Gut funktionierende Finanzmärkte erfüllen wichtige Aufgaben für eine Gesellschaft: So wollen manche Menschen für die Zukunft sparen, während andere jetzt Geld brauchen, um etwas für die Zukunft aufzubauen – wie etwa ein Unternehmer, der in neue Maschinen investiert. Finanzmärkte sollen Ersparnis und Investitionsbedarf zusammenbringen. Zudem erbringen sie wichtige Aufgaben bei der Informationsverarbeitung: So kann zum Beispiel eine Bank meist besser beurteilen als ein einzelner Sparer, welches Unternehmen einen Kredit in Zukunft auch zurückzahlen kann. Und Finanzmärkte ermöglichen es, Risiken zu übertragen – etwa, wenn eine Lebensversicherung das Risiko eines frühzeitigen Todes absichert, weil eine Versicherung mit sehr vielen Verträgen darauf setzen kann, dass sich zufällige Unterschiede ausgleichen.
In einer immer stärker vernetzten Welt gibt es für all diese Aufgaben auch einen grenzüberschreitenden Bedarf: Schwellenländer, die wirtschaftlich gerade erst aufholen, benötigen viele Investitionen; Industrieländer, die einer alternden Bevölkerung gegenüberstehen, haben ein Interesse daran zu sparen. Und Privatpersonen wie Unternehmen können davon profitieren, wenn sich gegenläufige Risiken auf der ganzen Welt ausgleichen – so sind zum Beispiel Aktienfonds, die weltweit investieren, oft weniger schwankungsanfällig als Fonds, die nur in einem Land anlegen, weil sie weniger stark von einzelnen lokalen oder regionalen Krisen getroffen werden.
Tatsächlich sind die Finanzmärkte inzwischen geradezu ein Inbegriff der Globalisierung geworden: Aktien, Anleihen, Währungen und Rohstoffe werden weltweit rund um die Uhr gehandelt. Große Finanzunternehmen – wie die US-amerikanische Bank JPMorgan Chase, die Deutsche Bank oder der Versicherungskonzern Allianz – sind weltweit präsent. Nachrichten aus irgendeinem Teil der Erde können sofort die Kurse an allen wichtigen globalen Handelsplätzen beeinflussen. Und deutsche Anleger kaufen ganz selbstverständlich zum Beispiel amerikanische Fonds, die dann in Korea oder Südafrika investieren. Das Volumen der weltweiten Finanzgeschäfte ist kaum noch überschaubar und übertrifft den Welthandel um ein Vielfaches.
Integration der Finanzmärkte als politisches Projekt
Diese Entwicklung ist jedoch keineswegs selbstverständlich – und auch nicht einfach nur eine Folge der technologischen Neuerungen, die den weltweiten Informationsfluss stark beschleunigt haben. Staaten können grenzüberschreitende Finanzgeschäfte sehr stark einschränken, wenn sie das wollen – und tun dies zum Teil auch noch. So war es in vielen Ländern lange Zeit überhaupt nicht selbstverständlich, dass man sein Geld einfach in die Währung eines anderen Landes umtauschen durfte (Konvertibilität), und etwa in China ist das noch heute nur beschränkt möglich. Ebenso haben Staaten oft die Möglichkeit eingeschränkt, Geld ins Ausland zu übertragen oder dort einen Kredit aufzunehmen. Finanzinstitute können nur deshalb heute als globale Akteure auftreten, weil eine Vielzahl von Regeln, die ihnen Geschäfte in anderen Staaten verboten oder behindert haben, nach und nach abgebaut wurden. Die heutige globale Finanzwelt basiert also auch auf politischen Entscheidungen zugunsten einer Integration der Finanzmärkte.
