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Revolution von 1848 Editorial Europa unter Modernisierungsdruck Märzrevolution und Liberalisierung Vorparlament und Paulskirche Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit Erfolgreiche Gegenrevolution Scheitern eines Traumes Literaturhinweise und Internetadressen Autor, Impressum

Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit

Günter Wollstein

/ 13 Minuten zu lesen

Frauenrechtlerin im 19. Jahrhundert: Helene Lange (1848-1930), hier im Jahr 1929. (© AddF (Bild 22))

Einleitung

Der Wandel von Untertanen zu Staatsbürgern eines Verfassungsstaates mit Parlamenten, Parteien und Interessenvertretungen war wie das Aufblühen einer politischen Öffentlichkeit gleichzeitig Ziel und Voraussetzung für die Arbeit des Paulskirchenparlaments. Dies erforderte einen gewaltigen Modernisierungsschub, denn ungeachtet aller Politisierung, die sich im Vormärz vollzogen hatte, lebten die Menschen auch nach der Märzrevolution noch weitgehend in ihren privaten Milieus, die durch - zweifellos morsch gewordene - ständische Schranken und durch christliche Konfessionen geprägt waren.

QuellentextEintritt in die Politik - die Achtundvierzigerinnen

Männer machen Geschichte? In Deutschland war das so. (...) Aber als eine Gruppe, die politisch gleichberechtigt sein und handeln wollte, nahm man(n) Frauen erst seit dem Schicksalsjahr 1848/49 wahr.(...) Sie waren dabei als Zuschauerinnen, als Helferinnen und schließlich auch als Mitkämpferinnen. Sie saßen auf den Zuschauertribünen der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und in den Landtagen der Einzelstaaten - und sie kämpften auf den Barrikaden. [...]
Schon zu den allerersten Freiheitskämpfern, die im März 1848 auf den Berliner Barrikaden unter den Kartätschenstreichen der königlich-preußischen Truppen gefallen waren, gehörten sechs Frauen. Viele andere haben dann im Verlauf der Revolution bis zu der endgültigen bitteren Niederlage im Juli 1849 aktiv mitgetan.
Die Berlinerin Emma Herwegh begleitete ihren Mann, den Dichter Georg Herwegh, bei seinen (insgesamt wenig erfolgreichen) Versuchen, mit einer in Frankreich mobilisierten "deutschen demokratischen Legion" den Aufstand der badischen Radikalen um Friedrich Hecker zu unterstützen. Sie verhandelte, ging, da Herweghs Legion an der Grenze festgehalten wurde, als Kundschafterin nach Baden und führte schließlich im April 1848 sogar für einen Moment selber Teile der Truppen.
Neben Emma Herwegh kämpfte die Mannheimer Lehrerin Amalie Struve mit. Sie war die Frau des Revolutionsprotagonisten Gustav Struve. Ihr gelang es, in ihrem Wagen 1000 Patronen durch die gegnerischen Reihen zu den Revolutionsverbänden zu bringen. Ebenso unerschrocken agierte die Schriftstellerin und Journalistin Mathilde Franziska Anneke, geboren 1817 bei Hattingen an der Ruhr. Ein Zeitzeuge staunte nicht schlecht, als er "vor einer Legion" der revolutionären Truppen im badisch-pfälzischen Aufstand von 1849 "eine üppige Weibsperson" sah, "eine rote Feder auf dem Heckerhut, Brille auf der Nase, angetan mit einem Reitkleid aus schwarzem Samt, im roten Gürtel zwei Pistolen, an der Seite einen Schleppsäbel und - hinter ihr reitend ein badischer Dragoner als Ordonnanz".
