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Fake News, Misinformation, Desinformation | Medienkompetenz in einer digitalen Welt | bpb.de

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 335/2023

Fake News, Misinformation, Desinformation

Christian Pieter Hoffmann

/ 11 Minuten zu lesen

Die gezielte mediale Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen kann fatale Folgen nach sich ziehen. Was können wir tun, um sogenannte Fake News zu erkennen?

(© Thomas Plaßmann/Baaske Cartoons Müllheim)

Als Fake News, Mis- und Desinformation werden falsche oder irreführende Medieninhalte bezeichnet. Ihre Verbreitung in den sozialen Medien besorgt Politik, Medien, Forschung sowie viele Bürger:innen. Dabei ist häufig nicht ganz klar, was mit diesen Bezeichnungen genau gemeint ist – und wie sie abzugrenzen sind. Ebenso ist umstritten, welche Maßnahmen im Kampf gegen Fake News wirksam sind. Hilft etwa mehr Medienkompetenz gegen die Verbreitung von Fake News?

Die empirische For­schung deutet darauf hin, dass Fake News weniger in der Brei­te, aber dafür intensiv in bestimmten Kreisen konsumiert und geteilt werden. Die hier engagierten Personen sind häufig sehr aktive und hochmotivierte Mediennutzer:innen. Geringes Vertrauen in politische und mediale Institutionen spielt eine wichtige Rolle bei der Empfänglichkeit für Fake News.

Die Debatte um Fake News

Zwei Ereignisse können als Auslöser für die öffentliche Debatte um Fake News, Mis- und Desinformation ausgemacht werden: Die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten im Jahr 2016 sowie kurz zuvor das Brexit-Referendum, mit dem die Bür­ger:innen Großbritanniens den Austritt aus der Europäischen Union beschlossen haben. In beiden Fällen entspann sich im Anschluss an die für viele Beobachter:innen überraschenden Wahl- bzw. Abstimmungsergebnisse eine intensive Suche nach Ursachen. Schnell wurde ein Erklärungsansatz im Mediennut­zungsverhalten der Bürger:innen gefunden: Im Netz – genauer in den sozialen Medien – kursierten demnach unzuverlässige und irreführende Informationen. Diese wurden von scheinbar böswilligen Akteuren gezielt verbreitet. Geschlossene Online-Gruppen und personalisierte Werbung erleichterten die Verbrei­tung solcher Informationen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Insbesondere mit Blick auf Wahlen und Abstimmungen entbrannte somit ein enormes Interesse an den schädlichen Wirkungen falscher und irreführender Informationen im Netz. Diverse Forschungsprojekte, Medien und Thinktanks sowie Nichtregierungsorganisationen beobachten seither die Verbreitung von Fake News im Netz, versuchen Desinformationskampagnen zu identifizieren und zu bekämpfen. Die Europä­ische Union etwa etablierte mit „EU vs. Disinfo“ eine Webseite, auf der Fälle von Desinformation dokumentiert und eingeordnet werden. Mit dem European Digital Media Observatory wurde ein EU-weites Netz von Medien und Forschungsinstitutionen etabliert, das sich dem Aufspüren und Bekämpfen von Desinformationskampagnen widmet.

Seit 2016 ist die Aufmerksamkeit für die Themen Fake News, Mis- und Desinformation in der Medienberichterstattung und auch im Forschungsdiskurs sprunghaft angestiegen, dies belegen verschiedene Untersuchungen. Laut Umfragen haben heute erhebliche Teile der Bevölkerung Angst, dass Fake News viele Mitbürger:innen in die Irre führen und so Wahlergebnisse verzerren könnten. Angesichts dieser Faszination für das Phänomen Fake News mag es erstaunen, dass die entsprechenden Begrifflichkeiten allzu oft schwierig abzugrenzen sind. Und dass noch immer nicht klar ist, wie die Verbreitung von Fake News wirksam bekämpft werden kann.