Dabei haben sich viele Staaten jedoch weiterhin einen erheblichen Handlungsspielraum gesichert: Die Entscheidungen zur Globalisierung des Finanzsektors sind in vielen Bereichen deutlich weniger verbindlich abgesichert als etwa im Bereich des Handels. Es gibt im Finanzbereich keine mit der Welthandelsorganisation vergleichbare zentrale internationale Institution, die ein umfassendes Regelwerk aufgestellt hat und ein Streitschlichtungssystem zur Durchsetzung bereitstellt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Aufgabe, bestimmte grundlegende Regelungen in den Finanzbeziehungen zwischen seinen Mitgliedern zu überwachen. Er kann aber keine Vorgaben etwa zu dem Ausmaß an grenzüberschreitenden Bankgeschäften machen, die ein Staat zulässt. Dennoch haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dass viele Staaten das Ziel integrierter globaler Finanzmärkte recht konsequent verfolgt haben.
QuellentextDie Öffnung der Finanzmärkte
Die Entfesselung der Kapitalmärkte begann ausgerechnet mit einer Suada gegen die Spekulanten. "Diese Leute", schimpfte der amerikanische Präsident Richard M. Nixon am 15. August 1971 in einer Fernsehansprache, "leben von der Krise, und deswegen helfen sie dabei, dass solche Krisen entstehen." Nixon war wütend, weil die Spekulanten seit Monaten munter gegen den Dollar wetteten, gegen die Leitwährung der Welt. Und da er das Spiel nicht länger hinnehmen wollte, kappte er an diesem Tag die starre Bindung des Dollar an die anderen Währungen der Welt.
Nixon zerstörte damit das System fester Wechselkurse, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Weltwirtschaft stabilisiert und die Finanzmärkte vor allzu großen Übertreibungen bewahrt hatte: das System von Bretton Woods. Doch er leitete, ohne es zu ahnen, zugleich auch eine Entwicklung ein, die ein noch viel größeres Kasino entstehen ließ. Denn mit dem Ende der festen Wechselkurse verloren die Finanzmärkte auch ihren festen Rahmen.
Es begann eine Ära, in der fast alles möglich war: das Zeitalter der Deregulierung und Globalisierung. In den folgenden drei Jahrzehnten beseitigten die Industrienationen die Schutzwälle, die sie nach der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren um die Wirtschaft errichtet hatten. Sie öffneten sich für fremde Unternehmen und fremdes Kapital. Der Staat trat den Rückzug an, der Markt bekam mehr Raum, so wie es Milton Friedman und andere neoliberale Ökonomen gefordert hatten.
Und nirgends waren die Veränderungen so drastisch wie an den Kapitalmärkten. […]
Bis Ende der sechziger Jahre wurde auch dort die Wirtschaft von der Industrie beherrscht, während die Banken nur eine dienende Funktion hatten. Sie versorgten die Produktionsbetriebe mit Geld, das sie sich bei ihren Sparern beschafften. Zugleich unterwarf der Staat die Banken einer strengen Aufsicht. Selbst die Zinshöhe durften die Banken nicht nach Belieben bestimmen: In den USA, aber auch in Deutschland gab die Regierung die Konditionen vor.
All dies veränderte sich. Als Erstes lockerten die USA die Regeln für die Finanzmärkte – noch unter Nixon, später auch unter Jimmy Carter und Ronald Reagan. 1986 verordnete die britische Premierministerin Margaret Thatcher ebenfalls den "Big Bang", sie rüttelte die Banken in der City of London wach und holte ausländische Geldinstitute ins Land. […]
Die angelsächsischen Banken […] schufen neue Produkte, für die es keine ausreichende Regulierung gab. […] So tauchten in den siebziger Jahren die ersten Derivate auf, also Finanzprodukte, deren Wert sich von anderen Wertpapieren ableitet. Die ersten Derivate waren noch simpel, es handelte sich um Termingeschäfte. Doch von den achtziger Jahren an kamen immer komplexere Produkte hinzu.
Mitte der Neunziger begannen amerikanische und britische Banken zudem damit, jene Derivate zu entwickeln, durch die die Finanzkrise mit ausgelöst wurde: Sie verpackten zweitklassige Kredite in Wertpapieren, darunter auch die berüchtigten Subprime-Kredite für Immobilienbesitzer, und verkauften diese als angeblich erstklassige Anlagen weiter. Diese Kreditpakete wanderten rund um den Globus, von Investor zu Investor – und entpuppten sich schließlich als Zeitbomben auf Reisen.