Andere, weniger namhafte Frauen taten es ihr gleich. Herwegh, Struve und Anneke - sie alle gingen mit ihren Männern ins Exil - sind heute noch besonders bekannt, da sie ihr Engagement später in literarisch-politischen Erlebnisberichten reflektierten und rechtfertigten. [...].
So spektakulär diese und andere Taten waren [...] - am meisten nachgewirkt haben doch die zahlreichen Frauenorganisationen und -zeitschriften jener Jahre.
In den Zentren der Revolution, aber auch in vielen kleinen Orten, entstanden 1848/49 Frauenvereine. Meist waren sie im demokratischen Milieu angesiedelt, doch es gibt auch bemerkenswerte Beispiele für das christlich-konservative Spektrum, in dem die autonome Organisation von Frauen langfristig mindestens ebenso subversiv gewirkt haben dürfte wie das revolutionäre Engagement der Demokratinnen.
Denn die Gründung eines Vereins, die Artikulation politischer Interessen durch Frauen waren ja schon an und für sich spektakulär - in einer Zeit, in der viele Männer den unbeaufsichtigten Aufenthalt von Frauen an öffentlichen Orten wie Gasthäusern, Parlamenten oder den lokalen bürgerlichen Versammlungssälen für "unerhört" hielten.
[...] Der Eintritt vieler Frauen in die Sphäre der Politik ging 1848 häufig einher mit einer Flucht aus Ehen, die vor der Emanzipation geschlossen worden waren und nun als beengend empfunden wurden. Es war ein Akt auch des privaten Widerstands gegen bevormundende, wenn nicht gar gewalttätige Ehe-Herren. [...].
Betrachtet man umgekehrt die revolutionäre männliche Elite von 1848 - etwa am Beispiel der demokratischen Paulskirchenabgeordneten -, so fällt auf, dass vielen von ihnen Frauen zur Seite standen, die zugleich Mitstreiterinnen waren. Kam der Mann in Haft, so führten sie seine Arbeit fort, leiteten die Zeitschrift, die er herausgab, weiter und hielten die politischen Netzwerke lebendig. Sie unterstützten die parlamentarische Tätigkeit ihrer Männer als Vorsitzende demokratischer Frauenvereine in deren Wahlkreisen. Sie waren selbst erwerbstätig und ernährten die Familie, wenn der Hausvater wegen politischer Verfolgung seinen bürgerlichen Beruf verloren hatte.
So führte Henriette Obermüller, eine glühende Demokratin, nach der Revolution eine Fremdenpension in Badenweiler und ermöglichte damit ihrem Mann, dem Republikaner Jakob Venedey, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. [...]
In den Polizeidossiers war es hingegen schon ein Topos, bei politisch engagierten Paaren die Männer als eher harmlose Schöngeister darzustellen, die erst durch ihre Frauen wirklich radikal und gefährlich geworden seien. [...] Liest man diese Büttelprosa, so muten die Forderungen, die von den Frauenvereinen aufgestellt und von den ersten Politikerinnen in ihren Blättern vertreten wurden, mit dem Abstand von 150 Jahren sehr maßvoll an: Es ging vor allem um den Zugang der Frauen und Mädchen zum Bildungssystem - vom Wahlrecht war nur in Ausnahmefällen die Rede. [...] Insbesondere nach dem Scheitern der Revolution gab es [...] eine heftige Wendung der AchtundvierzigerInnen hin zu Erziehungsfragen. Wenn es schon nicht gelungen war, ein neues Staatswesen, ein einiges, freies und mächtiges Deutschland zu schaffen, so machte man sich nun daran, den neuen Menschen zu erziehen, der es dann bei der erhofften nächsten Revolution "besser ausfechten" werde. [...]

