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Medienkompetenz und Familie

Heike M. Buhl Dorothee M. Meister

/ 7 Minuten zu lesen

Auch innerhalb der Familie erlangen Medien und deren Nutzung eine immer größere Bedeutung. Sie verändern und prägen die Kommunikation im familiären Alltag – im Guten wie im Schlechten.

(© Thomas Plaßmann/Baaske Cartoons Müllheim)

Die Mediennutzung, insbesondere die von digitalen Medien, gehört inzwischen ganz selbstverständlich zum Familienalltag und prägt die Familienkommunikation in immer mehr Ländern. Das hängt mit globalen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen, die von den Kommunikationswissenschaftlern Andreas Hepp und Uwe Hasebrink als „tiefgreifende Mediatisierung“ bezeichnet werden. Darunter ist zu verstehen, dass in der Lebenswelt der Menschen Kommunikationsmedien immer vielfältiger genutzt werden (Differenzierung) und praktisch überall vorhanden sind (Omnipräsenz). Außerdem kommen immer neue Geräte auf den Markt (Innovationsdichte), was insbesondere durch die mobilen Endgeräte zu einer überall möglichen Kommunikation mit nicht anwesenden Personen (Konnektivität) führt. Gleichzeitig sind die mobilen Medien nicht nur Mittel zur Kommunikation, sondern hinterlassen immer auch Daten, die gesammelt und ausgewertet werden können (Datafizierung).

Verschiedene Studien (wie die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest, mpfs) zeigen, welche Folgen sich aus der Mediatisierung bei Familien in Deutschland ergeben. So greifen Familien oftmals, um den Wünschen der Kinder nachzukommen, die neuesten Medientrends auf und sind beim Erwerb von Geräten besonders aktiv. Kinder erschließen sich spielerisch, neugierig und kommunikativ ihre Umwelt, wobei digitalen Medien eine hohe Attraktivität zukommt. Vor allem Jugendliche nutzen sehr gerne soziale Medien, was wiederum Eltern zu einer aktiveren Mediennutzung anregt. Zudem möchten Eltern ihren Kindern die besten Zukunftsperspektiven bieten, für deren Verwirklichung heutzutage Medienkompetenz eine entscheidende Rolle spielt.

Mediennutzung in der Familie

(© Quelle: KIM 2022, Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.): KIM 2022. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland, Stuttgart Juni 2022, S. 11)

Während bis in die 1980er-Jahre das Fernsehen das wichtigste Familienmedium war, ergänzen heute Videos, PCs, Spielekonsolen, das Internet und mobile Geräte (u. a. Smartphones, Tablets und Smartwatches) das Medienrepertoire. Unabhängig von der ökonomischen Situation verfügen inzwischen so gut wie alle Familien über einen PC oder Laptop mit Internetanschluss. Zunehmend wird der Familienalltag zudem durch mobile Endgeräte bestimmt. So zeigen die KIM (Kindheit, Internet, Medien)-Studien des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, dass nicht nur die Eltern, sondern auch die meisten Kinder ab einem Alter von ungefähr zehn Jahren über Smartphones verfügen, ab 12 Jahren werden die Geräte meist schon täglich genutzt. Auch wenn die Lieblingsbeschäftigungen von Kindern zwischen sechs und 13 Jahren nach wie vor meist Treffen mit Freund:innen und das Spielen im Freien sind, werden die mobilen Endgeräte zunehmend zu ständigen Begleitern der Kinder.

Die aktuellen Medienentwicklungen bieten den Familien zahlreiche Chancen für gemeinsame Erlebnisse oder die Organisation des Familienlebens über Smartphones. Gerade bei Familien mit jüngeren Kindern ist das gemeinsame Fernsehen vor dem Zubettgehen zwar noch immer die wichtigste gemeinsame familiäre Medientätigkeit und ein wichtiges Ritual, das das persönliche Gespräch miteinschließt. In Familien mit älteren Kindern werden neben Gesprächen vielfältige gemeinsame digitale Kommunikationsformen gepflegt, etwa über einen Familienchat oder indem gemeinsam ein Onlinespiel gespielt wird.

