Einleitung
Der Krieg gegen Polen wurde von Anfang an mit besonderer Brutalität geführt. Die Luftwaffe bombardierte polnische Ortschaften und machte sie dem Erdboden gleich. Auch Warschau wurde schwer von Luftangriffen zerstört, sodass die militärische Führung Polens am 27. September angesichts der deutschen Übermacht kapitulierte, nicht zuletzt, um die Hauptstadt vor weiterer Verwüstung zu retten. Die polnische Regierung war schon am 17. September ins Exil gegangen. Am selben Tag gab die sowjetische Führung den Befehl, gemäß dem mit Hitler geschlossenen Pakt in Ostpolen einzumarschieren und dieses Gebiet zu annektieren. Am 28. September schlossen Deutschland und die Sowjetunion einen Grenz- und Freundschaftsvertrag, der die Teilung Polens besiegelte.
Noch war sich die deutsche Führung nicht darüber im Klaren, wie genau sie das eroberte Polen aufteilen wollte. Wie Alfred Rosenberg in seinem politischen Tagebuch notierte, erklärte Hitler ihm gegenüber am 29. September, das polnische Gebiet in drei Streifen teilen zu wollen: "1. Zwischen Weichsel und Bug: das gesamte Judentum (auch a. d. Reich) sowie alle irgendwie unzuverlässigen Elemente. An der Weichsel einen unbezwingbaren Ostwall – noch stärker als im Westen. 2. An der bisherigen Grenze ein breiter Gürtel der Germanisierung und Kolonisierung. Hier käme eine große Aufgabe für das gesamte Volk: eine deutsche Kornkammer zu schaffen, starkes Bauerntum, gute Deutsche aus aller Welt umzusiedeln. 3. Dazwischen eine polnische ‚Staatlichkeit’. Ob nach Jahrzehnten der Siedlungsgürtel vorgeschoben werden kann, muß die Zukunft erweisen.“ Die Entscheidung fiel wenig später. Statt einer "polnischen Staatlichkeit“ wurde für Zentralpolen eine deutsche Besatzungsverwaltung, das sogenannte Generalgouvernement, unter der Führung von Hans Frank gebildet. Die westlichen Gebiete Polens, ein Territorium mit rund zehn Millionen Menschen, die zu 80 Prozent Polen waren, wurden annektiert, zu den neuen Reichsgauen Wartheland und Danzig-Westpreußen erklärt und sollten "germanisiert“ werden. Das bedeutete, dass die polnische Führungsschicht, wie der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich es ausdrückte, "so gut wie möglich unschädlich gemacht“, also verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt oder erschossen werden sollte. Die restliche polnische Bevölkerung sollte vertrieben oder als Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Die in den annektierten Gebieten lebenden Juden sollten ausnahmslos in ein "Judenreservat“ im Generalgouvernement deportiert werden.
Vier Einsatzgruppen der SS und Polizei waren aufgestellt worden, die der Wehrmacht dicht auffolgten und zusammen mit bewaffneten Milizen der volksdeutschen Minderheit Zehntausende von Polen töteten. Der polnische Historiker Bogdan Musial geht davon aus, dass bis zum Jahresende 1939 im deutschen Herrschaftsbereich weit mehr als 45 000 polnische Zivilisten ermordet wurden, darunter etwa 7000 Juden.
Auch die Wehrmacht war an den Morden beteiligt. Bei den deutschen Truppen war die Befürchtung, auf polnische Widerständler zu stoßen, groß. Das Oberkommando der Wehrmacht hatte in einem Merkblatt zum sogenannten polnischen Nationalcharakter Ende August unter anderem festgehalten: "Er [der Pole] ist willkürlich und rücksichtslos gegen andere. Grausamkeiten, Brutalität, Hinterlist und Lüge sind Kampfmittel, die er an Stelle der ruhigen Kraft in der Erregung gebraucht.“ In Cze˛stochowa/Tschenstochau kam es nach der Einnahme der Stadt durch die Wehrmacht am 4. September 1939 zu Schießereien, bei denen sich offenbar Soldaten auch untereinander beschossen und acht Soldaten ums Leben kamen. Die Wehrmacht riegelte das Stadtviertel ab, in dem die Schüsse gefallen waren, durchsuchte die Häuser und nahm etwa 10 000 Einwohner fest. Wer den Anschein von Widerstand zeigte, wurde auf der Stelle erschossen. Der offizielle Wehrmachtsbericht sprach von 99 Toten; bei einer späteren Exhumierung wurden 227 Leichen, Männer, Frauen und Kinder, gefunden.
Ebenso beteiligten sich Wehrmachtssoldaten an den Gewalttaten gegen Juden, zumal insbesondere die jüdische Bevölkerung für angebliche Sabotageakte und Angriffe verantwortlich gemacht wurde. So erreichte eine Luftaufklärungseinheit der 10. Armee am 12. September die Stadt Kon´skie, um vier gefallene deutsche Soldaten zu beerdigen, die angeblich verstümmelt worden waren. Etwa 40 bis 50 jüdische Männer wurden festgenommen, und ihnen wurde befohlen, Gräber auszuheben. Während die Juden gruben, schlugen und misshandelten die Soldaten sie. Als die Männer glaubten, gehen zu können, und fortliefen, schoss ein Leutnant auf die Fliehenden, woraufhin auch die anderen Soldaten das Feuer eröffneten und insgesamt 22 Juden töteten.
Der spätere Publizist Marcel Reich-Ranicki, der die deutsche Invasion in Warschau erlebte, schildert in seinen Memoiren, wie deutsche Soldaten sich einen Spaß daraus machten, Juden zu jagen, orthodoxen Juden die Bärte abzuschneiden oder gar anzuzünden, ihnen auf offener Straße zu befehlen, die Hosen herunterzulassen, um zu sehen, ob sie beschnitten waren oder nicht. Meist abends fanden Häuserrazzien statt, bei denen sich deutsche Soldaten schamlos bereicherten und an Wertsachen raubten, was ihnen in die Hände kam. "Jeder Deutsche, der eine Uniform trug und eine Waffe hatte, konnte in Warschau mit einem Juden tun, was er wollte. Er konnte ihn zwingen, zu singen oder zu tanzen oder in die Hosen zu machen oder vor ihm auf die Knie zu fallen und um sein Leben zu flehen. Er konnte ihn plötzlich erschießen oder auf langsamere, qualvollere Weise umbringen. […] Den Deutschen, die sich diese Späße leisteten, verdarb niemand das Vergnügen, niemand hinderte sie, Juden zu misshandeln und zu morden, niemand zog sie zur Verantwortung. Es zeigte sich, wozu Menschen fähig sind, wenn ihnen unbegrenzte Macht über andere Menschen eingeräumt wird.“
Noch gab es aber auch Widerspruch in der Armee. Generaloberst Johannes Albrecht Blaskowitz ließ die Meldungen über Misshandlungen und Gewalttaten an Juden und Polen sammeln und verfasste verschiedene Denkschriften an den Oberbefehlshaber des Heeres, in denen er gegen die Gewalt an wehrlosen Zivilisten protestierte: "Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen, die in Polen von Angehörigen des Reiches und Vertretern der Staatsgewalt begangen werden.“ Sein Protest indes verhallte, ohne dass er die Wehrmachtsführung zu einer Änderung ihrer Haltung bewegt hätte. Er selbst wurde auf Drängen des Generalgouverneurs Hans Frank als Befehlshaber in Polen abgelöst und an die Westfront versetzt.
Siedlung und Vertreibung
In den Verträgen mit der Sowjetunion war unter anderem geregelt, dass die deutschen Minderheiten in der Sowjetunion, vor allem aus dem Baltikum und der Ukraine, in das Deutsche Reich umgesiedelt werden sollten. Mehrere hunderttausend Menschen sollten nun in den zu "germanisierenden“ westpolnischen Gebieten angesiedelt werden. Hitler betraute am 7. Oktober 1939 den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler mit dieser Aufgabe. Sie umfasste, wie es in Hitlers Erlass hieß, sowohl die "Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen im Ausland“ als auch die "Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten“, sowie die "Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung, im Besonderen durch die Seßhaftmachung der aus dem Ausland heimkehrenden Reichs- und Volksdeutschen“. Als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, wie er sich selbst nannte, fiel Himmler damit eine neue, umfassende Macht zu, die für die Radikalisierung der Gewalt nicht unterschätzt werden darf. Denn er war nicht nur für die "Umsiedlung“ und "Ansiedlung“ der deutschen Minderheiten, sondern auch für die "Aussiedlung“ von "Fremdvölkischen“ und "Volksfremden“ verantwortlich. Kurze Zeit später gab er das Ziel vor: Aus den westpolnischen Provinzen Danzig-Westpreußen, Posen und Ostoberschlesien sollten sämtliche rund 550 000 Juden und die "besonders feindliche polnische Bevölkerung“ in das Generalgouvernement deportiert werden, insgesamt nahezu eine Million Menschen.