Christian Jansen, "Frau und gleich", in: Die Zeit Nr.35 vom 25. August 2005

Innergesellschaftliche Sprengsätze

Der Grad der Politisierung war dabei je nach Region höchst unterschiedlich. Es bestand ein auffälliges Nord-Süd-Gefälle zwischen den noch ständischen mecklenburgischen Staaten und den längst konstitutionellen Staaten im Süden. Massiv waren zudem die Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den Städten hatten die Liberalen und Demokraten weiterhin ihre Machtbasis, während auf dem Land, beispielsweise in Brandenburg und Pommern, die alten patrimonialen Ordnungsgefüge bisweilen so intakt blieben, dass konservative Kräfte die Bevölkerung für eine Politik des Bewahrens gewinnen konnten. In Schlesien war die Agrarverfassung so rückständig, dass zahlenmäßig starke "Rustikalvereine" entstanden, die die bäuerlichen Interessen gegenüber Grundherrn und Staat vertraten. Das Gros der Landbevölkerung in den Kernländern der Großmächte trug jedoch schließlich die Gegenrevolution mit.

Auch nach der Märzrevolution vollzog die politische Öffentlichkeit, etwa in der Septemberkrise nach dem Waffenstillstand von Malmö oder im Kampf um die Durchsetzung der Reichsverfassung, Entwicklungsschübe, die allerdings der Paulskirche nicht im erhofften Maße zugute kamen. Im Gegenteil, die Konflikte der Zeit steigerten eher die Gegensätze und Polarisierungen im Volk als die Basis eines parlamentarischen Staates mit einer friedlichen Konkurrenz gouvernementaler und oppositioneller Parteien zu stärken.

Ein Schlüsselproblem war das Andauern der wirtschaftlichen und sozialen Nöte, selbst wenn deren Höhepunkt mit den Jahren 1846/47 1848 bereits überschritten war. Auch die neue liberale Führung konnte keine Wunderdinge vollbringen. Da Paulskirche und Provisorische Zentralgewalt ihre Arbeit vornehmlich auf die Konstruktion des künftigen Deutschen Reiches abstellten, richtete sich der Blick der Notleidenden und Unzufriedenen mehr und mehr auf ihre einzelstaatlichen Regierungen, was das Risiko einer zunehmenden Distanz zur Paulskirche in sich barg. Unter den Einzelregierungen übernahm die preußische Regierung eine Vorreiterrolle, indem sie die seit der Reformzeit ohnehin vorhandenen fortschrittlichen Elemente des preußischen Gesellschaftsaufbaus, fassbar in städtischer Selbstverwaltung und freiem Handel, zügig modernisierte, und damit die lähmende Perspektive eines Staatsbankrotts abwendete. Die wichtigste Erneuerung war, dass nun Aktiengesellschaften als Finanzierungsinstrumente zur Ankurbelung der Industrie dienten.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Modernisierungen wurden allerdings erst in den 1850er Jahren spürbar. Vor allem aus der Arbeiterschaft drangen Forderungen nach modernen sozialstaatlichen Gesetzen, nach Staats- und Musterwerkstätten, nach einem Arbeitsministerium und nach einer progressiven Einkommensteuer. Ähnlich argumentierende Demokraten strebten vielfach nach einer Beschneidung des Einflusses der Besitzenden und nach Staatshilfen für Kleinproduzenten. Darauf reagierten die Liberalen allerdings brüsk abweisend, da sie als Konsequenz einer Politik, die sich dem "Schutz der Arbeit" verschrieb, Anarchie oder neuen Despotismus fürchteten. Der Pariser Arbeiteraufstand vom Juni 1848, der blutig niedergeschlagen worden war, diente ihnen als neuerliche Bestätigung. Demgegenüber betrieben die Liberalen eine Politik, die auf die Selbstheilungskräfte einer Bürgergesellschaft setzte, welche durch neue staatliche Strukturen geschaffen werden sollte.

Vor dem Hintergrund anhaltender Nöte sowie sich sammelnder gegenrevolutionärer Kräfte blieb aber eine Radikalisierung breiter Bevölkerungskreise nicht aus. In der Septemberkrise wurden beispielsweise die Liberalen als "Volksverräter" bezeichnet, was nur allzu deutlich zeigte, wie kurz die Wege zu einer regelrechten Vergiftung der politischen Atmosphäre geworden waren. In Teilen des Bürgertums regten sich angesichts dieser unruhigen Entwicklung Ängste und ein wachsendes Bedürfnis, die "Ordnung" wiederherzustellen.

Charakteristisch waren die zahlreichen Auseinandersetzungen um die Bürgerwehren. Die Linke forderte vergeblich, dass diese die regulären Heere ersetzen sollten. Die Landesherren zeigten wenig Neigung, auf das traditionelle Heer als innenpolitischen Rückhalt zu verzichten, während die bürgerliche Führung der Bürgerwehren beweisen wollte, dass die neue Schutztruppe Herrin der Lage sei und dies mit bisweilen harten Einsätzen gegen unruhige Unterschichten zu untermauern suchte. Die weitere Entwicklung in Preußen zeigte den sich abzeichnenden Trend: Während das an nationalen Brennpunkten erfolgreiche Heer wieder Vertrauen gewann und schon seit dem 30. März Zug um Zug in die Berliner Garnison zurückkehrte, wurde zur Bewahrung der inneren Ordnung mit den königstreuen "Konstablern" eine neue Polizeischutztruppe aufgebaut. Danach war es ein kurzer Weg bis zur Auflösung der Bürgerwehr, womit auch das Heer wieder in seine traditionelle Funktion als innenpolitische Eingreif-Reserve einrückte.

