. Absolutisten und Anhänger eines christlichen Ständestaats verloren trotz ihres Rückhalts beim König zunächst zusehends an Macht. Tonangebend wurde hingegen das neue Ministerium, dessen Kurs weitgehend von Brandenburg bestimmt wurde. Dieser setzte, obwohl Friedrich Wilhelm IV. wieder die Zeit für eine Verwirklichung seiner Weltanschauung für gekommen hielt, in Preußen die Verordnung einer Verfassung durch und sorgte dafür, dass das Königreich unumkehrbar zum Verfassungsstaat wurde.
Oktroyierte Verfassung
In auffälliger Analogie zu Schwarzenberg war Friedrich Wilhelm von Brandenburg eigentlich hochkonservativ, doch stellte er die seit der Märzrevolution veränderte politische Welt in Rechnung und handelte als Realpolitiker und Reformkonservativer. Der Ministerpräsident dachte an einen Ausgleich mit dem Bürgertum, dem er eine Art politischer Juniorpartnerschaft anbot, und konnte das Besitzbürgertum wie auch kleinbürgerliche und bäuerliche Kreise mit beachtlichem Erfolg davon überzeugen, dass "Ruhe und Ordnung" nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse und zur Sicherung der Eigentumsordnung wiederhergestellt wurden.
Preußen sollte sich nach seinem Wunsch mit einem starken König und gesicherten konservativen Strukturen als gewaltenteiliger Verfassungsstaat verfestigen und als solcher das künftige Deutschland prägen. Eine Rückkehr zum Absolutismus oder zu einem Ständestaat verwarf er, schon weil im übrigen Deutschland nach dem Wirken der Paulskirche hierfür keine hinreichende Unterstützung zu gewinnen war. Der Ministerpräsident hielt diesen Kurs mit seiner Regierung, bestehend aus hohen Beamten, Militärs und Vertretern des Wirtschaftsbürgertums, bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1850 durch.
Die auf ihn zurückgehende Verfassung vom Dezember 1848, die auf der "linken" Verfassungsvorlage der Nationalversammlung, nicht auf der der Regierung Camphausen beruhte, trug den zentralen Forderungen des Königs mit etwa 40 Änderungen Rechnung. Entscheidend gestärkt wurde die monarchische Position dadurch, dass dem König ein Einspruchsrecht in Gesetzgebungsfragen und ein Notverordnungsrecht zugestanden wurden. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Preußen über die Gegenrevolution hinaus eine konstitutionelle Monarchie blieb. Seine neue Verfassung, die Gewaltenteilung, Zweikammersystem, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte gewährleistete, entsprach in erstaunlichem Maße jenen Vorstellungen, mit denen rechte Liberale Anfang 1848, vor dem Schwenk von Vorparlament und Paulskirche hin zum Parlamentarismus, angetreten waren; von den Demokraten war sogar das gleiche Wahlrecht für das Volkshaus übernommen.
Eine in den Verfassungstext eingebaute Revisionsklausel ließ den König und die Hochkonservativen allerdings auf baldige Veränderungen hoffen. Sie sahen in der Verfassung ein Provisorium mit dem alleinigen Sinn, einen Aufstand der Linken zu verhindern. Dementsprechend führten sie bei der Umsetzung der Verfassungsnormen in eine Verfassungswirklichkeit ihre Politik des hinhaltenden Widerstands und der Obstruktion aus der Zeit liberaler Regierungen fort. Eine enge Eingrenzung der Wirkungsmöglichkeiten des Parlaments und ein Austrocknen der ohnehin durch Gesetzesvorbehalte eingeschränkten Grundrechte waren in der Folgezeit zu beobachten.
Dennoch vermochte es der König nicht, der Verfassungsentwicklung Preußens in der Phase 1849/50 allein seinen Stempel aufzudrücken. Das Land sah zwar einen zweiten, für den weiteren Verlauf der preußisch-deutschen Geschichte wichtigen Staatsstreich: Im Mai 1849 wurde das allgemeine Wahlrecht durch das bis 1918 beibehaltene Dreiklassenwahlrecht ersetzt. Im übrigen behauptete Brandenburg aber die politische Führungsrolle seiner Regierung.Unter seinem massiven Druck leistete der bis zuletzt heftig widerstrebende König am 6. Februar 1850 den Verfassungseid. Dies kommentierte der Liberale Camphausen mit den Worten: "Der Vogel sitzt im Käfig, und das ist die Hauptsache."
