Medienkompetenz ist eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und ist insofern unter der Perspektive der Chancengerechtigkeit zu betrachten. Der Zusammenhang von Medienkompetenz und gesellschaftlicher Teilhabe sind seit jeher ein zentrales Thema in der Medienpädagogik. Im Diskurs um „Inklusive Medienbildung“ erfährt er jedoch seit einigen Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. Medienkompetenz durch eine inklusive und kreative Arbeit mit digitalen Medien in allen Bevölkerungsgruppen zu fördern, ist eine Perspektive zur Schaffung chancengerechter Teilhabemöglichkeiten in, an und durch digitale Medien.
Medienkompetenz als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe
Vor allem digitale Medien nehmen im Alltag eine immer größere Bedeutung ein und sind dauerhaft präsent. Dadurch verändert sich die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, lernen, arbeiten, die Freizeit gestalten oder den Alltag bewältigen. So kommunizieren die meisten Menschen regelmäßig per Smartphone und verschicken E-Mails oder Text-, Bild- und Sprachrichten über verschiedene Messenger-Dienste. Auch in der Schule werden digitale Medien immer häufiger verwendet. Schüler:innen recherchieren im Unterricht im Internet oder erledigen ihre Aufgaben mit Hilfe eines Tablets.
Weiterhin wird in vielen Berufen regelmäßig mit digitalen Medien gearbeitet, wodurch sich Aufgaben im Arbeitsalltag und Formen der Zusammenarbeit wandeln. Selbst in Bereichen wie den Pflegeberufen, die auf den ersten Blick keine klassischen medienintegrierenden Berufe sind, gilt Medienkompetenz unter anderem aufgrund von digitalen Patientenakten mittlerweile als Schlüsselkompetenz. Daneben sind wir in der Freizeit in sozialen Medien wie Instagram, Snapchat oder Tiktok aktiv, rufen Musik und Videoinhalte über Streaming-Dienste im Internet ab oder verbringen Zeit mit digitalen Spielen. Auch bei alltäglichen Aufgaben, wie etwa dem Kauf von Fahrkarten oder der Kommunikation mit Behörden, spielen digitale Medien eine immer größere Rolle.
Vor diesem Hintergrund ist ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien von großer Bedeutung, um nicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Dabei meint Medienkompetenz nicht nur, die Geräte oder verschiedene Programme und Apps sicher bedienen und für unterschiedliche Zwecke nutzen zu können, sondern Medieninhalte auch selbst erstellen und kritisch bewerten zu können. Entsprechend hält die Kultusministerkonferenz 2016 und 2021 in Strategiepapieren zur Bildung sowie zum Lehren und Lernen in der digitalen Welt fest, dass der kompetente Umgang mit digitalen Medien nicht nur das sachgerechte, sondern auch das kreative, selbstbestimmte und sozial verantwortliche Handeln mit Medien beinhaltet. Digitale Medien können nicht nur die Möglichkeit bieten, Informationen zu erlangen oder sich Wissen anzueignen, sondern sich auch aktiv in die Gesellschaft einzubringen und umfassend an ihr teilzuhaben. Die Förderung von Medienkompetenz ist somit auch ein Teil politischer Bildung.
Der Sonderpädagoge und Professor für Informations- und Kommunikationstechnologien und Inklusion Ingo Bosse hat im Jahr 2019 Teilhabe im Kontext einer Gesellschaft, die insbesondere von digitalen Medien geprägt ist, in drei Bereiche gegliedert:
So meint die Teilhabe in Medien die Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen durch vielfältige Darstellungen in den Medien sowie deren Mitwirkung. Redaktionen von Zeitungen oder Fernsehsendungen sollten personell, aber auch thematisch vielfältig besetzt werden. Auch die Darstellung verschiedener Bevölkerungsgruppen muss kritisch hinterfragt und unter Einbezug der Betroffenen wie etwa Menschen mit Behinderungen gestaltet werden, um vorurteilsbehafteten Darstellungen entgegenzuwirken.