Obwohl rasch deutlich wurde, dass diese Vorgaben die vorhandenen Transport- wie Aufnahmekapazitäten weit überschritten, hielt die SS unerbittlich an dem Ziel fest, Polen und Juden aus den zu "germanisierenden“ Gebieten zu vertreiben. Tatsächlich wurden bis zum 17. Dezember 1939 bereits 88 000 Menschen unter unsäglichen Bedingungen in das Generalgouvernement deportiert: in ungeheizten Viehwaggons, ohne Verpflegung, oftmals sogar ohne Trinkwasser. Generalgouverneur Hans Frank sprach die deutsche Haltung Ende November in brutaler Offenheit aus: "Der Winter wird hier ein harter Winter werden. Wenn es kein Brot gibt für Polen, soll man nicht mit Klagen kommen. […] Bei den Juden nicht viel Federlesens. Eine Freude, endlich einmal die jüdische Rasse körperlich angehen zu können. Je mehr sterben, umso besser.“
Allerdings standen den Deportationen Hindernisse entgegen. Die Reichsbahn konnte nicht genügend Züge zur Verfügung stellen, und die Behörden des Generalgouvernements klagten bald, dass die ankommenden Menschen nicht untergebracht werden könnten. Anfang Oktober 1939 versuchte die SS-Führung, über die Vertreibung der polnischen Juden hinaus auch die Verschleppung tschechischer und österreichischer Juden zu organisieren. Unter Leitung von Adolf Eichmann, der bei dieser Aktion seine ersten Erfahrungen als künftiger Experte für Deportationen des Reichssicherheitshauptamtes sammelte, wurden etwa 1500 Menschen aus Wien und rund tausend aus Mährisch-Ostrau nach Nisko am San verschleppt und die meisten von ihnen über den Fluss auf das sowjetische Besatzungsgebiet getrieben. Allerdings beanspruchte kurz darauf die Ankunft der Volksdeutschen aus dem Baltikum und Galizien die ganze Aufmerksamkeit des SS-Apparates in Polen und beendete die Nisko-Aktion, bevor sie richtig begonnen hatte.
Wo jedoch Vertreibungen möglich waren, wurden sie realisiert. Ende Januar 1940 kündigte Heydrich die Deportation der gesamten jüdischen Gemeinde aus Stettin an, etwa tausend Menschen, weil man Platz für die Baltendeutschen brauche. Vierzehn Tage später wurden die Stettiner Juden in der Nacht zusammengetrieben und unter grausamen Bedingungen in den Bezirk Lublin verschleppt. Bei minus 22 Grad und im tiefen Schnee mussten diese Menschen zu Fuß dorthin marschieren, wurden nur unzureichend verpflegt, sodass innerhalb von vier Wochen nahezu ein Drittel von ihnen umkam. Nachrichten über die Umstände dieser Deportationen erschienen in der Weltpresse, was dazu beigetragen haben mag, dass Göring am 23. März 1940 "bis auf weiteres alle Evakuierungen“ in das Generalgouvernement untersagte.
Die Idee eines "Judenreservats“ war vorerst gescheitert; die jüdische Bevölkerung im Wartheland wurde nun in Łodz´ und anderen Städten in Gettos zusammengepfercht, und auch im Generalgouvernement begann die deutsche Besatzungsverwaltung im Herbst 1940, Gettos in den größeren Städten einzurichten. In den annektierten westpolnischen Gebieten verfügte Göring, dass alles polnische und jüdische Eigentum entschädigungslos beschlagnahmt werde und nunmehr von der Haupttreuhandstelle Ost verwaltet würde. Die polnische Bevölkerung selbst sollte in erster Linie als Reservoir für den Arbeitseinsatz in Deutschland dienen. Generalgouverneur Frank teilte den Ortschaften feste Quoten zu, die erfüllt werden mussten. Oftmals umzingelten deutsche Polizeieinheiten ein Dorf und verhafteten die jungen Männer für den Arbeitseinsatz in Deutschland. Im Sommer 1940 arbeiteten rund 700 000 Polinnen und Polen im Deutschen Reich, nur ein Bruchteil von ihnen freiwillig.
In den sowjetisch besetzten ostpolnischen Gebieten ging das stalinistische Regime ebenfalls brutal gegen die Bevölkerung vor. Schon 1937/38 waren auf dem Gebiet der Sowjetunion in der sogenannten polnischen Operation über 144 000 Menschen der Spionage für Polen angeklagt und 111 000 von ihnen erschossen worden. Nunmehr war die stalinistische Polizei ebenso wie die SS-Führung bestrebt, die polnische Führungsschicht zu vernichten. Mehr als 381 000 Menschen wurden zwischen Februar 1940 und Juni 1941 aus dem sowjetisch besetzten Ostpolen nach Sibirien und Zentralasien deportiert, das polnische Offizierskorps, das sich vor dem deutschen Angriff in die Sowjetunion zu retten geglaubt hatte, verhaftet. 15 000 polnische Offiziere wurden im April und Mai 1940 von der sowjetischen Geheimpolizei erschossen, darunter rund 4500 im Wald von Katyn (siehe auch IzpB 310 "Polen“, S. 9). Westpolnische Juden, die gehofft hatten, Zuflucht vor der Verfolgung durch die Deutschen gefunden zu haben, wurden an die Deutschen ausgeliefert.
Kriegsalltag und Widerstand in Deutschland
Im Deutschen Reich war von der Not der Bevölkerung im besetzten Polen nichts zu spüren. Zwar galt eine Rationierung von Lebensmitteln, und Ende August 1939 waren erste Lebensmittelkarten ausgeteilt worden. Aber Brot und Mehl blieben in den ersten vier Wochen, Quark bis Ende 1940, Kartoffeln, Gemüse und Obst bis 1941 frei verkäuflich. Noch war die Erfahrung des Mangels aus dem Ersten Weltkrieg durchaus gegenwärtig. In den Deutschlandberichten der Exil-SPD vom November 1939 ist die Beobachtung zu lesen, "dass die Nazis die Rationierungsmaßnahmen mit großem psychologischem Geschick ins Werk gesetzt haben. Sie haben zweifellos aus den Erfahrungen des letzten Krieges gelernt, dass mehr noch als der Mangel selbst, die Ungerechtigkeit in der Verteilung die Gemüter erregt. [...] Zunächst hat die sofortige Einführung der Karten und Bezugsscheine einen starken Schock ausgelöst. Aber diese Schockwirkung legte sich bald, als sich herausstellte, dass die allgemein gehegte Angst vor einer schnellen Verknappung sich als unbegründet erwies.“
Mit der Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 wurden die Zuschläge für Überstunden-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit abgeschafft und dadurch die Bruttolöhne spürbar gekürzt. Auch trat eine Steuererhöhung in Kraft, von der allerdings aufgrund von Ausnahmebestimmungen die Mehrzahl der Lohnsteuerpflichtigen ausgenommen war. Zusätzlich wurden die Verbrauchsteuern auf Bier, Tabak und Spirituosen erhöht. Die Streichung der Zulagen stieß sofort bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF), aber auch bei einigen NSDAP-Gauleitern auf Kritik und führte zu heftigen internen Diskussionen. Die Sorge um die Loyalität der Arbeiter ließ die NS-Führung daraufhin eine Kehrtwende vollziehen. Am 12. Oktober wurden die Löhne und Gehälter auf dem vormaligen Niveau festgeschrieben und einen Monat später auch wieder die Zuschläge gewährt. Vom 1. Januar 1940 an galt dann der Zehnstundentag als Regelarbeitszeit, was wiederum Überstundenzuschläge bei Mehrarbeit ermöglichte. Die eingezogenen Soldaten erhielten zwar einen Wehrsold, der in der Regel deutlich unter dem bisherigen Verdienst lag, dafür wurde aber zusätzlich ein Familienunterhalt bezahlt, der sich an den "bisherigen Lebensverhältnissen“ orientieren sollte, damit durch den Militärdienst das Haushaltseinkommen der Familie nicht gemindert würde. Zudem bot der Dienst in den besetzten Gebieten reichlich Gelegenheit, Lebensmittel und andere Waren zu beschlagnahmen oder billig zu kaufen und nach Hause zu schicken.
Die Konsummöglichkeiten im Reich sollten nach dem Willen der NS-Führung in keinem Fall ausgebaut, sondern zugunsten der Kriegsfinanzierung eingeschränkt bleiben. Entsprechend wuchsen die Sparguthaben mit den Geldern, die nicht ausgegeben werden konnten, überdurchschnittlich an, was die NS-Führung nicht ungern sah. Denn damit standen weitere finanzielle Mittel zur Finanzierung des Krieges zur Verfügung, die das Regime ebenso heimlich wie rücksichtslos plünderte. Die Sparkassen erhielten Schuldverschreibungen, die zwar formal die Sparguthaben sicherten. Aber faktisch wurden Millionen von Sparern kalt enteignet, was den Betroffenen allerdings erst nach dem Ende des "Dritten Reiches" klar wurde.
Hitlers Popularität blieb zunächst ungebrochen. Erschütterung und Erleichterung meldeten die Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS (SD) als Reaktion der Bevölkerung auf das fehlgeschlagene Bombenattentat von Georg Elser im Münchner Bürgerbräu-Keller am 8. November 1939 (siehe unten), dem Hitler nur durch Zufall entging. Während sich die katholische Kirche mit einer offiziellen Stellungnahme zunächst zurückhielt, verurteilte die evangelische Kirche das Attentat sofort scharf. Mancherorts fanden sogar Dankgottesdienste für Hitlers Überleben statt. Später gratulierte selbst Pius XII., der vormalige Nuntius (ständiger diplomatischer Vertreter) des Vatikans in Deutschland, Hitler zu seiner Rettung, und in den katholischen Bistumszeitungen war zu lesen, dass sich die katholischen Christen mit dem ganzen deutschen Volk einig seien, Gott möge "Führer und Volk“ schützen.
