Frühe Medienbildung zählt zu den Bildungsaufgaben von Kindertagesstätten. Empirische Studien zeigen jedoch auf, dass die Einrichtungen ihrer Aufgabe, die kindliche Medienkompetenz zu fördern, nur begrenzt nachkommen. Erklären lässt sich dies u. a. durch den medienerzieherischen Habitus von Erzieher*innen und andere Schwerpunktsetzungen in den Einrichtungen sowie Curricula (bspw. Bildungspläne; Lehrplänen für die Ausbildung), in denen sich teilweise ein begrenztes Verständnis von Medienbildung widerspiegelt.
Aufgaben früher Medienbildung
Kinder wachsen heute von Geburt an in mediatisierten und damit digital durchdrungenen Lebenswelten auf. Sie beobachten, wie Eltern ihr Smartphone nutzen und sind fasziniert von den bunten Bildern und Videos. Oftmals haben junge Kinder besondere Lieblingsfiguren in den Medien, mit denen sie sich identifizieren können und die auch positive Auswirkungen auf die Entwicklung haben können (z. B. Vorbildfunktion, weil die Medienfigur mutig ist oder anderen hilft). Kindern können im Zuge der Nutzung digitaler Medien auch verängstigende oder verstörende Inhalte begegnen – beispielsweise wenn sich automatisch ein weiteres Video auf einer Videoplattform (z. B. Youtube) öffnet.
(© Eigene Darstellung Friedrichs-Liesenkötter)
(© Eigene Darstellung Friedrichs-Liesenkötter)
Neben dem Elternhaus und der Schule ist es auch Aufgabe von Kindertagesstätten, frühe Medienerziehung bzw. Medienbildung (die Begriffe werden hier synonym benutzt) umzusetzen, um schon in dieser frühen Bildungsphase zur Ausbildung von Medienkompetenz beizutragen. Angesprochen ist hier eine Altersgruppe von Kindern ab etwa drei Jahren. Kinder sollen hierbei in ihrer Mediennutzung pädagogisch begleitet werden, sodass sie lernen, Potenziale, die Medien bieten, für sich zu nutzen, sowie die Fähigkeit erwerben, auch mit negativen medialen Erlebnissen umgehen zu können. Dies ist besonders wichtig, da Medienerziehung in deutlichem Zusammenhang zu ungleichen Lebenslagen von Familien steht: Kinder in problembelasteten Familien nutzen in ihrer Freizeit oftmals intensiv Medien und ihre Eltern sprechen mit ihnen wenig über Medienerfahrungen. Frühe Medienbildung hat hierbei auch die Aufgabe, Eltern anzusprechen und Tipps zu geben (z. B. hinsichtlich Mediendauer/geeigneten Angeboten/gemeinsam mit den Kindern zu vereinbarenden Mediennutzungsregeln).
Das Hauptziel von Medienbildung ist, bei Kindern eine reflexive Auseinandersetzung mit Medien anzuregen, die nicht bei einer rezeptiven und passiven Mediennutzung stehenbleibt. Stattdessen sollen Kinder sich auch kreativ und gestalterisch mit digitalen Medien auseinandersetzen. Als medienpädagogische Aktivitäten für die frühe Bildung sind beispielsweise die Nutzung eines Tablets für Audio-, Foto- und Videoprojekte mit Kindern zu nennen. Hierunter fallen etwa die Erstellung eines Trickfilms, Zaubern mit Green Screen, die Erstellung eines digitalen Bilderbuchs, Audiorätsel mit selbst aufgenommenen Geräuschen oder dass Kinder als Reporter:innen Interviews führen. Des Weiteren zählen auch kreative Methoden zum Austausch der Erzieher:innen mit Kindern über deren Medienerfahrungen (z. B. Kinderzeichnungen) zu den Ansätzen früher Medienbildung (Praxisideen finden sich etwa bei der Landesanstalt für Medien NRW). Es geht also um einen ersten Erwerb von Medienkompetenz.
Hierbei werden verschiedene Aspekte angesprochen wie etwa Mediengestaltung und Medienkritik (Medienkompetenzmodell nach Baacke), indem Kinder Medien einerseits als Werkzeuge erfahren, mit denen sie Inhalte produzieren und dabei gleichzeitig die Realität anders darstellen können (z. B. durch Video-Schnitttechnik, Verkleidungen, Kameratricks – z. B. Krabbeln wie Spiderman an der Hauswand durch Dreh der Videokamera). Mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen und zunehmende Falschinformationen in digitalen Medien ist es sehr relevant, Kinder andererseits möglichst frühzeitig dafür zu sensibilisieren, Medien und ihre Inhalte kritisch zu hinterfragen.