QuellentextZerstören digitale Medien das Familienleben?

Zur Weihnachtszeit kommt die ganze Familie zu Besuch, und alle bringen ihre Handys, Smartwatches und Tablets mit. Zerstören digitale Medien die Familienzeit?

Es liegt an den Familien selbst, wie sie die Mediennutzung steuern und gemeinsame Interessen und Nutzungsräume finden. Gute Beispiele sind das Schauen eines Familienweihnachtsfilms oder „Dinner for One“ zu Silvester. Andere Familien spielen gemeinsam „Pokémon GO“. Letztlich leben gerade bei jüngeren Kindern die Eltern vor, wie Medien genutzt werden sollten. Wenn ich als Elternteil beim Essen ständig auf mein Handy gucke, auch wenn es wegen der Ar­beit ist, dann ist es schwer, Argumente zu finden, warum andere Familienmitglieder dies nicht auch am Tisch tun sollten.

Man sieht oft Eltern, die mit ihren Handys beschäftigt sind, während die Kinder quengeln. Ist das gefährlich?

Das ist ein Problem, denn es beeinträchtigt eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, wenn Kinder mit Medien um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern konkurrieren müssen. Dieses als Phubbing bezeichnete Verhalten kann negative Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern haben. Studien zeigen ebenfalls Zusammenhänge mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeiten von Kindern, ihre Emotionen und ihr Verhalten zu regulieren. Schließlich können sich ganz handfeste Probleme ergeben, wenn Eltern ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.

Historisch wurden neue Medien immer verteufelt. Sind Smartphones für Kinder wirklich so schädlich?

Neben Häufigkeit und Dauer kommt es auch darauf an, was Kinder inhaltlich mit dem Smartphone machen. Ein kreativer Umgang, wie beim Erstellen von Musik oder beim Programmieren, oder eine Lern-App können positive Effekte haben. Binge-Watching oder exzessives Computerspielen wirken eher negativ. Man muss als Elternteil ein Augenmaß für den passenden Konsum im jeweiligen Alter entwickeln. […]

Wenn Kinder zu viel Zeit am Bildschirm verbringen, kommt es an Feiertagen und in den Ferien oft zu Streit. Was tun?

Es hilft, wenn Eltern nach den Gründen der exzessiven Nutzung fragen. Es ist beispielsweise legitim, wenn sich ältere Kinder auch über die Weihnachtsferien mit ihren Freunden austauschen wollen. Auf dieser Basis kann man gemeinsame Medienregeln für die Feiertage festlegen, etwa bei Verwandtenbesuch auf das Smartphone zu verzichten. Gegen Mediennutzung aus Langeweile helfen Alternativangebote, vielleicht ein Gesellschaftsspiel. Eltern sollten dann auf einer sozialen Ebene argumentieren: Ich möchte gerne Zeit mit dir verbringen. Natürlich können die Feiertage auch eine gute Möglichkeit sein, die Medienwelt des Kindes kennenzulernen und etwa zusammen ein Computerspiel zu spielen.

Wie sehr müssen sich Eltern in die Medienwelt der Kinder einarbeiten?

Man muss nicht jedes Video komplett gesehen oder Spiel durchgespielt haben, aber man sollte sich über die genutzten Inhalte informieren, sie sich von seinen Kindern zeigen und erklären lassen. Dadurch können Diskussionen über Inhalte und Nutzungsverhalten auf Augenhöhe entstehen. Wichtig ist, seine Kinder oder Enkel von Anfang an anzuleiten und zu begleiten. Die ersten Begegnungen mit Hör- und Videoformaten legen den Grundstein für das weitere Medienverhalten. Wenn Kinder und Jugendliche ein Smartphone haben, erschließen sie sich selbstständige Nutzungsräume, die außerhalb der Familie liegen. Hier ist es wichtig, als Eltern für die vielfältigen Probleme digitaler Kommunikation von Fake News bis Cybermobbing zu sensibilisieren. Man kann beispielsweise frühzeitig einen Notfallplan mit dem Kind entwickeln, was es bei Mobbing auf Social Media tun sollte. Eltern können wesentlich dazu beitragen, dass sich Kinder in einer von Medien geprägten Welt zurechtfinden.