Es entstanden zudem immer mehr Hedgefonds, also hochriskante Fonds, die vor allem auf Pump spekulieren. Die Finanzindustrie siedelte, um jegliche Regulierung zu vermeiden, diese Fonds zumeist in Steueroasen an, ebenso wie später auch jene Gesellschaften, über die Kreditpakete und andere Derivate verkauft wurden. […]
[1999] […] hob Präsident Bill Clinton […] den Glass-Steagall-Act auf und beseitigte die Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken. Diese Trennung war nach der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren geschaffen worden; […].
Seit der Entscheidung von Clinton darf wieder jede Bank im Investmentbanking mitmischen, und so erwarben die großen Geschäftsbanken bald selbst eine Investmentbank […] Die etablierten Investmentbanken konterten dies damit, dass sie Abteilungen für den Eigenhandel einrichteten. Das heißt: Sie spekulierten nicht mehr nur mit dem Geld ihrer Kunden, sondern wie die Hedgefonds auch in hohem Maße auf Pump […].
Damals, in der Euphorie der New Economy, scherte dies jedoch niemanden. Und so verabschiedete der US-Kongress in dieser Zeit noch ein anderes Gesetz, vielleicht das entscheidende: Am 15. Dezember 2000 genehmigten die Abgeordneten den "Commodity Futures Modernization Act", […] [und erlaubten] so den unregulierten Handel mit Credit Default Swaps, also mit jenen Kreditausfallversicherungen, die der Investor Warren Buffett als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet hat. Bis heute wetten Spekulanten damit unkontrolliert auf die Pleite ganzer Unternehmen oder […] Staaten […].
Die Öffnung der Finanzmärkte hat also nicht nur dazu beigetragen, dass man leichter an Geld gelangen kann; Staaten und Unternehmen sind zugleich neuen, viel ernsteren Bedrohungen ausgesetzt. Arthur F. Burns, der US-Notenbankchef unter Nixon, sah diese Gefahr schon vor vier Jahrzehnten. Die Liberalisierung der Finanzmärkte, warnte er damals, "werde mit Sicherheit viel Elend über die Menschheit bringen".
Ulrich Schäfer, "Startschuss für Casino Royale", in: Süddeutsche Zeitung vom 28./29. Juli 2012
Neue Regeln für die Finanzmärkte
Wegen ihrer großen Bedeutung für die Gesellschaft können von den Finanzmärkten auch erhebliche Probleme ausgehen. Wenn die Rahmenbedingungen falsch gesetzt sind, können Finanzmärkte beispielsweise unkontrolliertes Risikoverhalten (statt sinnvoller Risikoübertragung) fördern. Sie können "Blasen" auslösen, bei denen sehr viel in Vermögenswerte investiert wird, welche die in sie gesetzten Erwartungen später nicht erfüllen können – wie zum Beispiel bei einem übertriebenen Bauboom, bei dem weit über den tatsächlichen Bedarf hinaus investiert wird und der hinterher Bauruinen und ungenutzte Häuser hinterlässt. Auch der Schutz der Anleger kann unter die Räder kommen. Besonders deutlich wurden diese Gefahren in der weltweiten Finanzkrise, die im Jahr 2008 nach dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers eskalierte und zu einer globalen Wirtschaftskrise mit massiven wirtschaftlichen Problemen in vielen Ländern führte.
Aber wer soll in einem integrierten globalen Finanzmarkt die Regeln aufstellen? Hier zeigt sich das sogenannte Globalisierungs-Trilemma, das der US-Ökonom Dani Rodrik formuliert hat: Globale ökonomische Integration, politische Entscheidungen auf nationaler Ebene und Prinzipien der Demokratie können nicht komplett gleichzeitig verwirklicht werden: Wenn jedes Land für sich eigene und unterschiedliche Regeln aufstellt, schadet dies dem grenzüberschreitenden Finanzmarkt. Zudem befinden sich die Länder untereinander in einem Wettbewerb um Kapitalzuflüsse (die Investitionen im jeweiligen Land ermöglichen sollen) und zum Teil auch um Arbeitsplätze in der Finanzbranche. Dadurch entstehen für jedes einzelne Land Anreize, Finanzmarktteilnehmer nicht mit harten Regeln abzuschrecken. Wenn die Regeln aber global einheitlich aufgestellt werden sollen, dann fehlt es derzeit an einem Weltparlament und an einer Weltregierung, die unseren Vorstellungen von demokratischer Regierungsführung entsprechen. Im Bereich der Finanzmärkte ist das Trilemma zudem besonders ausgeprägt, da Kapitalflüsse sehr viel schneller auf politische Entscheidungen einzelner Länder reagieren können – und damit den nationalen Spielraum stärker einschränken – als dies beispielsweise bei Handelsflüssen oder bei Investitionen in einen Fabrikstandort der Fall ist.