Schillernde Begrifflichkeiten

Unter den Begriffen Fake News, Mis- und Desinformation kann Fake News als der schillerndste und umstrittenste betrach­tet werden. Ursprünglich bezeichnete er im Internet veröffentlichte Nachrichten, die traditionellen journalistischen Qualitätskriterien nicht gerecht wurden. Auch im Kontext der Trump-Wahl gaben so verstandene Fake News erstmals Anlass zur Kritik. So veröffentliche beispielsweise eine Gruppe junger Mazedonier auf nachrichtenähnlich erscheinenden Seiten reißerische, häufig frei erfundene Nachrichten, die vor allem dem sogenannten Clickbaiting dienten [Clickbaiting meint das Verbreiten von reißerischen und irreführenden Überschriften im Internet, die User:innen zum Draufklicken animieren sollen. Dadurch generiert die betreffende Webseite dann Werbeeinnahmen]. Im engeren Sinne können Fake News somit als mit betrügerischer Absicht verbreitete, erfundene Pseudo-Nachrichten verstanden werden.

Diese Art von Fake News dient kommerziellen, nicht poli­tischen Zielen. Mehr zufällig entdeckten Fake-News-Anbieter 2015 und 2016, dass Meldungen, die Donald Trump unterstütz­ten oder seine Gegenkandidaten Hillary Clinton kritisierten, besonders viele Klicks generierten. (Diese Erkenntnis galt keineswegs nur für Fake News, auch traditionelle Nachrichtenmedien erkannten schnell, dass Meldungen zu Donald Trump die Fernsehquoten und Abo-Zahlen in die Höhe schießen ließen.) Aufgrund dieser eher zufälligen politischen Schlagseite entwickelte sich das Verständnis von Fake News ab 2016 hin zu politisch manipulativen Pseudo-Nachrichten. Das jedoch ließ Donald Trump nicht lange auf sich sitzen – er drehte den Spieß schnell um: Fake News waren für ihn dann alle Nachrichten, die ihn kritisierten.

Der Begriff Fake News entwickelte sich somit schnell zu einem analytisch weitgehend nutzlosen Kampfbegriff. Der Fachdiskurs wandte sich den Begriffen Misinformation und Desinformation zu. Von beiden ist Desinformation der eta­blier­tere Begriff. Er beschreibt traditionell Informations- oder Einflusskampagnen, die Staaten dazu dienen, in die politischen Prozesse anderer Staaten einzugreifen. Desinformation ist damit ein lange bekanntes Mittel der subversiven Außen- und Sicherheitspolitik. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass die russische Regierung eine Agentur beauftragt hatte, wäh­rend des Präsidentschaftswahlkampfes für Donald Trump för­derliche und für Hillary Clinton schädliche Informationen im Internet zu streuen. Clinton galt der russischen Regierung als allzu feindselig, deshalb wollte sie deren Wahl nach Mög­lichkeit verhindern.

Den Begriff Desinformation ereilte allerdings schnell ein ähnliches Schicksal wie dem der Fake News. In der Debatte um die Trump-Wahl und den Brexit wurden nicht mehr nur ausländische Einflusskampagnen als Desinformation bezeichnet, sondern auch die bewusst irreführende Kommunikation inländischer Akteure. Dies erweitert den Gegenstandsbereich des Begriffs erheblich: Irreführende Aussagen von politischen Kandidat:innen in einem Wahlkampf sind damit Desinformation, denn sie werden mit einer Überzeugungsabsicht gezielt verbreitet.

(Wolf-Dieter Rühl, „Measuring Fake News – Die Methode“, Stiftung Neue Verantwortung e. V., Berlin Dezember 2017, S. 3. https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/fake_news_methodenpapier_deutsch.pdf) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

In der Überzeugungsabsicht liegt der Unterschied zwischen Desinformation und Misinformation. Letztere ist auch eine irreführende Information, die jedoch nicht absichtlich – also ohne eine Täuschungsabsicht – verbreitet wurde. Misinformation ist damit ein enorm weiter Begriff. Er ist auch in der Praxis kaum genau zu bestimmen, denn um einen kommunikativen Akt als Des- oder Misinformation kategorisieren zu können, muss sowohl die Absicht des Absenders wie auch die Wirkung auf den Empfänger bekannt sein. Beides wird in der Regel aber nicht erhoben, wenn eine Information als Mis- oder Desinformation bezeichnet wird. Es reicht dann die bloße Annahme, dass (k)eine Täuschungsabsicht bestand, die Information aber irreführend wirken kann.