Meinen Sie, die Gruppenchats in sozialen Medien sind für Familien eine gute Sache?

Sie sind Fluch und Segen zugleich. Natürlich helfen sie, so­ziale Netzwerke zu stärken. So können Familienmitglieder am Leben der anderen teilhaben. Vergangenes Weihnach­ten haben etwa viele Familientreffen im Videochat stattgefunden. Ein Problem ist, wenn Fotos weitergeschickt werden, obwohl das Kind dies vielleicht nicht will. Hier sollten Eltern versuchen, im Interesse ihrer Kinder zu handeln.

Das Interview mit dem Medienforscher Thorsten Naab vom Deutschen Jugendinstitut führte Johanna Kuroczik.

„Der Fluch der Familienchats“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 25. Dezember 2022, aktualisiert 27. Dezember 2022. Online: https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/smartphones-und-familien-leben-regeln-fuer-die-gemeinsame-zeit-18553466.html

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Die digitalen Medien verändern das Familienleben, sie bereichern es, bereiten aber auch Konflikte und Probleme. Eine große Veränderung des Familienlebens erfolgt durch individualisierte Mediennutzungsformen. Da fast jedes Familienmitglied über mobile Endgeräte verfügt und darüber der Zugang zu verschiedensten Applikationen (u. a. Streamingdiensten und Videokanälen) besteht, werden die Nutzungsweisen immer individueller und vielfältiger. So verlieren die Eltern oft die Kontrolle über den zeitlichen Umfang und erhalten immer weniger inhaltliche Einblicke in die einzelnen Medienaktivitäten ihrer Kinder.

QuellentextViel zu oft am Handy?

[…] [V]on Jahr zu Jahr verschiebt sich das Alter, in dem Kinder ein eigenes Smartphone bekommen und damit in die Welt des Digitalen eingeführt werden, weiter nach vorne. Wer vor zwei Jahren nach Empfehlungen dafür googelte, bekam „nicht vor dem zwölften Geburtstag“, inzwischen landet man bei „zwischen neun und zehn Jahren“.

Laut dem Branchenverband Bitkom hatten bereits im Jahr 2019 drei Viertel aller Zehnjährigen ein eigenes Smartphone. Bei einer Umfrage von Yougov in diesem Jahr sagten die Hälfte der Eltern, sie planten, ein Smartphone für ihre sechs- bis elfjährigen Kinder anzuschaffen. […]

Auch die Online-Verweildauer von Kindern und Jugendlichen in den sozialen Netzwerken hat sich stark erhöht – vor allem während der Pandemie. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters stieg sie um 66 Prozent, von zwei auf mehr als drei Stunden täglich. Interessanterweise zeigt die europaweite Studie KidiTiCo, die das Mediennutzungsverhalten von Kindern während der Pandemie untersucht hat, dass viele Kinder selbst das Gefühl hatten, es sei zu viel. Auch Erwachsene kennen diesen unangenehmen Zustand.

Warum tragen so wenige Eltern Sorge dafür, dass es bei ihren Kindern nicht zu diesem Zustand kommt? Obwohl sie selbst Gefühle wie Instagram-Neid oder Twitter-Niedergeschlagenheit gut kennen; sie selbst viel zu oft aufs Handy gucken; sie selbst von zu viel ständiger Information überfordert werden. Und obwohl seit Jahren über Datenschutzprobleme der großen Netzwerke, über Onlinemobbing, Cyberstalking und die Sexualisierung von Kindern im Netz debattiert wird. Trotzdem werfen Eltern regelmäßig alle Bedenken und Sicherheitsfragen über Bord. […]

