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Internationaler Handel und WTO

Michal Parizek

/ 10 Minuten zu lesen

Der weltweite Austausch von Gütern und Dienstleistungen wächst seit Jahrzehnten. Die Liberalisierung des Handels birgt aber auch Risiken, denen die Staaten mit Schutzmechanismen begegnen. Im Rahmen der WTO und mittels einer steigenden Zahl bilateraler oder regionaler Verträge sollen Handelsbarrieren abgebaut und Rechtssicherheit in den grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen hergestellt werden.

Übersetzung: Britt Maaß

Die standardisierte Containerverschiffung senkt die Transportkosten und steigert den Frachtverkehr. Der Containerhafen von Antwerpen 2014 (© imago/Belga)

Herausforderungen des Welthandels


Vieles von dem, was wir kaufen und konsumieren, wird aus dem Ausland importiert. Von Handys bis zu Obst, von Autos bis zu Jeans, gelangen Konsumgüter direkt aus anderen Ländern auf unsere Märkte. Anderes wird aus importierten Zwischenprodukten oder Rohmaterialien hergestellt. 2012 belief sich der Gesamtwert aller weltweit gehandelten Waren auf circa 14 Billionen Euro. Dies entspricht dem 40-fachen des deutschen Bundeshaushalts und einem Viertel der gesamtwirtschaftlichen Produktion weltweit. Die gigantischen Warenströme stellen eines der wesentlichen Elemente der gegenwärtigen globalisierten Wirtschaft dar. Sie wachsen seit Jahrzehnten, und es gibt bislang keine Anzeichen für ein Ende oder eine Verringerung dieses Wachstums in den kommenden Jahren und Jahrzehnten.

Der ausschlaggebende Grund dafür, dass grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsströme entstehen und zunehmen, ist die Nachfrage der Konsumenten – entweder weil die Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland billiger sind oder weil sie sich von den im Inland produzierten unterscheiden. Gleichzeitig wurde das Wachstum der Handelsströme durch den dramatischen Rückgang der Transportkosten, insbesondere durch die Einführung der standardisierten Containerverschiffung, ermöglicht. Eine Jeans, die etwa in Dhaka, Bangladesch, produziert wurde, erreicht heute ein Lager oder Einzelhandelsgeschäft in einer europäischen Stadt, ohne je den Container zu verlassen, was die Transportkosten auf ein paar Cent senkt. Auch die Kosten der globalen Informationsübermittlung sind in den vergangenen Jahren massiv gesunken, und das hat den wachsenden Handel mit kommerziellen Dienstleistungen beflügelt. Heute ist es nichts Ungewöhnliches, dass ein europäisches oder US-amerikanisches Krankenhaus seine Patientendaten, zum Beispiel Röntgenbilder, zur Analyse in indische Krankenhäuser sendet. Die Lohnkosten in Indien sind niedrig, und dank des Zeitunterschiedes können alle Analysen über Nacht erledigt werden. Die Kosten des Transports der Bilder über das Internet sind praktisch auf Null gesunken.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Freihandel – Handel ohne künstliche Barrieren wie Zölle oder Kontingente – wirkliche Vorteile bieten kann. Er ermöglicht es, dass die Produktion dort stattfindet, wo sie am billigsten ist, und der Konsum dort, wo die Nachfrage am größten ist.

Fracht übers Meer (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 682 140; Quelle: UNCTAD, 2011 geschätzt)

Gleichzeitig sind viele Menschen gegen eine Liberalisierung des Handels und verweisen auf die negativen Auswirkungen, die diese auf die Produktion und Beschäftigungssituation im Heimatland hat. Sie argumentieren, dass die inländischen Hersteller ihre Kunden verlieren und bankrott gehen würden, wenn Waren unbeschränkt aus anderen Ländern importiert werden dürften. Stellt Peru etwa Wolljacken zu einem Bruchteil der Kosten her, die ein italienischer Produzent hat, dann kann dieser Kunden verlieren, wenn die peruanische Produktion ungehindert auf die europäischen Märkte gelangt. Daraus erwächst für die politischen Entscheidungsträger ein Dilemma, das man das Handelsdilemma nennen kann. Sie alle wissen, dass der Freihandel für ihre Länder vorteilhaft ist, doch gleichzeitig wissen sie, dass die einheimischen Hersteller unter einer Öffnung der Märkte für den Import leiden und dass manche Menschen in der Folge ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Wirtschaftstheorie besagt, dass alle Volkswirtschaften durch den Freihandel gewinnen – eher auf lange Sicht und bei einer schrittweisen Liberalisierung als bei einem abrupten Wandel. Aber letztlich würden alle Seiten profitieren. Doch individuelle Produzenten, die ihren Arbeitsplatz verlieren, werden das anders empfinden.