QuellentextDreiklassenwahlrecht
Der auf Grund der Verordnung vom 30. Mai 1849 gewählte preußische Landtag wurde von der Regierung aufgefordert, nachträglich die Einführung des Dreiklassenwahlrechts zu billigen. Die folgende Denkschrift vom 12. August begründete den Antrag, dem die Mehrheit des Landtags am 13. Dezember 1849 zustimmte.
Die Kräfte der Staatsbürger, auf deren harmonischer Zusammenwirkung das Bestehen und Gedeihen der Gesellschaft wesentlich beruht, sind teils physischer oder materieller, teils geistiger Art. Unter den materiellen nimmt die Steuerkraft eine vorzügliche Stellung ein. Sie gibt den allgemeinsten Maßstab der individuellen Leistungen für das Gemeinwesen ab. Es liegt daher auch nahe, nach dem Verhältnis der Besteuerung das Stimmrecht zu regeln, indem man damit der Forderung "gleiche Pflichten, gleiche Rechte" zu genügen strebt [...].
Dessenungeachtet kann dieser Maßstab an und für sich nur als ein sehr unbefriedigender betrachtet werden. Dennoch ist von der Verteilung des Stimmrechtes nach der Besteuerung ein richtiges Resultat zu erwarten, weil die Verhältnisse im großen und ganzen so gestaltet sind, wie in den ärmeren Mitgliedern der Staatsgesellschaft die größere Summe der physischen, so in den reicheren das höhere Maß der geistigen Kräfte zu liegen pflegt, und somit dasjenige Gewicht, welches man anscheinend dem materiellen Vermögen beilegt, - in der Tat der höheren Intelligenz zu gute kommt. Daß außerdem die Größe des Besitzes mehr oder weniger für das Interesse an dem diesen Besitz schützenden Staatsorganismus maßgebend ist, bedarf einer weiteren Ausführung nicht.
[...] Wenn man sich hierbei zu der Dreiteilung entschlossen hat, so beruht dies [...] wesentlich auf der Erfahrung, daß sich in der Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Vermögens unterscheiden lassen, deren Angehörige auch in den übrigen Verhältnissen am meisten miteinander gemein zu haben pflegen.
Nachdem das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in den Verhandlungen über öffentliche Angelegenheiten mehr und mehr in den übrigen Zweigen des Staatslebens zur Geltung gekommen war, haben sehr viele achtbare Stimmen sich dafür erhoben, dasselbe auch bei den Wahlen einzuführen. [...] Einem freien Volke ist nichts so unentbehrlich als der persönliche Mut des Mannes, seine Überzeugung offen auszusprechen. Auf keinem anderen Wege werden die Parteien sich besser kennen, achten und verständigen lernen.
Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815-1914, München 1980, S. 239 f.
Im März folgten in Ergänzung zu den Wirtschaftsreformgesetzen Maßnahmen, die eine Aussöhnung der bäuerlichen Bevölkerung mit dem konservativen Staat in Gang setzten: Die Bauernbefreiung fand eine abschließende Regelung, indem noch bestehende Lasten durch finanzielle Leistungen abgegolten werden konnten. Als Gegenleistung für den widerstrebenden Landadel wurden allerdings dessen lokale Herrschaftsfunktionen erneut bestätigt.
Damit war Preußen zu einem zumindest dem Verfassungstext nach weit moderneren Staat als Österreich geworden. Allerdings stützte sich die neue Staatsform ganz wesentlich auf das nun konservativ ausgerichtete Militär, das sich als Zentrum des Staates ansah.
Ebenfalls bedeutsam blieben die Mobilisierung des konservativen Lagers und, seit dem Revolutionsjahr, ein verstärkter, durch die Protestanten Preußens christlich geprägter Royalismus in gro-ßen Teilen der Bevölkerung. Die Demokraten blieben auch in Preußen mit großer Langzeitwirkung besiegt. Die Liberalen aber hatten, ungeachtet ihrer Abdrängung aus der Politik, die Genugtuung, dass "ihre" Staatsform zumindest als verfassungsmäßig festgeschrieben war. Schon bald zeigte ihr neuerliches Streben nach politischer Mitbestimmung und nach freiheitlichen Grundrechten, dass sie dies als Wechsel auf die Zukunft betrachteten.