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Vertrauenskrise des Journalismus

Markus Beiler Uwe Krüger

/ 6 Minuten zu lesen

Eine mangelnde Medienkompetenz hat auch Einfluss auf die Wahrnehmung von Medienschaffenden. Doch ein kritisch-reflektierter Umgang mit Medien kann das Vertrauen in den Journalismus stärken.

Der Visual Desk im Newsroom in der Redaktion der Deutschen Presse-Agentur GmbH im Juni 2019: Journalistinnen und Journalisten lesen gerade die eingehenden Meldungen, um sie für die Leserschaft aufzubereiten. (© picture-alliance/dpa, Michael Kappeler)

Ein Teil der Bevölkerung glaubt, Journalist:innen würden sie systematisch belügen und mit der Politik Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerungsmeinung zu manipulieren. Hinter solchen Verschwörungserzählungen steckt häufig ein Mangel an me­dia­lem Repräsentationsgefühl, Unkenntnis der Funktionsweise des Journalismus in der liberalen Demokratie sowie die (veraltete) Vorstellung, Medien würden als ein Spiegel fungieren, der ein verkleinertes Abbild der Realität erschafft. Jedoch entwerfen Journalist:innen durch ihre Recherche- und Selektionstätigkeiten überhaupt erst eine Vorstellung der Wirklichkeit, konstruieren also ein Bild der Realität – und sie arbeiten in einem komplexen Bedingungsgefüge, das sich unter anderem aus den Normen des überwölbenden Mediensystems, den Spezifika der eigenen Medienorganisation, den redaktionellen Prozessen und Routinen sowie dem individuellen beruflichen Rollenverständnis zusammensetzt.

Repräsentationslücken und Ohnmachtsgefühle

Journalist:innen sollen Augen und Ohren des Publikums sein und über das aktuelle Geschehen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft informieren – doch ein Teil der Bevölkerung traut diesen Augen und Ohren nicht. Das Wort von der „Lügenpresse“ ist seit 2014 in vielerlei Munde, seitdem es auf Pegida- und AfD-Demonstrationen skandiert wurde. 287 tätliche Angriffe gegen Medienschaffende, viele davon auf rechten Demonstrationen, registrierte das European Centre for Press and Media Freedom zwischen 2015 und 2022 bundesweit.

Repräsentative Befragungen wie die „Langzeitstudie Medienvertrauen“ der Universität Mainz zeigen zwar, dass eine deutliche Mehrheit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Regionalzeitungen und den überregionalen Tageszeitungen vertraut. Doch sind auch 11 Prozent der Meinung, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen werde. 15 Prozent glauben, dass die Medien und Politik Hand in Hand arbeiten würden, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren, und 22 Prozent halten die Medien lediglich für ein Sprachrohr der Mächtigen (Stand Ende 2020).

Für diese verhärtete Medienskepsis, die manche For­scher:innen auch „Medienzynismus“ oder „Medienfeindlichkeit“ nennen und die zuweilen einen verschwörungsideologischen Einschlag hat, gibt es empirisch belegte Zusammenhänge mit diversen Faktoren: etwa mit dem Gefühl, die eigene Perspektive in den Medien nicht repräsentiert zu sehen und sich machtlos zu fühlen –, aber auch mit mangelndem Medienwissen und mit enttäuschten Journalismus-Idealen. Journalistische Arbeit transparenter zu machen – etwa indem Redaktionen vermehrt Einblicke in ihre tägliche Arbeit und in Hintergründe einzelner Recherchen geben – und die Medien- bzw. Journalismuskompetenz in der Bevölkerung zu erhöhen, wird daher häufig als probate Strategie angesehen, um das Vertrauen in Medien zu stärken.

QuellentextJournalismuskompetenz als spezifizierte Medienkompetenz

Der etablierte massenmediale Journalismus erbringt für eine demokratische Gesellschaft wichtige Leistungen, ohne die diese nicht funktionieren würde. Gleichzeitig ist er in eine Vertrauenskrise geraten. Vor diesem Hintergrund besteht die Notwendigkeit, in der Bevölkerung im Allgemeinen und im Bildungssystem im Speziellen eine spezifische Journalismuskompetenz zu vermitteln: Sie soll Bürger:innen dazu befähigen, sachgerecht, selbstbestimmt und kritisch-reflektiert journalistische (Massen-)Medien zu nutzen, um an der Demokratie teilhaben zu können. Sie sollen also journalistische Inhalte adäquat lesen und auch kritisieren können, um sich über die politisch und gesellschaftlich relevanten Vorgänge zu informieren und sie einzuordnen und auf dieser Basis mündig politisch und gesellschaftlich handeln zu können, zum Beispiel durch die Beteiligung an Wahlen, in Parteien oder Bürgerinitiativen oder an Demonstrationen. Journalismuskompetenz ist damit zugleich eine Demokratiekompetenz.