Um dieses Dilemma zu lösen, fördern die meisten Staaten die Liberalisierung des Handels in den Branchen, in denen ihre Hersteller sehr wettbewerbsfähig sind, versuchen aber gleichzeitig, für Branchen, in denen die nationale Produktion weniger konkurrenzfähig ist, Schutzmechanismen und Handelsbeschränkungen von Fremdwaren aufrechtzuerhalten. So sind zum Beispiel viele Entwicklungsländer für die Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten, weil sie diese dank der niedrigen Lohnkosten zu sehr konkurrenzfähigen Preisen erzeugen können. Gleichzeitig bevorzugen sie aber die Beibehaltung höherer Schutzzölle in Hightech-Branchen, da ihre eigene Industrie nicht in der Lage wäre, mit der in den EU-Staaten, in Japan oder in Nordamerika mitzuhalten. Umgekehrt bemühen sich die reicheren Länder sehr darum, den Schutz für ihre hoch subventionierten Agrarsektoren beizubehalten, streben aber nach der Liberalisierung des Handels mit Industrieprodukten wie Luxusautos, wo sie stark und wettbewerbsfähig sind.

Die Staaten wissen also, dass Freihandel grundsätzlich vorteilhaft ist, aber ihre Politik spiegelt dies oft nicht wider. Deshalb gibt es in der Weltwirtschaft weiterhin viele Handelsschranken. Durch die protektionistischen Maßnahmen schaden die Staaten nicht nur ihren eigenen Konsumenten (die nicht die günstigeren Importprodukte kaufen können), sondern auch der Wirtschaft ihrer Handelspartner. Besonders ausgeprägt ist dieses Verhalten in Wirtschaftskrisen, wenn im Inland der politische Druck wächst, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Tatsächlich wird weithin angenommen, dass protektionistische Maßnahmen die Große Depression der 1930er-Jahre beträchtlich verlängerten und verschärften. In dieser Periode gingen viele Staaten zu einer sogenannten beggar-thy-neighbour-Politik (auf Deutsch etwa: Plündere deinen Nachbarn aus) über, erhöhten ihre Schutzzölle und verhinderten so Importe aus anderen Ländern. Da viele Länder solche Maßnahmen ergriffen, erlitten alle Exporteure starke Nachteile, und das Einfrieren des internationalen Handels verschärfte die Krise noch weiter.

Regieren im Bereich des Welthandels

Mitglieder der Welthandelsorganisation - WTO (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615 397; Quelle: WTO, Stand: 2014)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunehmend deutlich, dass ein System von Regeln für den Welthandel notwendig wäre. Bereits 1944 war die Schaffung der International Trade Organization (ITO; Internationale Handelsorganisation) vorgeschlagen worden, die als Ergänzung zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds fungieren sollte. Dieser Vorschlag fand jedoch nicht genügend Unterstützung. Daraufhin wurde ein weniger ambitioniertes Arrangement vorgeschlagen und 1947 angenommen: das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT; Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen). Ursprünglich als befristete Lösung gedacht, erwies es sich als recht dauerhafte und überraschend erfolgreiche Konstruktion. Es schuf ausgeklügelte Regelwerke zur Steuerung der Beziehungen zwischen den Staaten, aber auch ein System der Kontrolle und der Streitbeilegung, um zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Parteien ihren Verpflichtungen nachkommen. Unter der Schirmherrschaft des GATT wurden acht Verhandlungsrunden zur Handelsliberalisierung abgeschlossen, die in vielen Handelsbereichen zu beträchtlichen Senkungen der Zölle führten. Die letzte Runde, die Uruguay-Runde, fand von 1986 bis 1994 statt und führte zur Schaffung der World Trade Organization (WTO; Welthandelsorganisation), die schließlich fast ein halbes Jahrhundert nach dem ursprünglichen ITO-Vorschlag als eigenständige Organisation zur Steuerung des Welthandels entstand.