Studien zu früher Medienbildung
Die dünn gesäte Studienlage zu früher Medienbildung in Kindertagesstätten zeigt deutlich, dass digitale Medien nach wie vor kaum in den Einrichtungen angekommen sind. Laut der Studie miniKIM 2020 sind am häufigsten Audiogeräte wie ein CD-Player vorhanden. Ein Tablet hingegen findet sich nur in fünf Prozent der Einrichtungen. Dieses könnte jedoch vielfältig in der medienpädagogischen Arbeit genutzt werden, beispielsweise für kreative Medienarbeit, da das Tablet sich als Kamera, Aufnahmegerät oder als Zeichenblock nutzen lässt oder auch zur Förderung anderer Bildungsbereiche (z. B. Zahlen lernen mit Bildungs-Apps).
Wenn digitale Medien vorhanden sind, werden sie in der Regel wenig in der medienpädagogischen Arbeit mit Kindern genutzt, sondern eher von den Erzieher:innen selbst (z. B. Digitalkamera). Ein zentraler erklärender Faktor hierfür scheinen die Haltungen der Erzieher:innen, ihr medienerzieherischer Habitus, zu sein: Zum einen verstehen nur wenige Erzieher:innen Medienerziehung/-bildung als einen ihrer beruflichen Aufgabenbereiche; andere Bildungsbereiche wie die Förderung von Naturkenntnissen, die Vermittlung musikalischer Grundlagen, Sprachförderung sowie eine Vorbereitung auf schulische Anforderungen werden als relevanter wahrgenommen. Zum anderen weist eine Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus 2014 nach, dass Erzieher:innen von negativen Wirkungen digitaler Medien ausgehen, wie etwa einer Überforderung von Kindern durch eine Informationsflut sowie eine Ablenkung von anderen pädagogischen Inhalten.
Da in den (wenigen) vorliegenden Studien Erzieher:innen befragt wurden, die bereits in der Praxis tätig sind, untersuchte die Autorin in einer qualitativen Studie von 2018 den medienerzieherischen Habitus angehender Erzieher:innen, die sich noch in der Ausbildung befinden. Hierunter versteht die Autorin dauerhafte medienerzieherische Dispositionen bzw. Anlagen, die sich auf medienerzieherische Aktivitäten sowie Vorstellungen und Beurteilungen gegenüber dem Bereich der Medienerziehung auswirken. Es geht in der Studie also darum, die Haltungen von angehenden Erzieher:innen gegenüber Medienerziehung zu ergründen. Angenommen wurde hierbei, dass die angehenden Erzieher:innen aufgrund ihres jüngeren Alters und einer entsprechend stärkeren Nutzung digitaler Medien von Kindheit an Medienbildung möglicherweise offener gegenüberstünden. Doch diese These trifft nicht zu: Alle angehenden Erzieher:innen verstehen die heutige Kindheit als „Medienkindheit“ und teilweise auch als eine an Primärerfahrungen arme Kindheit.
Hierauf bezogen lassen sich die Erzieher:innen zwei verschiedenen Typen zuordnen: Die einen verstehen die Kita als Schutzraum vor aus ihrer Sicht „schlechten“ elektronischen Medien – hierunter verstehen sie den Fernseher und Computerspiele, welchen sie Wirkungen wie das Montagssyndrom (Unruhe/Aufgedrehtsein nach dem Wochenende), eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit sowie auch motorische und sprachliche Defizite zuschreiben. Die Auszubildenden dieses Habitustyps lehnen den Einsatz eines Computers in der pädagogischen Arbeit mit Kindern ab. Doch auch die Erzieher:innen des zweiten Habitustyps, die Medienerziehung gerade aufgrund der hohen Mediennutzung in Familien als wichtig ansehen und auch Chancen einer Computernutzung in der Kindertagesstätte benennen, werden ebenfalls in der Regel nicht medienpädagogisch aktiv.
Entsprechend sind weitere Bedingungen relevant, die sich darauf auswirken, ob und inwiefern Medienerziehung umgesetzt wird: So finden (angehende) Erzieher:innen keine entsprechenden Rollenvorbilder in den Einrichtungen, an denen sie sich mit Blick auf medienpädagogische Aktivitäten orientieren könnten. Zudem setzen sie sich zwar teilweise in der Ausbildung mit medienpädagogischen Projekten auseinander, es bleibt jedoch bei „Trockenübungen“. Zu einem Transfer und einem Ausprobieren in den Einrichtungen kommt es in der Regel nicht.