Es gibt jedoch verschiedene Versuche, neue, international einheitliche Regeln für die Finanzmärkte zu schaffen. Typisch ist dabei, dass diese Regeln an ganz unterschiedlichen Orten und mit einer Vielzahl von beteiligten Akteuren entstehen – meist als Ergebnis von diplomatischen Aushandlungsprozessen, mit all den damit verbundenen Problemen, die in früheren Kapiteln bereits angesprochen wurden. Im Folgenden können nur einige zentrale Beispiele für wichtige Gremien der Finanzmarktregulierung vorgestellt werden.
Dominanz informeller Gremien
Um insbesondere für grenzüberschreitend aktive Banken gemeinsame Regeln aufzustellen, gibt es seit 1975 den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht. In diesem Rahmen treffen sich die Zentralbankchefs und die obersten Bankenaufseher einer Gruppe von ursprünglich 10 wichtigen Staaten, um sich auf gemeinsame Regeln und Standards zu einigen. Die Mitgliedschaft des Ausschusses wurde schrittweise erweitert und umfasst heute Vertreter von 27 Staaten. Die Regelungen, die in Basel entwickelt werden, werden von Fachleuten erarbeitet. Sie profitieren zudem von dem guten Ruf, den das Expertenwissen von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden genießt, und von der hohen Unabhängigkeit vieler Teilnehmer von der Tagespolitik. Deshalb sind sie oft sehr detailliert und für informelle Regelungen auch ungewöhnlich effektiv. Dennoch haben die Baseler Standards keine Gesetzeskraft: Um wirksam zu werden, müssen sie in jedem Land in nationales Recht umgesetzt werden, und dabei kann es immer wieder zu Verzögerungen oder Abweichungen kommen. Eine wichtige international koordinierende Rolle nimmt auch das Financial Stability Board (FSB, früher Financial Stability Forum) ein, das nationale und internationale Regulierungsexperten zusammenbringt.
Besondere Bedeutung hat gerade im Rahmen der Finanzkrise zudem die Gruppe der Zwanzig (G 20) gewonnen: In diesem Kreis treffen sich die Staats- und Regierungschefs von 19 zentralen Staaten und die führenden Vertreter der Europäischen Union. Neben den großen Industriestaaten – etwa den USA, Deutschland, Japan und Großbritannien – nehmen auch große Schwellenländer wie China, Brasilien, Indien und die Türkei an der Gruppe teil. Da hier unmittelbar die höchsten politischen Entscheidungsträger zusammenkommen, haben Entscheidungen der G 20 sehr großes politisches Gewicht. So gaben die G 20 während der Finanzkrise wichtige Leitlinien dafür vor, in welchen Bereichen der Baseler Ausschuss und das FSB mit größter Priorität aktiv werden sollten. Trotz ihres hohen politischen Gewichts sind aber auch G-20-Beschlüsse letztlich nur Absichtserklärungen, die man nicht vor Gericht durchsetzen kann; das zeigt wieder den geringen Grad der Verrechtlichung der weltweiten Finanzregulierung.
Baseler Ausschuss, FSB und G 20 sind internationale Treffen der Vertreter von öffentlichen Institutionen. In einigen Bereichen haben sich jedoch auch private Standardsetzer etabliert. So werden die international wichtigsten Buchhaltungsregeln, die International Financial Reporting Standards (IFRS), von einem privaten Gremium erarbeitet, dem International Accounting Standards Board (IASB), dem insbesondere erfahrene Wirtschaftsprüfer angehören. In der EU werden IFRS-Regeln noch einmal von der Europäischen Kommission geprüft, bevor sie in Kraft treten; trotzdem hat das IASB einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung international einheitlicher Regeln.