Die Verbreitung von Fake News, Misinformation und Desinformation

Die Frage nach der Verbreitung von Fake News (im Folgenden auch stellvertretend für Mis- und Desinformation) ist in mehrfacher Hinsicht nicht leicht zu beantworten. Erstens ist, wie beschrieben, die Definition und Abgrenzung davon, was Fake News sind, nicht einfach. Zweitens interessiert besonders die Verbreitung von Fake News in den sozialen Medien. Jedoch ist der Zugang zu den Daten dieser Plattformen – etwa Zugriffsstatistiken – sehr begrenzt. Dies gilt umso mehr, wenn Fake News in geschlossenen Gruppen geteilt werden – etwa auf Facebook oder Whatsapp.

Viele Studien umgehen diesen Engpass, indem Nutzer:innen schlicht gefragt werden, ob bzw. wie oft ihnen Fake News im Internet begegnen. Hier entsteht jedoch eine dritte Schwierigkeit, nämlich die Frage, was die Befragten unter Fake News verstehen. Allzu oft kategorisieren Nutzer:innen Inhalte als Fake News, die sie als störend empfinden, die ihnen also beispielsweise politisch missfallen. Gefragt danach, wer häufig Fake News verbreitet, nennen daher viele Befragte Politiker:innen oder auch Journalist:innen. Was Fake News sind, liegt also im Auge des Betrachters – zumindest in Befragungsstudien. Wenn eine Befragung daher ergibt, dass – beispielsweise – 70 Prozent der Befragten angibt, „oft“ Fake News im Netz zu sehen, ist genau genommen völlig unklar, wie diese Angabe zu interpretieren ist.

Nur sehr wenige Studien, meist aus den USA, untersuchen tatsächlich direkt die Inhalte, die Nutzer:innen im Internet sehen – und kommen dabei zu vielleicht überraschenden Ergebnissen. Denn nur ein sehr geringer Anteil dessen, was der durchschnittliche Nutzende im Internet anschaut, hat etwas mit (politischen) Nachrichten zu tun – meist deutlich weniger als 10 Prozent. Diese Nachrichten wiederum kommen weit überwiegend aus seriösen Quellen. Die besonders gründlich und mit hohem Aufwand betriebenen Beobachtungsstudien zur tatsächlichen Verbreitung von Fake News im Medienkonsum der Bürger:innen kommen daher zu dem Ergebnis, dass weniger als ein Prozent dessen, was wir im Internet sehen, als Fake News kategorisiert werden kann. Analysen, die sich auf soziale Medien fokussieren, kommen zu geringfügig höheren Werten, insbesondere auf Facebook. Dennoch scheinen Fake News in der Breite der Bevölkerung nur gering verbreitet zu sein. Soweit der Forschungsstand dies zulässt, scheinen diese Erkenntnisse auch auf den deutschen Kontext übertragbar zu sein.

Tatsächlich ergibt die Forschung zur Verbreitung von Fake News ein regelrecht ironisches Ergebnis: Die größte Verbreitung erhalten Fake News, die von Massenmedien aufgegriffen werden – entweder, weil beispielsweise eine Politikerin oder ein Experte eine Unwahrheit in einem Interview verbreitet, oder aber auch, wenn Fake News genannt werden, um sie zu widerlegen (Faktencheck). Da die Nutzer:innen ihre Informationen weit überwiegend aus seriösen Quellen beziehen, begegnen ihnen Fake News mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, wenn eben diese seriösen Quellen über Fake News berichten. Dies macht – in bester Absicht – seriöse Medien zu unfreiwilligen Akteuren bei der Verbreitung von Fake News.

Die insgesamt geringe Verbreitung von Fake News muss jedoch insofern relativiert werden, als dass Fake News stark in gewissen Gruppen konzentriert zu sein scheinen. In Nischen des Internets kann es also sehr wohl eine hohe Verbreitung von falscher und irreführender Information geben. Zu denken wäre hier im Kontext der Coronavirus-Pandemie etwa an Impfgegner-Gruppen auf Telegram oder im Kontext der europäischen Flüchtlingskrise 2015 an Gruppen radikaler Einwanderungsgegner auf Facebook.