Besetzung Westeuropas
Zwar hatten Großbritannien und Frankreich nach dem Angriff auf Polen Deutschland am 3. September 1939 den Krieg erklärt – aber er wurde nicht geführt. Es gab keine militärischen Aktionen an der Westfront, um den Kampf der polnischen Armee zu entlasten. Und nach der Kapitulation Polens fanden sich weder Frankreich noch Großbritannien bereit, Deutschland anzugreifen. Doch für die deutsche Führung war die Hegemonie auch in Westeuropa unverzichtbar. Anfang April 1940 landeten deutsche Truppen in Dänemark und Norwegen, um eine befürchtete britische Truppenlandung zu verhindern und den Import des unentbehrlichen Eisenerzes aus Schweden für die deutsche Rüstungsproduktion zu sichern. Obwohl sich ein Großteil der Generalität gegen einen Westfeldzug wandte, weil sie eine Wiederholung des Desasters des Ersten Weltkrieges befürchtete, setzte sich Hitler durch. Angesichts der stark befestigten Maginot-Linie Frankreichs wurden die begrenzten Ressourcen des deutschen Militärs in einem überraschenden Angriff durch die Ardennen konzentriert. Belgien und die Niederlande konnten somit binnen weniger Tage erobert und die französischen und britischen Truppen bis in den Raum Dünkirchen und an die Küste zurückgedrängt werden. Da die deutsche Angriffsarmee kurze Zeit innehielt, gelang es Großbritannien, über 338 000 französische und britische Soldaten vor der drohenden Gefangennahme über den Ärmelkanal zu evakuieren. Die nunmehr zahlenmäßig überlegenen deutschen Truppen schlugen die französische Armee entscheidend und zogen am 14. Juni in Paris ein. Innenpolitisch war Frankreich tief gespalten zwischen denjenigen, die den Krieg, gestützt auf die Truppen in den Kolonien, fortsetzen wollten, und denjenigen, die auf die Überlegenheit NS-Deutschlands mit Resignation reagierten. Am 17. Juni schließlich bot Marschall Philippe Pétain, der die französische Regierung leitete, den Waffenstillstand an.
Hitler ließ sich die öffentliche symbolische Revanche nicht entgehen und beorderte die französische Delegation in eben jenen Eisenbahnwaggon, in dem 1918 die Deutschen vom damaligen französischen Marschall Ferdinand Foch die Waffenstillstandsbedingungen diktiert bekommen hatten. Doch nahmen sich die deutschen Bedingungen des Jahres 1940 moderat aus, da die NS-Führung verhindern wollte, dass sich die französische Flotte und die Truppen in den Kolonien auf die Seite Großbritanniens schlugen und gegen Deutschland weiterkämpften. Somit kamen nur der Norden Frankreichs und die Atlantikküste unter deutsche Militärverwaltung, während eine französische Regierung unter Pétain mit Sitz in Vichy die Kontrolle über den unbesetzten Süden sowie über die Flotte und die Kolonien behielt. "Vichy“ wurde zum Synonym für die Kollaboration großer Teile der französischen Verwaltung, insbesondere der Polizei, mit dem deutschen Besatzungsregime. Die französischen Kommunisten waren wegen des Hitler-Stalin-Paktes in die stalinistische Politik eingebunden und angewiesen, keine Angriffe gegen Deutsche zu unternehmen. Erst nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 gingen die Kommunisten in den Widerstand und unterstützten die Résistance in Frankreich nach Kräften.
Das Deutsche Reich verfügte nun in Frankreich, Belgien und Luxemburg über bedeutende Stahlindustrien und Waffenfabriken, wichtige Eisenerz- und Kohlelager, Devisen- und Goldvorräte sowie ein Einflussgebiet, in dem insgesamt 290 Millionen Menschen lebten. Werte von nicht weniger als 154 Milliarden Francs raubten die Deutschen allein aus Frankreich, darunter Tausende von Lokomotiven und Güterwagen, die sich die Reichsbahn aus französischen Beständen holte. Nicht zuletzt hatten die Deutschen große Bestände von Benzin- und Ölvorräten erbeutet. Zusammen mit den Öllieferungen, die Deutschland im Frühjahr 1940 mit Rumänien vereinbart und sich damit das faktische Monopol auf die rumänischen Ölvorräte gesichert hatte, war die akute Versorgungskrise vorerst gebannt.
Auch der junge Claus Graf von Stauffenberg war vom Westfeldzug begeistert. Der Krieg gegen Frankreich wurde ihm zum Erlebnis immerwährenden Vorwärtsstürmens: "Nach dem Durchbruch durch die Maas-Stellung eine unaufhaltsame Verfolgung bis dicht ans Meer“, schrieb er an seine Frau. "Persönlich geht es uns ausgezeichnet; die Vorräte des Landes genießen wir in vollen Zügen und gleichen so etwas den mangelnden Schlaf aus. Eier zum Frühstück, herrliche Bordeaux, Burgunder und Heidsieck, so daß sich das Sprichwort ‚Leben wie der Herrgott in Frankreich‘ durchaus bewahrheitet.“ Ebenso deuteten seine Eindrücke aus Polen im Herbst 1939 keineswegs auf die spätere Widerstandshaltung hin: "Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“
Mit dem Sieg über Frankreich erreichte der "Hitler-Mythos“ zweifellos seinen Höhepunkt. Dass sich das Schreckensszenario der Westfront des Ersten Weltkrieges nicht wiederholte, sondern die deutsche Armee den "Erzfeind“ Frankreich innerhalb kürzester Zeit besiegte, löste im Reich ungeheure Erleichterung und Jubel aus. Anlässlich des Falls von Paris wurden überall die Fahnen gehisst und die Glocken geläutet. General Wilhelm Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, wird der Ausspruch zugeschrieben, dass Hitler "der größte Feldherr aller Zeiten“ sei, was dann unter der Hand rasch als "Gröfaz“ verballhornt wurde.
Im faktisch annektierten Elsass-Lothringen führte die deutsche Besatzungsmacht eine rigorose "Germanisierungspolitik“ durch. SS und Polizei trieben die dort lebenden Juden zusammen und schoben sie über die Grenze in das unbesetzte Frankreich ab. Ende September forderte Hitler von seinen beiden Gauleitern Josef Bürckel und Robert Wagner, die für das besetzte Elsass-Lothringen zuständig waren, sie hätten ihm in zehn Jahren zu melden, dass ihre Gebiete "deutsch, und zwar rein deutsch“ seien, und er werde nicht danach fragen, "welche Methoden sie angewandt hätten, um das Gebiet deutsch zu machen“. Allein aus dem Elsass wurden bis November 1940 105 000 Menschen, aus Lothringen etwa 50 000 Menschen, darunter alle lothringischen Juden, deportiert.
Dennoch war die Kehrseite des Triumphs nicht zu verbergen. 11 000 deutsche Soldaten waren im Krieg gegen Polen gefallen, 30 000 verwundet worden; der Westfeldzug hatte 43 000 deutschen Soldaten das Leben gekostet, 150 000 waren verwundet worden, über 26 000 galten als vermisst. Ferner wurde Deutschland nun das Ziel britischer Luftangriffe. In den Nächten zum 11., 12. und 16. Mai 1940 bombardierten britische Flugzeuge Dortmund, Mönchengladbach und andere Orte im Ruhrgebiet. Mitte Juni erfolgten Angriffe auf Bremen und Hamburg, wobei neben erheblichem Sachschaden auch zahlreiche Tote unter der Zivilbevölkerung zu beklagen waren. Hatte der SD im Frühjahr noch gemeldet, dass die Bombenangriffe "keine ernsthafte Beunruhigung unter der Bevölkerung“ hervorgerufen hätten, klangen die Meldungen im Sommer bereits besorgter. Nach den Angriffen auf Düsseldorf und andere rheinisch-westfälische Städte im Juni 1940 sei die Bevölkerung heftig aufgebracht gewesen über eine zu frühzeitige Entwarnung. "Im allgemeinen tröstet man sich mit der Erwartung, daß es nun bald ein Ende mit diesen Angriffen haben werde.“ Dieser Optimismus nährte sich aus der Hoffnung, dass nach Frankreich nun auch England rasch angegriffen und besiegt würde. Jedoch machte die Insellage eine Landung von Bodentruppen zu einem riskanten Unternehmen. Stattdessen wollte die NS-Führung Großbritannien durch Luftangriffe zur Aufgabe zwingen.
QuellentextEin Einzelkämpfer: Georg Elser
Georg Elser (1903-1945) stammte aus einfachen Verhältnissen. Der Vater hatte seinen Bauernhof auf der Schwäbischen Alb heruntergewirtschaftet. Als 14-Jähriger begann Elser zunächst eine Eisendreherlehre, brach diese aus gesundheitlichen Gründen ab und fing an, Tischler zu lernen. Seit Mitte der 1920er-Jahre arbeitete er dann bei verschiedenen Firmen in der Bodenseeregion. Er galt als schweigsamer, aber geselliger Mensch, spielte Ziehharmonika und wählte die Kommunisten, „weil ich dachte“, so gab Elser später in der Gestapo-Vernehmung zu Protokoll, „das ist eine Arbeiterpartei, die sich sicher für die Arbeiter einsetzt. Mitglied dieser Partei bin ich jedoch nie gewesen.“
Vor allem sah er klar, dass die Politik der NS-Führung auf den Krieg zusteuerte. Im Herbst 1938 kam Elser zu dem Entschluss, dass der Krieg nur durch ein Attentat auf Hitler verhindert werden könne.
Systematisch ging er zu Werk. Noch im November 1938 inspizierte er den Bürgerbräu-Keller in München, weil er die jährliche Gedenkfeier, an der neben Hitler die gesamte NS-Führung teilnahm, für den Anschlag ausgewählt hatte. Er besorgte sich Sprengkapseln aus einem Steinbruch sowie Armaturen für den Zündmechanismus, baute selbst einen Zeitzünder, fuhr dann im August 1939 nach München und ließ sich 30 Nächte lang im Bürgerbrau-Keller unentdeckt einschließen, um die Säule neben Hitlers Rednerpult vorsichtig zu präparieren. Am 6. November schließlich deponierte er die Bombe und stellte den Zeitzünder auf den Abend des 8. November, 21:20 Uhr ein.
