Am 10. Dezember 2008 jährt sich zum 60. Mal die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte". Mit ihr verpflichteten sich 1948 alle UN-Mitgliedstaaten, die Menschenrechte nicht mehr als ausschließliche Angelegenheit nationaler Staaten zu betrachten sondern als Aufgabe der Völkergemeinschaft.
Die Erklärung von 1948 wurde zum Bezugspunkt für eine Reihe weiterer internationaler und regionaler Abkommen. Aus ihnen lässt sich ablesen, wie komplex der Begriff Menschenrechte zu verstehen ist: Er beinhaltet nicht nur den Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Auch kollektive Rechte wie die auf Frieden und eine saubere Umwelt gehören zum modernen Menschenrechtskatalog.
Doch in der Alltagsrealität bedeutet, so der Philosoph Burghart Schmidt, "Recht haben [...] auch heute noch immer nicht zwangsläufig Recht erhalten": Auch im 21. Jahrhundert wird täglich irgendwo auf der Welt Menschen das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein vorenthalten, werden sie in ihren elementaren Grundrechten verletzt.
Der Widerspruch zwischen wohlmeinenden Verlautbarungen und zuweilen bitterer Wirklichkeit kann Zorn auslösen, Resignation ist jedoch unangebracht. Vielmehr ist es erforderlich, die Umsetzbarkeit der eigenen Idealvorstellungen nüchtern einzuschätzen: Menschenrechte bleiben eine ständige Aufgabe, ein steter Anspruch, selbst in den Staaten, deren Werte auf der Aufklärung und demokratischen Traditionen beruhen.
Menschenrechte mussten und müssen stets gegen Widerstände erkämpft werden. Auch in der europäischen und amerikanischen Geschichte setzten sich die Ächtung der Sklaverei, die Judenemanzipation, die Ausdehnung des Wahlrechts auf immer breitere Bevölkerungsgruppen, soziale Rechte für unterprivilegierte Schichten und die Gleichstellung von Männern und Frauen erst im 19. und 20. Jahrhundert in konflikthaften Auseinandersetzungen durch.
Selbst bereits Erreichtes muss zuweilen aufs Neue gegen politische, ideologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Einflussnahme verteidigt werden. Auch im demokratisch verfassten Rechtsstaat gibt es Zielkonflikte, beispielsweise zwischen Freiheit und Sicherheit.
Hinter einer solchermaßen komplexen Wirklichkeit bleiben offizielle Verlautbarungen zum Schutz der Menschenrechte in ihrem Anspruch zwar oft zurück, dennoch haben sieeine hohe Bedeutung: Sie setzen unverrückbare Maßstäbe für die Beurteilung realer Lebenslagen und Unrechtserfahrungen, sie schaffen Sensibilität und bilden den Referenzpunkt für Betroffene, um sich gegen Benachteiligungen und vorenthaltene Lebenschancen zu wehren.
Dabei kann aktives Bemühen durchaus zu Erfolgen führen. In einer zunehmend vernetzten Welt lassen moderne Kommunikationstechnologien und die wachsende Mobilität der Weltgesellschaft Menschenrechtsverstöße schnell bekannt werden, die wachsende Einsicht in die internationalen Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Wechselwirkungen fördert und erzwingt sogar die Bereitschaft, sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen. Staaten, die hinter ihren offiziellen Verlautbarungen zurückbleiben, droht ein peinlicher öffentlicher Prestigeverlust. In begründeten Einzelfällen darf sich die Staatengemeinschaft sogar über die nationalstaatliche Souveränität hinwegsetzen, um massive Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden oder zu ahnden.
Unverzichtbar im Bemühen um den Schutz der Menschenrechte ist die Arbeit supranationaler, staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen. Sie alle leben vom Engagement Einzelner, die darüber hinaus auch in ihrem Alltagsleben, zum Beispiel bei Kaufentscheidungen, Akzente setzen können. Ziel bleibt es, möglichst vielen Menschen auf der Erde ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Christine Hesse