Entfaltung der Presse

Blickt man vor diesem Hintergrund zunehmender Polarisierung zwischen demokratischen, liberalen und gegenrevolutionären Kräften auf die Kommunikationswege und das parteipolitische Umfeld der Paulskirche, so fällt zunächst auf, dass das deutsche Parlament durchaus über einen breiten Zugang zur Öffentlichkeit verfügte. An den politischen Brennpunkten und insbesondere in Frankfurt trafen Abordnungen und interessierte Bürger ein, informierten sich, demonstrierten und bildeten Lobbys. Wichtiger waren die schließlich etwa 1700 Zeitungen, von zahlreichen improvisierten Blättern mit wenigen Erscheinungsnummern bis hin zur mit 17000 Exemplaren pro Ausgabe auflagenstärksten liberalen "Kölnischen Zeitung". Gelesen und besprochen wurden die sich nun durchweg zu parteinahen Blättern wandelnden Zeitungen nicht nur von Einzelnen; sie lagen auch in Lesegesellschaften, Salons und politischen Vereinen aus und wurden Analphabeten - man schätzt ihre Zahl auf 20 Prozent der Bevölkerung- vorgelesen. Unzählige Maueranschläge und Flugblätter hatten ihr Publikum, politische Lieder und politische Lyrik blieben wie im Vormärz gefragt, und Moritatensänger bereiteten die Politik auf ihre Weise auf. Letztere konnten sich auf eine Vielzahl publizierter Bilder stützen, so besonders auf die Neuruppiner Bilderbögen oder die Drucke in der Leipziger "Ilustrirten Zeitung". Schließlich zeigte die Vielzahl von Karikaturen den Trend, die Paulskirche zunächst zu glorifizieren, später aber zu verspotten.

Die Debatten der großen Parlamente, festgehalten in den neuartigen stenographischen Mitschriften, wurden gedruckt und zudem durch umfangreiche Zeitungsberichte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht; auch die Fraktionen belieferten die Presse mit Informationen über ihre Tätigkeit.

Die berühmteste Zeitung war, neben der von Marx herausgegebenen "Neuen Rheinischen Zeitung", die Heidelberger "Deutsche Zeitung", das schon Mitte 1847 gegründete Zentralorgan der Liberalen. Basierend auf einem europaweiten Korrespondentennetz, war diese Zeitung gleichzeitig Sprachrohr des Casino wie selbstständiges politisches Forum. Sie konnte ihren Leserkreis allerdings kaum über das städtische Bildungsbürgertum hinaus ausdehnen. Demgegenüber erweiterten die demokratischen, stärker dezentralisierten Blätter ihre Leserschaft, wobei sie ihre Hoffnungen zunehmend auf die Führungen der Einzelstaaten setzten. Entsprechende Tendenzen sah man bei der von erheblichen Teilen der Arbeiterschaft gelesenen "Verbrüderung" wie bei der "Deutschen Volkshalle" der Katholiken.

Entstehung von Parteien

Auch das Parteiwesen blühte auf, wobei die seit der Märzrevolution bestehenden Ansätze für ein Fünfparteiensystem zügig ausgebaut wurden. Die Parlamentarier waren hieran durch ihre Fraktionsbildungen beteiligt, blieben allerdings durch ihre Konzentration auf die Verfassungsarbeiten weitgehend isoliert. Nur durch eine Flut von Petitionen, mit denen sich die Abgeordneten auch beschäftigten, waren sie mit der Basis im Land verbunden. Der eigentliche Aufbruch ins Zeitalter der Massenparteien fand allerdings in Stadt und Land seit der Märzrevolution durch die Gründung lokaler politischer Vereine statt. Solche Gruppen von Arbeitern, Demokraten, Liberalen, Konservativen und Katholiken, die vielfach noch nicht klar voneinander getrennt waren, suchten ihre Chancen zur politischen Mitbestimmung durch Statuten, Programme und Zentralisierungen wahrzunehmen. Die Programme der jeweiligen Vereine orientierten sich an den Vorgaben aus der Zeit des Vormärz.