Allerdings herrschte an diesem Abend schlechtes Flugwetter, sodass Hitler nur mit der Bahn zurück nach Berlin fahren konnte und seine Rede deswegen eine halbe Stunde früher begann. Auch war sie deutlich kürzer als üblich. Fünf Minuten nach 21 Uhr verließ Hitler den Saal, eine Viertelstunde später explodierte der Sprengkörper. Von den rund 200 Menschen, die sich in dem Raum befanden, wurden acht getötet und 63 verletzt.
Nur zufällig ging Georg Elser schon am Abend des 8. November ins Netz der Polizei, als er bei dem Versuch, illegal die Schweizer Grenze zu überschreiten, verhaftet wurde. Elser wurde gefoltert und gestand wenige Tage später die Tat. Am 22. November kamen die Zeitungen mit der triumphierenden Schlagzeile heraus: „Der Attentäter gefaßt. Täter: Georg Elser – Auftraggeber: Britischer Geheimdienst.“ Diese Lesart hielt sich bis in die Nachkriegszeit hinein, denn es erschien kaum glaublich, dass ein einfacher Arbeiter imstande gewesen sein sollte, die nationalsozialistische Politik so klarsichtig zu durchschauen und allein auf sich gestellt ein Attentat auf den „Führer“ durchzuführen.
Georg Elser wurde ins KZ Sachsenhausen, später ins KZ Dachau gebracht und noch in den letzten Kriegstagen, am 9. April 1945, ermordet. In der Bundesrepublik dauerte es lange, bis er als Widerstandskämpfer anerkannt wurde. 1998 wurde in seinem Heimatort Königsbronn eine Gedenkstätte eingerichtet. (www.georg-elser-arbeitskreis.de)
Luftkrieg gegen Großbritannien
Anfang August 1940 begann die deutsche Luftwaffe mit Bombardierungen britischer Ziele, um eine Invasion deutscher Truppen vorzubereiten. Aber Hitler fand in Premierminister Winston Churchill, der eine nationale Kriegsregierung aus allen Parteien zusammengestellt hatte, einen hartnäckigen Gegner. England verfügte über eine moderne Luftwaffe, eine mittlerweile leistungsfähige Rüstungsindustrie und konnte der Unterstützung durch die USA gewiss sein. Mit seiner berühmten "Blut, Schweiß und Tränen“-Rede vom 13. Mai 1940 hatte Churchill erfolgreich an die Opferbereitschaft seiner Landsleute appelliert, an ihren Widerstandswillen und die Behauptung der eigenen Freiheit.
Ungeachtet der großen eingesetzten Bomberflotte erlitten die deutschen Flugzeuge empfindliche Verluste, da die britischen Jäger gezielt die abwehrschwachen Bomber ins Visier nahmen und die Zahl der deutschen Jagdflugzeuge für den Schutz der Bomber nicht ausreichte. Zudem befand sich ein Großteil der britischen Luftrüstungsindustrie außerhalb der Reichweite der deutschen Flugzeuge. Als Ende August erkennbar wurde, dass die Kriegsführung, die sich bis dahin auf militärische und wirtschaftliche Ziele konzentriert hatte, erfolglos blieb, befahl die deutsche Führung, die Luftangriffe auf britische Städte, in erster Linie London, auszuweiten. Vor allem die Zivilbevölkerung wurde dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Die Großangriffe und selbst das schwere Bombardement von Coventry in der Nacht vom 14. auf den 15. November konnten jedoch den Widerstandswillen der britischen Bevölkerung nicht brechen, obwohl die Verluste mit 23 000 Toten, darunter fast 3000 Kinder, bis zum Jahresende 1940 sehr hoch waren.
Zudem unterschätzten die deutschen Militärs massiv die britische Flugzeugproduktion, die in der Lage war, immer neue Jagdflugzeuge herzustellen und einzusetzen. Das strategische Ziel, die Luftüberlegenheit zu erreichen, um die Landeoperation deutscher Truppen zu ermöglichen, wurde verfehlt. England war aus der Luft nicht zu besiegen, die Landung musste "bis auf weiteres“ verschoben werden – eine schwere Niederlage für Hitler. Dieser änderte daraufhin die Strategie und entschloss sich, den Krieg um "Lebensraum“ gegen die Sowjetunion, der ursprünglich erst nach der Niederlage Englands beginnen sollte, vorzuziehen, um dann – nach dem sicher geglaubten Sieg über die Rote Armee – England endgültig zur Aufgabe zwingen zu können. Am 18. Dezember 1940 erteilte Hitler die Weisung Nr. 21 (Fall "Barbarossa“) zur Vorbereitung eines Angriffs auf die Sowjetunion.
In einer von vornherein aussichtslosen Aktion versuchte Rudolf Heß, offiziell der "Stellvertreter des Führers“, durch einen Flug nach Großbritannien am 11. Mai 1941 doch noch einen Friedensvertrag mit England zu erreichen. Als Hitler von der eigenmächtigen, nicht mit ihm abgesprochenen Tat erfuhr, war er entsetzt und suchte jeden Eindruck, die deutsche Führung sei gespalten, rasch zu zerstreuen. Während dem deutschen Publikum erklärt wurde, Heß sei geistig verwirrt – was nicht ohne Tücken war, eröffnete sich doch damit die Frage, wieso eine psychisch kranke Person der Stellvertreter Hitlers sein konnte –, gingen die Briten auf das angebliche Friedensangebot Heß’ überhaupt nicht ein, sondern internierten und verhörten ihn. Seine Funktion innerhalb der NSDAP, nunmehr Leitung der Parteikanzlei genannt, nahm Martin Bormann ein.
Noch während die Vorbereitungen für den Krieg gegen die Sowjetunion liefen, zwangen die Fehlschläge der italienischen Armee in Griechenland und Nordafrika den deutschen Verbündeten dazu, die militärisch bedrohte Flanke im Südosten Europas zu sichern. Am 6. April 1941 begann Deutschland den Krieg auf dem Balkan, der, nachdem die Hauptstadt Belgrad durch Luftangriffe verwüstet worden war, mit der Kapitulation Jugoslawiens am 17. April und Griechenlands wenige Tage später endete. Serbien und Griechenland wurden von deutschen Truppen besetzt und durch eine Militärverwaltung beherrscht. In Kroatien, das sowohl von deutschen wie auch von italienischen Truppen besetzt war, entstand eine vom Deutschen Reich abhängige faschistische Regierung, die Ustascha, die in ihrem Gebiet mit brutaler Gewalt gegen Serben, Juden und Roma vorging.
Quellentext„… blood, toil, tears and sweat“
Winston Churchill vor dem britischen Unterhaus am 13. Mai 1940
[…] „it must be remembered that we are in the preliminary stage of one of the greatest battles in history, that we are in action at many points in Norway and in Holland, that we have to be prepared in the Mediterranean, that the air battle is continuous and that many preparations have to be made here at home. In this crisis I hope I may be pardoned if I do not address the House at any length today. I hope that any of my friends and colleagues, or former colleagues, who are affected by the political reconstruction, will make all allowances for any lack of ceremony with which it has been necessary to act. I would say to the House, as I said to those who've joined this government: I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat.
We have before us an ordeal of the most grievous kind. We have before us many, many long months of struggle and of suffering. You ask, what is our policy? I will say: It is to wage war, by sea, land and air, with all our might and with all the strength that God can give us; to wage war against a monstrous tyranny, never surpassed in the dark and lamentable catalogue of human crime. That is our policy. You ask, what is our aim? I can answer in one word: victory. Victory at all costs, victory in spite of all terror, victory, however long and hard the road may be; for without victory, there is no survival. Let that be realised; no survival for the British Empire, no survival for all that the British Empire has stood for, no survival for the urge and impulse of the ages, that mankind will move forward towards its goal.“ […]
http://www.fiftiesweb.com/usa/winston-churchill-blood-toil.htm (zuletzt abgerufen: 30.10.2012)
[…] [„m]an muss aber bedenken, dass wir uns im Anfangsstadium einer der größten Schlachten der Weltgeschichte befinden, dass wir an vielen Punkten Norwegens und Hollands kämpfen, dass wir im Mittelmeer kampfbereit sein müssen, dass der Luftkrieg ohne Unterlass weitergeht und dass wir hier im Lande viele Vorbereitungen treffen müssen. Ich hoffe, man wird mir verzeihen, wenn ich in dieser kritischen Lage mich heute nicht mit einer längeren Aussprache an das Haus wende. Ich hoffe, dass jeder meiner jetzigen oder früheren Kollegen, der von der Regierung berührt wird, den etwaigen Mangel an Förmlichkeit, mit der wir vorgehen mussten, nachsehen wird.
Ich möchte zum Hause sagen, wie ich zu denen sagte, die dieser Regierung beigetreten sind: ‚Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß‘. Wir haben vor uns eine Prüfung der schmerzlichsten Art. Wir haben vor uns viele, viele lange Monate des Kampfes und Leidens. Sie fragen, was unsere Politik ist; ich will sagen: ‚Es ist Krieg zu führen, zu Wasser, zu Land und in der Luft, mit all unserer Macht und mit all der Kraft, die Gott uns geben kann, und Krieg zu führen gegen eine ungeheuerliche Gewaltherrschaft, die nie übertroffen worden ist in der dunklen, beklagenswerten Liste menschlichen Verbrechens.‘ Das ist unsere Politik.