Wirtschaftliche Zusammenschlüsse (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 621 956)

Die Zahl der GATT-(bzw. WTO-)Mitglieder ist zwar seit seiner Gründung stetig gewachsen, dennoch gilt das GATT in vielen Entwicklungsländern als eine Institution, die in erster Linie die Interessen der reicheren Staaten, besonders der USA, der westeuropäischen Länder und Japans, vertritt. Um der Dominanz des GATT zu begegnen, gründeten Entwicklungsländer 1964 die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD; Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) mit dem Ziel, eine speziell auf die Entwicklung ausgerichtete Perspektive in die Debatten zum internationalen Handel einzubringen. Die UNCTAD ist zwar bis heute aktiv, doch ihre Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Beratung und Interessenvertretung von Entwicklungsländern; ihr tatsächlicher Einfluss war niemals mit dem des GATT vergleichbar. Neben der Schaffung der UNCTAD hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Trend herausgebildet: die Entstehung und Ausbreitung regionaler Integrationsprojekte. Dazu gehören zum Beispiel der Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens) der lateinamerikanischen Länder oder das North American Free Trade Agreement (NAFTA; Nordamerikanisches Freihandelsabkommen) zwischen den USA, Kanada und Mexiko sowie andere Organisationen auf allen Kontinenten (z. B. die Afrikanische Union, der Verband Südostasiatischer Nationen ASEAN und die Andengemeinschaft). Das bekannteste Integrationsprojekt ist die Europäische Union, die aus der Europäischen Gemeinschaft hervorging. Zusätzlich zu diesen größeren Handelsblöcken existieren mittlerweile zwischen 300 und 550 bilaterale Handelsabkommen (Vereinbarungen zwischen zwei Staaten), die die Bedingungen, unter denen die Parteien Handel betreiben, noch präziser festlegen.

Welthandelsorganisation - WTO (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615 395; Quelle: WTO)

Ungeachtet der Vielzahl der Übereinkommen ist die Welthandelsorganisation WTO seit ihrer Gründung im Jahr 1995 das bedeutendste Forum für die Steuerung des Handels auf globaler Ebene. Mit gegenwärtig 160 Mitgliedstaaten ist sie nahezu universell und schließt alle wichtigen Handelsakteure ein. Der Sitz der WTO befindet sich in Genf, im Centre William Rappard, neben dem europäischen Sitz der Vereinten Nationen. Das höchste Entscheidungsgremium der WTO ist die alle zwei Jahre tagende Ministerkonferenz, die über alle wichtigen politischen Schritte entscheidet. Doch die laufenden Geschäfte der Organisation führt der Allgemeine Rat, der sich aus den ständigen Vertretern der Mitgliedsländer zusammensetzt. Die WTO hat ein relativ kleines Sekretariat mit etwa 640 Frauen und Männern aus circa 70 Mitgliedstaaten. Die meisten Entscheidungen der WTO werden im Konsens gefasst. In der Praxis haben stärkere Staaten jedoch größere Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten, als die schwächeren. Wenn die schwächeren Länder isoliert sind, verzichten sie meistens auf ihr Vetorecht, um einen Vorschlag zu blockieren, selbst wenn sie mit diesem nicht zufrieden sind, damit sie ihre Position in zukünftigen Verhandlungen mit den großen Mächten nicht untergraben.

Die WTO verfügt über einen ausgeklügelten Mechanismus, um die Handelspolitik der Mitgliedstaaten zu überprüfen und um Streitigkeiten beizulegen. Dazu sucht sie zu ermitteln, welche Maßnahmen die Mitglieder in Beziehung zueinander ergreifen, um dann herauszufinden, ob diese Maßnahmen mit ihren Verpflichtungen übereinstimmen. Die Überprüfungsfunktion übernehmen das Sekretariat der WTO und der Trade Policy Review Body, ein spezielles Gremium, das aus den ständigen Vertretern der Mitgliedsländer besteht. Die Streitschlichtung findet im Dispute Settlement Body statt, der sich ebenfalls aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, und gilt im Vergleich zu ähnlichen Gremien anderer internationaler Organisationen weithin als erfolgreich und effektiv.