Arbeiterzusammenschlüsse

Das Ausmaß der inneren Gegensätze in den politischen Vereinen verdeutlicht ein Blick auf die Anfänge der Arbeiterbewegung in Deutschland. Bei den höchst unterschiedlichen Gruppen von Arbeitern, die zumeist noch im Handwerk, in Dienstleistung und auf dem Lande tätig waren, gab es ein Neben- und Miteinander von konservativen, revolutionären und reformpolitischen Zielvorstellungen. Weithin bestimmend für das öffentliche Erscheinungsbild waren die notleidenden Handwerker. Als diese Mitte Juli in Frankfurt einen Handwerker- und Gewerbekongress veranstalteten, machten sie hauptsächlich die Aufhebung der Zunftschranken für die Existenzkrise des Handwerks verantwortlich und suchten ihre Lage durch sozialkonservative Maßnahmen zu verbessern.

Die wichtigste Arbeiterorganisation war jedoch die auf einem vom 23. August bis 3. September in Berlin tagenden Arbeiterkongress gegründete "Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung" des Schriftsetzers Stephan Born, eine politische Partei, die - bei schwacher Beteiligung aus dem Süden Deutschlands - im Frühjahr 1849 schließlich etwa 170 Ortsvereine und mehr als 15000 Mitglieder zählte. Sie suchte die Zusammenarbeit mit der Paulskirche, indem sie forderte, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte durch soziale Schutzbestimmungen zu ergänzen seien. Die Arbeiterverbrüderung behielt ihre reformpolitische Grundhaltung und Wertschätzung von Selbsthilfemaßnahmen bei Anlehnung an das Parlament bis zum Ende des Revolutionsjahres bei.

QuellentextArbeitermanifest

[...] Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und mit hingebender Erwartung haben die Arbeiter, nachdem die politische Bewegung Europas auch sie in Anspruch genommen, sie zur Mitwirkung und, nach langer Zeit wieder, zum Hoffen erweckt hat, die Maßregeln, welche die deutschen Staaten zur Begründung besserer Staatseinrichtungen ergriffen haben, namentlich den Entwurf betreffend die Grundrechte des deutschen Volks und die davon ausgehenden Beratungen der hohen deutschen National-Versammlung verfolgt.
Sie haben nunmehr leider die Überzeugung erlangt, daß auch in der Verfassungsurkunde für Deutschland die soziale Frage ebensowenig wie in andern Verfassungsarbeiten, eine Stelle finden könne. [...]
Der Staat verfährt in diesem Stück gewissermaßen richtig; denn solange der Arbeiter nur als eine zerstreute Menschenmenge zu betrachten ist, läßt sich auch nichts Gesetzlichbestimmtes für ihn als Ganzes [...] zur Beschützung von Rechten begründen.
Es ist also vor allem erforderlich, daß die Arbeiter, um ihr Arbeiten als einen bestimmten Besitz in das Grundgesetz des Staats einzuführen, sich selbst als lebendige Gemeinschaften, gleichsam als politisch-beseelte Körperschaften, unter die übrigen Bürger hinstellen und den Staatsmännern bemerklich machen.
Dieses konnte nur von den Arbeitern selbst ausgehen. Es war bisher versäumt worden, ist aber von uns, soweit es der Augenblick zuläßt, nachgeholt worden, und die Organisation der Arbeiter Deutschlands, wie sie jetzt im Leben steht, liegt in den Grundzügen ihres Verfassungs-Statuts einer hohen National-Versammlung vor Augen. [...]
So organisiert [...] treten wir jetzt unter unsere Mitbürger und vor den gesetzgebenden Körper unserer Wahl, mit der Bitte: in der künftigen Gesetzgebung auch uns, als Besitzer der Arbeit, anzuerkennen und solche gesetzliche Bestimmungen eintreten zu lassen, durch welche die Existenz und Fortdauer unserer Organisation und Assoziation für alle Zeiten geschützt und ihre weitere gedeihliche Ausbildung von seiten des Staats begünstigt werden möge. [...]
Nur notgedrungen würden wir, wenn [...] unserer Rechte auch fernerhin, wie früher, von keinem der Machthaber auf humane Weise gedacht würde [...] unter der Macht der finstern Not aus den wärmsten Freunden der bestehenden Ordnung zu den bittersten Feinden derselben werden müssen.
Berlin, den 2. September 1848.
Der Arbeiter-Kongreß.