Was soll daran kindgerecht sein, stundenlang in elektronischen Reizen zu versinken? Schon klar, dass selbst exzessives Handy-Daddeln nicht tödlich ist. Aber, so sagt es etwa der Kinder- und Jugendpsychologe Oliver Dierssen: „Das Ausmaß an Gewalt und Trauma, das Kinder bedingt durch ihren Social-Media-Gebrauch erfahren, wird unterschätzt.“ Laut seinen Beobachtungen erleben zu viele Jugendliche, besonders Mädchen, digital Belästigung, Missbrauch und Betrug. Es gehe nicht darum, die Online-Welt zu verteufeln, aber: „Jugendliche können sehr leicht erreicht werden von Menschen, die es nicht gut mit ihnen meinen.“ Von Fremden ebenso wie von Jugendlichen aus dem Bekanntenkreis. Das Problem, sagt Dierssen, sei nicht, dass Eltern ihren Kindern die sogenannte digitale Teilhabe erlauben wollen, sondern dass es dabei schnell zu Überforderung und Schuldgefühlen komme. „Es ist einfach kein elterliches Bedürfnis, Social-Media-Nutzung zu kontrollieren. Es fehlt ihnen das Wissen, worauf sie achten müssen. Außerdem wollen sie sich ausruhen, während das Kind beschäftigt ist.“ Ja, ganz ehrlich: Die meisten von uns wollen einfach selbst mal in Ruhe ins Handy gucken. Das ist an sich okay. Nicht okay: sich einzureden, das sei eine völlig harmlose Art, sich Freiraum zu verschaffen.

Das Resultat ist: Viele Eltern probieren es mit der „Passt schon“-Methode – bis sie sich unwohl fühlen und mit Verboten eingreifen. Beides führt zu Konflikten. […]

Obwohl immer wieder Studien und Medien anderes behaupten, gibt es die Diagnose „Onlinesucht“ oder „Handysucht“ offiziell gar nicht. […]

Ein Grund für diese konstante Unschärfe ist, dass sich der Effekt von Social Media – etwa auf das Wohlbefinden oder die Weltwahrnehmung – nicht verallgemeinern lässt. Das betont die Kommunikationswissenschaftlerin Desiree Schmuck, die seit vielen Jahren die Wirkung von Social Media auf junge Menschen untersucht: „Negative Effekte von Social Media sind fast immer durch individuelle Faktoren beeinflusst.“ Es gibt zwar viele Menschen, die sich nach stundenlangem Instagram-Scrolling müde, unbefriedigt, zu dick und zu schlecht angezogen fühlen. Aber es gibt auch eine Menge Menschen, die nach stundenlangem Instagram-Scrolling aufstehen und einfach etwas anderes machen. Wie es bei einem selbst ist, hängt davon ab, was in der eigenen Psyche und in den eigenen Beziehungen sonst so los ist.

Und natürlich sollten auch Eltern nicht von ihrem eigenen Online-Erleben auf das ihrer Kinder schließen. […]

Desiree Schmuck hat in einer ihrer Studien dazu Folgendes herausgefunden: „Je mehr Eltern das Gefühl des Kontrollverlusts in ihrem eigenen Handynutzen empfinden, desto mehr fürchten sie ihn auch bei den Kindern.“ Und umgekehrt: Wer sich im Online-Gebrauch souverän und unabhängig fühle, habe auch keine Angst, bei den eigenen Kindern die Kontrolle zu verlieren. Belügen sich viele Eltern da nicht einfach selbst? Schmuck widerspricht: „Da wo die Eltern sagen, sie haben keine Kontrolle über das Online-Verhalten des Kindes, bestätigen die Kinder, dass sie tatsächlich mehr negative Inhalte sehen und sich nicht unterstützt fühlen.“

Unterstützung von den Eltern aber ist das Wichtigste für Kinder, um sich grundsätzlich wohlzufühlen, völlig egal, was mit Social Media ist. Das bedeutet, dass man nicht einfach das Handy des Kindes ignoriert oder beschimpft, sondern immer wieder fragt, was sie da eigentlich so machen. Der Grundsatz darf nicht sein: Ich kann es nicht verhindern, also lasse ich es laufen. Er muss sein: Ich kann es nicht verhindern, aber ich kann genau hinschauen. Und wie wäre es, auch vom eigenen Handyverhalten zu reden? Zuzugeben, dass man zu oft draufschaut. Gemeinsam zu überlegen, welche Kommentare und Bilder man auch einfach lassen kann. Und auch selbst ein bisschen weniger ins Handy zu starren. Vielleicht kann das ein guter Neujahrsvorsatz werden: aufzuschauen, auszumachen und einfach ein Gespräch zu führen.