Hinzu kommt der bedeutsame Effekt von Meinungsführern. Es kann kaum bestritten werden, dass der frühere US-Präsident Trump ein sehr lockeres Verhältnis zur Wahrheit pflegt und daher regelmäßig Unwahrheiten verbreitet, die unter seiner Anhängerschaft begeistert aufgenommen und geteilt wurden und nach wie vor werden. In politisch engagierten Zirkeln können daher einzelne prominente Akteure erheblich zur Verbreitung von Fake News beitragen.

Sowohl das politische wie auch das mediale System spielen also eine Rolle bei der Verbreitung von Fake News. Es ist unwahrscheinlich, dass Bürger:innen im Netz über Fehlinformationen stolpern und dadurch umgehend in die Irre geführt werden. Bis heute ist daher beispielsweise nicht klar, ob Fake News die Wahl Donald Trumps oder die Zustimmung zum Brexit wirklich beeinflusst haben. Vielmehr ist zu beobachten, dass Bürger:innen mit radikalen, z. B. rechtspopulistischen Orientierungen gezielt nach Informationen suchen und diese verbreiten, um ihre Sichtweisen und Anliegen zu unterstützen. Sie verwenden Information regelrecht als „Waffe“, häufig um damit politische Gegner anzugreifen und zu kritisieren. Wenn solche Personen nun in den seriösen, etablierten Medien nicht die Informationen finden, die sie gerne finden würden, dann wenden sie sich anderen, häufig qualitativ unzureichenden Quellen zu. Studien zeigen, dass die sehr kleine Gruppe inten­siver Fake-News-Teilender sogar wissen, dass die Information, die sie teilen, schlechter Qualität ist. Doch es ist ihnen wichti­ger, dass die Information ihren Zweck im politischen Streit erfüllt.

Ansätze der Bekämpfung von Fake News, Misinformation und Desinformation

Vor allem drei Ansätze werden in der Bekämpfung von Fake News verfolgt: Der erste und bekannteste Ansatz baut auf der Richtigstellung auf, eben etwa einem Faktencheck. Hier wird das Publikum darauf aufmerksam gemacht, dass eine bereits verbreitete Information falsch ist. Dieser Ansatz weist diverse Schwächen auf: Jene Personen, die die Fake News gesehen haben und glauben (wollen), sind vom Gegenteil nur schwer zu überzeugen. Jene Personen, die die Fake News nicht gesehen haben, werden erst durch den Faktencheck auf sie aufmerksam gemacht. Bei desinteressierten Individuen wirkt häufig der erste Eindruck nach, die Fake News werden dann eher erinnert als die Richtigstellung. Fake News sind häufig aufregend, empörend, reißerisch und verbreiten sich daher in bestimmten Kreisen schnell – Faktenchecks sind dagegen meist eher trocken und wenig spannend und verbreiten sich daher weniger oder eben nicht in denselben Kreisen. Experimentalstudien zeigen, dass eine Berichtigung, etwa durch einen Faktencheck, durchaus zu einer Korrektur des Wissens beitragen kann. In der „freien Wildbahn“ des Internets lässt sich dieser Effekt jedoch kaum wiederholen.

Ein zweiter Ansatz versucht daher, früher zu intervenieren, wenn Nutzer:innen auf Social-Media-Plattformen aktiv sind und sich überlegen, einen Inhalt zu teilen. Sogenannte Accuracy Prompts (deutsch etwa „Genauigkeitsabfrage“) sind kleine Meldungen, die Nutzer:innen im Moment des Teilens fragen, ob sie sich sicher sind, dass der Inhalt wirklich zutreffend ist. Auf Twitter beispielsweise erscheint beim Retweeten eines verlinkten Artikels die Frage, ob der/die Nutzer:in den Artikel zunächst lesen möchte. Hier zeigen Experimentalstudien, dass solche kleinen Interventionen durchaus manche Nutzer:innen vom Fake-News-Teilen abhalten können. Auch hier gilt jedoch, dass dieser Effekt in realistischen Nutzungsszenarien schwierig zu wiederholen ist, weil eben nur wenige Menschen Fake News teilen – und diese wiederum recht gezielt und bewusst.