Walter Grab (Hg.), Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation. Stuttgart 1998, S. 115 ff.

Auf der anderen Seite stand das Wirken des "Bunds der Kommunisten", der aus Geheimorganisationen von Gesellen des Vormärz hervorgegangen war. Karl Marx, der in London im November 1847 die Parole "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" und drei Monate später das "Kommunistische Manifest" formuliert hatte, wirkte im Revolutionsjahr in Köln. Sein Programm war und blieb eine Zukunftsvision, die mit zeitgenössischen Realitäten wenig zu tun hatte. Auch seine von verschiedenen Taktiken geprägten sozialrevolutionären Unternehmungen scheiterten. Das Hauptaugenmerk galt seinem Sprachrohr, der "Neuen Rheinischen Zeitung", die eine scharfe linke Antiparlamentarismuskritik in Deutschland mitbegründete.

Demokratische Gruppierungen

Aufgrund der schon im Vormärz starken Rolle von Liberalen und Demokraten entstanden in der Märzrevolution explosionsartig Clubs dieser beiden Parteien. Den Demokraten, an den Regierungen nicht beteiligt und auf Schubkraft durch eine mobilisierte demokratische Öffentlichkeit angewiesen, gelang mit ihren "Volksvereinen", "Demokratischen Vereinen" oder "Vaterlandsvereinen" ein besonders erfolgreicher Aufbruch als "Volkspartei".

Sie wurden, sieht man von dem schon erwähnten Aufkommen sozialpolitischer Vorstellungen ab, geleitet von dem auch in ihren Frankfurter Fraktionen maßgeblichen Gedanken der Volkssouveränität bei starker Betonung des Gleichheitsprinzips; da alle staatliche Herrschaft auf dem Volk beruhte, galt zumeist ein parlamentarischer Einheitsstaat mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt als Ideal, aus taktischen Gründen war die Duldung einer Monarchie möglich. Letzteres galt nicht für die Parteilinke, für die es zur Schaffung einer Republik keine Alternative gab und die an der Parteibasis vor allem zur Zeit der Gegenrevolutionen im Herbst 1848 ein bleibendes Übergewicht zu gewinnen schien; charakteristisch war der Ruf nach einer zweiten Revolution in Versammlungen, bei denen rote Fahnen gezeigt und die Marseillaise gesungen wurden. Das Bild änderte sich aber wieder im Frühjahr 1849, als die Demokraten für die Reichsverfassung kämpften.

Schon eine Offenburger Volksversammlung am 19. März 1848 fasste eine Parteiorganisation für ganz Deutschland ins Auge. Tatsächlich riefen dann sächsische Demokraten am 28. März in Leipzig mit großem Erfolg zu landesweiten Gründungen von "Vaterlandsvereinen" auf. Ein erster Demokratenkongress, der vom 14. bis 17. Juni in Frankfurt unter dem Vorsitz von Julius Fröbel (1805-1893) tagte und in dem 89 Vereine vertreten waren, nahm schließlich die Gründung einer gesamtdeutschen Partei in Angriff. In Berlin, wo man sich dank der "linken" preußischen Nationalversammlung und einer besonders aktiven Parteibasis größere Wirkungsmöglichkeiten ausrechnete, entstand die erste Parteizentrale Deutschlands.

Zeit für eine Konsolidierung und Bewährung blieb jedoch nicht. Septemberkrise und Formierung der Gegenrevolution bedingten, dass auf dem zweiten Demokratenkongress in Berlin vom 26. bis zum 31. Oktober, beschickt von 260 Vereinen, in explosiver Atmosphäre über einen Sturz der Paulskirche, Neuwahlen und eine zweite Revolution diskutiert wurde. Auch ein "Gegenparlament", besetzt mit demokratischen Landtags- und wenigen Paulskirchenabgeordneten, suchte am 27. Oktober hektisch nach Aktionsmöglichkeiten, um die Märzrevolution zu retten oder weiterzutreiben.

Nach den Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen mit wieder einsetzenden Unterdrückungsmaßnahmen gegen Demokraten fanden diese in der zweiten Novemberhälfte die Kraft zu einem organisatorischen Neuanfang in Frankfurt. Abgeordnete der linken Fraktionen schlossen sich zur Verteidigung der "Märzerrungenschaften" im "Zentralmärzverein" zusammen, der in der Zeit seiner stärksten Entfaltung, im Frühjahr 1849, aus 950 Ortsvereinen und 500000 Mitgliedern bestand. Wie im Vormärz lag die Führung noch in der Hand des Bildungsbürgertums, auffallend waren jetzt aber das Überwiegen von Freiberuflern an der Spitze und eine starke Vertretung von Handwerkern an der Basis.