Meredith Haaf, „Okay, aber nur noch 15 Minuten!“, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Dezember 2022. Online: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/handynutzung-kinder-jugendliche-e107621/?reduced=true

Dabei sind die Aktivitäten fast immer und überall eingebettet in ein mehr oder weniger explizites Werbeumfeld, das von den Kindern kaum hinterfragt wird. Auch besteht die Gefahr, dass die Eltern nicht rechtzeitig bemerken, wenn ihre Kinder in sozialen Medien mit Beleidigungen, Bedrohungen oder Belästigungen konfrontiert werden und die Kinder dann alleine mit diesen Herausforderungen umgehen müssen, was zu großen psychischen Belastungen führen kann. Gerade wenn ungünstige Familienverhältnisse (z. B. Armut, Krankheiten) bestehen, kann es zu exzessiven oder jugendgefährdenden Nutzungsformen bei Kindern kommen.

Notwendigkeit von Medienkompetenz

Um mit diesen vielfältigen medialen Herausforderungen adäquat umzugehen und sich zu souveränen Bürger:innen zu entwickeln, ist Medienkompetenz erforderlich. Dies meint nicht nur die Fähigkeit, Medienangebote bedienen zu können, sondern vor allem auch sie zielgerichtet einzusetzen, sie durchschauen, einordnen und reflektieren zu können sowie sie kreativ für die eigenen Bedürfnisse verantwortlich zu nutzen. Dazu gehört inzwischen auch, das eigene Medienhandeln entsprechend zu reflektieren, etwa wenn Eltern Kinderfotos in den sozialen Medien teilen und damit (ohne Zustimmung der Kinder) Datenspuren produzieren, ohne die Konsequenzen zu bedenken.

QuellentextPro und Contra: Kinderfotos auf Social Media

PRO: Die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft darf im Netz optisch nicht völlig ausgeblendet werden

[…] Viele Mütter und Väter, ganz besonders solche, die es gerade geworden sind, leiden unter ausgeprägter Herzeigeritis. Babys sind niedlich, Kleinkinder machen lustige Grimassen, Kindergartenkinder glänzen mit verwechselten Buchstaben und drolliger Weltanalyse. Muss man alles nicht ins Netz stellen – darf man aber, und der internetaffine Teil der Menschheit sollte all jenen sogar dankbar sein, die es tun. Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Zu fordern, dass genau diese Lebenswelt in den sozialen Netzwerken nicht gezeigt und somit verhandelt werden darf, ist nicht nur absurd, sondern geradezu adultistisch. Unter Adultismus versteht man Diskriminierung von Kindern, das permanente Ausblenden ihrer Interessen und die leider vorherrschende Sichtweise, dass sie einer öffentlichen Debatte nichts Relevantes hinzuzufügen haben. Haben sie aber, und um das tun zu können, müssen sie und ihre Eltern sichtbar sein dürfen.

Gegner von Kinderbildern auf Social Media führen an, dass auch Kinder ein Recht auf Privatsphäre haben. Zielscheibe dieser Kritik sind vor allem sogenannte Momfluencer: Frauen, die ihre Mutterschaft auf Instagram und Co. zelebrieren und mittels Followern und Werbebudgets zu Geld machen. Nun ist es rechtlich so, dass natürlich die Eltern die Hüter der kindlichen Rechte sind, und wenn eine Mutter oder ein Vater der Meinung ist, dass ein Bild des Kindes online gehen darf, können sie das so entscheiden. […]