Ein dritter Ansatz schließlich, von Psycholog:innen als „Impfungen“ bezeichnet, dient dazu, Individuen für die Gefahr von Fake News zu sensibilisieren, bevor sie diesen begegnen. Diesem Zweck dienen etwa Serious Games, also kleine Spiele, die Nutzer:innen auf Eigenschaften von Fake News hinweisen. Erneut sind es vor allem Experimentalstudien, die zeigen, dass solche Spiele dazu beitragen, dass Menschen online Fake News besser erkennen und sie weniger teilen. Zumindest auf der Plattform Youtube konnte dieser Effekt bestätigt werden, wenn auch nur kurzfristig und vorübergehend.

spielbar.de

Auf der interaktiven Plattform Externer Link: spielbar.de der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es Informationen und Empfehlungen zu Serious Games, mit denen ihr spielerisch lernen könnt, Fake News zu erkennen.

Die Rolle der Medienkompetenz

Alle drei gängigen Ansätze der Fake-News-Bekämpfung weisen gewisse Schwächen auf und sind sehr begrenzt wirksam. In der psychologischen Forschung wird daher ihr kombinierter Einsatz befürwortet. Gelegentlich wird ergänzend ein vierter Ansatz gefordert: mehr Medienkompetenz. Diese bezieht sich – anders als der oben genannte Ansatz der Impfungen – nicht alleine auf die Identifikation von irreführenden Inhalten, sondern auf eine kritische Reflektion von Medien, ihrer Qualitäten und ihrer verantwortungsvollen Nutzung. Nach Baacke umfasst Medienkompetenz die Medienkunde, -kritik, -nutzung und auch -gestaltung. Medienkompetenz trägt somit dazu bei, dass die meisten Menschen ihre Informationen aus seriösen Quellen beziehen, unseriöse Quellen als solche erkennen und meiden und selbst selten irreführende Inhalte teilen.

QuellentextTrägt der Papst wirklich einen Daunenmantel?

[…] Es ist nicht neu, dass Fotos manipuliert werden. Schon im 19. Jahrhundert versuchten Fälscher, die frühen Fotografien durch chemische Prozesse im Nachhinein zu verändern. Aber so leicht wie heute ging es noch nie. Noch sind viele KI-erzeugte Fotos kaum mehr als lustige Fingerübungen. So wie neulich das Bild vom Papst, das sich in den sozialen Netzwerken rasant verbreitete: Franziskus in einem ungewohnten, aber stylishen weißen Daunenmantel. Sogar viele Internet-Profis ließen sich täuschen. […]

Nicht jede Manipulation ist aber so harmlos, und kaum eine wird sofort entlarvt. Das könnte unsere Wahrneh­mung von Politik fundamental verändern. Mit Künstlicher Intelligenz kann jeder binnen Minuten Hass schüren, Men­schen und Länder gegeneinander aufwiegeln, womöglich sogar internationale Krisen heraufbeschwören. […] Ein paar Schlagwörter reichen, und das nächste Skandal-Meme ist fertig, das bei Twitter vielleicht als „Trending Topic“ wird.

Die künstlichen Bilder sind so gefährlich, weil sie ein Spiel mit der Ambivalenz treiben – zumindest wenn sie gut gemacht sind und nicht völlig unrealistische Szenen zeigen. Wenn Fotos früher als einigermaßen solider Beweis für Wahrhaftigkeit galten, sind sie jetzt eine Aufforderung zu zweifeln. Noch sieht man den meisten Bildern an, dass ein Computer sie hergestellt hat. Farbübergänge sind nicht exakt, Formen verschwimmen, Gesichter gleichen bei näherer Betrachtung eher Fratzen. Aber das bemerkt man oft nur, wenn man die Bilder intensiver auf einem Monitor betrachtet. Die meisten dieser Fotos werden jedoch auf dem Handy angesehen und laufen dort in einer Timeline durch. Und bald wird man selbst in Großaufnahme keinen Unterschied zur Realität mehr erkennen. Dann wird es erst recht gefährlich. Denn wenn man nicht mehr unterscheiden kann, was echt ist und was nicht, dann entwertet das nicht nur seriöse politische Botschaften, sondern ist auch ein Booster für politische Propaganda und Hetze. […]