Liberale Vereinigungen

Auch der parteipolitische Aufschwung der Liberalen verlief stürmisch, trotz ihrer weit verbreiteten Vorstellungen, dass Honoratioren für die Politik zuständig seien und eine Mobilisierung des Volkes Gefahren mit sich bringe. Ziel blieb die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie unter Anknüpfung an staatliche Traditionen, aber bei Schaffung einer einheitlichen Bürgergesellschaft. "Deutsche" und "Vaterländische Vereine" entstanden in großer Zahl und mit beträchtlicher Mitgliederzahl nicht zuletzt in Preußen, wo etwa 300 solcher Ortsverbände gezählt wurden, die -obwohl sie das mittlere und gehobene Bürgertum repräsentierten - auch Unterschichten offen standen.

Doch alle Zentralisierungsversuche der liberalen Clubs scheiterten letztlich. Der noch erfolgreichste Anlauf wurde vom 3. bis 5. November in Kassel durch Delegierte von 28 Vereinen unternommen. Aber bereits die Zusammensetzung des gegründeten "Nationalen Vereins", dem im Frühjahr 1849 160 Vereine angehörten, offenbarte das Dilemma der Liberalen. Bei gespaltener Loyalität gegenüber der preußischen Monarchie auf der einen und den parlamentarischen Institutionen wie der Paulskirche auf der anderen Seite, waren kaum preußische Vereine vertreten. Eine deutliche Ausrichtung auf eine Seite hin oder gar eine Kooperation kam nicht zustande. Leidtragende war vor allem die liberale Paulskirchen-Mehrheit, die keinen Rückhalt an einer organisierten parteipolitischen Basis fand.

Konfessionelles Vereinswesen

Die konfessionelle Prägung Deutschlands besaß starke Auswirkungen auf die Herausbildung des Parteiwesens in Deutschland. Protestanten wie Katholiken stand der Weg zu rechten wie linken Parteien offen und dieser wurde auch genutzt. Daneben zeigten sich intakte konfessionelle Milieus aber auch in eindeutigen politischen Präferenzen: Während Protestanten vor allem in Preußen zum Rückhalt der Konservativen wurden, suchten Katholiken in einer Zeit des Aufblühens weltlicher Leitvorstellungen einerseits ihren traditionellen Einfluss in der Gesellschaft und andererseits ihre Kirche vor staatlicher Bevormundung zu bewahren.

Ein katholisches Vereinswesen, vor allem Piusvereine, blühte auf und organisierte eine wirksame Petitionsbewegung, deren Adressat die mit den Grundrechten befasste Paulskirche war. Einem erst in Mainz am 28. März zusammenfindenden Piusverein folgten Vereinsgründungen im ganzen katholischen Deutschland. Als diese auf einer Generalversammlung in Mainz vom 3. bis 6. Oktober, die zwar nur aus 32 Orten beschickt war, aber 100000 Gesamtmitglieder repräsentierte, einen Dachverband ins Leben riefen, war eine kräftige Organisation zur Abwehr unliebsamer Beschlüsse der Paulskirche entstanden. Gleichzeitig stellte diese Versammlung den ersten Katholikentag in Deutschland dar. In der Folgezeit waren Piusvereine maßgeblich an der Schaffung von Ansätzen einer kleinbürgerlichen und klerikalen Partei beteiligt, die nun sämtliche politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse vom konfessionellen Standpunkt aus beurteilte. Dies schmälerte den vormaligen Konsens vieler Katholiken mit den Liberalen, der bei den Maiwahlen 1848 noch beherrschend gewesen war.