Nun werden Mütter für alles geshamed, fürs Arbeiten, fürs Nichtarbeiten, fürs Nachhilfegeben, fürs Nicht-Nachhilfegeben, da befindet sich die Kritik an Momfluencern in guter misogyner Tradition. Natürlich kann man es fragwürdig finden, wenn Kinder unter den Augen Hunderttausender Follower das Laufen lernen. Genauso schädlich ist es vermutlich, Minderjährige vorrangig mit Cola und Pommes zu füttern oder ihre Wehwehchen ausschließlich mit Globuli zu behandeln. Erlaubt ist auch das. Eltern haben in Deutschland die Hoheit über die Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgehen, und der Staat greift nur in gravierenden Fällen ein. Das sollte so bleiben.

Es ist ganz einfach: Menschen, die ihre Kinder im Netz zeigen möchten, sollten sich an Regeln halten, die auch für private Whatsapp-Gruppen gelten und für die analoge Welt. […]

Das Internet ist im Schönen und im Schrecklichen, im besonders Klugen wie im Doofen ein menschengemachtes Abziehbild unserer Lebenswelt, wenn auch an vielen Stellen von Algorithmen und kapitalistischen Interessen verzerrt. Es wäre schlimm, wenn in diesem bunten Wimmelbild ausgerechnet die Kinder fehlen würden.

Barbara Vorsamer

CONTRA: Von ihren Bildern im Netz haben die Kinder selbst nichts, sie dienen vor allem der Eitelkeit ihrer Eltern

[…] „Sharenting“ heißt es, ein Mixwort aus „share“ (teilen) und „parenting“ (Erziehung), wenn Eltern Fotos ihrer Kinder posten. Manche legen zur Geburt Profile auf Instagram oder Facebook an, manchmal auch als Statement: Im virtuellen Leben mische ich jetzt auch mit! Die Frage ist, wer genau da mitmischt. Was haben Kinder davon, wenn sie durch die sozialen Medien krabbeln? Dienen die Fotos dem Kindeswohl – oder sind sie vor allem eine Projektionsfläche für das perfekte Leben ihrer Eltern, das in viele Likes münden soll? Für eine glückliche Kindheit braucht kein Junge und kein Mädchen Instagram oder Facebook.

Eltern, die ihre Kinder in den sozialen Medien zeigen, sagen oft: Das Leben spielt sich hier ab. Warum sollte ich meine Kinder als Teil davon nicht zeigen? Eben weil sich so große Teile des Lebens im Netz abspielen, sollten Eltern vorsichtig sein. Auch harmlose Fotos werden von Pädosexuellen aus privaten Profilen gestohlen, ihre Köpfe in kinderpornografische Kontexte gestellt. Das ist kein Geraune, davor warnen Kinderschützer und Ermittlungsbehörden ganz konkret. Selbst wenn man Bilder löscht, können sie weiter auffindbar sein. Das Netz vergisst nichts.

Kinder haben ein Recht auf den Schutz ihrer Persönlichkeit. Ihnen wird über die UN-Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat, ein Recht auf Privatsphäre zugestanden. Die Eltern setzen sich mit Fotos ihrer Kinder in den sozialen Medien über dieses Recht hinweg. […]

Eltern haben das Recht, wesentliche Entscheidungen für den Nachwuchs zu treffen. Konfession, Schule, Präsenz in den sozialen Medien – alles Sache der Eltern. Sie könnten also weiterposten. Tun viele nicht. Vielleicht auch, weil der nicht mehr so kleine Nachwuchs selbst in den sozialen Medien unterwegs ist und sagen kann, dass er nicht in Mamas oder Papas Instagram-Story auftauchen will.

Besonders krass inszenieren manche Influencer ihre Kinder im Netz. Zur Gewinnmaximierung landen sie in Modestrecken oder werden bei Reisetipps in die Kamera gehalten. Das Kinderhilfswerk sieht darin eine „grenzwertige Instrumentalisierung“. Das sollte verboten werden. Aber wenn ein stolzer Vater ein Bild seiner Tochter im Garten zeigt, ist das nicht etwas anderes? Nein. In beiden Fällen geht es darum, dass ein Erwachsener sich die Welt macht, wie sie ihm gefällt. […]

Kein Vater, keine Mutter will dem eigenen Kind mit Babyfotos auf Instagram schaden. Trotzdem ist die Gefahr zu groß. Sie sollten ihr Familienleben lieber offline zelebrieren.