Sie fragen, was unser Ziel ist: ich kann in einem Worte erwidern: es ist der Sieg – Sieg um jeden Preis – Sieg trotz aller Schrecken, Sieg, wie lang und hart auch immer der Weg sein mag, denn ohne Sieg gibt es kein Überleben – seien Sie sich darüber klar – kein Überleben für das Britische Weltreich, kein Überleben für all das, wofür das Britische Weltreich eingetreten ist, kein Überleben für das Drängen und Streben der Zeitalter, dass die Menschheit sich vorwärts bewege ihrem Ziel entgegen.“ […]
http://www.rhetorik-netz.de/rhetorik/index.html (zuletzt abgerufen: 30.10.2012)
Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
Was Hitler mit dem "Lebensraumkrieg“ gegen die Sowjetunion 1941 beabsichtigte, formulierte er unverhohlen in seinen Anweisungen Anfang März 1941 an den Chef des Wehrmachtsführungsstabes Alfred Jodl: "Dieser kommende Feldzug ist mehr als nur ein Kampf der Waffen; er führt auch zur Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen. […] Die jüdisch-bolschewistische Intelligenz, als bisheriger ‚Unterdrücker‘ des Volkes, muß beseitigt werden.“ Von Anfang an planten NS- und Wehrmachtsführung einen verbrecherischen Krieg gegen die sowjetische Bevölkerung. Der "Kommissarbefehl“, demzufolge alle politischen Offiziere der Roten Armee nicht gefangen genommen, sondern sofort erschossen werden sollten, durchbrach ebenso alle geltenden Kriegsrechtsregeln wie der Befehl, dass deutsche Soldaten, die sich gewalttätiger Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung schuldig gemacht hätten, nicht vor ein Kriegsgericht zu stellen seien.
QuellentextKommissarbefehl
[Stempel:] Geheime Kommandosache. Oberkommando der Wehrmacht, F.H.Qu., den 6.6.1941
WFSt/Abt. L. (IV/Qu), [Stempel:] Chefsache! Nur durch Offizier!
Nr. 44 822/41 g.K.Chefs., 20 Ausfertigungen, [handschriftlich:]
18. Ausfertigung
Im Nachgang zum Führererlaß vom 14.5. über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa“ (OKW/WFSt/Abt. L (IV/Qu) Nr. 44718/41 g.Kdos.Chefs.) werden anliegend „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ übersandt.
Es wird gebeten, die Verteilung nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bezw. Luftflottenchefs vorzunehmen und die weitere Bekanntgabe an die Befehlshaber und Kommandeure mündlich erfolgen zu lassen. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
I. A.
gez. Warlimont
[…]
Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare.
Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine haßerfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten.
Die Truppe muss sich bewusst sein:
1.) In diesem Kampfe ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch. Sie sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle Befriedung der eroberten Gebiete.
2.) Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort und ohne weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden.
Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen. […]
www.ns-archiv.de/krieg/1941/kommissarbefehl.php
(zuletzt abgerufen: 30. 10. 2012)
Da die NS- und Wehrmachtsführung damit rechnete, dass die Angriffsarmee aus drei Millionen deutschen Soldaten, die rasch voranmarschieren sollten, nicht mit den herkömmlichen Nachschublinien würde verpflegt werden können, lautete die Anweisung, die Soldaten sollten sich aus dem Land selbst ernähren. Da auch in der Sowjetunion nur begrenzte Ernährungsressourcen zur Verfügung standen, hieß dies, wie eine Staatssekretärsbesprechung in Berlin im Mai 1941 festhielt, dass "zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“ Hitler selbst erklärte, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleichmachen zu wollen, "um zu verhindern, dass Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten“.
Selbst General Erich Hoepner, der später aktives Mitglied des militärischen Widerstandes gegen Hitler werden sollte, formulierte in seinem Aufmarschbefehl vom 2. Mai 1941: "Der Krieg gegen Russland ist die zwangsläufige Folge des uns aufgedrungenen Kampfes um das Dasein. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muß die Zertrümmerung des heutigen Russlands zum Ziel haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden.“
Am 22. Juni 1941 griff die deutsche Wehrmacht mit drei Millionen Soldaten, verstärkt durch weitere rund 600 000 Soldaten der verbündeten Mächte, die Sowjetunion an. Deren Führung war offenkundig von dem Angriff überrascht worden; die Verteidigungslinien brachen rasch zusammen, und die deutschen Armeen konnten innerhalb weniger Wochen weit in die Sowjetunion vordringen und in großen Kesselschlachten Millionen Rotarmisten gefangen nehmen. Der Sieg schien in greifbarer Nähe zu sein.
Um die Versorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen kümmerte sich die Wehrmachtsführung nicht. Schon beim Marsch in die Lager starben Zehntausende; innerhalb der Lager wurden die Kriegsgefangenen nur unzureichend untergebracht, häufig auf freiem Feld, in das sich die Rotarmisten selbst Erdhöhlen graben mussten. Bis in den September 1941 hinein waren die Lebensmittelrationen noch einigermaßen ausreichend, dann entschieden Wehrmachtsführung und Ernährungsministerium, die Rationen drastisch zu senken sowie die erschöpften und unterversorgten Kriegsgefangenen buchstäblich verhungern zu lassen. Mehr als die Hälfte der 3,7 Millionen sowjetischen Soldaten, die 1941 gefangen genommen worden waren, starb bis zum Frühjahr 1942 – ein Verbrechen, für das in erster Linie die Wehrmacht verantwortlich war.
Heinrich Himmler und die SS erhielten "Sonderaufgaben im Auftrage des Führers“, die sich "aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme“ ergaben, wie es in den Richtlinien des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) hieß. Neben den berüchtigten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD wurden zahlreiche weitere Einheiten der Ordnungspolizei und der Waffen-SS aufgestellt, die den Höheren SS- und Polizeiführern (HSSPF) unterstanden, die die Mordeinsätze anordneten und koordinierten. Die Einsatzkommandos, so Reinhard Heydrich in einem Schreiben vom 2. Juli 1941 an die HSSPF, hätten "alle diejenigen Fahndungs- und Exekutionsmaßnahmen zu treffen, die zur politischen Befriedung der besetzten Gebiete erforderlich sind“. Die Kommandos hatten demnach weitgehend freie Hand, um jeweils selbstständig vor Ort Entscheidungen zu treffen. Auf einen Befehlsnotstand, wie es SS-Täter nach dem Krieg vor Gericht taten, konnten sich diese Männer nicht berufen. Konkret gab Heydrich an, dass folgende Personengruppen zu erschießen seien: "alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstigen radikalen Elemente (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.)“.
Damit umriss er recht präzise den Feind, den die Einsatzkommandos vernichten sollten: den "jüdischen Bolschewisten“. Es ging ähnlich wie in Polen 1939 um die Liquidierung der politischen Führungsschicht, um die Ermordung der kommunistischen Funktionäre und der Juden in Verwaltung, Staat und Partei, von denen die antisemitischen Täter im Reichssicherheitshauptamt wie selbstverständlich annahmen, dass sie die personelle Trägerschicht des Bolschewismus darstellten. Die Juden waren aus nationalsozialistischer Sicht die Feinde per se, die die "Sicherheit“ bedrohten und die "Befriedung“ der eroberten Gebiete gefährdeten. Von ihnen ging angeblich die größte Gefahr aus, die letztlich nur durch ihre Vernichtung wirksam bekämpft werden konnte. "Wo der Jude ist, ist der Partisan, und wo der Partisan ist, ist der Jude“, lautete der Merksatz eines Wehrmachtslehrgangs zur Partisanenbekämpfung im September 1941 im weißrussischen Mogilew.
In den ersten Wochen richteten sich die Mordaktionen der SS-Einsatzgruppen vornehmlich gegen jüdische Männer, aber auch Frauen und Kinder wurden nicht verschont. So trieben etwa in Bialystok Angehörige eines Polizeibataillons am 27. Juni 1941 circa 2000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – in die örtliche Synagoge und zündeten diese an, sodass die Menschen bei lebendigem Leib verbrannten. Im Laufe des Sommers weitete sich die Vernichtung auf ganze jüdische Gemeinden, einschließlich der Frauen, Kinder und alten Menschen, aus. Im ukrainischen Kamenez-Podolsk ermordeten Einheiten des Höheren SS- und Polizeiführers Friedrich Jeckeln Ende August über 26 000 Juden, Ende September wurden an nur zwei Tagen in der Schlucht von Babij Jar bei Kiew mehr als 33 000 Menschen durch SS und Polizei erschossen. Pioniere der Wehrmacht sprengten anschließend die Ränder der Schlucht, um die Leichen unter dem Schutt zu begraben.
Deutsche Soldaten beteiligten sich an den Mordtaten gegen die Zivilbevölkerung, sicherten die Erschießungsstätten ab, brannten ganze Dörfer nieder, raubten den Bauern Lebensmittel, vergewaltigten Frauen und fotografierten zuhauf die Hinrichtungen angeblicher Partisanen. "Wenn man diese primitiven Verhältnisse nicht mit eigenen Augen gesehen hat“, schrieb der Soldat Hans-Albert Giese am 12. Juli 1941, "kann man nicht glauben, dass es so etwas noch gibt. […] Die Viehställe bei uns sind manchmal Gold gegenüber der besten Stube bei diesen ‚Waldheinis‘ von Russen. Das ist vielleicht ein Pack, schlimmer als die Zigeuner.“ Derlei Überheblichkeit gegenüber der Zivilbevölkerung, die als "Untermenschen“ betrachtet wurden, gegen die jedes Mittel zur Beherrschung gerechtfertigt sei, findet sich in zahllosen Feldpostbriefen einfacher Soldaten.