Dies ist vor allem dahingehend problematisch und anzugehen, da das Zutrauen in die eigene medienpädagogische Kompetenz – das heißt, ob Erzieher:innen sich selbst in der Lage fühlen, medienpädagogisch mit in diesem Fall sehr jungen Kindern zu arbeiten – wiederum abhängig von eigenen medienpädagogischen Erfahrungen der Erzieher:innen ist. Außerdem haben Bildungspläne der Bundesländer (hier werden Bildungsbereiche definiert, welche Kindertagesstätten/Horte/Schulen umsetzen sollen) und Lehrpläne für die Erzieher:innen-Ausbildung eine richtungsgebende Funktion für Kita-Leitungen und Erzieher:innen.
Die Bildungspläne der Länder, die bundeslandspezifischen Lehrpläne der Erzieher:innen-Ausbildung an Fachschulen sowie 137 Modulpläne/ Studienführer von Studiengängen der frühkindlichen Bildung/ Kindheitspädagogik wurden von der Autorin unter der Fragestellung analysiert, inwiefern „Medienerziehung/-bildung“ in den Dokumenten aufgegriffen wird. Die Analyseergebnisse zeigen deutlich auf, dass selbst dann, wenn Medienerziehung/-bildung als einzelner Bereich in den Dokumenten genannt wird – und dem Bereich damit eine Relevanz zugeschrieben wird – die Darstellung nicht immer überzeugt:
Aktuelle Theorie- und Forschungsdiskurse werden teilweise wenig berücksichtigt und es spiegeln sich stellenweise starke medienskeptische Haltungen wider; in einigen Dokumenten wird auf Chancen digitaler Medien für die frühe Bildung gar nicht eingegangen. Zudem wird Medienbildung teilweise ausschließlich mit Mediendidaktik (Einsatz von Medien in Lernprozessen) gleichgesetzt. Die Dokumente sind zudem häufig sehr unkonkret, sodass konkrete Methoden und Projektideen für Erzieher:innen fehlen.
Einordnung
Frühe Medienbildung ist leider immer noch selten in der pädagogischen Praxis der Kindertagesstätten vorzufinden. Positiv festzuhalten ist jedoch die Entwicklung, dass in den meisten Bildungsplänen und den Lehrplänen für die Fachschule Medienerziehung/-bildung aufgegriffen wird, es bestehen jedoch inhaltliche Schwachstellen. Doch solche Dokumente allein reichen für eine nachhaltige Verankerung nicht aus.
Benötigt werden medienpädagogische Praxismethoden in Aus- und Fortbildung, welche Erzieher:innen – zunächst begleitet durch Medienpädagog:innen – in der pädagogischen Praxis direkt austesten können. Hierdurch können Vorbehalte gegenüber dem Einsatz digitaler Medien in der frühen Bildung abgebaut, die Motivation zur Umsetzung und die Wahrnehmung der eigenen medienpädagogischen Kompetenz der Erzieher:innen gestärkt werden. Bewährt hat sich die Methode der Inhouse-Fortbildung: Alle Erzieher:innen einer Einrichtung inklusive Kita-Leitung nehmen teil und die Fortbildung wird individuell an den Bedürfnissen der Einrichtung ausgerichtet. Zudem müssen den Erzieher:innen Verknüpfungsmöglichkeiten von Medienerziehung/-bildung mit anderen Bildungsbereichen aufgezeigt werden (z. B. mit Sprachförderung).
Festzuhalten ist, dass weiterer Forschungsbedarf besteht: Die Mediennutzung sehr junger Kinder wird wenig erforscht. Entsprechend sind die Daten schnell veraltet; zudem fehlen detaillierte qualitative Studien wie Interviews. Mit Blick auf die frühe Medienbildung sollte beispielsweise die Zusammenarbeit mit Eltern weiter erforscht werden, auch mit Blick auf Aspekte sozialer Ungleichheit. Weiter zeigt sich, dass sich das Praxis- und Forschungsfeld auch über die Thematik der frühen Medienbildung hinaus entwickelt: So zeigt sich die Digitalisierung früher Bildung im Kontext von organisatorischen Abläufen und Verwaltungsprozessen (z. B. Anmeldung über Online-Portal für Betreuungsplatz; Kita-Apps) und auch die kindliche Entwicklung wird von den Erzieher:innen teilweise über digitale Medien dokumentiert (z. B. Einbezug von Videos; Apps). Während sich für die Schule und die Universität das Lehren und Lernen durch eine zunehmende Digitalisierung unter der Coronavirus-Pandemie verändert hat, lässt sich dies für die frühe Medienbildung im Sinne einer Zunahme der medienpädagogischen Arbeit mit Kindern oder auch einer verstärkten Nutzung von digitalen Medien mit Kindern nicht beobachten.
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