Claudia Fromme

Barbara Vorsamer und Claudia Fromme, „Darf man seine Kinder in den sozialen Medien zeigen?“, in: Süddeutsche Zeitung vom 20. April 2023.

Bei Untersuchungen zur Medienkompetenz der Eltern wurde deutlich, dass ihre Medienkompetenz den Alltag mit Medien in der Familie beeinflusst. Wenn die Eltern über eine hohe Medienkompetenz verfügen, dann können sie Kinder auch besser bei Anschaffungen und bei der Nutzung unterstützen und sie fühlen sich sicherer in der Mediennutzung. Eltern mit geringer Medienkompetenz fühlen sich jedoch häufig von der Mediennutzung ihrer Kinder überfordert, sind eher skeptisch und sehr unsicher bei der Begleitung ihrer Kinder.

All dies hängt auch stark von sozioökonomischen Faktoren ab. Es zeigt sich, dass Eltern mit einer höheren Bildung selbstsicherer in Bezug auf die eigene Medienkompetenz sind als Eltern mit geringeren Bildungsmöglichkeiten. Da aber andere Sozialisationskontexte wie die Schule nach wie vor nicht systematisch und umfassend Medienkompetenz vermitteln, ist die Familie ein wichtiger Lernort, sodass die Förderung in der Familie relevant ist.

Förderung von Medienkompetenz in der Familie

Eltern spielen ganz generell für die schulische und außerschulische Bildung ihrer Kinder eine maßgebliche Rolle, indem sie zum Lernen motivieren, Bildungsangebote machen und auch direkt bei Hausaufgaben unterstützen. Beim Umgang mit digitalen Medien nehmen Eltern aber auch viele negative Wirkungen, die die Mediennutzung auf ihre Kinder haben kann, wahr. Das kann zur Folge haben, dass sie die Medienkompetenz ihrer Kinder nicht ausreichend kompetent fördern, sondern den Aufbau von Medienkompetenz eher behindern.

Wegen der besonderen mit digitalen Medien verbundenen Risiken unterscheidet sich die Förderung der Medienkompe­tenz in der Familie daher von anderen Lernbereichen, etwa der Lesekompetenz. Die Förderung von Medienkompetenz ist dabei eng verbunden mit dem Medienerziehungsverhalten der Eltern.

Eltern beeinflussen den Umgang ihrer Kinder mit Medien bereits als Vorbild durch ihr eigenes Medienhandeln (modeling). Wenn Eltern selbst systematisch im Internet recherchieren, ist dies Kindern für schulische Belange bereits vertraut. Ebenso übernehmen Kinder die Nutzungsgewohnheiten ihrer Eltern: Wenn diese ihre eigene Mediennutzung wenig beschränken, indem sie zum Beispiel beim Essen ins Smartphone schauen, ahmen Kinder auch dies nach. Insofern ist es problematisch, dass die Häufigkeit und die Formen elterlicher Mediennutzung stark vom Bildungsniveau bestimmt werden.

Eltern beeinflussen in dieser indirekten Form aber nicht nur durch ihr Vorbildverhalten, sondern auch durch ihre Einstellungen. Viele Eltern finden eine kompetente Mediennutzung zwar durchaus relevant für die Schule und den späteren Beruf, haben aber andererseits Bedenken hinsichtlich der Gefahren durch hohe Mediennutzungszeiten und jugendgefährdende Inhalte.

Dabei bewerten vor allem diejenigen Eltern die Gefahren als besonders hoch, die selbst über wenig Erfahrungen und Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien verfügen. Dies kann Effekte des Bildungsniveaus verfestigen, da Kinder im Umgang mit digitalen Medien sicherer sind, wenn Eltern ihnen positiv gegenüberstehen.