Wichtige Etappen der globalen Regulierung
Internationale Finanzmarktregulierung ist ein äußerst komplexes Feld. Im Laufe der Zeit wurden nicht nur die einzelnen Regeln immer detaillierter, auch die Zahl der regulierten Tätigkeiten und der betroffenen Akteure erweiterte sich stetig. Dennoch können vor allem die großen Meilensteine der Bankenregulierung als Orientierungspunkte dienen. Dabei geht es beispielsweise um die Frage, wie viel eigenes Kapital eine Bank vorhalten muss, um mögliche Verluste aus bestimmten Geschäften verkraften zu können, ohne dadurch existenziell gefährdet zu werden (die sogenannte Eigenkapitalunterlegung).
Schon 1975 veröffentlichte der Baseler Ausschuss Regeln für die Zusammenarbeit nationaler Aufseher bei der Überwachung internationaler Banken. Aber erst 1988 wurden die ersten internationalen Regeln für die Eigenkapitalausstattung festgesetzt. In den 1990er-Jahren nahmen die grenzüberschreitenden Finanzgeschäfte weiter stark zu, auch als Folge des Abbaus staatlicher Beschränkungen für das internationale Bank- und Kapitalmarktgeschäft (zunehmende Liberalisierung). Zugleich weiteten sich das Spektrum und die Komplexität der genutzten Finanzinstrumente deutlich aus, und in den USA wurde die bis dahin geltende Trennung zwischen Investment- und Geschäftsbanken aufgehoben, was auch Geschäftsbanken erlaubte, sich im Investmentbereich zu betätigen. Als Reaktion auf diese Veränderungen wurde 2004 eine umfassende, als Basel II bekannte Neugestaltung der Aufsichtsregeln erlassen. Ihr Ziel war es vor allem, die Risiken bei Bankgeschäften genauer zu erfassen – also beispielsweise viel präziser zwischen guten und schlechten Schuldnern zu unterscheiden, bei denen die Bank dann auch eine unterschiedlich hohe Risikovorsorge benötigt. Das nötige Eigenkapital konnte deshalb im neuen System neben relativ standardisierten Ansätzen auch durch eigene Modellrechnungen der Banken bestimmt werden. Damit kam es jedoch zwischen verschiedenen Unternehmen auch zu deutlichen Unterschieden bei der Frage, wie viel Risikovorsorge für ein bestimmtes Geschäft nötig ist. Zudem entstand die Gefahr, dass Modelle gezielt so konstruiert werden, dass sie eine möglichst geringe Risikovorsorge ergeben (und damit kurzfristig höhere Gewinne erlauben).
Basel II führte außerdem neue Standards über die Aufsicht und über die Veröffentlichung wichtiger Bankinformationen ein.
Dennoch demonstrierte die Finanzkrise ab 2008, dass weiterhin ein großes Risikopotenzial im Bankensektor vorhanden war. Zudem machte die enge Vernetzung der Finanzwelt es praktisch unmöglich, eine Bank, die schlecht gewirtschaftet hatte, wie ein anderes Unternehmen einfach pleite gehen zu lassen. Als Folge wurde 2010 nach einem stark beschleunigten Verfahren der Basel III-Standard verabschiedet, der die Eigenkapitalregeln verschärft und daneben weitere neue Regelungskategorien einführt. So müssen Banken jederzeit genug Geld und leicht veräußerbare Vermögensgegenstände vorhalten und dürfen eine maximale Verschuldung nicht überschreiten. Die neuen Regeln treten schrittweise in Kraft und werden in Einzelheiten auch immer wieder vom Baseler Ausschuss nachgebessert. Zudem wird die internationale Finanzmarktregulierung immer stärker auch auf weitere Akteure ausgeweitet, etwa auf Börsen und Handelsplattformen, auf Derivatehändler (die verschiedene komplexe Produkte nutzen, mit denen man sich zum Beispiel gegen unerwartete Wechselkurs- oder Zinsschwankungen absichern, mit denen man aber auch spekulieren kann) und auf sogenannte Schattenbanken (etwa Geldmarktfonds). Ziel ist es, dass riskantes Verhalten nicht einfach aus einem regulierten in einen nichtregulierten Bereich abwandern kann, sondern tatsächlich verhindert wird.