Teilhabe an Medien wird durch die Schaffung eines gleichberechtigten Zugangs zu digitalen Medien gefördert, was sich durch den Abbau von Barrieren erreichen lässt. So können etwa Untertitel für gehörlose Menschen beim Fernsehen oder in Social-Media-Videos, vielfältige Zoom- und Kontrasteinstellungen für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen auf mobilen Endgeräten oder die Nutzung von Leichter Sprache auf Internetseiten zu einem Abbau von Barrieren führen.
Die Teilhabe durch Medien bezieht sich auf die Förderung von Medienkompetenz aller Bevölkerungsgruppen, etwa in Bildungseinrichtungen. Durch Lernen mit und über Medien können kompetenzbezogene Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Medien überwunden und die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation ermöglicht werden.
Mediennutzung und Chancengerechtigkeit
In der medienpädagogischen Forschung wird eine ungleiche Teilhabe im Zusammenhang mit digitalen Medien festgestellt und seit geraumer Zeit unter dem Begriff Digital Divide (dt.: digitale Spaltung oder Kluft) besprochen. Bleibt der Zugang zu digitalen Medien für einige Bevölkerungsgruppen versperrt oder wird behindert, sei es durch fehlenden Zugriff auf Geräte, bestehende digitale Barrieren, unzureichende Medienkompetenzen oder gar die Zensur von Inhalten, wird diesen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander erschwert. In dieser Hinsicht wird von einem First-Level Digital Divide gesprochen.
Aktuelle Mediennutzungsstudien belegen nahezu eine Vollausstattung mit digitalen Medien wie Fernsehern, Smartphones und Computern in deutschen Haushalten, sodass die meisten Menschen Zugang zu entsprechenden Geräten und zum Internet haben. Dennoch werden mit Blick auf einige Bevölkerungsgruppen auch Probleme sichtbar. So verdeutlichen Studien zum Digital Divide, dass vor allem Menschen mit bestimmten Behinderungen (z. B. Lernschwierigkeiten), aber auch Ältere oft keinen Zugang zum Internet haben und dieses vergleichsweise wenig nutzen. Dies kann unter anderem mit einer fehlenden technischen Ausstattung oder dem erschwerten Zugang durch mangelnde digitale Barrierefreiheit begründet werden. Der eingeschränkte Zugang zu digitalen Medien verhindert nicht nur die Möglichkeit, aktiv an ihnen teilzuhaben und sich in ihnen zu artikulieren, sondern erschwert auch die Ausbildung von Medienkompetenz.
Neben dem Zugang zu Medien und der Häufigkeit der Nutzung ist auch die Nutzungsweise digitaler Medien in der Gesellschaft vielfältig, was sich nicht nur auf das Vorhandensein einer Behinderung oder das Alter zurückführen lässt. Verschiedene Mediennutzungsweisen sind auch im Zusammenhang mit den unterschiedlichen sozialen, kulturellen, bildungsbezogenen und finanziellen Ressourcen festzustellen. Diese ungleiche Nutzung digitaler Medien und damit einhergehende Unterschiede in der Teilhabe werden als Second-Level Digital Divide diskutiert.
In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass ohnehin bestehende Benachteiligungen mit Blick auf die Teilhabe an der Gesellschaft im Kontext der Mediennutzung verfestigt werden. So profitieren Personen mit formal höherem Bildungshintergrund und besseren finanziellen Ressourcen insgesamt stärker von Informationsangeboten in Medien, da sie Medien in der Tendenz häufiger gezielt für Bildungsanliegen und die Informationsrecherche einsetzen als andere Bevölkerungsgruppen. Personen mit formal niedrigerem Bildungsstand nutzen Medien eher zu Unterhaltungszwecken, sodass die Bildungspotenziale digitaler Medien unterschiedlich gut ausgeschöpft werden. Damit ist im Kontext des Zugangs und der Nutzung von digitalen Medien nicht von einer chancengerechten Ausgangslage mit Blick auf gesellschaftliche Teilhabe auszugehen.