Ende 1941 lebte im Baltikum nur noch ein Bruchteil der einstmals 230 000 litauischen und 70 000 lettischen Juden. Bis März 1942 ermordeten SS und Polizei wie auch die Wehrmacht nahezu 600 000 Menschen in den eroberten Gebieten der Sowjetunion, Juden ebenso wie Roma und Sinti oder Kommunisten. In der Perspektive der SS- und Wehrmachtsführungen entledigte man sich damit der "überzähligen Esser“ und schuf "Sicherheit“ in den schwer zu kontrollierenden Orten auf dem Land, während in den Gettos der größeren Städte die dort zusammengepferchten, als arbeitsfähig eingestuften jüdischen Menschen vorerst vom Tod ausgenommen wurden, um Zwangsarbeit zu verrichten.
Die SS plante indes weiter. Kurz vor dem Angriff gab Himmler als "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ einen umfassenden Plan zur Besiedlung der neu eroberten Gebiete in der Sowjetunion in Auftrag. Dieser "Generalplan Ost“ sah vor, dass 80 bis 85 Prozent der polnischen Bevölkerung, 64 Prozent der Ukrainer und 75 Prozent der Weißrussen aus ihrer Heimat "entfernt" werden sollten, sei es durch Hunger, durch Vertreibung oder Umsiedlung in unwirtliche Gegenden am Eismeer. Die annektierten westpolnischen Gebiete, das Generalgouvernement, Lettland, Estland und große Teile Ostmitteleuropas sollten innerhalb von 20 Jahren vollständig deutsch werden. Insgesamt sollten mindestens 31 Millionen Menschen entweder deportiert, vertrieben oder ermordet werden. Darunter war die jüdische Bevölkerung gar nicht mehr erwähnt, von ihrer Vernichtung ging dieser Plan bereits wie selbstverständlich aus.
Der Angriff der deutschen Armeen geriet nach anfänglichen Erfolgen bald ins Stocken. Der Feldzug war als "Blitzkrieg“ geplant, die Rote Armee sollte innerhalb weniger Monate bis spätestens zum Herbst niedergeschlagen sein. Entsprechend waren die Soldaten nur mit Sommerkleidung ausgestattet, die Munitionsvorräte reichten für maximal zwölf Monate, eine personelle Reserve der deutschen Truppen war nicht vorbereitet. Anfänglich gelang es der Wehrmacht, in groß angelegten Kesselschlachten Millionen sowjetischer Soldaten gefangen zu nehmen und rasch in das sowjetische Gebiet vorzustoßen.
Die sowjetische Armee erwies sich jedoch als kampfstärker als angenommen. Zudem war es der sowjetischen Führung gelungen, wichtige Produktionsanlagen vor dem deutschen Vormarsch abzubauen und in das Hinterland zu verlagern, sodass die Rüstungsproduktion aufrechterhalten werden konnte. Im August bekannte der Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, in seinem Kriegstagebuch, dass der "Koloß Russland, der sich bewusst auf den Krieg vorbereitet hat, mit der ganzen Hemmungslosigkeit, die totalitären Staaten eigen ist, von uns unterschätzt worden ist. […] Wir haben bei Kriegsbeginn mit etwa 200 feindlichen Div[isionen] gerechnet. Jetzt zählen wir bereits 360. Diese Div[isionen] sind sicherlich nicht in unserem Sinne bewaffnet und ausgerüstet, sie sind taktisch vielfach ungenügend geführt. Aber sie sind da. Und wenn ein Dutzend davon zerschlagen wird, dann stellt der Russe ein neues Dutzend hin.“
Deutsche Truppen standen im Baltikum, belagerten Leningrad, hatten Minsk, Kiew und Charkow eingenommen und waren bis westlich von Rostow vorgedrungen. Die Reserven waren erschöpft, die deutschen Verluste betrugen fast 400 000 Mann, es fehlte an frischen Truppen, zudem verwandelte das einsetzende Herbstwetter die Straßen in Schlammwege, auf denen nur schwer voranzukommen war. Der Angriff auf Moskau blieb Ende November wenige Kilometer vor den Stadtgrenzen stecken. Stalin, der erkannt hatte, dass nicht mit einem Angriff des deutschen Verbündeten Japan auf die Sowjetunion zu rechnen sei, konnte frische Truppen aus Fernost nach Moskau heranbringen lassen und befahl den Gegenangriff.
Inzwischen hatte der Winter eingesetzt und gegen Temperaturen bis zu 34 Grad unter Null waren die erschöpften deutschen Soldaten gänzlich unzureichend ausgestattet. Die sowjetische Gegenoffensive, die am 5. Dezember 1941 begann, geriet zum Desaster für die deutsche Armee, die zurückflüchtete. Hitler griff persönlich ein, setzte den bisherigen Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, ab und leitete von nun an selbst als Oberbefehlshaber die Geschicke des Heeres.
Die Bilanz des Feldzuges war verheerend. Zwischen Juni 1941 und März 1942 verlor die Wehrmacht über eine Million Soldaten, die entweder gefallen, verwundet oder vermisst waren. Der personelle Ersatz konnte diesen Verlust nicht aufwiegen; in den künftigen Kriegsjahren sollten die meisten deutschen Divisionen nie mehr ihre Sollstärke erreichen können. Die deutsche Luftwaffe hatte zwar zu Beginn des Krieges ihre Überlegenheit gezeigt, doch der permanente Einsatz hatte die Flugzeuge verschlissen. Die deutsche Rüstungsproduktion war auf einen kurzen Feldzug eingestellt gewesen und musste nun auf einen längerfristigen Krieg umgerüstet werden. Gegenüber den Produktionskapazitäten der Alliierten, insbesondere der USA, die im Dezember 1941 nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor selbst in den Krieg eingetreten waren, war die deutsche Industrie jedoch von vornherein unterlegen. Nach der Niederlage vor Moskau war allen hellsichtigen Militärs klar, dass der Krieg, den Deutschland 1939 begonnen hatte, nicht mehr gewonnen werden konnte.
QuellentextDas Los der sowjetischen Kriegsgefangenen
„Ein großer Teil verhungert,“ Februar 1942. Alfred Rosenberg (1893-1946), Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, glaubt, dass sich die Ziele der NS-Politik im Osten eher mit Unterstützung einheimischer Arbeitskräfte und Verbündeter erreichen lassen. In einem Schreiben an den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel (1882-1946), vom 28. Februar 1942 beschwert er sich:
„Von den 3,6 Millionen Kriegsgefangenen sind heute nur noch einige Hunderttausend voll arbeitsfähig. Ein großer Teil von ihnen ist verhungert oder durch die Unbilden der Witterung umgekommen. Tausende sind auch dem Fleckfieber erlegen. Es versteht sich von selbst, dass die Ernährung derartiger Massen von Kriegsgefangenen auf Schwierigkeiten stieß. Immerhin hätte bei einem gewissen Verständnis für die von der deutschen Politik angestrebten Ziele ein Sterben und Verkommen in dem geschilderten Ausmaß vermieden werden können. Innerhalb der Sowjet-Union war z. B. nach vorliegenden Nachrichten die einheimische Bevölkerung durchaus gewillt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Einige einsichtige Lagerkommandanten haben diesen Weg auch mit Erfolg beschritten. In der Mehrzahl der Fälle haben jedoch die Lagerkommandanten es der Zivilbevölkerung untersagt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, und sie lieber dem Hungertode ausgeliefert. Auch auf dem Marsch in die Lager wurde es der Zivilbevölkerung nicht erlaubt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel darzureichen. Ja, in vielen Fällen, in denen Kriegsgefangene auf dem Marsch vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr mitkommen konnten, wurden sie vor den Augen der entsetzten Zivilbevölkerung erschossen und die Leichen liegen gelassen. In zahlreichen Lagern wurde für eine Unterkunft der Kriegsgefangenen überhaupt nicht gesorgt. Bei Regen und Schnee lagen sie unter freiem Himmel. Ja, es wurde ihnen nicht einmal das Gerät zur Verfügung gestellt, um sich Erdlöcher oder Höhlen zu graben. [...] Zu erwähnen wären endlich noch die Erschießungen von Kriegsgefangenen, die zum Teil nach Gesichtspunkten durchgeführt wurden, die jedes politische Verständnis vermissen lassen. So wurden z. B. in verschiedenen Lagern die „Asiaten“ erschossen, obwohl gerade die Bewohner der zu Asien rechnenden Gebiete Transkaukasien und Turkestan die am schärfsten gegen die russische Unterdrückung und den Bolschewismus eingestellten Bevölkerungsteile der Sowjet-Union abgeben. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete hat wiederholt auf diese Missstände hingewiesen. Trotzdem ist z. B. noch im November in einem Kriegsgefangenenlager bei Nikolajew ein Kommando erschienen, das die „Asiaten“ liquidieren wollte.“
Ernst Klee / Willi Dressen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, S. Fischer Verlag, Frankfurt 1989, S. 142-147
„Was bedeutet ein Menschenleben?“ Auszug aus einem Feldpostbrief
Leutnant A. B., 19. Oktober 1942:
„[...] Ich erlebe z. Zt. schreckliche Tage. Jeden Tag sterben 30 meiner Gefangenen, oder ich muß sie erschießen lassen. Es ist bestimmt ein Bild des Grauens. [...]
Die Gefangenen, nur teilweise bekleidet, teils ohne Mantel, werden nicht mehr trocken. Das Essen ist nicht ausreichend, und so brechen sie, einer nach dem anderen, zusammen. Ich kann sie dann nicht mehr heimbringen [...].