Haben Eltern Vorbehalte gegenüber digitalen Medien, so neigen sie in besonderem Maße zu starren Einschränkungen (restrictive mediation). So regulieren die meisten Eltern die Mediennutzung ihrer Kinder – vor allem, wenn diese noch jünger sind. Das heißt, sie steuern die Geräteverfügbarkeit, die Zeit an den Geräten, die Nutzung spezieller Programme und Anwendungen sowie die Inhalte bei der Nutzung digitaler Medien. Orientierung bieten ihnen dabei zum Beispiel die offiziellen Altersfreigaben. Wenn Eltern die Mediennutzung ihrer Kinder allerdings besonders stark und dauerhaft einschränken, haben die Kinder und Jugendlichen ihrerseits wenig Gelegenheit, Medienkompetenz aufzubauen.

Neben diesen Rahmenbedingungen wirken Eltern auch direkt beim Aufbau der Medienkompetenz mit, indem sie gemeinsam mit den Kindern Medien nutzen (co-use). So gibt es im familialen Alltag viele Anlässe der gemeinsamen Mediennutzung: wenn zum Beispiel Kochrezepte, Urlaubsziele oder Hintergründe politischer Nachrichten im Internet recherchiert werden, wenn gemeinsam am Computer oder an der Konsole gespielt wird oder Serien und Filme gestreamt werden. Diese gemeinsame Mediennutzung, insbesondere wenn sie von Gesprächen über das Medium und die Inhalte begleitet wird, ist für den Aufbau von Medienkompetenz und die Art der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam. Allerdings findet dies nicht in allen Familien gleichermaßen statt.

Schließlich fördern Eltern die Medienkompetenz auch direkt und zielgerichtet, indem sie Kinder oder Jugendliche anleiten, also Instruktionen geben (active mediation). Dies kann ebenso in der Freizeit geschehen wie bei der Erledigung von Hausarbeiten, indem beispielsweise im Internet recherchiert oder ein Tabellenkalkulationsprogramm genutzt wird. Wenn Eltern ihre Kinder hierbei unterstützen, ihnen also auch etwas beibringen wollen, gewähren sie in unterschiedlichem Ausmaß Freiräume: Bildlich gesprochen übernehmen Eltern bei der „gemeinsamen“ Recherche selbst die Tastatur, geben Tipps für Suchbegriffe oder stellen Fragen zu möglichen Strategien.

Wie in anderen Lernbereichen auch, ist es für Kinder und Jugendliche motivierender, wenn sie Freiräume haben, um eigene Strategien auszuprobieren und ihre Aktivitäten auch wertgeschätzt werden. Gleichzeitig ist es aber durchaus hilfreich, wenn Eltern vor allem anfangs auch das Lernen mit den digitalen Medien nicht nur zulassen, sondern auch strukturierend begleiten. Um in dieser Hinsicht eine gute Lernbegleitung zu gewährleisten, braucht es auf Seiten der Eltern allerdings ein hohes Maß an eigenen Kompetenzen und zugleich an Sensibilität im Umgang mit den Bedürfnissen ihrer Kinder. Es ist hilfreich, wenn Eltern hierbei unterstützt werden, zum Beispiel durch Angebote der Schule, von Bibliotheken, anderen Bildungsträgern oder von nicht kommerziellen Medien. Auch können Eltern dazu ermutigt werden, sich niederschwellig gegenseitig zu unterstützen.

Prof.‘in Dr. Heike M. Buhl ist Professorin für Pädagogische und Entwicklungspsychologie unter Berücksichtigung der Geschlechterforschung an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. die häusliche Lernumgebung, familiale Beziehungen und digitale Kompetenz von Schüler:innen und Lehrkräften.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: heike.buhl@uni-paderborn.de

Prof.‘in Dr. Dorothee M. Meister ist Professorin für Medienpädagogik und empirische Medienforschung an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Familie, Lernen und Medien, digitale Medien in beruflichen Kontexten, Medienkompetenzforschung, Kinder, Jugend und digitale Medien.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: dorothee.meister@uni-paderborn.de