Förderung von Chancengerechtigkeit durch Medienkompetenzerwerb
Um die Chancengerechtigkeit für die gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern, bedarf es unter anderem einer Förderung von Medienkompetenz, die alle Bevölkerungsgruppen mitdenkt. Insbesondere Institutionen wie die Schule, die bis auf wenige Ausnahmen alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland besuchen, können hier als Orte der reflektierten Auseinandersetzung mit Medien dienen. Dabei können digitale Medien unter anderem das Potenzial bieten, Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen, indem sie unterstützende Funktionen übernehmen und Beeinträchtigungen ausgleichen. So können beispielsweise die Bedienhilfen eines Tablets den gleichberechtigten Zugang zu Informationen gewährleisten. Auch bieten Lernapps und -softwares individualisierte Lernmöglichkeiten, die genutzt werden können, um den unterschiedlichen Bedarfen der Schüler:innen gerecht(er) zu werden.
Daneben haben sich besonders kreative Formen der gemeinsamen Zusammenarbeit mit digitalen Medien als Formate des spielerischen Medienkompetenzerwerbs erwiesen. Diese können mit dem Begriff der „Aktiven Medienarbeit“ zusammengefasst werden und bieten die Möglichkeit der gemeinsamen und produktiven Arbeit mit Medien. Fred Schell, der die „Aktive Medienarbeit“ 1989 begründet hat, definierte fünf Zielbereiche: Reflexion, Exploration, Artikulation, Erfahrungsaustausch sowie Analyse und Kritik der Massenmedien. Im Zuge der Entwicklung und Erstellung eines Medienproduktes in Gruppenarbeit können eigene Sichtweisen erkannt und artikuliert, aber auch die Ansichten anderer sowie mediale Formen und Inhalte reflektiert und diskutiert werden.
Indem sie zum Beispiel eine eigene Nachrichtensendung erstellen, werden Kinder und Jugendliche mit Prozessen und Problematiken des Mediensystems konfrontiert. Dadurch generieren sie Hintergrundwissen zum Mediensystem und erwerben Medienkompetenz in allen Dimensionen (siehe Abschnitt "
Praktische Umsetzungsmöglichkeiten der „Aktiven Medienarbeit“ in Schule und Unterricht bieten beispielsweise Film- und Audioprojekte. Das Thema, welches das Projekt behandeln soll, kann dem Lehrplan entnommen werden. Das Projekt selbst bietet die Möglichkeit der kreativen Anbahnung und Umsetzung sowie der praktischen Erprobung der Medienproduktion. Geeignete Formate für den Unterricht sind hier Kurzfilme, in denen die Schüler:innen selbstständig ein Unterrichtsthema erarbeiten und dieses filmisch umsetzen. Aber auch Hörspielformate, Podcasts oder Radiobeiträge können in Gruppen durch die Schüler:innen erstellt und dabei eigene Sichtweisen artikuliert und reflektiert werden.
Vielfältige Aufgabenbereiche im Rahmen der Medienproduktion ermöglichen es dabei, dass sich alle Schüler:innen entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten einbringen können und somit unterschiedlichen Voraussetzungen gut begegnet werden kann. Durch die Ausbreitung mobiler Endgeräte wie Smartphones und Tablets, die über umfangreiche Funktionen sowie hochwertige Kameratechnologien verfügen, können Medienprojekte zudem mittlerweile auch ohne teure Technik umgesetzt werden. Ressourcen für praktische Umsetzungsbeispiele sowie methodische und didaktische Hinweise bieten Initiativen wie „nimm! netzwerk inklusion mit medien“. Diese Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, inklusive Medienarbeit mit Hilfe von Kompetenzzentren, Coachings, Workshops und Weiterbildungen für Fachkräfte, aber auch Jugendliche erfahrbar zu machen. Zusätzlich bietet sie auf ihrer Website Materialien für die inklusive Arbeit mit Medien sowie Tool-Tipps und Hinweise zu assistiven Technologien an. Im Fokus steht hier die offene Kinder- und Jugendarbeit, die Materialien und Hinweise eignen sich jedoch auch für die Arbeit in Schule und Unterricht. Durch entsprechende Projekte können Kinder und Jugendliche den Umgang mit digitalen Medien erproben und Medienkompetenz erwerben, wodurch chancengerechtere Ausgangslagen für gesellschaftliche Teilhabe in, an und durch Medien geschaffen werden können.