Bei der so verstandenen Journalismuskompetenz han­delt es sich um ein neues, interdisziplinäres Konzept, das in der Kommunikations-, Politik-, und Erziehungswissenschaft sowie der Medienpädagogik verortet ist. Die in diesem Heft vorgestellten Konzepte von Medienkompetenz sind auch grundlegend für Journalismuskompetenz. Mit dem spezifizierten Ansatz wird jedoch anerkannt, dass die Domäne „Journalismus“ aufgrund seiner elementaren Funktion in der Demokratie eine spezielle, angepasste Fokussierung benötigt. Mit dem Konzept wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es in einer Demokratie nicht nur eines leistungsfähigen, professionellen Journalismus bedarf, sondern auch Bürger:innen, die verstehen, wie Journalismus Öffentlichkeit herstellt, und die auf dieser Basis in der Gesellschaft handlungsfähig sind.

Journalismuskompetenz umfasst drei Dimensionen. Grundlegend sind erstens kognitive Kompetenzen. Dies beinhaltet das Basiswissen zu Mediensystem und -organisationen, journalistischen Produkten sowie den Arbeitsweisen von Redaktionen und Journalist:innen. Die zweite Kompetenzdimension des Modells sind affektive Fähigkeiten und Einstellungen. Darunter ist insbesondere eine Wertschätzung für den Journalismus und seine Funktionen in der Demokratie gemeint, die auf eine allgemeine Bindung an grundlegende Werte unserer Gesellschaft zurückgeht (Freiheit, Gleichheit, Solidarität). Drittens zielt Journalismuskompetenz auf die praktische Handlungsbereitschaft ab, journalistische Inhalte gezielt zu nutzen, eigene Themen in den Journalismus einzubringen und Journalismus konstruktiv zu kritisieren – etwa über institutionelle Beschwerdemöglichkeiten –, um ihn dadurch in seiner elementaren Funktion zu stärken.

Markus Beiler und Uwe Krüger

Denn oftmals gibt es kein realistisches Bild davon, wie Journalismus funktioniert, wie Redaktionen arbeiten, wie Medieninhalte entstehen und wie sie adäquat zu „lesen“ sind (ein Selbsttest zum Wissensstand findet sich unter https://der-newstest.de). Ein ganz grundsätzlicher Punkt ist die Frage, ob der professionelle Journalismus eigentlich die Wirklichkeit widerspiegelt bzw. überhaupt spiegeln kann, also ein unverzerrtes, gleichsam verkleinertes Abbild der Realität in die Zeitung oder die Nachrichtensendung bringen kann. Diese Vorstellung, die dem Alltagsverständnis vom Verhältnis zwischen Massenmedien und Realität der meisten Menschen entsprechen dürfte, wurde von der Kommunikationswissenschaft bereits vor einigen Jahrzehnten als veraltet erklärt und firmiert heute nur noch als veraltete „Abbild-Theorie“ bzw. als „naiver Realismus“.

Die Konstruktion der Realität

Forscher:innen gehen daher heute nicht mehr davon aus, dass massenmediale Kommunikation die Realität spiegelt, sondern dass sie überhaupt erst eine Vorstellung von ihr entwirft. Zugespitzt gesagt: Die Wirklichkeit ist nicht die Voraussetzung von massenmedialer Kommunikation, sondern im Gegenteil deren Ergebnis, wie es der Kommunikationswissenschaftler Winfried Schulz 1989 formulierte.

Damit ist nicht gemeint, dass Journalist:innen Dinge erfinden und Fake News in die Welt setzen (dürfen) – sie haben sich an die Fakten zu halten. Und doch konstruieren sie in gewisser Weise ein Bild der Realität, indem sie (nach professionellen Standards und Relevanzkriterien) Themen auswählen, Infor­mationen recherchieren und in Sinnzusammenhänge setzen – und damit ihrem Publikum Orientierung in einer komplexen Welt ermöglichen.