Die Überprüfungs- und Streitschlichtungsfunktionen der WTO sind zwar von grundlegender Bedeutung, doch das globale Handelssystem kann sich nicht weiterentwickeln, wenn die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, neue Vereinbarungen zu erzielen. Die wirtschaftliche Aktivität entwickelt sich schnell, und es gibt viele Bereiche, die für den Handel immer wichtiger werden, die aber durch die bestehenden Regelungen nur in geringem Maß, wenn überhaupt, gesteuert werden. Zum Beispiel ist der gesamte Dienstleistungsbereich im Vergleich zum Handel mit Industriegütern nur sehr schwach reguliert. In anderen Bereichen wie dem Schutz geistigen Eigentums gibt es zwischen Staaten erhebliche Meinungsunterschiede über Fragen einer globalen Regulierung. In weiteren Bereichen wie dem Verhältnis von Handel und Umweltschutz ist es strittig, ob es überhaupt eine Regulierung geben sollte. Hinzu kommt, dass der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten in puncto Liberalisierung um Jahrzehnte hinterherhinkt. Um für diese neuen Felder und den am meisten vernachlässigten Bereich der Landwirtschaft zu einer Übereinkunft zu kommen, wurde 2001 in Doha, Katar, die jüngste Runde der Handelsgespräche gestartet. Erst im Dezember 2013, nach zwölf Jahren schwieriger Verhandlungen, wurde mit der sogenannten Doha Development Agenda (DDA; Doha-Entwicklungsagenda) eine erste kleine Einigung erzielt. Die Hauptkonfliktpunkte sind weiterhin ungelöst. Dies zeigt, dass die WTO zwar in der Lage ist, die laufende Überprüfung und Streitschlichtung wahrzunehmen, bei der Entwicklung neuer Regulationen, die für den Handel im 21. Jahrhundert bedeutsam sind, aber vor Herausforderungen stehen wird.

Aktuelle Trends in der Steuerung des Welthandels


Zunächst einmal verspüren Staaten ein steigendes Bedürfnis, ihre Beziehungen zu formalisieren und sie mithilfe von rechtlich bindenden Dokumenten zu regulieren. Die mehreren hundert bilateralen und regionalen Handelsverträge, die heute bestehen, wurden überwiegend in den vergangenen zwei Jahrzehnten unterzeichnet und ratifiziert. Parallel dazu gab es eine stetige Zunahme der Aktivitäten zur Streitschlichtung. Während in den 40 Jahren, seit das GATT existiert, etwa 200 Fälle im Streitbeilegungssystem eingereicht wurden, sind es in der nicht einmal 20-jährigen Geschichte der WTO schon über 450 Fälle. Die Tatsache, dass Staaten versuchen, ihre Beziehungen mithilfe von formalisierten Regeln zu steuern, und sich der Streitschlichtung durch Dritte unterwerfen, erhöht die Stabilität und Berechenbarkeit des Handelssystems. Für die Staaten ist es damit schwieriger, ihre Vereinbarungen zu brechen und einander zu betrügen. Gleichzeitig erfolgt eine Kosten-Nutzen-Abwägung, die zur Folge hat, dass Staaten nun weniger Bereitschaft zeigen, neue, stark bindende Vereinbarungen zu unterzeichnen, weil sie wissen, dass sie mit hohen Strafen rechnen müssen, wenn sie ihre Verpflichtungen in der Zukunft nicht einhalten.

