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Editorial | Der Rechtsstaat | bpb.de

Rechtsstaat Editorial Die Idee der Rechtsstaatlichkeit Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes Der Rechtsstaat in der digitalen Revolution Die Europäische Union als Rechtsstaat Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene Glossar Quellen- und Literaturhinweise Impressum
Informationen zur politischen Bildung Nr. 351/2022

Editorial

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Deutschland ist laut Grundgesetz ein "republikanischer, demo- kratischer und sozialer Rechtsstaat" (Art. 28). Was bedeutet das? Es muss das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet sein. Damit ist die politische Idee einer freiheitlich organisierten Gemeinschaft gemeint – frei von Tyrannei oder Anarchie.

Gewährleistet wird dies durch die Begründung und Begrenzung institutionalisierter Herrschaft und der öffentlichen Gewalt. Alles staatliche Handeln ist an Recht und Gesetz gebunden. In Deutschland wird die Rechtsstaatlichkeit durch Gewal- tenteilung, Machtbegrenzung, unabhängige Gerichte und die Garantie der Grundrechte für alle Bürgerinnen und Bürger gesichert. Die Erfahrung des Nationalsozialismus vor Augen, legte das Grundgesetz von 1949 zudem besonderen Wert auf einen wehrhaften Rechtsstaat. Die Verfassungsmütter und -väter wollten aus der Geschichte lernen.

Gleichwohl sieht sich der deutsche Rechtsstaat immer wie- der Herausforderungen gegenüber. Während der Corona- virus-Pandemie erhoben so genannte Querdenkerinnen und Querdenker den Vorwurf, dass durch die staatlich verordneten Coronaschutzmaßnahmen wie etwa dem Tragen einer Maske und die temporäre Einschränkung des Versammlungsrechts die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland unzulässig beschnitten würden.

Auch durch die fortschreitende Digitalisierung wird der Rechtsstaat herausgefordert. So verlagert sich Kriminalität mehr und mehr ins Netz – nicht zuletzt in Form von Hassver- brechen. Zudem gilt es, auf die wachsende Macht großer digi- taler Konzerne wie etwa Meta zu reagieren. Doch die Digitali- sierung kann zugleich als Chance für eine bürgernähere und zugänglichere Rechtsordnung begriffen werden.

Auf internationaler Ebene gibt es vermehrt Bemühungen, Rechtsstaatlichkeit institutionell zu verankern. EU-Beitritts- kandidaten müssen Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit als zentrales Kriterium für einen Beitritt vorweisen. Was passiert, wenn EU-Mitgliedstaaten die Rechtsstaatlichkeit aushöhlen, ficht die EU derzeit mit Ungarn und Polen aus.

Auch den Vereinten Nationen kommt – nicht zuletzt durch die Globalisierung – bei der Ausübung und Durchsetzung öffentlicher Gewalt eine immer wichtigere Rolle zu. Der Inter- nationale Gerichtshof agiert als ihr Hauptrechtsprechungs- organ. Der Internationale Strafgerichtshof, der seinen Sitz ebenfalls in Den Haag hat und außerhalb des Handlungsspiel- raumes der Vereinten Nationen auf Grundlage des interna- tionalen Völkerrechts beispielsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verhandelt und ahndet, hat ebenfalls an Bedeutung gewonnen.

Bei all diesen Bemühungen und Herausforderungen wird deutlich, dass Rechtsstaatlichkeit nicht als gegeben angesehen werden darf und verteidigt werden muss. Die Annahme, dass der Rechtsstaat unangreifbar ist, birgt die große Gefahr, dass rechtsstaatliche Errungenschaften wieder abgebaut werden – auch und gerade durch rechtsstaatlich implementierte Pro- zesse und Gesetze. Das sogenannte Böckenförde-Diktum, nach dem "der freiheitliche, säkulare Staat von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann", scheint aktueller denn je. Es gilt, wachsam zu bleiben.

Laura Gerken