Der Paradigmenwechsel vom (naiven) Realismus hin zum Konstruktivismus wird die „kopernikanische Wende in der Kommunikationswissenschaft“ genannt – in Anspielung auf die schwindelerregende Erkenntnis des Astronomen Nikolaus Kopernikus, dass sich nicht die Sonne um die Erde dreht, sondern es sich genau andersherum verhält. Und so kann die Kritik von Mediennutzer:innen, dass sie in ihrem Umfeld die gesellschaftlichen Zustände ganz anders wahrnehmen als in den Medien dargestellt – und laut Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen äußert das jeder Dritte –, auch zu anderen Konsequenzen führen: Statt eine bösartige Manipulationsabsicht zu vermuten und sich zu Lügenpresse-Rufen hinreißen zu lassen, sollten die Ursachen für eine solche Diskrepanz realistischer eingeschätzt werden, um dann auch aktiv an der demokratischen Mediengesellschaft mitwirken zu können.

(© Eigene Darstellung Beiler/Krüger in Anlehnung an Siegfried Weischenberg)

Um Journalismus zu verstehen, bietet es sich an, ihn als gesellschaftliche Institution im Sinne eines Regelsystems zu betrachten. Der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg schlägt vor, sich dieses komplexe Gebilde als „Zwiebel“ mit vier „Schalen“ vorstellen, die von außen nach innen – von der Makro- zur Mikro-Ebene – so angeordnet sind:

  1. Mediensystem (Normenkontext): Hier geht es um das Me­diensystem, um die politischen und gesellschaftlichen Rah­menbedingungen, unter denen Journalismus gemacht wird, und um gesetzliche wie berufsethische Vorgaben für Jour­nalistinnen und Journalisten. Dass das Grundgesetz eine Zen­sur von Medieninhalten vor der Veröffentlichung verbietet, dass es keine Zugangsbeschränkungen für den Beruf „Jour­nalist“ gibt (anders als bei Ärzt:innen oder Anwält:innen) oder dass der Deutsche Presserat als Selbstkontrollorgan über die Einhaltung der Regeln des Pressekodex wacht, dies ist ebenso in diesem Kontext angesiedelt wie Qualitätsvorgaben für den Rundfunk im Medienstaatsvertrag oder die Tatsache, dass der Zugang zu Behördeninformationen verbesserungswürdig und je nach Bundesland unterschiedlich geregelt ist.

  2. Medienorganisationen (Strukturkontext): Hier wird der Blick auf die Häuser gerichtet, in denen Journalismus stattfindet. Sind sie privatwirtschaftlich organisiert (wie die Bild-Zeitung, die Süddeutsche Zeitung oder RTL), öffentlich-rechtlich (wie die ARD-Anstalten, das ZDF und das Deutschlandradio), von einer Genossenschaft getragen (wie die taz oder Krautrepor­ter) oder von einer Stiftung (wie die FAZ) – und was folgt daraus für die Möglichkeiten und Zwänge der Redaktionen und deren Unabhängigkeit von Politik und Wirtschaft? Wie entwickelt sich die Einkommenssituation von Medienhäu­sern in Sachen Werbung und Vertrieb? Wer legt eigentlich die Höhe des Rundfunkbeitrags fest, und welcher superreiche Medieneigentümer hat noch Gewinninteressen in anderen Branchen? Auch Nachrichtenagenturen – als einflussreiche, aber fast unsichtbare Zulieferer der Medien – kommen hier in den Blick.

  3. Medienaussagen (Funktionskontext): Hier werden die Pro­zesse und Routinen fokussiert, die die Recherche-, Selektions- und Präsentationstätigkeiten der Journalist:innen prägen: Recherchemethoden, Umgang mit Quellen, Darstellungsformen und Berichterstattungsmuster. Wer sich hierin auskennt, kann einen Bericht von einem Kommentar unterscheiden und weiß, dass Redaktionen über die Relevanz von Thema anhand von Nachrichtenfaktoren (wie etwa Nähe, Folgenschwere, Konflikt, Prominenz, Überraschung) entscheiden. Er ist sich auch bewusst, dass viele Medieninhalte auf der Öffentlichkeitsarbeit ressourcenstarker Organisationen (Regierungen, Verwaltungen, Konzerne, NGOs) beruhen, man­che aber auf hartnäckiger investigativer Eigenrecherche.