Wenn man so sieht, was eigentlich ein Menschenleben bedeutet, dann geht eine innere Umwandlung im eigenen Denken vor. Eine Kugel, ein Wort, und ein Leben ist nicht mehr. Was ist ein Menschenleben? So habe ich mich zu dem endgültigen Entschluss durchgerungen, mir nun in meinem Leben keine gesellschaftlichen Schranken anzulegen, sondern daß ich von jetzt ab lebe von einem Tag in den anderen. [...]“
Ortwin Buchbender / Reinhold Sterz (Hg.), Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpostbriefe 1939-1945, Br. 302. 2. Aufl. C. H. Beck Verlag, München 1983, S. 150 f.
QuellentextAblauf einer Mordaktion: Ein Täter berichtet
„Als weiteren Vorfall erinnere ich mich an eine Erschießung größeren Ausmaßes an einem Brunnen nach Kachowka gelegen. Es war dies ein am oberen Rand etwa 6 bis 7 Meter messendes Erdloch in der Steppe. Es soll sich um einen vertrockneten Brunnen gehandelt haben. Nahe dieses Brunnens war Getreide aufgestellt.
Man kann dieses aufgestellte Getreide als Diemen, Stiegen oder wie man will bezeichnen. Wir Schutzpolizisten wurden mit dem Mannschaftswagen zu diesem Brunnen hingefahren. Es war von diesem Brunnen aus weit und breit keine Ortschaft zu sehen. Eine Feldscheune befand sich nicht in dessen Nähe. Die Opfer, es waren mehrere hundert, können sogar an die tausend Männer und Frauen gewesen sein, wurden mit Lastwagen herangefahren. An Kinder kann ich mich im Augenblick nicht erinnern. Die herangebrachten Leute mußten sich etwa 100 Meter von dem Brunnen entfernt in eine vom Regen ausgewaschene Mulde legen oder knieen und mußten dort auch ihre Oberbekleidung ablegen. Es wurden immer so an die 10 Leute an den Brunnenrand gestellt und diese von einem gleichstarken Exekutionskommando, worunter auch ich war, von hinten erschossen. Die Leute stürzten nach Schußabgabe vornüber in den Brunnen. Es kam auch vor, daß einige aus Angst lebend hineinsprangen. Das Erschießungskommando wurde mehrfach ausgewechselt. Auf Grund der seelischen Belastung, der auch ich ausgesetzt war, kann ich heute beim besten Willen nicht mehr sagen, wie oft ich an der Grube stand und wie oft ich zurücktreten durfte. Man kann sich ja vorstellen, daß diese Erschießungen nicht in der Ruhe vor sich gingen, wie man sie heute erörtern kann. Die Frauen schrieen und weinten, ebenso auch die Männer. Teilweise gab es Ausreißversuche. Die Zutreiber schrieen ebenso laut. Wenn die Opfer nicht so wollten, wie sie sollten, gab es auch Schläge. Hierbei ist mir besonders ein rothaariger SD-Mann in Erinnerung, der immer ein Stück Kabel bei sich hatte, und wenn die Aktion nicht so lief, wie sie gehen sollte, damit auf die Leute einschlug. Vielfach aber kamen sie freiwillig zur Hinrichtungsstätte. Sie hatten ja auch gar keine andere Wahl. […]
Das Erschießungskommando an diesem Brunnen bestand aus Schutzpolizisten, Waffen-SS-Angehörigen und SD-Leuten. Wir Schutzpolizisten schossen mit unseren Karabinern, die SD-Leute mit Maschinenpistolen und Pistolen. Es hatte auf jeden Fall jeder seine Waffe in der Hand. Die benötigte Munition wurde aus bereitstehenden Kisten ausgegeben. An der Exekutionsstätte hat es grauenhaft ausgesehen. Am Brunnenrand befand sich eine Menge Blut, und es lagen wohl auch Hirnteile am Boden. Die Opfer mußten, wenn sie herangeführt wurden, da hineintreten. Aber nicht erst dort bemerkten sie, was ihnen bevorstand, sondern schon von ihrem Lagerplatz her konnten sie ja das Schießen und die Schreie hören. […]
Die Erschießung hat, bis das letzte Opfer im Brunnen war, einen knappen Nachmittag gedauert. Von dieser Exekution weiß ich noch genau, daß die SD-Leute hinterher besoffen waren, und daher eine Sonderzuteilung an Schnaps bekommen haben mußten. Wir Schutzpolizisten haben nichts bekommen, und ich weiß noch, daß wir uns darüber sehr aufgeregt haben.“
Aussage des Schutzpolizisten T., Mitglied des Einsatzkommandos 10a vom 26. 1. 1965: 213 AR 1898/66, Bd. XI, Bl. 2516 ff.
Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg
in: Ernst Klee u. a. (Hg.), „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1988, S. 64 f.
QuellentextDie Massenerschießung in der Schlucht von Babij Jar bei Kiew
[...] Am 29. und 30. September 1941 erschoss die SS in der Schlucht von Babij Jar nach eigenen Angaben 33 771 Juden. [...]
Aufruf des Stadtkommandanten von Kiew:
Alle Juden der Stadt Kiew und ihrer Umgebung haben am 29. September 1941 gegen 8 Uhr morgens an der Ecke Mjelnikowskaja- und Dochturowskaja-Straße (neben den Friedhöfen) zu erscheinen. Mitzubringen sind: Papiere, Geld, Wertsachen, sowie warme Kleidung, Wäsche usw. Wer von den Juden dieser Anordnung nicht Folge leistet und an einem anderen Ort angetroffen werden sollte, wird erschossen. Wer von den Bürgern in die von den Juden verlassenen Wohnungen eindringt und Sachen an sich nimmt, wird erschossen.
Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Ausstellungskatalog, Hamburg 1996, S. 78
„Also los, fangt an zuzuschütten“ – aus dem Bericht einer Überlebenden, 1966:
Der Bericht von Dina Pronitschewa ist in der sowjetischen Zeitschrift Junost, Nr. 8/1966 wiedergegeben und wurde von ihr in einer Zeugenaussage am 9. Februar 1967 vor einem sowjetischen Staatsanwalt für ein deutsches Strafverfahren bestätigt.
Dina ging etwa in der zweiten Zehnergruppe. Sie passierten den Korridor des Grabens, und vor ihnen öffnete sich ein sandiger Steinbruch mit fast senkrechten Wänden. Es war schon halbdunkel. Dina konnte den Steinbruch nur schlecht übersehen. Im Gänsemarsch schickte man alle schnell, zur Eile antreibend, nach links, auf einen sehr schmalen Vorsprung. Links war die Wand, rechts eine Grube, und der Vorsprung war offensichtlich eigens für die Erschießung herausgeschnitten. Er war so schmal, dass sich die Leute, wenn sie über ihn gingen, instinktiv an die sandige Wand drückten, um nicht zu fallen. Dina blickte nach unten. Ihr schwindelte, so tief schien es ihr zu sein. Unten war ein Meer von blutigen Körpern. Auf der gegenüberliegenden Seite des Steinbruchs konnte sie die dort aufgestellten leichten Maschinengewehre ausmachen, dort befanden sich auch einige deutsche Soldaten. Sie hatten ein Lagerfeuer angezündet, auf dem sie anscheinend irgend etwas kochten. Als die ganze Kette der Unglücklichen auf den Vorsprung getrieben worden war, entfernte sich einer der Deutschen vom Lagerfeuer, ging ans Maschinengewehr und begann zu schießen. Dina sah es nicht so sehr, wie sie es fühlte, dass die Körper von dem Vorsprung hinabstürzten, und sie merkte, wie die Geschosskette sich ihr näherte. Ihr zuckte es durch den Kopf: „Sofort bin ich dran, jetzt …“ Und sie wartete nicht, sondern stürzte sich, die Fäuste ballend, in die Tiefe.
Ihr schien es, als ob sie eine ganze Ewigkeit fallen würde, es war ja tatsächlich auch sehr tief. Beim Aufprall fühlte sie weder einen Stoß noch einen Schmerz. Sofort war sie von oben bis unten mit warmem Blut bedeckt, über ihr Gesicht strömte Blut, weil sie gleichsam in eine Wanne mit Blut gefallen war. Sie lag, breitete die Arme aus, schloss die Augen, vernahm irgendwelche dumpfen Töne, Stöhnen, Schluckauf und Weinen ringsumher und unter sich hervor: Es gab viele, die noch nicht ganz tot waren. Diese ganze Masse aus Leibern bewegte sich kaum merklich, senkte sich und verdichtete sich durch die Bewegung der verschütteten noch Lebenden.
Soldaten stiegen auf den Vorsprung und begannen mit Laternen nach unten zu leuchten, sie schossen aus Pistolen auf diejenigen, die ihnen noch am Leben zu sein schienen. Aber nicht weit von Dina stöhnte jemand immer noch weiter. Sie hörte sie näherkommen, sie waren schon auf den Leichen. Die Deutschen kletterten herunter, bückten sich, nahmen den Getöteten irgend etwas ab, dabei schossen sie von Zeit zu Zeit in die sich bewegende Masse.
[...] Nach einigen Minuten hörte sie eine Stimme von oben: „Also los, fangt an zuzuschütten!“ Schaufeln begannen zu knirschen, man hörte das dumpfe Klatschen des Sandes auf die Körper, es kam immer näher, und schließlich begannen die Sandhäufchen auch auf Dina zu fallen. Sie wurde zugeschüttet, aber sie rührte sich nicht, solange ihr Mund noch nicht zugeschüttet war. Sie lag mit dem Gesicht nach oben, atmete Sand ein, verschluckte sich und instinktiv, ohne sich darüber im klaren zu sein, begann sie sich in panischer Furcht hin und her zu wälzen, schon eher bereit, sich erschießen zu lassen, als bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Mit der linken gesunden Hand begann sie, den Sand von sich wegzuscharren, verschluckte sich wieder, hätte um ein Haar gehustet und konnte mit äußerster Mühe diesen Husten unterdrücken. Aber ihr wurde leichter. Schließlich kroch sie unter der Erde hervor. Dort oben hatten sie aufgehört. Sie hatten den Sand nur darübergestreut und waren dann fortgegangen. Dinas Augen waren voller Sand. Es herrschte eine Höllenfinsternis, und die Luft war so schwer.