Konservative Sammlungsbewegung

Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Konservativen, allen voran die in Preußen, da deren Erstarken mit dem raschen Erfolg der dortigen Gegenrevolution eng verknüpft war. Der Weg der Rechten, die bislang für Parteiverbote gesorgt und Veränderungen unterbunden hatte, zu Modernisierungen schien lang. Um so mehr überrascht das erfolgreiche Streben, sich den Zeittrends mit Parlamenten, Parteien und einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit zu stellen, ja sich auf diesen Sektoren nicht selten effektiver als die liberalen und demokratischen "Herausforderer" zu zeigen. Maßgeblich waren zunächst nicht die schon im Vormärz aktiven Reformkonservativen, die wie Joseph Maria von Radowitz (1797-1853) oder Felix Fürst von Lichnowsky (1814-1848) mit erheblichem Einfluss in der Paulskirche saßen und dort das Ziel konstitutioneller Monarchien mit einer gesicherten Vormachtstellung der Monarchen verfochten. Auffallend war vielmehr, dass Hochkonservative häufig die Initiative ergriffenund aktiv wurden.

Diese vor allem auf die höfischen Eliten und den Landadel gestützte Gruppe, die einen Parteienstaat und eine effektive Mitbestimmung von Staatsbürgern strikt ablehnte - ihr Ziel blieb ein an der Vergangenheit orientierter Ständestaat oder eine absolutistische Monarchie -, versuchte, eine konservative Sammlungsbewegung zu schaffen. Anfang Juli gründete Ernst Ludwig von Gerlach (1795-1877) den "Verein für König und Vaterland" der zur Schaffung weiterer Vereine aufrief, die unter hochkonservativer Lenkung stehen sollten. Tatsächlich entstanden diese in beträchtlicher Zahl mit den Namen "Preußen-" oder "Vaterlandsverein", "Patriotischer Verein" oder "Verein zur Wahrung des Grundbesitzes", allerdings ohne die angestrebte hochkonservative Führung oder Kontrolle. In den Provinzstädten und agrarischen Bereichen, die das Gros der konservativen Vereine stellten, dominierten Beamte, Kaufleute, Handwerksmeister und Militärs, auch mittelbäuerliche Schichten waren vertreten. DieseBasis sorgte dafür, dass hochkonservative Staatsauffassungen in den Hintergrund rückten, während zumeist reformkonservative Leitvorstellungen dominierten. Ein zweiter Zentralisierungsversuch mit über 200 Basisvereinen drückte mit dem neuen Namen "Generalkomitee der monarchisch-konstitutionellen Vereine" folgerichtig eine Befürwortung von Verfassungsstaaten aus.

Vor dem Hintergrund, dass Friedrich Wilhelm IV. die christlich-ständestaatlichen Grundpositionen der Hochkonservativen teilte und ihnen im Zuge der Gegenrevolution doch noch zu großer Bedeutung verhalf, sind die Motive und Strategien der Hochkonservativen etwas genauer zu beleuchten. Ihr unumstrittenes Ziel war es, die Märzrevolution ungeschehen zu machen und die Souveränität Preußens zu "retten". Zwar hielten sie die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Liberale und Demokraten für nicht mehr umkehrbar, wohl aber deren Richtung.

Den öffentlichen Druck, den Liberale und Demokraten im März gegen den König erzeugt hatten, wollten sie unter Benutzung der gleichen Mittel umkehren. Da Liberale und Demokraten Berlin beherrschten, sollte das königstreue Umland mobilisiert und damit Berlin isoliert und bedrängt werden. Bezeichnend für das Aufgreifen der "Waffen" der Liberalen und Demokraten in der Absicht, diese zu besiegen, war der Einstieg der Hochkonservativen in das politisch motivierte Pressewesen.

Mit der "Neuen Preußischen Zeitung" wurde eine konservative Zeitung gegründet, deren zupackende Propaganda Gegner noch in der Zeit der Weimarer Republik zu fürchten hatten. Ihr Emblem war das 1813 gestiftete Eiserne Kreuz, das Ausdruck eines christlich verstandenen Abwehrkampfes gegen Napoleon und das revolutionäre Frankreich war. Die Parole des daher auch "Kreuzzeitung" genannten Blattes lautete denn auch "Mit Gott für König und Vaterland" und wurde tatsächlich weithin in Preußen zum Losungswort. Sie stärkte, zumal erhebliche Teile der Protestanten des Landes sie aufgriffen, die vom Monarchen angestrebte, anhaltende Verankerung des Königtums in Preußen in einem Gottesgnadentum mit Folgen für das Fortleben einer entsprechenden Untertanenmentalität im Hohenzollernstaat.