Der Ulmer Psychologe Christian Montag forscht seit Langem zu Fake News und Desinformationskampagnen. Er warnt, das Problem nur für eines der Enttäuschten und Bildungsfernen zu halten. „Unsere Studien zeigen zwar, dass Personen, die ohnehin kein Vertrauen in politische Institutionen haben, am ehesten auf Fake News und manipulierte Bilder hereinfallen“, sagt er. Aber auch bei reflektierteren Menschen habe es seiner Meinung nach Folgen, wenn ihnen ständig manipulierte Bilder begegneten und womöglich auf verschiedenen Plattformen immer dieselben. „Die Dosis macht das Gift, irgendwann bleibt etwas hängen, und sei es nur ein diffuses Störgefühl. Plötzlich fragt man sich, ob nicht vielleicht doch möglich ist, was man da sieht.“ Auch der Forscher hielt das Bild vom Papst im Daunenmantel am Anfang für echt. Genau wie viele andere, die sich für versiert halten im Umgang mit Medien und sich irgendwann trotzdem nicht mehr sicher waren, was denn nun eigentlich stimmte – das Foto? Dessen Entlarvung? Oder die Entlarvung der Entlarvung?

Genau diese Folge kann beabsichtigt sein, sagt Psychologe Montag: Zweifel zu säen, an der Wahrhaftigkeit politischer Kommunikation, vor allem aber am Staat und seinen Institutionen. […]

Die Manipulationsmöglichkeiten enden nicht bei Fotos. Deep-Fake-KI ist schon jetzt in der Lage, auch Videos zu verfremden oder Stimmen nachzuahmen. Schon bald, glauben Fachleute, könnte es im Netz Filme geben, in denen eine KI dem amerikanischen Präsidenten eine falsche Kriegserklärung in den Mund legt oder einem deutschen Spitzenpolitiker eine beschwipste Rede im Bundestag. Und die Aufnahmen könnten so echt wirken, dass die Mitarbeiterstäbe der Politiker alle Mühe hätten, sie glaubhaft als Manipulationen zu brandmarken.

Die Mittel, um gegen die wachsende Flut von KI-Propa­ganda vorzugehen, sind begrenzt. Die Bundestagsabgeordnete und Digitalpolitikerin Tabea Rößner von den Grünen fordert deshalb, den Einsatz von KI streng zu reglementieren, auch um Rechtssicherheit zu schaffen. […] Auch die sozialen Netzwerke will Rößner noch stärker für die Verbreitung manipulativer KI-Fakes zur Verantwortung ziehen. Doch so einfach, gibt sie zu, sei das nicht. […]

Aber wenn man die Verbreitung von Fakes schon nicht verhindern kann, sollte man sie wenigstens schnell erkennen. Der Psychologe Montag erwartet, dass es in Zukunft einen Wettlauf der Technologien geben wird. „Es wird immer bessere KIs geben, die manipulieren, und immer bessere KIs, die die Manipulationen erkennen. Die Frage ist nur, wer schneller ist.“ Montag glaubt, das Problem der KI-Fakes lasse sich nur dann nachhaltig lösen, wenn die großen sozialen Netzwerke auf ein anderes Geschäftsmodell umstiegen. „Solange man Facebook oder Twitter umsonst nutzt, aber mit seinen Daten bezahlt und es allein um Reichweite geht, werden Entgleisungen und klickträchtige Manipulationen belohnt.“ Studien zeigen, dass sich Fake News schneller verbreiten als wahre Nachrichten und dass alles, was Wut und Ärger auslöst, geklickt wird. Bei einem Abo-Modell, sagt Montag, wäre der Anreiz für die Netzwerke, auf ihre Inhalte zu achten, im Gegensatz zu jetzt deutlich höher. „Ihre Glaubwürdigkeit hätte dann viel unmittelbarer Einfluss auf ihre Einnahmen.“