Dina näherte sich der nächsten Sandwand, lange, lange, langsam machte sie sich vorsichtig an sie heran, dann stand sie auf und begann mit der linken Hand Löcher in die Wand zu machen. So presste sie sich an die Wand, machte Löcher und kletterte Fußbreit um Fußbreit nach oben, dabei in jeder Sekunde riskierend, abzustürzen. Oben fand sich ein Strauch, sie ertastete ihn, klammerte sich verzweifelt an, und in dem Moment, als sie sich über den Rand schwingen wollte, hörte sie eine leise Stimme, vor der sie beinahe wieder zurückgestürzt wäre. „Tante, erschrick nicht, ich bin auch am Leben.“ Es war ein Junge in Unterwäsche. Er kroch genauso wie sie heraus. Der Junge zitterte. „Sei leise“, zischelte sie ihm zu. „Kriech hinter mir“. Und so krochen sie zusammen weiter, irgendwohin, schweigend.
Ernst Klee / Willi Dreesen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1989, S. 127-129
Zit. nach Steffens/Lange (s. Lit.), Bd. 2, S. 120 ff.
QuellentextEnthemmte Gewalt im Vernichtungskrieg
ZEIT Geschichte: In keinem anderen Krieg der Geschichte haben so viele Menschen in solchem Ausmaß gemordet wie während des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Herr Heer, Sie haben mit der Wehrmachtsausstellung von 1995 maßgeblich dazu beigetragen, diese Verbrechen der Öffentlichkeit bewusst zu machen; Sie, Herr Welzer, haben sich als Sozialpsychologe intensiv mit Fragen der Täterpsychologie befasst. Wie waren diese Gewalttaten möglich?
Harald Welzer: Menschen sind meines Erachtens grundsätzlich zu allem fähig, daher wundert es mich nicht, dass sie auch in diesem Krieg zu allem fähig waren – zumal der Möglichkeitsraum für Gewalt von Anfang an so weit geöffnet wurde, wie man es sich überhaupt nur vorstellen kann. Etwa durch die verbrecherischen Befehle, die den Soldaten Straffreiheit bei Gewalttaten an Zivilisten garantierten.
Hannes Heer: Um aber das Besondere des Geschehens zu erfassen, muss man die Vorgeschichte anschauen. Vom späten 19. Jahrhundert an kursierten in Deutschland völkisch-nationalistische Großmachtfantasien, 1933 bot sich dann in den Augen vieler die letzte Chance, doch noch zu erreichen, womit man im Ersten Weltkrieg gescheitert war: Deutschland zur Weltmacht zu machen. Diese Verheißung wirkte wie Starkstrom – und trug im Kern schon die Gewalt in sich, die im Zweiten Weltkrieg eskalierte.
[...] ZEIT Geschichte: Dass gemordet wurde, weil gemordet werden durfte, ist mittlerweile Konsens in der Täterforschung. Welche Rolle aber spielten Zwang und Angst? Wie groß waren die Spielräume des Einzelnen im Krieg?
Heer: Im Kampf, an der Front, gab es keine Spielräume. Außerhalb des Kampfgeschehens hingegen herrschte kein Befehlsnotstand. Ein Beispiel: Zwei deutsche Soldaten sollen Gefangene abführen. Wenn man einen Kameraden dabeihatte, der ähnliche Ansichten vertrat, konnte man frei entscheiden. Man konnte die Gefangenen zum Beispiel laufen lassen und hinterher sagen: Die wollten fliehen, wir haben sie auf der Flucht erschossen.
Welzer: Oder umgekehrt: Man knallt die einfach ab, obwohl es weder eine Order noch irgendeinen Grund dafür gibt [...]
Heer: Bestimmten Befehlen konnte man sich auch verweigern, etwa wenn es um Erschießungen von Juden ging. Das wurde keineswegs drakonisch bestraft, wie später oft behauptet, und die Soldaten wussten das. Das Risiko war ein anderes: dass man durch fortgesetzte Verweigerung aus dem Zentrum der Gruppe an die Peripherie geriet und zum Außenseiter wurde. Und holten einen die Kameraden dann noch raus, wenn man verwundet im Kornfeld lag? Da hieß es dann womöglich: Der mit seinen moralischen Gefühlsduseleien, jetzt hat er seine Lektion bekommen.
ZEIT Geschichte: Neben der bekannten Ausrede, man habe morden müssen, steht die Behauptung, nichts gewusst zu haben – schon gar nicht vom Massenmord an den Juden.
Welzer: Wir haben zwei sehr starke Belege dafür, dass alle, und zwar wirklich alle, gewusst haben müssen, was mit den Juden geschah. Der erste Beleg ist die Detailliertheit dessen, was im Gespräch über die Massenerschießungen und die Vergasungen geäußert wird. Der zweite ist das komplette Fehlen von Verwunderung angesichts dieser Erzählungen. Dass jemand sagt: Was erzählst du denn da für einen Quatsch! – das kommt nicht vor. Stattdessen kreisen die Fragen um die Details: wie die Leichen in den Gruben geschichtet werden, damit möglichst viele hineinpassen, wie groß die Gruben sind, ob auch Frauen und Kinder erschossen werden.
Heer: Eine beliebte Ausrede lautet: Ich war an dem und dem Abschnitt, da haben wir nichts mitbekommen. Doch das ist unglaubwürdig. Wenn die Soldaten zum Beispiel Urlaub hatten und nach Hause fuhren, saßen sie oft eine Woche und länger in der Eisenbahn, und da wurde natürlich geredet! Vor allem über alles, was extrem war: also auch über die Judenerschießungen. Dasselbe gilt für die Lazarette. Das waren riesige Informationsbörsen, da erfuhr man alles.
[...] ZEIT Geschichte: Wenn die Brutalisierung der Männer im Krieg so unglaublich schnell vonstattenging, wie verhielt es sich umgekehrt nach 1945: Konnten sich die Soldaten genauso schnell wieder in die Zivilgesellschaft einfügen? Oder ist der Prozess der Enthumanisierung, wie er im Vernichtungskrieg stattgefunden hat, irreversibel?
Welzer: Da kann man nur spekulieren. Es scheint, als hätten sich die Deutschen wenigstens nach außen hin schnell an die neuen Gegebenheiten angepasst – statt Nationalsozialismus herrschte nun Demokratie, statt Krieg Frieden. So schnell die Menschen in die Gewaltlogik des Vernichtungskrieges eingestiegen waren, so schnell scheint es, kamen sie da auch wieder raus. Gewalt war nun einfach nicht mehr gefragt und bildete keine Rahmenbedingung mehr für das eigene Handeln. Deshalb haben sich die zurückgekehrten Wehrmachtsoldaten auch nicht in marodierende Gangs verwandelt.
Heer: In einigen Institutionen, etwa bei der Polizei – oder wenn ich an die Lehrer denke, die mich unterrichtet haben –, waren die Kontinuitäten zu den Jahren vor 1945 aber doch sehr stark, personell wie mental. Natürlich wurde die eigene Gewaltgeschichte transformiert und auf die neue Lage angepasst.
Welzer: Aufs Ganze gesehen ist es aber wirklich erstaunlich, wie schnell sich Verhältnisse relativer Normalität herstellten. Was nicht heißen soll, dass die Erfahrung extremer Gewalt, sei es erfahrene, ausgeübte oder beobachtete, am Einzelnen so ohne Weiteres vorüberging. Die Zerstörung körperlicher Integrität ist etwas ganz Furchtbares, das tiefe Spuren in der Psyche hinterlässt. Diese Verletzungen reichen über Generationsgrenzen hinaus.
ZEIT Geschichte: Dennoch hat der Krieg gegen die Sowjetunion noch immer keinen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur – weder in der privaten noch in der öffentlichen. Wie ist das zu erklären?
Heer: Es ist immer schwer, an eigene Verbrechen zu erinnern. Im Fall des Holocaust ist dies in Deutschland halbwegs gelungen. Dass der Vernichtungskrieg als Ganzes nicht annähernd so fest im Bewusstsein verankert ist, hat damit zu tun, dass bei der Wehrmacht gleichsam die gesamte deutsche Gesellschaft betroffen war: In so ziemlich jeder Familie gab es Männer, die den Krieg mitgemacht hatten. Die Strategie der ehemaligen Wehrmachtsoldaten und ihrer Familien war es folglich, die begangenen Verbrechen zu verschweigen, umzudeuten und zu verleugnen. Dazu kam ein eigenes Opfernarrativ, das schon bald die deutsche Erinnerungskultur beherrschte. Und sicherlich spielte es auch eine Rolle, dass man nach 1949, im antikommunistischen Klima des Kalten Kriegs, an die Feindbilder der Nazizeit anschließen und sich wunderbar rechtfertigen konnte.
Welzer: Was die Rolle der Ideologie angeht, bin ich auch hier skeptisch, aber ansonsten kann ich zustimmen. Wobei es in diesem Fall natürlich auch noch einen ganz schlichten und profanen Grund für das schlechte Gedächtnis der Deutschen gibt: Es ist immer unangenehm, sich an einen Krieg zu erinnern, den man verloren hat.
Christian Staas / Volker Ulrich „Ein Erlebnis absoluter Macht“, in: ZEITonline vom 24. Mai 2011
http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/02/Wehrmachtsoldaten-Interview-Heer-Welzer/komplettansicht (zuletzt abgerufen: 30.10.2012)