  4. Medienakteure (Rollenkontext): Hier geht es um die Men­schen, die Journalismus machen: Welche soziodemografischen Merkmale, politischen Einstellungen und pro­fessionellen Rollenselbstverständnisse weisen sie auf? Die Forschung zeigt etwa, dass deutsche Journalist:innen kein Spiegel der Bevölkerung sind, was Bildungsgrad, Parteineigung und Milieuzugehörigkeit angeht – dass es hier in gewisser Weise Repräsentationslücken gibt. Sie zeigt aber auch, dass die meisten sich als neutrale Beobachter und Informationsvermittler verstehen und nur die wenigsten die politische Tagesordnung beeinflussen wollen – zumal die Orientierung am Publikum und dessen Wünschen in Zeiten von sozialen Netzwerkplattformen und verschärfter Konkurrenz um Aufmerksamkeit im Netz stärker geworden sein dürfte als früher.

Die Beziehungsstörung zwischen dem etablierten Journalismus und Teilen der Bevölkerung kann vermutlich unter zwei Voraussetzungen gemildert werden: wenn sich die „Bevölkerungskompetenz“ unter Journalist:innen erhöht – diese also stärker danach fragen, wie die Perspektiven unterrepräsentierter Milieus in den öffentlichen Diskurs eingespeist werden können – und wenn die Bevölkerung mehr Journalismuskompetenz erwirbt, also Medienlogiken, Selektionsroutinen und Meinungsklimata versteht, aber auch die eigene möglicherweise verzerrte Wahrnehmung hinterfragt.

QuellentextKI und Journalismus

[…] [G]erade die Debatten um die so genannte generative KI sind der eigentliche Grund, warum sich der Journalismus derzeit so intensiv mit den Automatisierungsprozessen der digitalen Welt beschäftigt.

Nun ist die Digitalisierung des Journalismus durch künstliche Intelligenz kein Vorher-nachher-Moment wie die Umstellung von der Schreibmaschine auf den Word Processor, in den Achtzigerjahren oder die Einführung der Google-Suchmaschine Anfang der Nullerjahre. Das vollzieht sich schrittweise.

Man kann die Geschichte dieser Entwicklung auf drei Punkte verdichten. Auch die Süddeutsche Zeitung nutzte schon früh künstliche Intelligenz-Anwendungen. Vor rund zehn Jahren begannen erste Redaktionen, mit Automatisierungsprogrammen zu arbeiten. Das waren vor allem Hilfsprogramme, die zum Beispiel die Tonaufnahmen von Interviews in Textformate konvertierten, Bildschnitte fürs Layout anlegten oder Texte aus anderen Sprachen übersetzten. Die ersten KIs, die Texte schreiben konnten, kamen vor fünf, sechs Jahren auf. Die SZ nutzte so eine KI zum Beispiel, um bei den bayerischen Landtagswahlen für jeden der 91 Wahlkreise einen Kurzbericht zu erstellen.

Nun waren diese Texte rein statistische Auswertungen. Die Nachrichtenorganisation Bloomberg News nutzt solche Methoden schon lange, vor allem um Eilmeldungen zu verfassen. Bei der SZ ging es darum, ein Projekt zu verwirklichen, das mit dem eigenen Personal nicht zu stemmen gewesen wäre. Bei Bloomberg geht es vor allem darum, Meldungen in einer Geschwindigkeit in Umlauf zu bringen, die kein Mensch schaffen würde. Es ging also nach wie vor ausschließlich um Automatisierung.

Die zweite Welle der künstlichen Intelligenz im Journalismus war die Unterstützung. Als künstliche Intelligenzen immer besser wurden, Muster zu erkennen, lernten sie nicht nur, komplexe Spiele wie das chinesische Brettspiel Go oder das Strategie-Videospiel „Starcraft II“ zu meistern. Sie eröffneten auch ein neues Feld des investigativen Journalismus. Weil Whistleblower nicht mehr nur Aktenpakete, sondern ganze Datensätze aus Institutionen schmuggeln konnten, war die Menge der Unterlagen zu gewaltig, als dass Menschen sie hätten auswerten können. Die Datenmenge, die der immer noch unbekannte Whistleblower mit dem Decknamen John Doe im Frühjahr 2016 aus der Kanzlei Mossack Fonseca in Panama der SZ zuspielte, belief sich auf 2,6 Terabyte. Das entsprach rund 11,5 Millionen Einzeldokumenten über die Offshore-Geschäfte von rund 214 000 Briefkastenfirmen. 376 Journalisten aus 76 Länder arbeiteten diese Daten unter dem Schirm des International Consortium of Investigative Journalists schlussendlich zu den „Panama Papers“ auf, und doch wäre das ohne den Einsatz von KI-Programmen niemals möglich gewesen.