Dass die Tech-Konzerne dazu bereit sind, ist allerdings unwahrscheinlich. Das stärkste Mittel gegen KI-Hetze und Geschichtsklitterung, sagt der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann, sei ohnehin etwas anderes: eine möglichst hohe Medienkompetenz. „Wo Bilder, Videos und Fotos im Netz herkommen und wer sie verbreitet, wird künftig noch wichtiger werden als bislang. Genauso wie Bürgerinnen und Bürger, die Quellen kritisch einordnen können.“ Gerade für die Qualitätsmedien, sagt Zimmermann, sei das auch eine große Chance. „Institutionen, die Sachverhalte verifizieren können und für Authentizität stehen, werden in Zukunft mehr gebraucht denn je.“

Schon in der Schule müsse ein kritischer Umgang mit Quellen intensiv gelehrt werden, fordert auch die Grüne Tabea Rößner: „Traue im Internet niemandem und hinterfrage alles, das muss ein elementarer Bestandteil des Unterrichts sein.“ Die Kinder müssten lernen, wem sie mehr vertrauen könnten: einem Freund, der ihnen ein Foto mit Putin und Trump in der Sauna weiterleitet. Oder einem Qualitätsmedium, das ihnen erklärt, warum das Ganze manipuliert ist.

Mitarbeit: Wibke Becker

Oliver Georgi, „Alles, nur nicht die Wahrheit“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. April 2023, aktualisiert am 3. April 2023. Online: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ki-fotos-was-manipulierte-bilder-fuer-die-politik-bedeuten-18791867.html

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An eine Grenze stößt der Ansatz der Medienkompetenz jedoch: Studien weisen darauf hin, dass die kleine Gruppe der intensiven Fake-News-Verbreitenden durchaus über eine hohe Medienkompetenz verfügt. Sie konsumieren eher überdurchschnittlich viele Nachrichten aus vielfältigen Quellen, sie haben ein differenziertes Verständnis unterschiedlicher Quellen und deren Qualitäten. Ihr Misstrauen oder ihre Abneigung gegen etablierte Medien beruhen nicht auf einem Versehen oder auf Ignoranz – es ist Teil eines tief verankerten Weltbildes. Der harte Kern der Fake-News-Verbreitenden wird daher durch eine breit angelegte Initiative zur Förderung von Medienkompetenz kaum zu bekehren sein. Wichtiger wären hier Interventionen, die gezielt das tiefe Misstrauen dieser Personen gegenüber etablierten Medien – und auch in diverse andere Institutionen, nicht zuletzt die Politik – adressieren.

Die Förderung von Medienkompetenz in der Gesellschaft ist notwendig, um den heutigen Zustand zu wahren, in dem die meisten Bürger:innen seriöse Medien konsumieren, mit wenig Fake News konfrontiert werden und wenn doch, diese nur sehr selten teilen. Wichtig ist aber auch, dass die öffentliche Aufregung um Fake News nicht dazu führt, dass die Bürger:innen ihr Vertrauen in das Mediensystem und zuverlässig berichtende Quellen verlieren. Es ist notwendig zu erkennen, dass das Fake-News-Problem weniger verbreitet ist, als anfangs angenommen wurde – und dass es hilfreich sein könnte, Fake News eher als ein spezifisches Problem politisch enttäuschter und gegenüber gesellschaftlichen Institutionen zynisch eingestellter Personengruppen zu verstehen. Diese soziale, politische, ökonomische und psychologische Herausforderung zu adressieren, erfordert einen langfristigen und differenzierten Zugang, in dem die Medienkompetenz (nur) ein Mosaikstein ist.

Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Darüber hinaus verantwortet er am Institut für Politikwissenschaft die Lehre im Bereich der politischen Kommunikation. Hoffmann ist akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communication und Co-Direktor des Center for Digital Participation. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Kommunikationsmanagements, der Finanzkommunikation und der politischen Kommunikation – mit besonderer Berücksichtigung der Herausforderungen und Chancen neuer Medien.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: christian.hoffmann@uni-leipzig.de