Politisierung, Staatsschulden und Strukturanpassungsprogramme
Die Internationalisierung der Finanzmärkte löste auch in einer breiteren Öffentlichkeit politische Forderungen nach neuen Regeln aus. So fordert etwa das in vielen Ländern präsente Netzwerk Attac eine globale Finanztransaktionssteuer, von der es sich eine Eindämmung spekulativer Finanzgeschäfte verspricht. Dennoch sind Regeln für Finanzmärkte sehr abstrakt und komplex. Eine weitaus größere Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger ergibt sich deshalb dort, wo ein Staat seine Schulden ohne fremde Hilfe nicht mehr bezahlen kann und im Gegenzug umfangreiche Auflagen für seine Wirtschaftspolitik erfüllen muss, die auch die heimische Wirtschaft treffen und etwa den Verlust von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst oder – zum Teil massive – Einschnitte bei Sozialleistungen bedeuten können.
Internationale Finanzmärkte erlauben es auch Staaten, sich bei ausländischen Geldgebern zu verschulden. Dadurch kann das Kapitalangebot steigen, und eine höhere Verschuldung wird überhaupt erst möglich oder erfolgt zumindest zu niedrigeren Zinsen. Gleichzeitig sind mit einer hohen Auslandsverschuldung aber auch große Risiken verbunden, vor allem, wenn ausländische Investoren das Vertrauen in ein Land verlieren und viel Geld innerhalb kurzer Zeit abziehen. Dann kann ein Staat sich möglicherweise nur noch zu extrem ungünstigen Konditionen oder überhaupt kein neues Geld leihen. Gleichzeitig wird aber in Abständen ein Teil seiner alten Schulden fällig – die er oft gar nicht auf einen Schlag zurückzahlen kann. Selbst wenn ein Staat keine neuen Schulden machen will, ist er darum oft auf neue Geldgeber angewiesen, um seine bestehenden Schulden regelmäßig umzuschulden. Bei einer akuten Vertrauenskrise kann dann ein Staatsbankrott drohen.
Derartige Krisen gab es in Schwellenländern in der Vergangenheit immer wieder. Als Notfallmechanismus kann ein Land in einem solchen Fall Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten – im Gegenzug fordert dieser jedoch grundsätzlich strikte Reformen in der Wirtschaftspolitik, die das Land wettbewerbsfähiger machen und das Vertrauen internationaler Anleger zurückgewinnen sollen. Auf vergleichbare Weise erhielten einige Mitgliedstaaten der Eurozone in den vergangenen Jahren Hilfen des IWF und der anderen Eurostaaten (über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und später über den neu geschaffenen Europäischen Stabilitätsmechanismus). Zu den Auflagen gehörten bei Schwellenländern wie bei Eurostaaten typischerweise ein strikter staatlicher Sparkurs, der Abbau von Beschränkungen wirtschaftlicher Aktivität (Deregulierung) und die Privatisierung staatlicher Unternehmen.
Diese Maßnahmen sollen kurzfristig Vertrauen wiederherstellen und langfristig Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit eines Staates stärken, damit ein Staatsbankrott verhindert wird. Sie greifen jedoch zugleich oft massiv und ohne demokratische Legitimation in das Leben vieler betroffener Bürgerinnen und Bürger ein. Denn auch wenn die Krise schon zuvor bestand, wird über die konkreten Rettungsauflagen oft von Seiten der internationalen Geldgeber entschieden. In diesen Fällen kommt es daher zu einer starken Politisierung, wenn Bürgerinnen und Bürger mehr Mitsprache bei Entscheidungen einfordern, die sie massiv betreffen. Eine verbesserte Finanzmarktregulierung soll in Zukunft dazu beitragen, das Entstehen solcher Krisen möglichst bereits im Voraus zu verhindern.