Die dritte Phase der Digitalisierung des Journalismus, die nun beginnt, ist die Generierung. Programme wie Dall-E, Midjourney und Stable Diffusion erstellen auf einen Textbefehl Bilder. Andere wie GPT-4, GPT-J oder Auto-GPT verfassen auf Anweisung Texte. Die großen Digitalkonzerne rüsten ihre Anwendungen bereits mit solchen Large Language Models (LLMs) aus. Google wird demnächst das LLM Bard in seine Suchmaschine integrieren, Microsoft hat sein Konkurrenzprodukt Bing schon mit Chat-GPT ausgestattet und wird auch seine Office-Anwendungen mit solchen KIs ergänzen.

Die Menge der Probleme, die auf Medien zukommen, ist so gewaltig, dass man sie nur im Schnelldurchlauf referieren kann. Wie sollen Redaktionen mit der Datenexplosion umgehen, die diese KIs nun verursachen? Wie lässt sich erkennen, ob ein Text ganz oder teilweise von einer KI geschrieben wurde? Wie können Journalisten feststellen, ob ein Bild oder ein Fakt durch eine KI gefälscht oder verzerrt wurde? Wie kann man ein Publikum bei der Stange halten, das sowieso schon chronisch ablenkt ist, wenn die Algorithmen die Nutzer nicht mehr in die Ablenkungsfallen leiten, sondern diese gleich selbst erzeugen? Wie kann man das Vertrauen des Publikums erhalten, wenn die Öffentlichkeit mit Fälschungen und Verzerrung geflutet wird? Wie lassen sich Standards einhalten, wenn Personal reduziert wird, wie in allen Wellen der Automatisierung? Wie kann man seine Marktstellung behaupten, wenn die Konkurrenz nicht so zimperlich ist, was den Einsatz von KI betrifft?

Man kann dem, wie den meisten Problemen der Digi­talisierung zunächst einmal mit einem ganz einfachen Grundsatz begegnen. Alle Regeln, die im wirklichen Leben gelten, sind auch im digitalen Raum gültig. In diesem Falle also: Die Prinzipien des Journalismus sind das entschei­dende Kriterium, egal ob bei der Arbeit ein Bleistift oder eine künstliche Intelligenz verwendet wird. Darauf laufen auch die meisten Selbsterklärungen hinaus, die viele Medien in den vergangenen Wochen veröffentlicht haben. […]

Es gibt auch schon Organisationen, die nach Lösungsmodellen suchen. Die London School of Economics debattiert die Fragen beispielsweise in ihrem „Journalism AI“-Programm. Das Nieman Lab der Harvard University beschäftigt sich eingehend damit. Und dann gibt es noch die Initiative „Content Authenticity“, der sich neben vielen internationalen Medien auch Digitalkonzerne wie Microsoft und Nvidia angeschlossen haben. Die suchen nach Möglichkeiten, die Authentizität von Inhalten beispielsweise durch Prädikatssiegel und Prüfprogramme sicherzustellen. […]

Andrian Kreye, „Luft nach oben“, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. April 2023. Online: https://www.sueddeutsche.de/medien/ki-journalismus-texte-1.5806877?reduced=true

QuellentextMehr zum Thema Medienvertrauen in Deutschland

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Medienvertrauen in Deutschland

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Vertrauen die Bürgerinnen und Bürger den Medien noch? Das Team der Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen erhebt hierzu seit mehreren Jahren Daten und stellt hier Ergebnisse und Deutungen vor.

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Prof. Dr. Markus Beiler ist Professor für Journalismusforschung an der Universität Leipzig und Leiter des dortigen Zentrums Journalismus und Demokratie. Seine Schwerpunkte sind die empirische Journalismusforschung unter den Bedingungen des digitalen Wandels sowie die wissenschaftsgeleitete Weiterentwicklung der hochschulgebundenen Journalismusausbildung.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: beiler@uni-leipzig.de

Dr. Uwe Krüger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsbereich Journalismus der Universität Leipzig und Forschungskoordinator des dortigen Zentrums Journalismus und Demokratie. Seine thematischen Schwerpunkte sind Unabhängigkeit und Ethik des Journalismus, Medienvertrauen und Konstruktiver Journalismus.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: uwe.krueger@uni-leipzig.de