Zweitens war die Entstehung neuer Formen der Steuerung im Handel ebenso tiefgreifend wie in anderen Bereichen. Die traditionellen internationalen Organisationen blieben immer wieder die Ergebnisse schuldig, auf die viele gehofft hatten. Als Folge davon haben wichtige Wirtschaftsakteure, ob nun Staaten oder private multinationale Unternehmen, nach neuen, besser funktionierenden Wegen gesucht, um ihre Beziehungen zu regulieren. In der WTO mögen zwar fast alle Länder der Welt vertreten sein, doch wenn sich die Mitglieder nicht auf Lösungen für bestimmte wichtige Probleme einigen können, dann suchen einige von ihnen andere Foren, um ihre Ziele zu erreichen. Das vielleicht berühmteste Beispiel solcher Verhandlungen ist gegenwärtig die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP; Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), die zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ausgehandelt wird. Eine andere Option sind weniger förmliche und legalisierte Foren wie die G20, die Versammlung von Vertretern der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt.

Und schließlich stand die WTO (ebenso wie andere Institutionen) in den vergangenen Jahren vor einer wachsenden Herausforderung nicht durch den Protest ihrer Mitgliedstaaten, sondern durch öffentliche Kontroversen, die von einzelnen Bürgern und zivilgesellschaftlichen Gruppen angestoßen wurden. Mit anderen Worten, was in der Weltwirtschaft geschieht und was in der WTO entschieden wird, scheint nicht nur für eine kleine Gruppe nationaler Entscheidungsträger, sondern auch für eine größere Öffentlichkeit von immer stärkerem und direkterem Interesse zu sein. Massive öffentliche Proteste, die Mitte der 1990er-Jahre begannen und um die Jahrtausendwende herum (besonders 1999 in Seattle) ihren Höhepunkt erreichten, stellen die traditionell nicht öffentliche diplomatische Natur der Arbeit der WTO infrage. Zivilgesellschaftliche Gruppen, die zum Beispiel im Weltsozialforum vertreten sind, beanspruchen eine größere Rolle in Fragen der globalen Wirtschaftsregulierung für sich. In den 1990er-Jahren wurde argumentiert, die Globalisierung zwinge Staaten in einen harten Wettbewerb um ausländische Investitionen hinein; das führe zu einer Schwächung des Sozialstaats und sozialer Rechte. Die WTO wurde, wie auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, als Motor dieser Entwicklung betrachtet und wird dafür zunehmend kritisiert. Es scheint, dass ein Bereich, der zuvor nur für Experten interessant war, nun auch für die breite Öffentlichkeit von Belang wurde.

Genau wie in anderen Bereichen der globalen Politik werden die Entscheidungen der WTO und anderer globaler Steuerungsgremien und die Art, wie sie arbeiten, zukünftig einen wachsenden Einfluss auf das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger haben. Die ökonomische Steuerung über den Nationalstaat hinaus wird für uns wichtiger sein als je zuvor.

QuellentextTTIP im Kontext anderer Freihandelsabkommen

[…] Infolge des stockenden Verlaufs der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) werden Liberalisierungsbestrebungen in fast allen Regionen auf bilateraler und regionaler Ebene sichtbar. Vor allem die Staaten in Asien und der Pazifik-Region verhandeln zurzeit untereinander eine Vielzahl von Freihandelsabkommen und regionalen Zusammenschlüssen. Dazu zählen die Transpazifische Partnerschaft (TPP), das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) und eine Reihe von bilateralen Abkommen zwischen dem Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN), China, Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea und Indien. Wirtschaftswachstum findet vor allem in dieser Region statt. Vor diesem Hintergrund ist TTIP für die EU umso wichtiger, um – zusammen mit dem Partner USA – wettbewerbsfähig und handelspolitisch relevant zu bleiben.

Alle geplanten Freihandelsabkommen und Zollunionen müssen bei der WTO gemeldet werden, um das globale Handelssystem transparent zu gestalten. Nach dem Bericht des WTO-Generalsekretärs vom Januar 2014 wurden bis November 2013 432 regionale Handelsabkommen angemeldet, von denen 250 bereits in Kraft waren. Zusätzlich geht die WTO davon aus, dass es rund 100 Abkommen gibt, die bereits in Kraft sind, ihr aber noch nicht gemeldet wurden. Seit 2003 treten jährlich im Durchschnitt 14 weitere Abkommen in Kraft. Mittlerweile sind fast alle 160 Mitgliedstaaten der WTO Teil eines regionalen Abkommens.

Besonders die EU verfolgt seit Jahren eine sehr aktive Handelspolitik. Seit ihrer 2006 verkündeten Handelsstrategie "Global Europe: Competing in the World" sind Freihandelsabkommen neben der multilateralen Liberalisierung ein zentraler Pfeiler, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dabei sollen "Abkommen der neuen Generation" geschlossen werden, die weit über klassische Marktzugangsthemen hinausgehen. Die Kriterien für die neuen Handelsabkommen sind Marktpotenzial, Offenheit für EU-Exporte und bereits bestehende Freihandelsabkommen von Wettbewerbern, insbesondere der USA, Japans und Chinas, die die EU benachteiligen. […] Die EU hat bislang insgesamt Freihandelsabkommen mit über 50 Handelspartnern abgeschlossen. Dazu gehören auch das Abkommen mit Südkorea, das im Juli 2011 in Kraft trat, und das Abkommen mit Kanada (CETA), das im September 2014 zu Ende verhandelt wurde, aber noch paraphiert und ratifiziert werden muss. Daneben werden zwölf Handelsabkommen verhandelt, unter anderem mit den USA, Japan, Indien, den vier ASEAN-Staaten Singapur, Malaysia, Vietnam und Thailand und den fünf Staaten des Gemeinsamen Marktes Südamerikas (Mercosur) Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela.

Die USA haben sich lange mit bilateralen und regionalen Initiativen zurückgehalten. Nach dem Abschluss des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA mit Kanada und Mexiko 1994 wurden zunächst nur noch die Freihandelsabkommen mit Peru, Kolumbien und Panama ratifiziert. […] [I]m März 2010 nahmen die USA zum ersten Mal an den Verhandlungen zur TPP teil. […] Daneben haben die USA bereits bilaterale Freihandelsabkommen mit 20 Staaten, unter anderen mit Südkorea (2012) und vielen lateinamerikanischen Staaten. Auch in Asien gibt es starke Freihandelstendenzen: Im Dezember 2013 einigten sich die zehn ASEAN-Mitgliedstaaten und ihre sechs Freihandelspartner Australien, China, Indien, Japan, Neuseeland und Südkorea darauf, RCEP bis Ende 2015 umzusetzen. Zusätzlich haben die einzelnen asiatischen Staaten untereinander bereits eine Vielzahl von Freihandelsabkommen abgeschlossen oder geplant […] Im Gegensatz dazu spielen Südamerika und Afrika zurzeit keine aktive Rolle in den zahlreichen Bemühungen um Freihandelsabkommen.

Seit einiger Zeit gibt es die Tendenz, sogenannte Mega-Regionals zu verhandeln. Diese umfassen Länder und Regionen mit einem großen Anteil am Welthandel und an den globalen Investitionen. Dazu zählen unter anderem die USA, die EU, Japan und China. Gleichzeitig hält mindestens eine der Parteien eine zentrale Position in den globalen beziehungsweise regionalen Lieferketten. Mega-Regionals zielen zusätzlich darauf ab, neben dem Marktzugang auch tiefergehende WTO-Plus-Themen zu behandeln und die regulatorische Kooperation zu intensivieren. Dabei sollen langfristig Standortunterschiede bei Handel und bei Investitionen abgebaut werden. Zu diesen Mega-Regionals gehören vor allem TPP, an der zwölf Asien-Pazifik-Staaten teilnehmen, und TTIP. Auch RCEP kann dazu gezählt werden, da es rund 28 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 24 Prozent des Welthandels an Waren und Dienstleistungen (2012) umfasst. Der Grad der Integration ist allerdings weniger ambitioniert als bei den erstgenannten Abkommen. […]

Claudia Schmucker, "TTIP im Kontext anderer Freihandelsabkommen", in: APuZ 50–51/2014 vom 8. Dezember 2014

Michal Parizek ist Dozent für Internationale Beziehungen an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität, Prag. Seine Forschungsschwerpunkte sind Struktur und Funktionsweise globaler Institutionen, insbesondere der WTO, sowie die Politik der EU.
Kontakt: E-Mail Link: michal.parizek@fsv.cuni.cz